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Nr. 262

Dienstag, 9. November 1926.

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101. Jahrgang

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Oppofilionsfieg

in der Erwerbslosenfrage.

Die Deutschnalionaleii stimmen für die sozialdemokratischen Anträge.

Berlin, 9. Noo. Die Behandlung der Erwerbslosenfürsorge im Reichstag hat nun wirklich zu einer parlamentarischen Krise geführt. Die Dinge sind so merkwürdig gelausen, dass man, um die Zusammenhänge zu verstehen, schon etwas rückwärts gehen muh. D.m Wunsch der Regierungsparteien entsprechend, hatte die Re­gierung sich entschlossen, die Sätze der Erwerbslosenfürsorge um 15 Prozent für die Unverheirateten und um 10 Prozent für die- Verheirateten zu erhöhen. Sie hatte sich aber dazu eine Rücken­deckung schaffen und diese Vorlage durch den Reichstag billigen lassen wollen. Im Anschluß zeigte sich nun bald, daß die Sozial­demokrat.!!, wahrscheinlich aus agitatorischen Gründen, damit nicht zufrieden waren, sondern mehr verlangten. Sie wollten gleichzeitig die Verewigung der Fürsorge, die bekanntlich jetzt nach einem Jahre aushört. In dem Hauptausschuß wurden aber diese Beschlüsse wieder zum Teil revidiert. Die Entscheidung lag also beim Plenum und hier wieder bei den Deutschnationalcn, von deren Stimmen alles abhing. Zur allgemeinen Uebcrraschung er­klärte» am Montag die Deutschnationalen, daß sie dem sozialdemo­kratischen Antrag auf Erhöhung der Erwerbslosenbciträge um 30 Prozent zuftimmen würden, und das Ergebnis war dann, daß dieser Antrag mit 205:141 Stimmen angenommen wurde.

Die Deutschnationalen werden wohl tatsächlich an eine end­gültige Annahme der Anträge nicht gedacht haben. Der Zweck, den sie verfolgten, war der, der Regierungskoalition eine Lehre zu erteilen und ihr zu zeigen, daß es ohne die Deutschnationalen nicht gehe. Jedenfalls ist das zu entnehmen aus einer Erklä­rung des Grasen Westarp, der die Haltung seiner Partei damit begründete, daß sie lediglich den Sozialdemokraten Gelegenheit geben wolle, die für diese neuen Anträge erforderlichen Mittel auszubringen und daß die Deutschnationalen in der Schlußabstim- ,nung nicht dafür stimmen würden, wobei er u. a. ausführte:

Tie Anträge, namentlich derjenige ans Erhöhung der Unter­stützung von 30 Prozent seien gestellt, ohne daß ein klares Bild über die Geldmittel geschaffen worden wäre, die zur Verfügung ständen. Es sei nicht anzunehmen, daß die Sozialdemokraten ernstlich mit einer Annahme ihrer Anträge gerechnet haben. Re­gierung und Regierungsparteien hätten den ursprünglichen Standpunkt des Reichsarbeitsministers nach und nach verlassen. Auf die Anträge der Deutschnationalen Partei habe man keine Rücksicht genommen, sondern sich unter dem Einfluß der sozial­demokratischen Anträge mehr und mehr den sozialdemokratischen Sätzen genähert. Insbesondere seien die zur Verfügung gestellten Mittel zu Ungunsten der Familienväter geteilt. Man habe bei diesem Gesetz auf die Möglichkeit gerechnet, es mit wechselnden Mehrheiten zu verabschieden. Unter diesen Umständen habe di« deutschnationale Fraktion durch ihre Abstimmung der Sozial­demokratie Gelegenheit gegeben, zu zeigen, ob sic die praktischen und parlamentarischen Folgen aus ihren Anträgen zu ziehen ge­willt sei. Der Negierung und den Regierungsparteien könne diese Verantwortung, wieweit sie sich den sozialdemokratischen Forde­rungen beugen wollen, nicht erspart bleiben. Graf Westarp stellt zum Schlüsse fest, daß sich seine Fraktion bei den weiteren Abstim­mungen der Stimme enthalten und dis Vorlage in der Gesamt­abstimmung als Ganzes ablehnen werbe.

