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heiß nud naß in den Augen ward. Er nahm sein schwarzes Mützchen vom Kopfe und forderte den Schreiber wiederholt auf, fortzufahren. Aber obgleich derselbe seit zwanzig Jahren bei vielfachen Gelegenheiten die wenigen, bekannten Worte abgeleiert hatte, stotterte er jetzt mehrmals, ehe er in Gang kam. Es folgten noch einige Gebote, bis das fremde Mädchen den Schemel für 500 Gulden zugeschlagen erhielt. Sie trat an den Tisch und zählte das Geld auf.
Der fremde Mann sprach mit dem Ortsrichter, worauf derselbe dem Gläubiger sein Geld schnell auszahlte und ihn, sowie die übrigen Leute auö dem Dorf, bat, nunmehr daS Hüttchen zu verlassen.
Da kam die arme Frau mit ihren Kindern und fiel dem Mädchen zu Füßen. Du bist ein Engel Gottes, sprach sie, und gekommen, um mich und meine armen Kinder vom Verderben zu erretten! Und das fremde Mädchen hob die Frau liebreich empor, küßte die Kinder und weinte die süßesten Freudenthränen.
Der Vater aber redete ernst mit dem Ortsrichter, und der versprach ihm mit Hand und Mund, sich der Wittwe mit Rath und That anzunehmen. Er übergab ihr zunächst 480 Gulden, die ihr baar zufielen. Darauf reichte der Engländer und seine Tochter Allen die Hand, gingen, begleitet von heißen Segenswünschen, nack ihrem in der Nähe stehenden Wagen und fuhren eilends davon.
Wer jetzt die Landschaft von jenem Punkte sieht, der in unserer Geschichte bezeichnet ist, der wird nicht mehr das farbige Zauberhäuschen erblicken, wohl aber an seiner Stelle ein neues Haus mit Hellen Wänden und mit einem Blumengarten vor der Thür. Auch wird er hinter dem Hause eine Scheuer wahrnchmen, die den Segen des Feldes birgt, und einen Stall, aus dem er von Zeit zu Zeit die Stimme wohlgenährter Hausthiere hören kann.
Diesen kleinen Bauernhof bewohnt jetzt die Wittwe mit ihren drei Kindern im Wohlstände und vergißt nie,
zu Gott für di: zu beten, die ihr einst in finstrer Nacht des Unglücks als Helle Engel erschienen.
Der Vogelsteller.
(Aus dem Nieri tz'schen Volkskaleuder).
In der Wohnstube des Riemer- mcistcrs Diesend waren alle Wände mit Käfigen wie bedeckt, in denen eine Schaar der verschiedenartigsten Vögel zwitschernd, schmetternd und singend herumsprangen und flatterten. Die Fütterung, Wartung und Pflege dieser Vögel hatte sich Meister Triefend ausdrücklich Vorbehalten und es verstrichen darüber täglich mehrere Stunden, denn er beschränkte sich dabei nicht bloß auf das Nothwen- dige, sondern genoß auch das Vergnügen, die Thiere in ihren Eigen- thümlichkeiten zu beobachten und sie bei ihren Tugenden und Untugenden zu belauschen. Doch das war es nicht allein. Er hatte draußen im Walde einen Vogelheerd gepachtet, wo er zur Herbstzeit Tagelang zubrachte. Diesend, der sonst ein fleißiger, geschickter und rechtschaffener Mann gewesen, hatte selbst in schweren Zeiten seine Familie nicht nur anständig versorgt, sondern auch es zu einem gewissen Wohlstände gebracht. Von der Zeit aber, wo die unglückliche Leidenschaft für den Vogelfang ihn ergriff, ging es mit ihm, anfangs allmälig, dann rasch und immer rascher bcrgunter und schon nach einigen Jahren trat an die Stelle eines sorgenfreien Lebens oft Mangel und Entbehrung am Nothwendigsten. Die brave, aber ihrem Mann gegenüber schwache Hausfrau grämte und bekümmerte sich in ihrem Herzen und sah mit unbeschreiblicher Angst gänzlicher Verarmung entgegen; allein sie hatte nicht Muth, mit größerer Entschiedenheit gegen die Leidenschaft ihres Mannes anzukämpfen.
Eines Tages, es war gerade an einem Sonnabende, hatte Diesend trotz der dringlichsten Arbeiten mehrere Stunden sich bereits mit seinen Vögeln beschäftigt, ohne daß sie eö über sich gewinnen krnnte, ihn zu mahnen, das Nothwendigere zu thun.
Da traten zwei von den Diesend'schen Kindern aus der Schule hcimkehrend in die Stube und die zehnjährige Emilie wendete sich zum Vater und sagte mit weinerlicher Stimme:
„Vater, unser Herr Lehrer will uns aus seiner Schule fortschicken, wenn diesen Monat das schuldige Schulgeld nicht bezahlt wird."
Unwillig über diese unangenehme Störung antwortete der Vater: „Sag dem Herrn Schulmeister, ich müßte bei meinen Kunden viel länger, und auf die Bezahlung weit größerer Summen warten, als Euer Schulgeld beträgt. Und will er sich nicht gedulden, so mag er Euch fortschicken, es gibt Gottlob noch mehr Schulen in der Stadt."
Während dieser Rede, welche Frau Diesend tief ins Herz geschnitten, waren ihre Blicke auf die Fußbekleidung des Knaben gefallen und sie hob jetzt an:
„Lieber Mann, darf ich für Hänschen ein Paar neue Stiefel bestellen? Sieh nur seine alten an! Meister Frenzius vermag sie gar nicht länger auszuflicken. Kein Stich -— spricht er — halte mehr am Oberleder und Schade wär's um jeden daran gewendeten Dreier."
Meister Diesend blickte seinem achtjährigen Söhnlein aus die Füße und fand die Meinung des Schuhflickers nur zu wohl begründet.
„Die Kinder reißen entsetzlich viel Schuhwerk ab" — sagte er seufzend — „das Leder schlägt mit jedem Tage mehr auf, und wenn es so fortgeht, werden wir Alle noch barfuß gehen müssen. Seht da meine Vögel, die brauchen weder Schuhe noch Stiefeln."
„Vater!" hob des Meisters zwölfjähriger Sohn Andreas, der inzwischen eingetreten war, lächelnd an — „ei wohl haben die Vögel Stiefeln und zwar recht derbe, nur daß sic nicht schwarz gewichst und nicht zum Ausziehen sind. Da hindurch dringt keine Nässe und Kälte, und je länger die Vögel ihr Schuhwerk tragen, desto fester wird es."
Dieser Grund war für den Mci-