NACHRICHTENBLATT

DER MILITÄR-REGIERUNG FÜR DEN KREIS CALW

AVIS DU GOUVERN EMENT MILITAIRE, DU LANDRAT ET DE TOUTES LES AUTORITES DE LARRONDISSEMENT DE CALW ~

10 , November 1945 u r u«

Vom Familienunterhalt zur Fürsorge

Von Kreisoberinspektor Wild, Calw

Der Familienunterhalt war keine Lei­stung der öffentlichen Fürsorge. Das Reich hatte sieh die Versorgung der An­gehörigen Einberufener und der Umquar­tierten als Sonderaufgabe selbst Vorbe­halten Es war lediglich die Durchführung dieser Aufgabe auf seine Rechnung den Leitern der Stadt- und Landkreise über­tragen. Der Familienunterhalt, der nur auf Antrag gewährt werden konnte, diente zur Sicherung des notwendigen Lebens­bedarfs der Angehörigen von Einberufe­nen und der Umquartierten unter weit­gehender Berücksichtigung der bisherigen Lebensverhältnisse und der Besonderhei­ten des Einzelfalles. Die Zielsetzung war so großzügig, daß nicht nur die Sicherung des notwendigen Lebensbedarfs, sondern vielfach darüber hinaus die Erhaltung der bisherigen Schichtlage der Angehörigen von Einberufenen und der Umquartierten gewährleistet war Diese Großzügigkeit führte dazu, daß am 1. April 1945 in un­serem Kreis rund 7200 Parteien Familien­unterhalt von mehr als 1 Million Reichs­mark pro Monat bezogen.

Mit dem katastrophalen Zusammenbruch des Reichs ist dies mit einem Schlag an­ders geworden. Reiehsmittel stehen nicht mehr zur Verfügung und die Militärregie­rung hat im April d. J. die Zahlung des Familienunterhalts verboten. Die FU.- i Abteilungen können deshalb nicht-mehr izn Auftrag des Reiches handeln; ihre Tä­tigkeit hat praktisch aufgehört. Aber die bisherigen FU.-Empfänger sind geblieben. Die Einberufenen sind vielfach noch nicht heimgekehrt; die Umquartierten konnten nicht in ihre Heimat zurückkehren. Ihnen mußte geholfen werden. Mancher FU. Empfänger konnte sich Ersparnisse zu- rüeklegen, Anschaffungen machen, Schul­den bezahlen und dergleichen mehr. Es gibt aber auch solche, die durch den Weg­fall des Familienunterhalts in eine Not- Tage geraten sind.

Nach Lage der Dinge blieb nichts an­deres übrig als das Einspringen der öf­fentlichen Fürsorge. Es wäre verkehrt, ja verwerflich gewesen, die Dingo einfach treiben zu lassen. Gerade in den Zeiten der Not, der Krisen, im raschen Wandel der Dinge ist es Pflicht und vornehmste Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, für Ruhe zu sorgen und trotz aller Schwierig­keiten und Hemmnisse rasch eihzugreifen 'und Ordnung zu schaffen. So haben der Landrat und der Vertrauensrat für das Sozialwesen mit einigen berufenen Män-

F

nern am 1. Mai d. J. darüber beraten, was geschehen soll mit dem Ergebnis, an­stelle des Familienunterhalts öffent­liche Notunterstützung nach den Bestimmungen der RFV. zu gewähren, um die in Not geratenen Personen vor dem Untergang zu bewahren.

Damit ist die Fürsorgebehörde nicht nur Kostenträger, sondern vor allem auch Aufgabenträger. Sie, die durch den* Fa­milienunterhalt fast verdrängt wurde, rückt-nun in den Mittelpunkt des öffent­lichen Interesses. Aber nicht allein wegen der großen Zahl von Personen, die ihre Existenzgrundlage verloren haben und der öffentlichen Fürsorge bedürfen, son­dern insbesondere wegen der Höhe der Geldmittel, die die Erfüllung dieser Für­sorgeaufgaben erfordert. Sie geht aller­dings von anderen Grundsätzen aus als das Gesetz über die Gewährung von Fa­milienunterhalt, und mancher FU.-Emp- fänger wird über den Unterschied der Lei­stung der Fürsorgebehörde enttäuscht ge­wesen sein. Die Fürsorgebehörde kann sich den Luxus nicht erlauben, den sich das Reich erlaubt hat. Sie gewährt mit ihren Leistungen das Nötigste und hält damit Menschen, die schon bisher viel Her­bes und Bitteres durchleben mußten, über Wasser, bis sie sich wieder selbst helfen können.