Graf Westarp scheint gar nicht gemerkt zu haben, daß eine Schlußabstimmung überhaupt nicht in Frage kommt, da es sich um Initiativanträge der Parteien handelt, bei denen nur eine einmalige Abstimmung erforderlich ist. Die Regierung hat eine parlamentarische Behandlung der ganzen Frage gar nicht nötig. Sie ist verfassungsmäßig berechtigt, die Verordnung über die Erwerbslosenfürsorge aus eigener Machtvollkommenheit vorzu­nehmen. Sie will diesen Schritt nach dem Gang der Montags­oerhandlungen im Reichstag auch tun. Die Beschlüsse des Reichstags hängen also in der Luft, sie gehen bestenfalls an den Reichsrat, wo sie zweifellos von den Ländern abgelehnt werden. Inzwischen aber tritt die Verordnung der Reichsregierung, die auf der Grundlage der Anträge der Regierungsparteien ausge­arbeitet ist, schon in Kraft. Der ganze Aufwand an Scharfsinn und taktischer Geschicklichkeit verpufft also ohne jede Wirkung. Parlamentarische Folgen kann er nur dann haben, wenn etwa die Kommunisten sich entschließen, wegen der Haltung der Re­gierung ein Mißtrauensvotum einzubringen, das dann die Deutschnationalen und Sozialdemokraten ebenfalls annehmen. Erst dann wäre die Voraussetzung für eine wirkliche Krise ge­geben. Bis dahin aber bleibt bei den Regierungsparteien, ein­schließlich der Deutschen Volkspartci, der etwas bittere Nach­geschmack. daß sie durch die Deutschnationalen zu einer Entschei­dung gezwungen werden sollten, für die im Augenblick die Lage noch nicht reif ist.

Allerdings haben auch die Regierungsparteien nicht son­derlich geschickt operiert. Sie hatten nach dem unerwarteten Zu­sammenschluß der Deutschnationalen und der Sozialdemokraten

die Absicht, nun auch diesen Fiügelpartcien die Verantwortung für die Weitergestaltung der Abstimnumg über die verschiedenen vorliegenden Anträge allein zu überlassen und haben deshalb den Sitzungssaal verlassen. Eines ihrer übereifrigen Mitglieder hat daraufhin die Beschlußfähigkeit angezweifclt, und die Sitz­ung flog auf. Das machte den Eindruck, als ob die Regierungs­parteien Obstruktion treiben wollten. Daran haben sie natürlich nicht gedacht. Es war ihnen aber nach der ersten Sitzung klar, daß aus diesem Wege eine ordnungsmäßige Erledigung nicht mehr zu erreichen war. Sie wollten deshalb die Oppositions­parteien mit der vollen Verantwortung für alle Beschlüsse be­lasten, weil ja jetzt das selbständige Vorgehen der Regierung im Wege der Verordnung unvermeidlich geworden war. Das wird nun heute bei der Fortsetzung der Beratung, wenn die Deutsch- nationalen inzwischen den Weg zur Umkehr sinken, so geschehen, und am Ende bleibt weiter nichts als ein Beschluß, der nicht ausgeführt wird, und darüber hinaus eine Verschärfung der Stimmung zwischen den Regierungsparteien und den Deutsch­nationalen.

Mißtrauensvotum der Kommunisten.

Die Kommunisten haben bereits angeründigt, daß sie ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung einbringen wollten mit der Begründung, daß die Regierung durch ihre Verordnung sich über die Beschlüsse des Reichstages hinausgesetzt habe. Stim­men Sozialdemokraten und Deutschnationale dafür, dann wäre die Regierung gestürzt. In parlamentarischen Kreisen nimmt man jetzt aber noch an, daß eine der beiden Parteien den Weg finden wird, um um die positive Abstimmung herumzukommen, weil der Wille zu einer Krise doch wohl nicht ernstlich vorhan­den ist, und parlamentarische Verbohrtheit kaum so weit gehen darf, gleich die extremste Lösung zu suchen.

