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Freitag, den 8. September 1933
Jahrgang 106
Die Langmut des Oberreichsanwalts am Ende
Absage an Branting in der Reichstagsbrandsache — Das Beweismaterial zur
Entlastung van der Lübbes ausgeblieben
TN. Leipzig, 8. September. Von zuständiger Stelle wird mitgctetlt: In der NeichStagsbrandsache hat der schwedische Rechtsanwalt Branting auf daS letzte seinerzeit veröffentlichte Schreiben des Oberreichsanwalts Tr. Werner eine Antwort erteilt,-aus der hervorgcht, daß er nicht gewillt ist, irgend welches Beweismaterial dem Reichsgericht durch Vermittlung der Anklagebehöröe oder der vorhandenen Verteidiger zu unterbreiten. Im übrigen hat Rechtsanwalt Branting lediglich die im Ausland verbreiteten Gerüchte über den Reichstagsbrand ohne Angabe von Beweismitteln wiederholt. Der Oberreichsanwalt hat darauf an Branting folgendes Schreiben gerichtet:
„Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt! Ich bestätige den Empfang Ihres Schreibens vom 28. vergangenen MonatS. Als dessen Inhalt stelle ich fest, daß Sie nicht bereit sind, das zur Rcichstagsbrandsache angeblich in Ihren Händen befindliche Beweismaterial, sei es durch meine Vermittlung, sei es durch die der deutschen Verteidiger» dem Reichsgericht zur Berücksichtigung bei der Urteilssindung zur Kenntnis zu bringen. Ich muß deshalb zu meinem Bedauern mein Bemühen, von Ihnen Beweismaterial, auch soweit cs etwa zur Entlastung der Angeklagten dienlich sein könnte, zu erhalten, als gescheitert betrachten und vermag mir bei dieser Sachlage von einer Fortsetzung -eS Briefwechsels einen Erfolg nicht mehr z» versprechen."
Im deutschen Volk hat man sich schon immer über die Langmut der Strafverfolgungsbchöröen gegenüber den Verdächtigungen und Ungezogenheiten des „van der Lnbbe-Ver- teidigungsausschusses" gewundert. Man wird es deshalb begrüßen, daß mit diesem Spuk im Ausland endlich und kurzerhand Schluß gemacht wird.
Der Bruder des NcichstagSbranüstifters van der Lubbc hält es für au s g es chlo s s en, öaßiscin Bruder das Opfer von Provokateuren geworden sei. Es sei besser, so erklärte er einem Journalisten, daß sein Bruder als wahrer
TU. Berlin, 8. September. Nach einer Meldung aus Saarbrücken hat die Saarkommission in letzter Zeit wiederholt AuslänöcrindasLandjägcrkorpseiiigestellt. Sie will mit dieser Einstellung weiter fortfahrcn und so allmählich aus dem rein deutschen Landjägcrkorps ein internationales Korps bilden. Tie Negierungskommission hat ferner die Luxemburger Negierung gebeten, einen Kommissar und 5 Brigadiers zu benennen, die als Kriminalbeamte in Saarbrücken eingesetzt werden sollen. Dafür hat die Ncgicrnngskommisston bereits einen Betrag von livO OM Franken zur Beifügung gestellt. Die Regierungskommission beabsichtigt demnach, einen sogenannten politischen Ueberwachungsdienst innerhalb der rein deutschen Bevölkerung cinzurichtcn.
