mit tausend halb vergessenen Kindes-^ erinnerungen und sie selbst schaute um-- her mit großen verwundert dreinblickcn^ den Augen wie ein Kind das au^ dem Schlaf erwacht; die Lerchen ju-^ belten, die Bäume blühten, die Sonne^ schien so hell und im Herzen deö Mädchens lebte ihr selbst unbewußt der beglückende Gedanke, daß sic einer rechtschaffenen That entgegen ging und ihr ganzes Sein war von Freude über­voll. Sie ging dahin als würde sie von einem unsichtbaren Wese» an der Hand geführt und plözlich stand sie still und eine tiefe Trauer sei lick sich in ihr Herz, daß sie nickt hier bleiben sollte, wo sie so ganz, wo sie allein daheim war. »Und du bleibst ewig da," sagte sie fast laut vor sich hi», sie wußte nickt woher es kam. Da sah sie den von ^cinem Buchenzaune umfriedeten Gottesacker. Jezt wußte sie was hier so wunderbar zu ihr sprach; sie ging in den Friedhof, sie las die Inschriften vieler Kreuze und es wurde ihr ganz wirr von dem end­losen Sterben der Menschen, das hier von Schritt zu Schritt zu ihr sprach- Da las sie im Tiefsten erschreckt auf einem halb eingesunkenen Kreuz ihren 'eigenen Namen, es war das Grab ihrer Mutter, sie sank vor ihm nieder und lag lange das Haupt in das fri­sche Gras gedrückt. Endlich richtete sie sich starren Blickes auf, sie konnti^ nickt weinen und doch war ihr ganzes. Herz voll tiefer Trauer, sie legte die Hand auf das Grab als faßte sie die Hand der Mutter und schaute in die weite Welt. Die Lerchen über ihr ju­belten, ein Buchfink schmetterte seinen Hellen Sang von einer Trauerweide deren junges Laub im Sonnenschein glizerte, ein Säuseln zog durch die ein­

samen Fohren, die da und dort stan­den und Schmetterlinge flogen hin und her. Sie rauste einige Grashal­men und wilden Thymain vom Gra bc, steckte sie in ihren Busen und schritt fest davon. Durch das Dorf ging sie ohne umzuschauen und ohne Jemanden zu grüßen; Mittag war vor­über und die Leute gingen wieder ins Feld; nur vor ihrem elterlichen Hause hemmte sie ihren Schritt nnd sah lan­ge an dem Hause hinauf und auf die Steinbank, wo sie als Kind so oft ge­messen. Es war Alles im alten Stan­de und nur deö Nachbars Klaus, her an Krücken ging, war in den zehn Jahren ein großer Bursche geworden und strickte eine wollene Jacke aus der Steinbank und in dem Garten war ei­ne neue Scheune gebaut. Eben als Erdmuche den Klaus grüßen wollte, trat Blcisi mit einem Pserdekummet auf der Schüller aus der Hausthüre, er erkannte Erdmuthe troz des großen weißen Tuches, mit dem sie ihr Ge­sicht fast verhüllt hatte und sagte:

»So? Bist auch hiesig? Willst jezt bei uns bleiben?"

»Nein," antwortete Erdmuthe und ging weiter, es kränkte sie, daß Bläsi fhr weder die Hand reichte noch cigcnt- lich ein freundlich Wort sagte. Als fie die Treppe im Hause deö Oheims Gottfried hinan ging, war es ihr als ^müßten ihr die Kniee brechen, aber sic faßte sich, denn es ahnte ihr, daß sie sich ihr Vorhaben leichter gedacht als war. Der Oheim Gottfried, der in Papieren lesend am Tische saß, stand nicht aus, aber er streckte ihr die Hand entgegen zum Willkomm und sagte:

»Das ist brav, daß du doch zur Einsicht kommen bist, du biß bei uns

so gut und besser aufgehoben als vei deinem Vater. Du mußt in diesen Tagen großjährig werden, halt, heut haben wir den zwölften Mai, gestern ists gewesen wo du's geworden bist, du kannst jezt mit dir machen was du willst

»Ja, deßwegen biu ich da und ich Hab Euch sagen wollen"

Erdmuthe konnte nicht ausreden, denn die Frau, die ebenfalls die Hand gereicht hatte, schnitt ihr das Wort ab indem sie sagte:

DaS kannst hernach erzählen. Zu­erst mußt was essen. Wärst ein' hal­be Stund' früher kommen, hättest's gleich mithalten können. Rostl!" rief sie laut, ein schlankes Mädchen kam in die Stube, das nach Vorstellung der Mutter Erdmuthe herzlich dewill« kommte, aber auch hier unterbrach die Mutter jedes weitere Reden und sag­te:Roscl, wärme schnell die Leber­spazen, die von heut Mittag überblie­ben sind, thu noch einen Löffel Schmalz daran und schlag der Base ein paar Eier ein."

Erdmuthe wollte danken, aber man hörte nicht darauf und troz der Er­müdung und des unleugbaren Hungers fühlte sic plözlich eine Sättigung und es war ihr als müßte sie auf und da­von renne». Diese zutrauliche herzin­nige Weise der Menschen, die sie bis­her für Feinde und Unholde gehalten, dieses Entgegenkommen von Menschen, bei denen sie sich vergessen geglaubt, das Gefühl 'bei Verwandten zu sein, die jede Liebe und Güte als selbstver­ständliche Sacke hinnehmen und dazu der Gedanke, daß sie mit einem Vor­haben gekommen, das ihnen entgegen war, Alles daS preßte ihr die Kehle zusammen. (Forts, f)

Sonntag den 8. Okt. werden pre- digen: Dorm. Dekan-Fischer, Nachm. Vik. Wörner. _

Redakteur: Gustav Rivinius.

Druck und Verlag der Rivmius'schen Bnch- druckerei in Calw.