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Besorgnisse hegen, daß, wofern der Himmel hier nicht ein Wunder wirke, der näckstkommende Herbst sein falbes Laub auf das frühe Grab ihrer Tochter streuen werde.
Thom und Anne kannten die Ursache von Conrad's plötzlichem Verschwinden, denn Aennchen hatte ihr Herz am Mutterbusen erleichtert, und wer konnte es demnach den beiden Alten verdenken, daß sie den guten Conrad sehnlichst herbei, den unglückseligen Herrn Anton aber zu den Seevttern im Zirknitzer See wünschten. Aber Conrad kam nicht, und Herr Anton ließ sich seither auch nicht weiter im Dorfe mehr sehen. Aenn- chcn steckte täglich mehr dahin, und ihr besorgter Vater wußte zuletzt keinen AuSweg mehr, als daß er sich vornahm, sein Kind von jenem Orte, der für Aennchen nur traurige Erinnerungen bot, zu entfernen, und einige Zeit zu einer Base in's Erzgebirge zu bringen, wo sie durch Veränderung ihrer Umgebung unddesKlima's an Herz und Leibe wieder aufleben könne.
Und so stand denn eines schönen Sammeltages vor dem Thore des großen Hofes ein Wägelchen mit dem Flechtcndacke, und mit dem mu- thigen Falben des alten Pächters Thom bespannt; der Alte rückte sick neben seinem Aennchen die grüne Reisedecke zureckt, grüßte noch einmal zu seiner Anne hinab, und rollte nun mit seinem still in sich gekehrten Äenncken die Bergstraße entlang.
Es war Sonntag, und zwar jener schöne Soiinragsmorgen, wo die Christenheit die Erinnerung an das Fest der feurigen Zungen, welche die Gaben des Geistes über die ersten Wächter im Weinberge des Herrn krackten, feierte.
An diesem Tage pflegt namentlich in Norddeutschland der Bürger und Landmann im Kreise seiner Lieben ein Fest der Ruhe und Erhebung von den Mühen des Sommers zu feiern.
Auch in dem Städtchen Z*** in der Oberlausitz hatten sich vor
dem Stadtthore viele Bürger und Landleute in den öffentlichen Gärten zusammengefunden, aßen, tranken, und unterhielten sich auf ihre Weise, während wohlbesetzte Musik- Orchester bekannte Volksweisen zum Besten gaben.
In einem der Gartenpavillons saßen bei Punsch-Bowle und Knasterrohr drei junge, fein gekleidete und einen ebenso feinen Anstand verlachende Männer im eifrigen Gespräch begriffen.
„Ich bin Assessor geworden!" sagte der Eine mit sonderbarem Gc- sichtsausdrucke.
„Sonderbar," meinte der Andere dagegen.
„Und noch sonderbarer," fuhr der Erste fort, „daß sogar mein Anstellungsdekret genau von jenem Tage dalirt war, als es der Zeisig voraussagte." —
„Der auch meinen Namen und meine Verhältnisse so genau zu de- tailliren wußte?'
„Der sogar memenNamen wußte, obgleich ich den Mann nie gesehen hatte," bemerkte der Dritte.
„Merkwürdig bleibt die Sache immerhin," begann der Erste wieder, indem er nachdenkend die blauen Rauchwolken in die Lüste wirbelte, „irgendwo müssen wir mit dem Botaniker doch schon zusammengetroffen sein, sonst hätte er — denn ein Hexenmeister ist er denn doch nicht — unser t'eoloZomt'NU nicht dergestalt im kleinen Finger gehabt, um uns Alle dupiren zu können.
„Und ich," bemerkte Alfred, der Jüngste im Klceblatte, lasse mir es nicht nehmen, daß wir selbst am Zirknitzer Seegestade das Gesicht des grünen Botanikers nickt zum ersten Male gesehen. Der Mann kam mir bekannt vor — sehr bekannt, — er trug die Züge von — von — ja — ja — von —" (Forts, folgt.)
Kleiner Jrrthnm.
Herr von Jvuy, eine literarische Größe aus der Zeit der Restauration, hatte (im Jahr 1840) auf dem Dtiü-
ütrv kertnykü« Dumas' „Oliurlun VH." gesehen, traf einige Tage später in einer Gesellschaft mit dem Dichter zusammen, und als sich ihm derselbe vorstellen ließ, empfing er ihn mit dem größten Wohlwollen. Im Verlaufe des Gesprächs machte er, nachdem er dem jungen Dichter vorher viele Lobsprüche über sein Talent gemacht, aus viele Mängel und üble Gewohnheiten aufmerksam, die derselbe zu beseitigen haben werde.
Dumas, bescheiden das Lob ablehnend, dem Tadel willig Gehör gebend, erwarb sich dadurch das Wohlgefallen des alten Mannes in solchem Grade, daß er ihm schließlich vorschlug, als Secrctär mit 100 Louis- d'or Gehalt in seine Dienste zu treten, indem er noch hinzusetzte, Dumas könnte nur dabei gewinnen, „da er bei ihm in eine gute Schule käme." —
„Das glaube ich wohl," ent- gegnete ihm Dumas, „darum werde ich auf Mittel sinnen, um Ihr gütiges Anerbieten annehmen zu können." Der alte Mann begriff nicht, was den jungen Mann abhalten könne, bei einem Gehalt von 100 Louisd'or noch zu zögern, und fragte ! um die Ursache.
! „Ja, lieber Gott" , antwortete Dumas, „entscheiden Sic selbst. Zuerst müßte ich, um Ihr Secretär werden zu können, die meiniqen entlassen." —
„Die Ihrigen? Also haben Sie mehrere!"
„In diesem Augenblicke nur drei! Und dann — möchte ick der 100 Louisd'or wegen die 60 bis 80,000 Francs, die ich jährlich verdiene, nicht gern einbüßen."
Hr. von Jouy begnügte sich, Dumas den Rücken zuzuwenden, da er glaubte, derselbe treibe seinen Spott mit ihm.
Erst als er sich näher erkundigt hatte und völlig aufgeklärt worden war, ließ er seinen Groll fahren, eilte zu Dumas, bat ihn um Ent' schuldigung und setzte schließlich hinzu: „Wenn ick nicht so alt wäre, würde ich Sie bitten, mich als Se- ^ cretär bei sich aufzunehmcn."
Revigin, gedruckt und verlegt von A. Oelschlager.
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