Besprechungen der- Regierungsparteien.

TU Berlin, 9. Nov. Nach Schluß der Plenarsitzung des Reichstages traten ani Montag abend die Fraktionen der Re­gierungsparteien zusammen, um die Vorgänge bei der Bera­tung der Erwerbslosenfrage in der Plenarsitzung zu erörtern. Es wurde beschlossen, am Dienstag mittag eine Konferenz der Füh­rer der Regierungsparteien abzuhalten und das weitere Vorge­hen bei der Beratung der Erwerbslosenvorlage in der heutigen Sitzung des Reichstages sestzulegen.

Der Reichsrat soll zur Erhöhung der CrwcrbSlosenunterfiützung Stellung nehmen.

TU Berlin, 9. Nov. Das Reichskabinett trat gestern nach der Sitzung des Reichstags zusammen und beschloß, die schon vorbereitete Anordnung über die Erhöhung der Unterstützungs­sätze der Erwerbslosenfürsorge, die den Anträgen der Regie­rungsparteien und dem Beschluß des sozialpolitischen Aus­schusses des Reichstages entspricht, den heute zusammentreten­den Ausschüssen des Reichsrats zu unterbreiten.

Außenpolitische Aussprache am Freitag.

TU Berlin, 9. Nov. Der Aeltcstenrat des Reichstages faßte gestern Beschluß über die Dispositionen für die Plenar­sitzungen dieser Woche. Vom Dienstag bis Donnerstag soll die erste Lesung des Nachtragsetats für 1926 vorgenommen werden, wobei die Innenpolitik zur Aussprache gestellt werden soll. Am Freitag soll die außenpolitische Aussprache beginnen. Außerdem werden aber noch im Laufe dieser Woche ein Futtermittelgesetz und ein Gesetz über die Krisenversorgung der Ausgesteuerten beraten werden.

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Berlürrgerung des Sperrgefetzes.

TU Berlin, 9. Noo. Wie dieGermania" hört ist beabsichtigt, das am 31. Dezember dieses Jahres ablaufende Sperrgesetz durch das die Fürstenprozesse inhibiert wurden, um 3 Jahre zu verlän­gern, damit die Länder, die bisher noch nicht zu einer Bereinigung der vermögensvechttichen Auseinandersetzung mit ihren ehemali­gen Landesherren gekommen sind, Zeit haben, diese Auseinander­setzung endgültig durchzufichren.

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Dr. Külz über Deutschlands

Gegenwart und Zukunft.

TU Bremen, 9. Nov. In der Bremerhavener Stadthalle sprach am gestrigen Montag abend Reichsinnenminister Dr. Külz überDeutschlands Gegenwart und Zukunft". Der Redner hob hervor, die Ziele, die jede deutsche Politik nach dem verlorenen Kriege und nach dem Zusammenbruch bis auf weiteres zu be­folgen habe, seien die Festigung der Staatsordnung, Wieder­eingruppierung Deutschlands in die Mächtekonftellatio» der Welt als gleichberechtigten Faktor, Wiedereinführung Deutschlands in den Organismus der Weltwirtschaft, Belebung der eigenen

Tages-Spiegel.

Die Deuischnationale Volkspartei hat durch Unterstützung des sozialdemokratischen Antrages in der Erwerbslosenfürsorge im Reichstag einen Sieg der Opposition herbeigeführt.

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Nach den Beschlüssen des Reichskabinetts ist mit der Inkraft­setzung der höheren Sätze in der Erwerbslosenurttcrstützung auf dem Berordnmigswege nnt Wirkung vom 8. November zu rechnen.

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Der Reichstag wird von Dienstag bis Donnerstag im Anschluß an den Nachtragsetat innenpolitische Fragen behandeln. Am Freitag beginnt die außenpolitisch« Aussprache.

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Die englische Regierung hat neue Vorschläge zur Beilegung des Kohlenkonfliktes unterbreitet.

Der sra»zösisch« Botschafter in Rom erhielt von seiner Regierung den Auftrag» neuerliche Protestschritte wegen der Zwischenfälle bei der italienischen Regierung zu unternehmen.

