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Amtliches Organ äer N. §. v. A. p.
Alleiniges Amtsblatt für alle Stadt- und Gemeinde-Behörden des Kreises Latin
Nr. 175
Lalw, Dienstag, S1. 3utt 1SS4
1. Jatzrgang
Keine englische Aktion in der oesterreichischen Frage
Klare Absage des englischen Außenministers Sir John Simon an alle Intervenlionsfreunde
kk. Berlin. 30. Juli.
Während die italienische und ein Teil der französischen Presse noch immer aufgeregt um die angeblich vom Deutschen Reiche bedrohte „Unabhängigkeit Oesterreichs" herumgackert. hat der britische Außenminister Sir John Simon im englischen Unterhaus jenen Jnterventionsfreunden eine klare Absage erteilt. In der Montagsitzung deS Unterhauses wurde die erwartete Anfrage wegen der Vorgänge in Oesterreich gestellt, die Sir Simon umgehend beantwortete.
Es bestehe, so erklärte der britische Außenminister. keine Absicht, eine Sondertagung des Völkerbundrates wegen Oesterreich ein- zuberilfen. Schon im Februar habe er dem österreichischen Gesandten mitgeteilt, daß die britische Negierung nicht dieAb- sicht habe, in die Angelegenheiten trgen deineSanderenLan- des einzu greifen. Diese Ansicht der britischen Negierung hat sich nicht geändert.
Weitere Anfragen beantwortete der Außenminister mit der Erklärung, daß noch vereinzelte Kämpfe in entfernteren Bezirken Oesterreichs im Gange seien. Auf die Frage, welche Schritte die britiscke Negierung zur Wahrung der Unabhängigkeit Oesterreichs unternehme oder zu unternehmen beabsichtige, erklärte der Außenminister:
„Die Negierung verfolgt weiterhin sorgfältig die Lage. Es ist aber von seiten der Regierung keine Aktion erforderlich oder in Erwägung."
Vereidigung des Kabinetts Schuschnigg
Die Vereidigung des um 2 Uhr morgens ernannten Kabinetts Dr. Schuschnigg erfolgte noch in den Nachtstunden. Bundespräsident Niklas hielt dabei eine längere Ansprache. in der er die Regierungsmitglieder aussorderte. das Erbe des Dr. Dollfuß in Ehren, in seinem Sinn und seinem Geist weiterzuführen.
Zum Bnnücsminister für Landivirtschaft wurde nachträglich Joseph Reith er, der bisherige Landeshauptmann von Niederösterreich, ernannt. Ferner wurde zum Staatssekretär für Sicherheitswesen der bisherige Sicherhcitsdirektor für Oberösterreich, Baron H a m m e r st e i n - E q u o r d, ernannt. Dem Kabinett gehöre» somit drei christlichsoziale und vier H e i m w e h r m i n i st e r an. Andere Gesinnungsgruppen sind im neuen Kabinett nicht vertreten.
Der neuen Negierung fehlt ein Moment des vorherigen Kabinetts: Der Mann, der die nicht immer gleich st rebi- gen Kräfte zusammen hält. Der neue Bundeskanzler wird es nicht immer leicht haben, die Gegensätze auszugleichen, jedenfalls schwerer als Dr. Dollfuß, da Dr. Schuschnigg als Gründer der sehr häufig in schwere Gegensätze mit der Heimwehr verwickelten Ostmärkischen Sturmscharen selbst Partei ist.
Eine sichere Prognose über die Politik des neuen Kabinetts ist infolge seiner Zusammensetzung und der Person seines Führers nicht zu stellen. Schuschnigg galt als 80jähriger Nationalratsabgeordneter in den Zeiten des Versassungskampses 1929 als „Kronprinz" Dr. Seipels. Seine Erziehung
Nos SiMsir in Kürze
Im englischen Unterhaus erklärte Sir Simon. daß in der österreichischen Frage kein« Aktion notwendig sei.
Gestern nachmittag begann die erste Militärgerichtsverhandlung gegen die Mörder von Dollfuß.
_ "kUfrnannte österreichische Regierung Dr. Schuschnigg ist bereits vereidigt worden.
versucht. Dr. Rintelen, der am Mittwoch zum ersten Male vernommen wurde, aus dem Krankenhaus zu entführen.