Das wäre geradezu eine ungeheuerliche Maßnahme und die Negterungskommissioil wird sich darüber klar sein müssen, daß trotz der anerkannten Disziplin der Bevölkerung sich zwischen den neuen Beamten und den Bewohnern des Saarlandes Reibung cm nicht vermeiden lassen werden. Sie wird weiter einsehen müssen, daß sie gerade das Gegenteil von dein erreicht, was sie erreichen möchte. Wie wenig Grund zu der neuen Maßnahme besteht, geht daraus hervor, daß die saarländischen Landjägerei- und Polizeibcamten ihren bisher nicht leichten Dienst stets in mustergültiger Form geleistet haben und die Ruhe und die Ordnung im Saar- gebict bisher nirgends ernstlich gestört worden ist. Sogar französische Blätter haben lobend anerkannt, daß im Saar- gebiet eine Ruhe herrscht, die man sonst in anderen Abstimmungsgebieten nicht gewohnt sei. Die luxemburgische Regierung aber — eine andere Regierung soll das Ansinnen bereits abgclehnt haben — wird gut daran tun, sich gcnaucstcns über die Aufgabe zu unterrichten, die ihren Polizciorgancn hier zugcmutet wird.
Die Frage der Rüstungskontrolle
Deutschlands Stellung
TU. Berlin, 8. September. Die im Oktober zusammen- tretcnde Abrüstungskonferenz wirft ihre Schatten voraus. Es ist insbesondere der Tardieuschc Plan einer Rüstungskontrolle, der jetzt von der französischen Presse in den Vordergrund gerückt wird, in der offenkundigen Absicht, die Augen Ser Welt von dem eigentlichen Zweck der Abrüstungskonferenz, nämlich Ser Herabminderung der Rüstungen ab- zuzichen. Deutschland hat, wie von unterrichteter Stelle er-
Ncvolutionür gehenkt werde, als daß er durch eine Taktik, wie sic das Vraunbuch des internationalen Ausschusses einschlage, gerettet werde.
Die Wirtschaftsbelebung im Reich
Eine halbe Milliarde Arbeitseinkommen mehr — Berlin, 8. September. Wie das Institut für Konjunkturforschung mittcilt, ist das Einkommen aus Arbcit in Deutschland vom ersten zum zweiten Nicrtcljahr 1933 um rund eine halbe Milliarde gestiegen, während cs seit dem Sommer 1929 eine fallende Tendenz hatte. Dieser statistischen Feststellung ist zn entnehmen, daß mit der Belebung der Produktion und der Beschäftigung, mit dem Nachlassen des Preisdruckes und dem Steigen der Umsätze in großen Teilen der Wirtschaft auch die Einkommcnsver- hältnisse weiter Vevölkerungsschichten sich gebessert haben. Tie Tatsache eines erheblichen Ansteigens des Arbeitseinkommens ist darüber hinaus ebenso wie die große Zunahme der mengenmäßigen Rohstoffeinfuhr ein untrüglicher Beweis dafür, daß wir im Zeichen einer echten Wirtschaft s b e l c b n n g stehen.
Gegen private Gcldschöpsungsversrrchc Der Beauftragte des Führers für Wirtschaftsfragen, Wilhelm Kcppler, wendet sich einer NSK-Meldung zufolge gegen Pläne einer unkontrollierten Geld- nnd K r cd it s ch ö p fnn g, so gegen das sogenannte Schwunbgcldsystem, die vielleicht hier und da gewisse Anfangserfolge aufweisen könnten, auf die Dauer aber mit dem Neubau des Geld- und Bankwesens sowie mit der Kreditpolitik der Rcichsbank unvereinbar seien. Im neuen Staat bedürfe es solcher wilden Geldschöpsungsversuchc nicht mehr. Im Einvernehiircn mit der Rcichsregierung weist der Beauftragte des Führers erneut darauf hin, daß Förderung und Unterstützung derartiger Versuche sowie Mitarbeit an ihnen keiner Partcistellc und keinem Mitglied der NSDAP, gestattet ist.
klärt wird, es niemals abgclehnt, eine Kontrolle anzunch- nren. Aber es wird sic n u r n n t e r ö c r V o ra u s s etz u n g an nehmen, daß sie sich gleichmäßig gegen alle aus wir kt. Eine solche Gleichmäßigkeit besteht aber nicht, solange nicht auf der Gegenseite effektiv abgcrüstet worden ist. Eine Kontrolle, die den gegenwärtigen Nüstungs- stand zum Gegenstand hat, ist völlig sinnlos. Eine Kontrolle, die auf der einen Seite nur die hochgeriisteten Staaten mit allen Rechten sieht, und auf der anderen Seite die abgerüsteten Staaten nur mit Verpflichtungen würde ein Hohn auf das Ziel der Abrüstungskonferenz sein.
