IMS durch gegenseitige Staatsmännerbesuche geförderte polnisch-rumänische Freundschaft ist gerade kein Zeichen dafür, daß Bukarest den sowjetriissisch-französilchen Kurs mitmachen möchte. Kurz nach- dem Krieg hatten seinerzeit Polen und Rumänien das erste Bündnis geschlossen, das sich gegen den übermächtigen sowjetrussischen Nachbarn richtete. Damals war der Einbruch der Noten Armee in Polen und der russische Anspruch auf das rumänisch gewordene Bessarabien noch frisch in Erinnerung. Nun wollten die Rumänen unter dem Einfluß Polens die Fäden dieses alten Bündnisses wieder aufnehmen. Dabei ist aber Paris aufgefahren wie von der Tarantel gestochen und hat auch seinen englischen Genossen so scharf zu machen verstanden, daß aus dem polnisch-rumänischen Plan vorläufig nichts geworden ist.
Ganz schlicht nnd einfach gesagt, erlauben ahso Paris und London es nicht, daß Polen und Rumänien, die unmittelbar an das rote Chaos grenzen, sich zu einem Schutzbündnis dagegen zusammenfinden. Aber alle diese Störungsversuche der Befriedungs- Bemühungen im Donauraum werden zweifellos auch Rumänien auf die Dauer nicht von seiner natürlichen Politik der Verfolgung seiner ureigenen Interessen abspenstig machen können.
*
Die grundsätzliche Einigung zwischen Berlin, London und Nom über die Erneuerung des Kontraktsystems, die natürlich nur aus der Grundlage einer Anerkennung der deutschen und italienischen Forderungen erfolgte, wird keine kleine Schlappe des Weltfriedens-Störers Moskau bedeuten. Er wird sicher auch nichts unversucht lassen, um Paris unter Druck zu setzen und die erzielte Einigung im Interesse des bolschewistischen Spanien zu stören. Dimi- trosfs Aufruf zur Bildung einer Einheitsfront der zweiten und dritten Jnternatio-
TWlschenM vor civkili MMgen-t
Moskau, 11. Juni.
Die sowjetamtliche Telegraphenagentur verbreitet eine Mitteilung, wonach die durch die Organe der GPU. zu verschiedenen Zeitpunkten verhafteten früheren Kommandeure her Roten Armee Tuchatschewski, Jakir, Uborewitsch, Kork, Eidemann, Feldmann, Primakow und Putna heute Freitag „wegen Verletzung ihrer Dienstpflichten" und des Fahneneides, Landesverrats, Verrats der Völker der Sow. jetunion. Verrats der Roten Armee, vor ein besonderes Militärgericht gestellt werden sollen. Die Voruntersuchung Hab« sestge- stellt, daß die Angeklagten Schädlingsarbeit zum Zwecke der Schwächung der Roten Armee durchgefübrt und ferner im Falle des Ueberfalls auf die Sowjetunion die Niederlage der Roten Armee erstrebt hätten, in der Absicht, die Macht der Gutsbesitze« und Kapitalisten in der Sowjetunion wieder einzuführen. Alle Angeklagten hätten sich bereits voll und ganz dieser Verbrechen für schuldig bekannt. Der Prozeß wird hinter verschlossenen Türen stattfinden.
Die „Prawda" spricht von den acht bisherigen Armeeführern nur noH a(s von „dreimal verfluchten abscheulichen Spionen und Landesverrätern", die mit allen Mitteln „die Macht der Roten Armee untergraben wollten". Diese Charakterisierung durch die „Prawda" läßt die aeaen die acht
naie zeigt die Richtung der neueilen lvcos- lauer Bemühungen an. zeigt aber auch, wie sehr die Noten schon ans einem der letzten Löcher zu pfeifen scheinen.
Interessant ist das politische Ergebnis der Britischen R e i ch s k o n fr e r e n z, soweit es heute übersehen werden kann. Darnach bleibt London und die dortige Regierung nach wie vor die alleinige und ausschlaggebende Führerin der Politik des englischen Weltreiches. Immerhin haben die Dominions deutlich genug zu verstehen gegeben, daß sie an kontinentaleuropäischen und besonders balkanischen Streitfragen sehr wenig interessiert sind. Das bildet zum mindesten ein gesundes Gegengewicht gegen die andauernden Versuche Frankreichs, den engli- sck>en Bundesgendossen immer tiefer in das Netz seiner osteuropäischen Pakte zu verstricken.