Die Auflösung des Memelländischen Land- tags wird nunmehr amtlich bestätigt, die Wahl soll wahrscheinlich verschoben werden.
im Jesuitengymnasium „Stella Matutina" in Feldkirch hat er auch in seiner Politischen Laufbahn nicht verleugnet. Er war einer der ersten, der vor Jahren, kaum daß die NSDAP, zur politischen Kraft geworden war. ihr sehr scharf entgegentrat.
Das zwischen Starhemberg und Feh bestehende Mißtrauen kommt deutlich darin zum Ausdruck, daß Starhemberg den Vorsitz im Ministerausschuß zur Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen an sich gerissen hat. wie andererseits Dr. Schuschnigg sich gehütet hat. Starhemberg mit dem Sicherheitswesen auch das Bundesheer auszuliefern.
Ein fast unbeschriebenes Blatt ist der neue Außenminister Berger- Wa ldenegg. Er war kleiner Unterführer des Steirischen Heimatschutzes und nach dessen Unterstellung unter Adolf Hitler eine der zwei letzten Säulen Starhembergs in Steiermark. In politischen Kreisen war er bis zu seiner Ernennung zum Landeshauptmann-Stellvertreter in Steiermark ein Unbekannter.
Eine uneinnehmbare Felsenfiellung der Aufständischen
Die Kämpfe gegen die Aufständischen in Südkärnten sind noch immer nicht beendet. Wenn auch in den übrigen Gebieten Ruhe eingekehrt zu sein scheint, so hat sich hier in einer von der österreichischen Seite her unangreifbaren Felsen st ellung bei Na den stein ein Trupp von etwa 300 Aufständischen unter Führung des Försters Joseph Wölz festgesetzt. Die Gruppe weigert sich, zu ergeben, da sie bestimm! wisse, daß der Sieg der Aufständischen bald erfolgen werde.
Die österreichische Negierung hat nunmehr Verhandlungen mit den südslawischen Behörden eingeleitet, um die Einsetzung von Artillerie zu ermöglichen, deren Geschosse leicht auf südslawisches Gebiet fallen können. Ein Ergebnis ist aber noch nicht erzielt. Auch eine Umzingelung der Aufständischen ohne Verletzung südslawischen Gebietes ist nicht möglich.
Der Förster Wölz ist Montagabend mit seinen Leuten auf südslawisches Gebiet übergetreten. Die Aufgabe des Widerstandes war durch die von der südslawischen Regierung
Die südslawische Gesandtschaft inBerlin teilt mit:
Gegenüber den Ereignissen in Oesterreich ist der Standpunkt der südslawischen Behörden vollständig korrekt. Es wird eine strenge Kontrolle an der Grenze vorgenommen und von irgendwelchen Zwischenfällen oder Provokationen kann keine Rede sein. Bisher sind 700 öfter- reichische Flüchtlinge aus der Linie Maribor- Dravograd (Marburg-Drauburg) mit 200 Gewehren, einem Maschinengewehr und einigen Revolvern, festgenommen, sofort ent- wassnet und interniert worden. Es handelt sich durchweg um Leute jüngeren Alters.
Prager Unbehagen
Auch in der tschechoslowakischen R-gie- rungspresse beginnt sich die Besorgnis gegenüber einem wachsenden Einfluß Italiens in Oesterreich abzuzeichnen. So gibt der bekannte Leitartikler der dem Prager Außenministerium nahestehenden „Lidove Noviny". Hubert Ripka. einen großen Teil der Schuld an der Entwicklung in Oesterreich der Tatsache, daß sich durch italienischen Einfluß das Regime Dollfuß dem Au st ro-Faschismus in die Arme geworfen habe.
Das „Azet Pondelnik". das MittagSblatt der tschechisch-nationalen Sozialisten, der Partei des Außenministers, äußert sich unter der Ueberschrift „Wer kann Oesterreich heilen?" über die Lage in Oesterreich und über die mögliche Entwicklung: Eine Regierung, die sich nur auf die Heimwehren stützen wollte, bätte hinter sich eine Minderheit, und
angeordnete strenge Grenzkontrolle notwendig geworden, durch die die Lebensmittelzufuhr an die Aufständischen vom südslawischen Gebiet her unterbunden worden war. Im ganzen sind nach den bisher vorliegenden Meldungen 2000 Flüchtlinge über die südslawische Grenze gegangen- Sic wurden nach Uesküb im Innern Serbiens in ein Internierungslager gebracht.
