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Öffentliche Kreistagssitzung am 7.2.1972

Zu at) diesen Erhöhungen komme eine Deckungslücke, die bereits seit dem Jahr 1963 mitgeschleppt werde und derzeit ca. 1 Punkt der LWV-Umlage = 21 Mio. DM betrage. Auf Grund einer Beanstan­dung des Innenministeriums von Baden-Württemberg sei diese Deckungslücke aus Gründen der Kreis­reform noch im Jahr 1972 zu schließen.

Verbandsdirektor Dr. Tichy wies darauf hin, daß der Landeswohlfahrtsverband an den laufend steigen­den Sozialausgaben unschuldig sei. Der LWV habe lediglich Aufgaben zu erfüllen, die ihm in Aus­führung der Bundes- und Landesgesetze auferlegt werden. Dabei sei hervorzuheben, daß Aufgaben nach dem Bundessozialhilfegesetz und dem Jugendwohlfahrtsgesetz noch nicht in dem Maße wie vor­gesehen erfüllt würden. Als Beispiel hierfür führte Dr. Tichy den Bericht über die Behinderten im Land Baden-Württemberg an. Sollte diese Aufgabe in den nächsten 10 Jahren bewältigt werden, so seien in den nächsten 10 Jahren jeweils jährlich 12 Mio. DM hierfür zusätzlich erforderlich.

Verbandsdirektor Dr. Tichy wies weiter darauf hin, daß die Steigerungsquote bei den Sozialausgaben im Jahr 1971 31 % betragen habe, während sie für 1972 auf 20 % geschätzt werde. Hinzu komme jedoch, daß im Jahr 1972 ein durchschnittlich 10 %iger Rückgang der Steuerkraftsummen festzu- stellen sei. Er zog daraus das Fazit, daß ohne Hilfe von Bund und Land die Träger des Landeswohl­fahrtsverbands, nämlich die Stadt- und Landkreise diese Kostensteigerungen nicht mehr weiter tragen können. Der Haushalt des Landeswohlfahrtsverbands sei bereits zu einem reinen Verwaltungshaushalt degradiert worden. Der Landeswohlfahrtsverband könne seine dringendst notwendigen Investitionen nur noch mit Schuldaufnahmen und Staatsbeiträgen, aber ohne jegliche Eigenmittel finanzieren. Er gab weiter bekannt, daß am 10. Februar 1972 eine Besprechung der kommunalen Spitzenverbände einschließlich des Landeswohlfahrtsverbands beim Finanzministerium über eine finanzielle Entlastung des Landeswohlfahrtsverbands stattfinde. Auch habe das Innenministerium auf eine Landtagsanfrage bekanntgegeben, daß ab 1973 der Finanzausgleich neu geordnet werden solle. Sollten die Ver­handlungen mit dem Finanzministerium jedoch zu keinen höheren Finanzzuweisungen im Jahr 1973 führen, so sei die Gefahr der Zahlungseinstellung des Landeswohlfahrtsverbands auf Septembet)/ Oktober dieses Jahres nicht auszuschließen.

Verbandsdirektor Dr. Tichy forderte, daß Bund und Länder sich künftig in angemessenem Umfang an den Soziallasten beteiligen sollten. Er bedauerte es weiter, daß Programme und Reformvorschläge an­gekündigt werden, ohne daß ihre Finanzierung gesichert sei. Dies führe lediglich nur dazu, daß die bei den Betroffenen geweckten Hoffnungen bitter enttäuscht würden und sich weiterhin von der Ge­sellschaft benachteiligt fühlen müßten. Unter Hinweis auf das Beispiel der Drogengefährdung der Jugend wies Verbandsdirektor Dr. Tichy darauf hin, daß die heutige Sozialhilfe keine "arme Leute Arbeit" mehr sei, da Jugendliche aus allen Gesellschaftsschichten drogengefährdet und auch be­hindert seien.

Landrat Pfeiffer führte anschließend dazu aus, daß er als Mitglied des Verbandsausschusses des Lan­deswohlfahrtsverbands die Ausführungen von Verbandsdirektor Dr. Tichy nur bestätigen könne. Er wies darauf hin, daß die geforderte Kreisumlage des Landkreises Calw von 25,5 % der Steuerkraft­summen der kreisangehörigen Gemeinden im Jahr 1972 allein nicht ausreiche, um die Aufwendungen des Landkreises für die Sozialhilfe und den Zuschußbedarf der Kreiskrankenhäuser zu decken. Weiter stellte Landrat Pfeiffer die Frage, ob der Landkreis Calw als künftiges Mitglied des Regierungsbe­zirks Nordbaden und des Landeswohlfahrtsverbands Baden bei einem Pockenfall die Isolierstation bei Gültstein, die vom Landkreis mit finanziert worden sei, benützen könne, oder ob der Landkreis Calw die Pockenisolierstation des Landeswohlfahrtsverbands Baden bei Emmendingen in Anspruch nehmen müsse.

KV Brenner wies darauf hin, daß aus allen Unterlagen, die ihm in letzter Zeit über die Gemeinde­finanzen zugegangen sei, die katastrophale Lage des Landeswohlfahrtsverbands und ihre Auswirkungen auf die Landkreise habe entnehmen können. Während 1963 die Soziallasten pro Kopf nur 16.87 DM betragen haben, würden diese 1971 pro Kopf 51.63 DM betragen. KV Brenner wies weiter darauf hin, daß sich der Charakter der Leistung der Sozialhilfe grundlegend geändert habe, ln aller Regel sei so­gar der Anspruch gesetzlich garantiert. Er forderte, Bund und Land müsse drastisch klar gemacht wer­den, daß der Landeswohlfahrtsverband, ohne die Landkreise mit einbeziehen zu wollen, finanziell am Ende sei. Nach seiner Ansicht könne als höchste Obergrenze für eine Umlage des