*
Wenn die Meldungen aus Rußland nunmehr besagen, daß nicht nur der kürzlich erst degradierte Marschall Tuchatschewski schon verhaftet sei, sondern auch eine Reihe anderer hoher Offiziere der Noten Armee, darunter der vielgenannte General Blücher von der russisch-mandschurischen Grenze, Stalins Trotzkisten-Psychose zum Opfer gefallen seien, so wundert man sich höchstens noch darüber, daß sich die Rote Armee das alles so einfach gefallen läßt.
*
Der Name Blücher führt uns aber auch zum Stapellauf eines neuen deutschen Kreuzers als einem stolzen Ereignis der Berichtswoche. Es zeigt zum soundsovielten Male, daß — mag es anderswo zugehen wie es will — in Deutschland heute jedenfalls eine Gesinnung wieder auferstanden ist und Wache hält, die durch den Namen Blücher wahrlich nicht <nn schlechtesten charakterisiert ist ...
Generale erhobenen phantastischen Anschuldigungen gewiß nicht glaubwürdiger erschei- nen. Jedenfalls beabsichtigt die Anklage, die acht bisher zum größten Teil gefeierten Armeeführer durch eine intensive Propaganda zu gemeinen Verrätern und „Spionen" zu stempeln. Daraus geht ohne weiteres hervor, daß um so mehr Gründe dafür sprechen, die Ursachen der sensationellen Angelegenheit zu verbergen. In Kreisen ausländischer Beobachter wird die Ansicht vertreten, daß die jetzt angeklagten Generale einen Staatsstreich geplant hätten oder daß ihnen das von seiten des Kreml zumindest zuaetraut worden ist. Ein endgültiges Urteil dürfte jedoch zur Zeit noch nicht möglich sein.
rungmatiWsm « «ms
Millionen Menschen in Szetschuan verhungeit
Lisenbericbt 6er XS-presse
ot. Sch an aßai. 11. Juni.
Die chinesisch« Provinz Szetschuan leidet unter einer Hungersnot, di« geradezu unvorstellbar ist. Dabei wird diese Katastrophe noch bis Oktober dauern, da die wenigen Regenfälle keine Besserung der Lage gebracht haben. Die Zentralregierung in Nanking hat auf das dringende Ersuchen der Provinzialbehördan einen Betrag von 5 Millionen chinesische Dollars zur Verfügung gestellt, der ln Anbetracht der Millionenzahl der Opfer jedoch nicht annähernd ausreicht, die grenzenlose Not in den Hungergebieten zu lindern. Die Zahl der Opfer, die die Katastrophe bis jetzt gefordert hat, wird mit mehreren Millionen anaeaeben.
„Bolksfro«t"-Hetze gegen Italien
Beschimpfung des Faschismus — Entweder für Frieden oder für Moskau!
bligenbei'iclit 6er X 8, -Presse in. Rom, 12. Juni.
Es ist den Wachsamen in Rom nicht ent- gangen, daß sich in Frankreich eine neue Einfluß gewinnende Bewegung ausbreitet. Man ist sehr erstaunt, auf einmal im „Po- pnlaire" eine antiitalienische Hetze, die dieser Tage in Frankreich ausgebrochen ist, zu finden. Dieses Blatt, unter dessen Kopf der Name Leon Blums steht und das als offiziö- ses Organ der Regierung gilt, bringt für den italienischen Marxisten Mattcotti eine Gcdcnknnmmer heraus, die von den wider, lichsten Beschimpfungen des Faschismus nnd gegen Mussolini geradezu strotzt. Unter anderem veröffentlichte der „Populaire" in dieser Nummer ein Zitat aus einem 1927 von Löon Blum selbst geschriebenen Artikel, in dem dem italienischen Volke klar gemacht wird, daß es „unter der grausamsten, heuchlerischsten und niedrigsten Tyrannei leide." Man nimmt in Rom an. daß es die Redakteure dieses Hetzblattes nicht gewagt haben, die Auslassungen Blums ohne sein Einverständnis abzudrucken, aber auch bei anderen Ereignissen ähnlicher Art ist man in Italien der festen Ueberzeugung. daß diese von Ne- gierungsseits zumindest geduldet, wenn nicht gar unterstützt werden. In diesem Sinne verzeichnet man ebenfalls die Tatsache, daß in Paris bei offiziellen Aufmärschen der „Volksfront" Abteilungen irgendeiner antifaschistischen Organisation mit ihren Fahnen aufmarschieren konnten. Seit Anfang Juni erscheint in Paris ein Blatt „Voec del Jta- liana" in italienischer Sprache, das nach dem von ihm selbst» veröffentlichten Programm die Interessen der italienischen Emi- granten wahrnimmt und zugleich für die „Volksfront" eintreten will.