Das Programm der Pariser Konferenz
Der französische Ministerpräsident D ala ö i cr empfing am Donnerstag den englischen Geschäftsträger in Paris, Campbell. Die Unterredung galt der Vorbereitung der am 18. September stattfindenöen Pariser Konferenz, an der cnglischerseits der englische Vertreter im Abrüstungsausschuß, Eden, und wahrscheinlich auch der Vorsitzende der Abrüstungskonferenz, Henöerson, teilnehmen. Die Teilnahme Norman Davis scheint ebenfalls festzustehen, doch dürfte er sich erst dann einschalten, wenn zwischen England und Frankreich eine grundsätzliche Einigung ln der Kontrollfrage erfolgt ist.
Ucber das Programm der englisch-französischen Besprechungen in Paris schreibt der „Daily Telegraph": Die wichtigsten Verhandlungspunkte seien die Bestimmungen des englischen Entwurfs, die sich auf die Lnftstreitkrästc der Mächte bezögen, ferner die Begrenzung der europäischen Ist-Stärken und der französische Vorschlag für eine automatische und regelmäßige Uebcrwachung der Rüstungen. In der Unterhaltung zwischen Norman Davis und dem englischen Außenminister Simon habe Davis dem englischen Außenminister versichert, daß die Vereinigten Staaten bereit seien, eine Politik der Rüstungsüberwachung zu unterstützen, vorausgesetzt aber, daß gleichzeitig ein gewisses M a st t a t s ä ch l i ch e r Abrüstung eintritt.
Lord Edward Grey ch
TU. London, 8. September. Lord Grey of Fallodon ist in seiner Residenz Hall in Northumberland gestern um 6.05 Uhr früh gestorben. — Die Pariser Presse widmet dem verstorbenen ehemaligen englischen Außenminister Lord Grey ausführliche Nachrufe, in denen sie ihn als einen wahren Freund Frankreichs hinstellt, dessen Einfluß im Juli
Tages-Spiegel
Der Obereichsanwalt hat den Briefwechsel in der Reichstags- -randsache mit dem Schwede» Branting mit einer Absage abgeschlossen, da das Entlastungsmatcrial ausblieb.
Die Saarregierung durchsetzt die Polizei des Saargebiets vertragswidrig mit Ausländern und plant die Einstellung luxemburgischer Polizeibeamten zu politischen Spitzeldiensten.
In Remscheid wnrde ein neuer PropaganLaapparat der KPD mit Unterverteilungsstellen durch die politische Polizei lahmgelegt. 35 Personen wnrde« sestgcnommen.
Infolge Uebersüllnng der Mädelarbeitölager werden aus Veranlassung der Reichsleiterin des MädclarbeitsdiensteA KV ncnc Arbeitsdienstlager errichtet, in denen vorwiegend Mitglieder des BdM. uutergebracht werden sollen.
Die erste Führertagung des Kysshäuscrbnndes seiner Eingliederung in den nationalsozialistischen Staat findet am 9. und 1V. September auf dem Kysfhauscr statt.
Der Parteivorstand der österreichische« Sozialdemokraten forderte in einem Ausruf zum Boykott deutscher Waren ans.
Die in Kopenhagen zu einer internationalen Konferenz versammelte Zentralstelle für kirchliche Hilfsaktion hat beschlossen, ein ökumenisches «nd internationales Hilfswerk für die hungernden Christen aller Konfessionen in Sowjet- rnßland in die Wege zu leiten.