Oesterreichisches Flüchtlingslager bei Warasdin
In Warasdin (Kroatien) wird ein Lager für die nach Südslawien geflüchteten österreichischen Aufständischen eingerichtet. Bisher sind etwa 500 Mann dort eingetroffen.
Sämtliche Blätter haben Berichterstatter nach Warasdin entsandt und veröffentlichen jetzt Unterredungen mit einzelnen Aufständischen. Aus den Berichten geht übereinstimmend hervor, daß die Revolte in Oesterreich nicht vorbereitet war. sondern bei den Aufständischen selbst die größte Ueber- raschung auslöste.
Die erste MMkärgerichksverhandlung
Ueberraschenderweise ist der Militärgerichtshof bereits am Montag zusammengetreten, um über die beiden Anführer des Handstreiches im Bundeskanzleramt zu urteilen. Es handelt sich um den ehemaligen Heeresangehörigen Plane t t a, der gestanden hat, Dr. Dollfuß aus Erbitterung über seine Entlassung aus dem Heere niedergeschossen Ul haben, und um den ehemaligen Heeresangehörigen Holzweber.
Den Vorsitz *ühr' der Jnfanterieinspektor von Wien, Generalmajor Oberwege r. Der Generalstaatsanwalt Dr. Truppy vertritt die Anklage. Die Verhandlungen haben mit dem Verhör der beiden als Mörder von Dr. Dollfuß angesehenen früheren Wehrmänner Planetta und ^,-olzweber begonnen.
Eine Kompagnie Infanterie bewacht das Landesgericht, in dem die Verhandlung stattfindet. Nach der Aburteilung der beiden unmittelbaren Mörder soll unverzüglich die Ver- Handlung gegen die Aufständischen beginnen, die die Ravag am Mittwoch nachmittag besetzten. Aus dem bisherigen Verhör der Aufständischen konnte nochnichtermittelt wer-
zur Tat entschließen könne. Werter schreibt das Blatt, Starhemberg müsse abgelehnt werden, da er kein Staatsmann sei und außerdem ständig mit den Habsburgern kokettiere.
Eine bemerkenswerte schwedisch«
Stimme
„Svens!« Dagbladet", das führende konservative Organ Schwedens, das vor allem in der österreichischen Frage durchaus nicht deutschfreundlich eingestellt ist, bringt in einem Leitartikel sehr bemerkenswerte Ausführungen zu der Frage der Unabhängigkeit Oesterreichs. Es weist darauf hin, daß von einer wirklichen Unabhängigkeit des Landes gegenwärtig keineswegs die Rede sein könne und sagt wörtlich hierüber:
„Es ist festzustellen, daß die von Mussolini unterstützte und Wohl auch in großem Umfang finanzierte Heimwehr ebenfalls den Totalitätsanspruch erhoben hat. Gleichzeitig ist es bemerkenswert, daß man in der hitzigen Debatte über Oesterreich so eindeutig den Nationalsozialismus im Auge gehabt hat, daß man fast ganz vergaß, d»ß Italien sich im gleichen Umfange — aber ohne jede Grundlage in der Bevölkerung — in die inneren Angelegenheiten Oesterreichs eingemischt hat. Die Heimwehr Starhembergs — vielfach wenig besser als reine Banditenhorden — habe in vielen Orten nach Belieben Hausen können, weil man auf Seiten der Regierung ihre Verbindungen mit Rom kannte und selbst auf MMalirzis Unterstützung äuge- wiesen war, ' — -
den, von welcher Seite dc : Auftrag zum Beginn des Aufstandes erteilt worden ist. Die Aufständischen erklärten in der Untersuchung, darüber nichts zu wissen. Die Herkunft der Uniformen der Aufstä: dischen ist jedoch zum großen Teil bereits aufgeklärt worden. Teils wurden die Uniformen vom Althändler gekauft, teils gehörten sie den Aufständischen aus ihrer früheren aktiven Dienstzeit, teils sollen sie für oen Aufstand von einem Schneider angeferligt worden sein.