In Anbetracht dieser Tatsache erhebt die italienische Presse die an die französische Ne- gierung gerichtete Frage, ob Frankreich wirklich eine Verständigung und Befrie-
düng der Völker wünsche oder nicht. L!' neuen Vorstöße Moskaus in Paris und selbj.- die Provokationen des Oberbolschewisten Dimitroff haben von amtlicher französischer Seite weder eine Zurückweisung noch ein" Entgegnung gefunden. Frankreich müsse sie, also darüber entscheiden, ob es bereit sei. gemeinsam mit anderen europäischen Groß" Mächten den Frieden zu sichern und zu vertiefen. oder ob es der Spielball der ; Moskauer Katastrophenpolitik ! werden und bleiben wolle. !
Sensation aus der WeltauMMmg
„Verräter" irn sr-wsttrussischen Hlavillon
kt i g o o b e r i c v i 6er X8-?resss
xl. Paris, 11. Juni. )
Der sowjetrussische Pavillon auf der Pariser Weltausstellung hatte am Freitag eine unerwartete Sensation. Hunderte von Menschen wollten in ihm noch einmal die Pom- ' Posen Bilder jener Generäle sehen, die jetzt als „Verräter" und „Spione" vor ein Moskauer Militärgericht gestellt wurden. Aus guten Gründen hatte man es dabei sehr eilig, denn es ist immerhin anzunehmen» daß der sowjetrussische Ausstellungskommissar, dem a,' scheinend die Moskauer Vorgänge noch nich'
Ohren gekommen sind, diese „Attraktionen" ! seitigcn lassen wird.
Die gesamte Pariser Presse veröffentlicht das gegen Marschall Tuchatschewski und sieben Generäle eroffnete Verfahren, das nach ihrer Ansicht zweifellö^ mit einem Todesurteil enden wird» in größter Aufmachung. Obwohl ma> schon seit einigen Tagen die ununterbrochen- Verhaftungswelle und die gleichzeitig bekam.« gewordenen Einzelheiten über die innere Krise des Bolschewismus mit größter Aufmerksamkeit verfolgt hatte, schlug diese Nachricht doch wie eine Bombe ein. Nur die kommunistische Presse macht auch bicr wieder eine be- gre^'üche Ausnahme — sieschweigtsich >. aus.
Bm.iMvalion mn sandMen
Französische Wcstpakt-Denkschrift in London überreicht
ktigenveriekt 6er X 8. -Presse
gl. Paris, 11. Juni.
Der Versuch einer Wiederbelebung der diplomatischen Verhandlungen zum Abschluß eines Vertrages, der den alten Locarnopakt ersetzen soll, wird von einem großen Teil der französischen Presse begrüßt, nachdem der französische Außenminister am Donnerstag eine Denkschrift über diese Frage nach Lon- don hat übermitteln lassen. Man sieht in dem neuen Vorfühler, der auch geradezu als ein Versuchsballon bezeichnet wird, in Paris eine Möglichkeit, die Beziehungen zwischen England und Deutschland zu befestigen.