Wie ging die Umstellung vor sich?

Solrie Umstellungen können nicht sche­malisch durchgeffihrt werden. Nach kata­strophalen Geschehnissen muß das er­schütterte Vertrauen der betroffenen Kreise wieder hergestellt werden; das kann nur durch eine persönliche Füh­lungnahme geschehen. Der Post- und Bahnbetrieb ruhte, Autos standen nicht zur Verfügung. So nahmen die Beamten und Angestellten des Kreisfürsorgeamts den Weg unter die Füße, gingen von Ge­meinde zu Gemeinde, bestellten die Leute aufs Rathaus und klärten sie über die ver­änderten Verhältnisse, über die Ursachen des Wegfalls des Familienunterhalts und über die Voraussetzungen für die Gewäh rung öffentlicher Unterstützung' auf. Sie nahmen Anträge auf Notuntqfstützungen und Verzichtserklärungen entgegen. Im großen und ganzen waren die Betroffenen recht verständig. Manch andere Dinge wurden hei dieser Gelegenheit bespro­chen; mancher Weg konnte gewieften werden. Am meisten interessierte, wie es wohl mit der Invaliden-, Witwen- und Waisenrente und mit den Vefsorgungs-

bezügen ^ehen werde. Der Hinweis auf die Anweisung der Militärregierung, daß diese Bezüge wenn auch in veränder­ter Höhe weiterbezahlt werden, befrie­digte die Betroffenen allgemein.

So knüpfte siel) wieder ein Vertrauens­verhältnis der Betroffenen zur Fürsorge­behörde an, das unerläßlich ist für eine erfolgreiche Arbeit. Die Zahl der üntei- stülzungseinpianger verringerte sich durch die Umstellung von 7200 auf rund 1300 Parteien und der Fürsorgeäufwaml von 1 Million Reichsmark auf rund 120000 Reichsmark pro Monat. Auch die­ser Aufwand ist angesichts der Tatsache, daß die Geldmittel, die von der Allgemein­heit aufgebracht werden müssen, knapp sind und daß die Industrie noch nicht so in Gang gebracht werden konnte, wie es wünschenswert wäre, noch sehr hoch; dies um so mehr, als Zweifel darüber bestehen, ob dieser Aufwand vom Kraisverband ganz zu tragen ist, oder ob je einmal ein Ersatz erwarte.t werden kann.

Nach welchen Grundsätzen wird die Fürsorge dnrehgeführt?

Die Leistungen der Fürsorge werden mit einigen Aenderungen nach den Vor­schriften der RFV. gewährt, also nur dann, wenn Hilfsbedürftigkeit im für­sorgerechtlichen Sinn vorliegt, d. h. wenn jemand nicht in der Lage ist, den not­wendigen Lebensbedarf für-sich und seine Angehörigen aus eigenen Mitteln und Kräften zu beschaffen und'wenn er diesen auch nicht von anderer Seite (von Ange­hörigen, Verwandten, Ver3icherungsfrä- gern, freier Wohlfahrt usw.) erhalten kann. Die Fürsorge erstreckt sich nicht nur auf die Gewährung laufender Unter­stützungen, sondern nötigenfalls auch auf die Uebernahme von Arzt-, Arznei-, Kran­kenhaus- und Anstaltskosten. Für die. Höhe der laufenden Noüinterslülzurig gel- ton die von der obersten Landesbehörde für die Kleinrenlnerhilfc festgesetzten Richtsätze. Sie geben eine Sicherheit für die gleichmäßige Behandlung der Hilfe­suchenden und gegen eine willkürliche Festsetzung der Leistungen. Alle Ein­künfte aus Geld und Geldeswert, aus Ar- beits- und Dienstverhältnis, aus Unter­halts- und Rentenansprüchen öffentlicher und privater Art werden auT den Bedarfs­satz "angereehnet; auch das verwertbare Vermögen ist zu verwenden. .