Die Untersuchung gegen Garibaldi hat ergebe«, daß dieser schon seit Monaten als Lockspitzel »m Dienste der faschistische« Polizei steht.

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Die Ausstandspläne der Katalonier sind nach Marias Geständnis von Moskau unterstützt worden.

Vom Riederrhcin werden Ueberschwenrmungcn gemeldet. I« Holl, land hat man infolgedessen umfangreiche Vorkehrungen zur Ver­hütung einer Hochwasserkataftrophe getroffen.

Wirtschaft und die Befolgung einer starken nationalen Kultur­politik. Der Minister behandelte sodann die Außenpolitik. Ohne die Verständigungspolitik wäre inan niemals nach Genf und Thoiry gekommen. Die Aufgabe Deutschlands bedeute ein Abrücken von der törichten Behauptung der Alleinschuld Deutsch­lands am Kriege; es habe keinen Sinn mehr, davon zu spre­chen, ob 3000 oder 5000 Mann vom Rhein wegkämen. Heute, nachdem Deutschland Mitglied des Völkerbundes ist, gebe es in Deutschland keinen Raum mehr für Besatzungstruppen. Es sei absolut töricht, zu sagen, daß die Politik von Thoiry geschei­tert sei. Ein augenblicklicher Stillstand sei allerdings nicht ab­zuleugnen. Zur Weltwirtschaftslage übergehend, betonte Dr. Külz, daß Deutschlands Eingliederung in die Weltwirtschaft nur dann Erfolg haben könnte, wenn auch in Deutschland selbst die Wirtschaft wieder gefestigt dasteht. Zur Ankurbelung der deutschen Wirtschaft diene das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Rcichsregierung. Gerade die Steuerherabsetzung Dr. Rcin- hobds sei es gewesen, die auf eine halbe Milliarde Steuerein­nahmen verzichtet habe, die der Wirtschaft zugute gekommen sei. Die Erwerbslosenfürsorge belaste Deutschland zur Zeit etwa mit 10 Millionen Mark monatlich. Ein absolutes Aufhören der Er­werbslosigkeit in Deutschland sei vor 2 bis 3 Jahren nicht zu erwarten. Bei der Neuregelung des Finanzausgleichs müßte vor allem die Lebensfähigkeit der Länder gewährleistet werden Ohne eine Verwaltungsreform werde das ganze Steuerprobien nicht zu lösen sein. Zum Schluß trat der Minister für ein« großzügige Kulturpolitik ein._

Das Programm der Dezembertagung des Völkerbundes.

TU Eens, 9. Nov. Auf der bevorstehenden Tagung des Völ- kevbundsrates, die am 6. Dezember beginnt, werden diesesmal vor­aussichtlich nur Fragen von geringer Bedeutung behandelt wer­den. Die Tagesordnung, die einige 20 Punkte umfaßt» wird in den nächsten Tagen vom Sekretariat des Völkerbundes veröffent­licht werden. Sie enthält die üblichen Berichte über die Arbeiten der verschiedenen Komitees. Die Frage der llebcrtragung der deutschen Entrvaffnungskontrolle auf den Völkerbund wird vor­aussichtlich vertagt werden. Minderheitsfragen stehen diesesmal nicht zur Beratung. _

Die Wahlen in Griechenland.

TU Belgrad, g. Nov Nach Meldungen aus Athen sollen bei den Wahlen die Republikaner nur SS Prozent der Stimmen auf sich vereinigt haben. Der griechische Ministerpräsident Kondylis empfing die Vertreter der Presse, und teilte ihnen mit, daß Las Wahlergebnis die endgültige Stabilisierung der griechischen Re­publik bedeute. Er gab der Hoffnung Ausdruck, daß nunmehr unter Teilnahme aller republikanischen Parteien ein Koaliiions- kabmett grbil'rrt werde, das bestrebt sein müsse, das Vertrauen des Auslandes zu stärken und die zwischen Griechenland und Ju­goslawien sckur-bciiden Fragen baldigst zu klären. Kondylis empfahl, in dem neuen Kabinett das Ministerium des Aeuhern Venizelos an^uvertrauen.