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In einer halben Stunde sollen zwei Anzüge bereit liegen.
Wir finden uns ein, versetzte der Engländer, und ich werde für eure Güte nicht undankbar sein!
2. Nie Auktion.
In der Hütte saß die Wittwe am Tisch und brockte für ihr jüngstes Kind, das fröhlich auf ihrem Schooße jauchzte, grobes Brod m ein Näpfchen mit Milch, die durch Wasser reichlich verdünnt worden war. Die Mutter, der von Zeit zu Zeit eine Thräne über die bleichen Wangen lief, hatte neben sich ein Stück Brod liegen, das sie als Mittagsmahlzeit verzehrte. Ein zweijähriges Töchterchen saß auf der Erde und ließ sich eine gewaltige Mohrrübe wohl schmecken, die der achtjährige Bruder, der eben aus der Schule gekommen war, mitgebracht halte. Er saß arkf der Bank am Fenster, hatte eine balbzerbrochene Schiefertafel vor sich liegen, schrieb mit der rechten Hand, und hielt in der linken Hand ebenfalls als Mit- tagsbrod eine große Mohrrübe, in die er tapfer einbiß.
Die Mutter hatte ihr Brod nur halb gegessen; von dem übrigen gab sie jedem Kinde noch ein Stück. > Eßt euch nur noch einmal recht satt,! sagle sie, denn wer weiß, wie cs euch armen Würmern in den nächsten Tagen ergehen wird! Und sie verbarg ihr Angesicht in ihre grobe Schürze und weinte bitterlich.
Vertrau aus Gott! rief plötzlich eine Stimme. Es war der Staar im grünen Vogelbauer, den der Barer abgerichtet und ihm einige Worte beigebracht hatte. Der Bauer, bei dem die Wittwe verschuldet war, hatte ihr diesen Vogel schon mehrmals abkausen wollen, allein es war ihr nicht möglich gewesen, darauf einzugehen, und zwar besonders deß- halb nicht, weil der älteste Knabe mit ganzer Seele an ihm hing.
Liehst du wohl, sagte der Knabe, der Staar hat schon oft zu dir so gesagt, wenn du weintest. Du solltest ihm nur folgen, liebe Mutter, denn er ist so klug, ich glaube gar,
so klug wie unser Prediger. Der war heute in der Schule, und hat auch gesagt, wir sollen nur immer aus Gott vertrauen, denn der nährt die Vöglein und kleidet die Lilien, und einen Menschen verläßt er gar nicht, sondern er steht ihm bei, und wenn die Noth am größten ist, dann ist er am nächsten mit seiner Hilfe. Siehst du, liebe Mutter, so hat der Prediger gesagt, und ich nahm mir sogleich vor, dir dieß zu sagen, wenn du wieder einmal weinen würdest.
Die Mutter sagte nichts auf die Worte ihres Kindes. Wohl hing sie mit Vertrauen an dem, der Himmel und Erde regiert, aber sie konnte doch auch in manchen Augenblicken, in denen der Kelch, den ihr das Geschick reichte, zu bitter mundete, eines schweren Kummers nicht Herr werden.
Vor der Thür fanden sich jetzt nach und nach Männer und Frauen ein, meist arme Leute, die an der Auktion theilnehmen wollten. Niemand gönnte der Wittwe ihr Ungemach; die Sachen werden nun doch einmal verkauft, hieß es, und da wollen wir sehen, ob wir Dieß oder Jenes billig bekommen können.
Endlich kam der Ortsrichter mit einem Schreiber und dem Bauern, Idem die Wittwe verschuldet war. Die Männer setzten sich an den Tisch. Der Ortörichter fragte den Bauer, ob tr augenblickliche Zahlung verlange. Dieser erwicderte: Jawohl, denn Jeder braucht ja das Seinige! Darnach fragte der Ortsrichter die Wittwe, ob sie in baarem Gelde zahlen könne, und als sie cs verneinte, sagte er, er versuche pflichtmäßig den Gläubiger zu bewegen, der armen Frau noch eine Frist zu stellen. Aber der Bauer war ein harter Mann, der niemals in seinem Leben Erbarmen mit den Armen gehabt hatte, er war im Gcgentheil als Bedrücker der Dürftigen und Nothleidenden weit und breit bekannt. In roher Weise fuhr er auf: das sei ein unbillig Verlangen. Er würde aus den Plündern und Rumpeleien, die hier zu verauktioniren seien, nicht einmal so viel herausbekommen, als
die Schuld betrage, und je länger er mit der Zahlung Irarte, je weniger werde er erhalten.
Spitzbub ! Spitzbub! schrie der Staar. Ortsrichter und Schreiber sahen einander groß an; der Bauer ward kirschroth. Warte nur, dachte er, dir dreh' ich den Hals um! — Die arme Frau ward verlegen und wußte nicht, sollte sie sich stellen, . als habe sie nichts gehört, oder sollte sie nach dem Staar mit dem Tuche schlagen, das sie in der Hand hielt.
So laßt die Leute hereinkommen! sagte der Ortsrichter.
Als der Staar so viel Leute in die Stube kommen sah, rief er: Immer lustig! Immer lustig!
Vieler Äugen richteten sich auf ihn. Den möcht' ich wohl haben, dachte Mancher und überlegte, wie weit er auf ihn bieten wollte, wenn er zur Versteigerung käme.
Das Knäblein stellte sich an die Wand unter den Bauer. Den Vogel bekommt Niemand, dachte er, den hat mir der Vater geschenkt.
Die Auktion begann. Die kreischende Stimme des Schreibers, der die Formel: „Zum ersten, zum zweiten und zum driften Male!" in alt, hergebrachter Weise ableierte, ging der Frau durch Mark und Bein; jeder Schlag des Hammers, der das Zeichen war, daß sie wieder um ein Stück ihrer kleinen Habe ärmer geworden war, schien ihr Herz zu treffen. Blaß und zitternd saß sie in dem Winkel und hörte nicht das „Immer lustig!" das jetzt der Vogel aus allen Kräften schrie. Sie dachte an den tiefen See und den hohen Uferrand, den die schöne Engländerin heute so bewundert hatte. ES war ihr, als hörte sie unter sich die Fluth rauschen und eine dumpfe Stimme aus derselben rufen: Komm herab, hier findest du Ruhe! — Aber da fühlte sie plötzlich die weiche, warme Hand ihres KindeS auf ihren blaffen Wangen. Mit einem Angst- rus drückte sie das Kind an sich, und sein frisches Gestchtchen ward von ihren heißen Thräncn benetzt.
Man sah manch mitleidig Gesicht unter den Leuten; allein ein Jeder