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sofort begreiflich werden. Ich bin Marquis, bin es aber erst in neuester Zeit und zwar in einem italienischen Staate geworden. Ich bin kein Ger- cour von Geburt, besitze aber die Güter dieses Namens, die mein Großvater in der Revolutionszeit an sich gebracht hat. Mein Vater hat, wie Ließ in Frankreich nur zu häufig geschieht, den Namen seiner Ländereien zu seinem Familiennamen hinzugefügt. Jetzt wissen Sie alles, und nun darf ich mir wohl die Frage erlauben, ob ich überhaupt noch hof­fen darf?

Die Antwort, entgegnen der Bankier, steht nun wieder ganz und gar meiner Tochter zu.

Und ich werde sie geben, nahm diese schüchternen Tones das Wort weil mein guter Vater cs mir erlauben will. Als ich noch glaubte, daß mit meiner Hand die Schuld vieljähriger Dankbarkeit ab­getragen werden sollte, mußte ich wohl gehorchen; jetzt aber habe ich meine Freiheit wieder und ich möchte den Mann, der mich zum Altar führen soll, auch wohl lieben können.

Und mich lieben Sie nicht!

Erröthend flüsterte Elise, daß dieß nicht Ihre Schuld sei.

Ich aber, ließ sich jetzt der Graf vernehmen, ich wende mich an meinen Freund, den Bankier Vi­comte Morin und werde um die Hand seiner Tochter für den wirk­lichen Marquis de Gercour.

Die Familie ist ja ausge- storbcn! rief die Herzogin.

Der Oberst opfert mich und Paul, dachte Elise, wer hätte das von ihm glauben sollen?

Verrathen sie mich nicht, flüsterte Paul dem Oberst zu; ich möchte Elisen gar so gern nur meiner Liebe verdanken können.

Der Oberst zuckte die Achseln und nahm wieder das Wort: Es gibt noch einen Gercour, der Fräu­lein Elisen ehrerbietig, aber innig und leidenschaftlich liebt und ein vor­trefflicher junger Mann ist, der . . . lieber Paul, lassen Sie mich ruhig zu Ende kommen, . . . der, sage ich, dem Vicomte in jeder Hinsicht Zu­

sagen und den das Fräulein auch gern mit ihrer Liebe beglücken wird.

Elise schüttelte den Kops.

So, Sie meinen, daß Sie ihn nicht lieben werden? Aber sehen Sie ihn doch nur erst recht an.

So sprechend hatte er den wider­strebenden Vermon an der Hand gefaßt.

Er! rief das junge Mäd­chen mit unwillkührlicher freudiger Betonung.

Er? wiederholten die Andern erstaunt wie im Chore.

Und woher, fragte der Bankier, der Name Vermon?

Es ist der Familienname meiner Mutter, versetzte Paul, und ich war zu arm, um Titel und Name meines Vaters führen zu können.

Die Hand der Vorsehung, sagte der Bankier mit ernstem Tone, zeigt sich hier sichtbar; sie hatte uns zusammengesührt, ohne daß wir eine Ahnung davon hatten; ich suchte in weiter Ferne, während der Er­sehnte mir so nahe stand, daß ich nur die Hand ausstrccken durfte, um die meines Kindes in die seine legen zu können.

Der vermeintliche Marquis war hinlänglich gedemüthigt, indem die kränkenden Aeußerungen über Stan- desunterMede, die er den Tag vor­her gegen Paul gemacht, nun auf ihn selbst zurückfielen. Paul handelte großmükhig an ihm, indem er ihn mit dem Versprechen, nie wieder den Namen Gercour tragen zu wollen, entließ, ohne ihn wegen der erlitte­nen Beleidigungen und Mißbrauch seines Namens weiter zur Rechen­schaft zu ziehen.

Vierzehn Tage später aber war Elise Morin glücklich und Marquise de Gercour geworden.

Henri Morin wurde durch dieses Ereigniß und das freundliche Begeg­nen seines nunmehrigen Schwagers wie umgewandclt und in kurzer Zeit waren sie die innigsten Freunde.

,'U!"

Der Weihnachtsbaum.

(Fortsetzung.)

Elise ging vorüber. Ernst und milde hatte Scheucrlein ihren Gruß erwiedext.

Er blickte ihr nach. Da sah er, daß sie zerrissenes Schuhwerk an hatte. Er rief sie zurück. Kind, dir kommt der Schnee in die Schuhe, sagte er im fragenden Tone. Sie bejahrte es, indem sie die Augen niederschlug. Auf seine Frage, wann sie aufgestanden sei, und was sie heut schon gemacht habe? erfuhr er Folgendes: Um halb sechs Uhr war sie von ihren Pflegeeltcrn geweckt worden. Bis halb sieben hatte sie spulen müssen. Dann war sie zum Bäcker, zum Kaufmann und zum Höcker geschickt worden. Der Lehrer nahm einen Zettel ans der Liste, schrieb einige Worte darauf und gab ihn dem Mädchen, indem er ihr einen Schuhmacher nannte, dem sie denselben abgebcn sollte. Das Kind nahm den Zettel und ging. Der Lehrer hatte dem Schuhmacher ge­schrieben, er solle dem Mädchen sogleich ein Paar fertige Schuhe aus seinem Vorrathe auf seine Rech­nung anpassen.

Nur eine geringe Beruhigung gewährte es seinem Gemüthe, einem armen Kinde durch riese Gabe eine Wohlthat erweisen zu können. Die Richtung seiner Gedanken auf die trostlose Lage der Armen blieb die­selbe.

Wann wird's besser werden auf Erden? dachte er bei sich selbst. Mit Gewalt? Er schüttelte sein Haupt. Nur die Sitte, nur die zunehmende Liebe kann bessere Zustände Hervor­rufen. Es wird eine Zeit kommen, in der ein Land mit dem andern, eine Stadt mit der andern wettei­fern wird, die Quellen der Noth zu finden und zu verstopfen. Nur die helfende Bruderliebe wird das Auge sein, das alle Schäden erkennt und gegen alle Heilmittel findet, nur sic, nicht die Keule, die die Verzweiflung I schwingt. Und Engel sind schon von ! Gott gesandt, Stimmen edler Men- ^ scheu, Gedanken ans glühender Brust,