In unterrichteten Kreisen erwartet man, daß von den 144 verhafteten Aufständischen nur gegen die ein Todesurteil gefällt werden wird, die unmittelbar als die Mörder des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß oder als die Haupträdelsführer anzusehen sind. Es besteht der Eindruck, daß die Regierung die Absicht hat, so weit als möglich Entlastungsmomente gelten zu lassen.
Mißlungener Enkführungsversuch Dr. Rintelens
Besonders gespannt ist man auf die Vernehmung des Dr. Rintelen, der am Montag in das Gefangenenkrankenhaus übergeführt wurde. Das Befinden Dr. Rintelens soll sich verschlechtert haben.
Kurz darauf stellte es sich heraus, daß Dr. Rintelen nicht ins Gefangenenkrankenhaus übergesührt wurde, sondern daß es sich um einen Versuch, Dr. Rintelen aus dem Krankenhaus zu entführen, handelte. Tatsächlich hat sich in der Nacht zum Montag folgender Vorfall abgespielt: Vor dem allgemeinen Krankenhaus, in dem Dr. Rintelen liegt, fuhr ein Krankenkraftwagen vor, der mit Männern besetzt war, die die Uniform von Wachleuten trugen. Die Leute gaben vor, beauftragt zu sein. Dr. Rintelen in das „Lan- desgerichtliche Jnquisitenspital" zu überfüh- ren. Den diensthabenden Aerzten kam die Sache verdächtig vor. Außerdem war der Gesundheitszustand Dr. Rintelens derart, daß eine Ueberführung nicht ratsam schien. Da wurden die Leute wieder weggeschickt. Eine spätere Anfrage ergab, daß ein Auftrag zur Ueberführung Dr. Rintelens ins Landesgericht nicht erteilt worden war. Es liegt also zweifellos ein mißlungener Enst sührungsversuch vor.
Dr. Rintelen ist am Montag zum ersten Male im Krankenhaus Polizeilich vernommen worden.
Zu Ende der Woche will die Regierung eine amtliche Darstellung der Ereignisse des 25. Juli veröffentlichen.
Italienische Gehässigkeiten
Man hat schon am ersten Tag nach dem Handstreich ,m Wiener Bundeskanzleramt das Sichüberschlagen des Haffes und Zornes der italienischen Presse nicht verstehen kön- neu. Ohne den geringsten Anlaß ergingen sich die italienischen Blätter in Ausfällen gegen das Deutsche Reich, das wohl alles getan hatte, um seine Nichteinmischung in die innerösterreichischen Vorgänge unter Beweis zu stellen, Ausfälle, die an Gehässigkeit und Geschmacklosigkeit auch nicht durch die Tem- peramentsausbrüche im Mai 1915 übertrof- sen werden können. Es hat nichts mehr mit der Vertretung politischer oder nationaler Interessen und nichts mit der Anteilnahme am Geschick eines Nachbarstaates zu tun, wenn z. B. der „Meffagero" schreibt: „Siehe da. wie das wilde Tier »u seiner wahren Natur zuruareyrt; es denn an neue Blnk- tatcn, an Verfolgungen und Rache!", oder wenn „Popolo d'Jtalia" von den Deutschen behauptet: „In ihren trüben Seelen sind dieselben Instinkte und der Blutdurst wieder erwacht, den die römische Kultur in zwei Jahrtausenden des Christentums in ihren Nomadenseelen abgcdämpft hatte. Die Nationalsozialisten find Mörder und Päderasten. nur das und nichts anderes!" Auf diesen Ton überhaupt zu erwidern, ist unter der Würde der deutschen Presse. Darüber mag das deutsche Volk und die ganze Welt selbst urteilen.
Die Wutausbrüche gegen das Deutsche Reich sollen angebliche Verteidigungen der Unabhängigkeit Oestereichs sein. Wie man tick diese Unabbänaiakeit Oesterreicks in
Italiens Einfluß in Wien
Wachsendes internationales Unbehagen
zwar noch dazu eine solche, die sich schwer