Die französische Westpaktnote wird in der Pariser Presse je nach Einstellung sehr ver- schieden beurteilt. Während man zunächst die Behauptung ausgestellt hatte, daß die seit nahezu 1*/« Jahren fällige Antwort Frankreichs zu den englischen Vorschlägen in Genf, die zwischen Delbos und Eden be- sprachen worden sind („Petit Parisien") und diese französische „Initiative als neuer Beitrag zur Verständigung über die westeuro- Päische Sicherheitsfrage" zu betrachten sei („Jour"), hört man nunmehr aus gutunterrichteten Kreisen, daß Chamberlain den
zur Königskrönung in London weilenden t Delbos gebeten habe, endlich zu diesem Problem Stellung zu nehmen. Was bis setz' über den Inhalt dieser Note bekannt wurde ist nicht dazu angetan, die bisherigen Ver Handlungen zu fördern. Frankreich habe in dieser Denkschrift, so verlautet, darauf hin- gewiesen, daß es im Nahmen seiner Bündnisse und Freundschaften nicht in der Lage sei, seine Grundsätze über die „kollektive Sicherheit" und seine Treue zum Völkerbund zu revidieren. Anscheinend wurde in bei französischen Note auch vorgeschlagen, im Falle eines Angriffs den Völkerbund zum Schiedsrichter anzurvfen. Die Tatsache, daß Deutschland dem Völkerbund nichi angehört, scheint man dabei — absichtlich?
— außer acht gelassen zu haben.
VstsüMerbesyreKung in London
London, 11. Juni.
Rach den mehrstündigen Besprechungen des Außenministers Eden mit den Botschaftern Deutschlands, Italiens . undFrankreichs wurde eine kurze Mil- " Leitung ausgegeben, die besagt, daß .uzute Fortschritte in der Richtung einer Abfassung eines Abkommenstextes zwischen den vier Mächten gemacht worden sind." Eine weiten Sitzung zwischen dem Außenminister Edei und den drei Botschaftern wird am Sams tag stattsinden.
«-„-.MeM?
klomsn sine» seltsamen brsuensetiielksals Von sosepk Kleaer cop^iM dy Promeldeus-Verlax, Qrübenreil bei Mnekco Sb
Sicherlich. Es blieb keine Wahl. Run durfte es kein Schwanken und Zögern mehr geben. Nun galt es nur mehr, die Tat mit aller Sorgfalt vorzubereiten und alle Einzelheiten zu erwägen. Die Augen unverrückbar aufs Ziel geheftet, mußte er den Weg, den er vor sechseinhalb Jahren betreten hatte, n-un zu Ende gehen. —
O
Am 14. Mai saß Hilde Hegen Abend allein i« ihvem Zimmer, in medizinischen Zeitfchrif- Mi blätternd, in denen sie die Aussätze, die d- JAl fesseln konnten, mit Rotstift bezeichnte. Es würde zwar noch drei bis vier Stun- "pn dauern, bis der Chef zurückkam, der mor- pns nach Bregenz gefahren war, doch wollte seine Rückkunft auf jeden Fall abwarten, eS nach solchen Fahrten stets einige Ar- Kit für den nächsten Tag zu befterechen und zzuteilen gab.
Kurz nach fünf Uhr läutete das Haustelephon. Sie hob den Hörer ab und erfuhr von dem Portier der Anstalt, der auch den Tele- phonschrank bediente, daß sie vom Hotel «Roter Löwe" verlangt würde.
„Ist es der Chef?" fragte sie.
„Nein, ein fremder Herr. Er will dringend mit Ihnen sprechen. Ich stelle ins Lbeiriw- mer zu».' ^ .
Voll Freude ging Hilde ins Erdgeschoß hinab. Sicherlich war es Spielvogel, der sie anrief, der war also doch viel früher gekommen, als sie erwartet hatte; er hatte sie nicht vergessen, er wandte sich nicht von ihr abl
Ganz atemlos, mit hochklopfendem Herzen, nahm Hilde den Hörer vom Apparat, der auf dem Schreibtisch Dr. Jsels stand. Aber es war eine fremde, rauhe Stimme, die da sprach:
„Hollo. Hilde?"
„Wer spricht dort?" fragte sie erstaunt.
„Hier Hild... dein Bruder, Hilde! Kann ich dich so bald als möglich sprechen?"
„Bruder..." stammelte sie sassungslos. Ja, sie hatte ja einen Bruder, der sie hierher- «bracht hatte. Sie entsann sich plötzlich der Fahrt nach Feldkirch, wo sie ihm in dem reservierten Abteil stundenlang gegenüber- gesessen, ein Gesicht tauchte schattenhaft aus ihrer Erinnerung auf.
„Wo warst du all die Jahre?" fsqgte sie. „Warum hast du dich nicht gemeldet? Man hat dich als gestorben angegeben."