Bei einem gegenwärtig in Polen stattsindendeu Rundslug geriet das polnische Flugzeug 13 bei der Ortschaft Wolny ans russisches Gebiet- es wurde von der sowjetrnssischrn Grenzwache heruntergeschossen.
In Japan wird eins völlige Umgestaltung der Gewerkschaften vorgeuommcn. Jede internationale Bindung soll fallen, sie werden in Zukunft ein nationales Instrument des japanischen Volkes sein.
Das amerikanische Marineministerium hat angesichts der bedrohliche» Lage in Knba die Fahrtbereitschaft aller in den atlantischen Marinehäfe» stationierten Kriegsschiffe veran- laht. In den kubanischen Gewässern befinden sich zur Zeit 20 Kriegsschiffe.
In Hohenzollern wurden nunmehr zwei Wanderarbeitsstätten, und zwar in Sigmaringe« und Hechingen eingerichtet. Damit geht ein alter wiirttembergischer Wunsch in Erfüllung.
1914 ausschlaggebend für den Eintritt Englands in den Weltkrieg gewesen sei.
Diktaturpläne in Oesterreich?
— Wien, 8. September. Einer nicht kontrollierbaren Nachricht zufolge hat der Sicherheitsministcr Frey die Absicht, während oder unmittelbar nach dem Katholiken-Tag in Wien (der am Donnerstag begonnen hat), die Macht an sich zn reißen und diktatorisch zu regieren. Dabei sollen auch gewisse Pläne der Habsburger mit hineinspielcn, die sich jedoch im einzelnen nicht Nachweisen ließen. Tic nächsten Ereignisse in Wien und in Oesterreich verdienten daher die grüßte Aufmerksamkeit, da es nicht nur um das Schicksal des Zwangsstaates Oesterreich, sondern um das Schicksal des Tonau- staates geht.
Neue Botschafter und Gesandte
Aenderungen im Auswärtigen Dienst
TU. Berlin, 8. Scpt. Amtlich wird mitgcteilt: Reichspräsident von Hindcnburg hat ernannt: den Vortragenden Legationsrat vonHeeren zum Gesandten in Belgrad, den Gesandten in Oslo, Freiherr» von Weizsäcker zum Gesandten in Bern, den Generalkonsul in Schanghai, Freiherrn Rüdtvon Collen bcrg-Bödigheim zum Gesandten in Mexiko, den Botschafter in Moskau, vonDirkscn, zum Botschafter in Tokio, den Botschafter in Ankara, Nadolny, zum Botschafter in Moskau.
Reichspräsident von Hindcnburg hat zur Disposition gestellt: Sen Gesandten in Budapest von Schocn, den Gesandten in Kabul, Schwörbel, den Generalkonsul in Newyork Kiep, den Generalkonsul in Chicago, Simon. — Infolge Erreichung Ser Altersgrenze ist der Gesandte in Belgrad, Freiherr Du- four von Fcronce in den dauernden Ruhestand versetzt worden.
Vor Richtlinien der Reichsregierung
über Doppelvcrdienertum «ud Schwarzarbeit TU. Berlin, 8. September. Der Präsident der Neichs- anstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat einen Erlaß veröffentlicht, in dem er zur Frage des Doppclvcrdicnertums und der Schwarzarbeit Stellung nimmt. Die befriedigende Lösung dieser Frage sei so schwierig, daß sie nicht ans örtliche Auffassungen aufgebaut werden könne. Die Neichsregicrung werde in nächster Zeit zu der Art der Durchführung dieser Fragen Stellung nehmen. Bis dahin sind die Lanöesarbcits- und Arbeitsämter angchal- ten, in der Behandlung und öffentlichen Erörterung dieses Gebiets Zurückhaltung zu üben.
Politischer „Ueberwachungsdienst" im Saargebiet
Vertragswidrige Vorbereitungen der Saarregierung für den Abstimmungskampf