Empfänger von Renten- und Versor- gungshezügen, die zurzeit ausbleihen. oder Inhaber von nicht greifbarem Kapi­talvermögen erhalten anstelle der Not- tmlcrstiitzung einen Vorschuß nach den

/

Lebensmittelrationen für den 82. Ernährungszeitraum vom 1. bis 30.11.1945

Lebensmittel

Brot

Fleisch

Fett

Käse*)

Zucker

Katfee-

Ersajj

Nähr­

mittel**)

*MUdi

je

Abschnitte

Nr.

Gramm

Nr.

g

Nr.

g

Nr.

g

Nr. g

Nr. g

Nr. g

Woche

E. über 18 Jahre

5600

400

260

187,5

125

E-Milcli

1.10. 11.

1

1500

8

100

15

70

29

62,5

50 125

7< 1 je Tag a. Abschn.

11.17. 11.

2

1500

9

100

16

70

30

62,5

od. SV.

18.-24. 11.

3

1000

10

100

17 '

70

31

62,5

308

25.-30. 11.

Kl.-Abschn. 500

11

100

Kl.-Abscbn.

50

4

1100

Jgd. 1018 Jahre

8400

600

200

187,5

125

: E-Milch

1.10. 11.

1

2400

8

150

15

70

29

62,5

50 125

V« 1 je Tag a. Abschn.

11.17. 11.

2

2000

9

150

16

70

30

62,5

. -

18.24. 11.

3

2000

10

150

17

70

31

62,5

25.30. 11.