,Zch weiß, Hilde! Ich hatte meine Gründe. Ich werde dir alles erklären, deshalb will ich mit dir sprechen. Ich verse in zwei Stunden wieder ab."
„So komm herauf nach Amerkügew!"
„Unmöglich, Hilde, da würde ich den Zug nicht mehr erreichen. Auch will ich mich oben nicht zeigen. Man könnte mich erkennen... ich bin auf der Mucht, Hilde!"
„Was...?"
„Still. Hilde. Du sollst alles hören. Rur nicht jetzt, bitte, komme herunter nach Feld- kirch. Es ist ungeheuer wichtig. Hilde, du wirst mich nicht mehr sehen. Ich verlasse das Land jtzr imnzer, und ich mutz dir noch be
stimmte Dokumente geben. Ich habe für dich gesorgt, so gut ich konnte. In einer Stunde kannst du hier sein. Geh zu Fuß, Hilde, und erzähle niemanden, daß du mich triffst! Nie- manden, hörst du, sonst ist meine Freiheit ge- fährdet!"
„Also gut", sagte Hilde unter dem Eindruck dieser drängenden, gehetzt klingenden Stimme. „Ich gehe gleich."
„Ich erwarte dich im „Noten Löwen". Auf Wiedersehen! —"
Sie legte den Hörer wieder auf und ging langsam in ihr Zimmer. Schon bereute sie ihre Zusage. Was hat sie mit dem Bruder zu schaffen, dessen sie sich kaum erinnern kann, mit dem sie kein wärmeres Gefühl verband. an den sie in den vergangenen Jahren nicht öfter gedacht hatte, als er an sie. Sei- nen Andeutungen zufolge hatte er irgendein Verbrechen begangen, sollte sie sich in eine zweifelhafte, dunkle Affäre verwickeln lassen. Mitwisserin, vielleicht sogar Helferin werden, jetzt, wo sie alles Vergangene abstreifen und ein neues, glückliches Leben beginnen wollte? Er war ihr Bruder, ja. und es war ihre schwesterliche Pflicht, von ihm Abschied zu nehmen, aber trotzdem war s,r ihr gleichgÄ- tiger als irgendein anderer Mensch.
Das schwesterliche Gefühl schien mit ihrem Gedächtnis erloschen zu sein und wieder spürte sie drückend und schmerzlich die Fessel, die ihr die Amnesie bei Dingen auferlegte, die andern selbstverständlich waren, und dies machte sie mutlos und bedrückt.
Aber trotzdem verließ sie ein paar Minuten später das Haus, in festen Schuhen und den Regenmantel am Arm, da im Westen über einem brandroten Himmel dunkles Ge- wöll stand. Sie schlug den Fußweg ein, der
über Fellengatter ins Tal führte, und bei der Jllbrücke in die Frastanzer Straße mündete. Es schlug ein Viertel nach sechs von der Pfarrkirche, als Hilde in die Halle beS „Noten Löwen" trat.
Ein Mann erhob sich bei ihrem Eintritt aus dem Korbstuhl, ein stattlicher, breitschultriger Mann, ja. das war das Gesicht, dessen sie sich oben in Amerlügen erinnert hatte, ihr Bruder. Er schien erregt zu sei», seine Hand zitterte in der ihren, sein Blick glitt immer wieder unruhig zur Eingangs- tür.
„Komm. Hilde, gehen wir ein wenig in- Freie! Ich möchte nicht allzusehr mit dir gesehen werden, ich könnte dich blotzstellen."
„Das hast du wohl schon getan", sagte Hilde.
„Ja. Aber es war nötig. Du wirst gleich alles verstehen. Komm nur . .
Sie verließen das Hotel, schritte« schweb« gend durch ein Paar Gassen, bis sie zu» Frastanzer Straße kamen. Bei der Abzweigung des Fußweges, der zum Känzeke führte blieb Hild stehen.
„Gehen wir da hinaus", schlug er vos, „Da steht uns kein Mensch."
„Gut", sagte Hilde. „Ich habe ja fsD Schuhe. Aber es wird in einer Viertelstunde' finster sein, und der Weg geht durch de» Wald."
„Eine Viertelstunde genügt, Hilde. Vieh» leicht gibt es eine Bank, auf die wir u«G sehen können."
„Bänke gibtS einige, gehen wir also." !
; (Fortsetzung jolgtiß^,