4

2000

11

150

18

50

~~~

Kd. ti-10 Jahre

7000

400

260

187,5

125

E-Milch

1.10. 11.

1

2000

8

100

15

70

29

62,5

50 125

l U 1 je Tag a. Abschn.

11.17. 11.

2

* 1500

9

100

16

70

30

62,5

-

18.-24. 11.

3

2000

10

100

17

70

31

62,5

25.30. 11.

4

1500

11

100

18

50

Klk. 36 Jahre

4900

200

200

187,5

250

Vollmilch

1 10 11

1

1500

8

50

15

50

29

62,5

43 250

l /a 1 je Tag a-Abschn.

1117 11-

2

iooo

9

50

*16

50

30

62,5

oder

1824. 11.

3

1400

10

50

17

50

31

62,5

SV/K2

25.30. 11.

4

1000

11

50

18

50

_ 0

300

*

Klst. ü3 Jahre

1 . 10 . 11 .

11.17. 11. 18.-24. 11. 25.-30. 11.

2800

1 1000 2 600 3 600 4 600

200

100 /

250

1000

8

50

15

50

43. 250

36

500

9

50

. _

oder

10

50

16

50

SV/Kl

v- 87

500

11

50

300

Vollmilch

*) Die Hälfte soll als Mager- und die Hälfte als Fettkäse abgegeben werden. **) 500 g sind als Haferflocken abzugeben.

Brotrationen für November 1945. In Abänderung der bekanntgegebenen Brotrationssätze werden die Brotrationen für No­vember wie folgt erhöht: für Kindeflois zu 3 Jahren um 200 Gramm, für Kinder von 3 bis 6 Jahren um 300 Gramm, für Jugendliche von 6 bis 10 Jahren um 500 Gramm, für Jugendliche von 10 bis 18 Jahren um 600 Gramm, für Erwachsene über 18 Jahre um 400 g. Die erhöhten Mengen sind jeweils auf Abschnitt Nr. ö abzugeben.

cklw, den 2. November 1945. Der Landrat - Kreisemährungsamt -

Kreisstadt Calw

Bekanntmachung

Joder WohnungsWechsel, auch bei Einzel­zimmern, ist beim Einwohnermeldeamt Rathaus Zimmer 6 < anzuzeigen.

Calw, den 6. Nov.* 1945.

Oer Biiigerincistei.

genannten Richtsätzen auf ihre Renteu- ansprüche bzw. auf ihr Kapital vermögen gegen Wiederersatz. Sie treten die Rente bzw. das Kapitalvermögen in Höhe der ge­leisteten Vorschüsse an das Kreisfür­sorgeamt ah und ermäcliiigcn dieses zum Einzug. Auch die Fürsorgeleistungen sind kein Geschenk, sie sind nach den ge­setzlichen Bestimmungen wieder zurück­zuerstatten, so bald dies möglich ist. Die Bezahlung von Schulden und Nach­tragszahlungen für eine Zeit, in der der Hilfsbedürfte ohne öffentliche Fürsorge ausgekommen ist, gehören nicht zu den Aufgaben der Fürsorge. Die Fürsorge darf also erst von dem Zeitpunkt an ein- greifen, zu dem ihr die Hilfsbedürftigkeit einer Person bekannt wird; das ist in der Regel der Tag der Antragstellung.

Diese Ausführungen, die im Rahmen eines Aufsatzes nicht erschöpfend sein könneD, sind als Beitrag zur allgemeinen Aufklärung gedacht. Mancher hat vor dem Krieg nicht daran gedacht, daß er ein­mal den Weg zur Fürsorge machen muß. Es ist begreiflich, daß dies für die mei­sten Betroffenen bitter und hart ist. Die Fürsorge tut jedoch alles, was ihr mög­lich ist; andererseits müssen atich die Hilfsbedürftigen so viel Verständnis auf- bringen und verstehen, daß bei der ge­genwärtigen Finanznot und bei der gro­ßen Zahl Hilfsbedürftiger nicht immer so geholfen werden kann, wie man gerne möchte.

Preisbestimmungen für Baustoffe und Bauleistungen

Nach den Wahrnehmungen der Preis­aufsichtsstelle wird nicht überall beachtet, daß auch die bisherigen Preisbestimmun­gen für Baustoffe und Bauleistungen nach wie vor in Kraft sind. Die wichtigsten dieser Bestimmungen sind:

1. Für Baustoff Verkäufe im Baustoff­handel sind die Stopppreise vom 18. Ok­tober 1936 maßgebend, soweit diese Preise nicht durch Ausnahmebewilligungen oäer allgemeine Anordnungen überholt sind. Auf Grund von § 3 der Preisstoppverord- nung vom 26. November 1936 (Reichs- gesetzbl. I S 955) wird in Verlängerung des Erlasses vom 14. April 1940 (Mittei­lungsblatt I S. 326) zugestimmt, daß tatsächlich entstandene Mehraufwendun­gen, die durch die gegenwärtigen Trans- portschwierigkeiten erwachsen .sind, an- gehängt werden dürfen, soweit sie mit den Grundsätzen einer sparsamen Wirtschafts­führung zu vereinbaren sind. Für Fuhr- leistungen mit Kraftfahrzeugen im Nah­verkehr dürfen jedoch höchstens die da­bei zulässigen Preise (vgl. Verordnung vom 15. Januar 1940, Reichsgesetzblatt I S. 115), für Fuhrleistungen mit Pferde- und Ochsenfuhrwerken höchstens die Preise der württ. Anordnung vom 25. Ja­nuar 1941 (Reg.-Anz. Nr. 9 vom 31. Jan. 1941) berechnet werden. Etwaige Fracht­vergütungen des Lieferwerks sind ab- zuzieheu.

1L Für Bauleistuugen sind die Preise jeweils nach den Bestimmungen der Baupreisverordnung vom 16. Juni 1939 (Reicbsgesetzbl. I S. 14)41) und der zugehörigen Vorschriften, insbesondere des Runderlasses Nr. 9/44 vom 25 März 1944 (Mitteilungsblatt 1 S. 149) zu bilden. Ausgenommen sind Arbeiten mit Sonder­preisvorschriften. wie z B Verglasungs- ariieiten, Fl iegerschäden vergiasu ngen, Feuerschutzanstriclie u. Elektroarbeitern

l. ln den Bauhauptgewerben und den­jenigen Biumebengewerben, die seit dem Lohnstopp (16. Oktober 1939) neue Tarif­ordnungen oder fihnl. Lohnrogelungen er­halten haben, dürfen nur die darin fest­gesetzten Löhne, Lohnzuschläge und Lohnzulagen einschließlich der sogenann­ten Stammarbeiterzulage. in den übrigen Baunebengewetben nur die Stopplöhne, Stoppzuschläge und Stoppzulageti, in hei- den Fälleu aber höchstens die tatsäch­lichen Aufwendungen und da der Lohn­stopp in Kaft geblieben ist * höchstens die am Tag der Besetzung zulässigen Auf­wendungen verrechnet werden. Lohn­zuschläge sind Erschwerniszuschläge so-