Die Einnahme Calws am 15. April 1945 und die ersten Besatzungstage nach den Aufzeichnungen von Ernst Rheinwald Hermann Wulzinge r, Zav elstein Als Calw am Sonntag, dem 15. April 1945 von den französischen Truppen eingenommen wur­de, war Ernst Rheinwald amtierender Landrat. Er schrieb seine Erlebnisse um die Einnahme Calws in Briefen, die für seine verstreut leben­den Kinder gedacht waren, kurz danach auf. Später übernahm er diese Briefe in seine (unver­öffentlichten) Memoiren ,,Aus meinem Leben'. Die Aufzeichnungen sind eine taufrische Doku­mentation jener bewegten und bewegenden Tage. Sie enthalten aber auch eine Menge familiärer Interna und halten nicht zurück mit emotiona­len und temperamentvollen Beurteilungen von Freund und Feind. Sie sind daher nicht in ihrer Gdnze zur Publikation geeignet. Im Folgenden wird ein Auszug geboten, der insbesondere bei den Calwer Bürgern der älteren Generation, die den Einmarsch der Franzosen miterlebt haben, lebhafte Erinnerungen wach rufen wird. Ernst Rheinwald, am 17. April 1878 in Metter­zimmern als Sohn eines Pfarrers geboren, kam nach seinem Jurastudium 1905 frisch vermählt als junger Rechtsanwalt nach Calw. Er mischte sich bald in das kirchliche, kulturelle und poli­tische Leben der Stadt ein und war bis zu sei­nem Tod im Jahr 1957 so etwas wie ein ehren­amtlicher Kulturbürgermeister der Stadt Calw. Über sein Wirken als Förderer der Kunst, der Kirchenmusik, der Stadtgeschichte, des Natur­und Denkmalschutzes gibt es zahlreiche Publi­kationen. Politisch war er als deutsch-nationa­ler Patriot durch und durch Demokrat, der kei­nerlei Sympathie zum 3. Reich und zu dessen Steigbügelhaltern und Trittbrettfahrern hatte. So erlebte er die Besetzung Calws durch die fran­zösischen Truppen durchaus als Befreiung, war aber dann umso mehr entsetztiber das plündern­de und vergewaltigende Treiben der vorwiegend marokkanischen Soldaten während ihrer Calwer ­Besetzungstage und über die Duldung dieser Übergriffe durch die franzö si schen B efehl shaber, die Vertreter einer Kulturnation. Es folgen auszugsweise (Lücken sind mit ... gekennzeichnet) Ernst Rheinwalds Aufzeich­nungen über die militärische Besetzung Calws im April 1945. Erstaunlich ist, dass Rheinwald den Fliegerangriff vom 20. April (dass dies ,,des Führers Geburtstag" war, erwähnte er mit keinem Wort) auf das nahe Stammheim nur an den am Nachmittag sichtbaren Rauchschwaden festmachte; Martin Brecht hingegen, der Sohn des damaligen Calwer Dekans Alfred Brecht, erinnert sich in seinem Bericht ,,Kriegsende und Besetzung in Calw 1945", dass dieser Angriff um die Mittagszeit des 20. April vom Dekanat am oberen Marktplatz aus gut zu sehen war, und fügt quasi entschuldigend hinzu: ,,Aber irgend­wie war das weit weg, und viel Kraft zu Mit­gefuhl war nicht mehr vorhanden". Ernst Rheinwald schreibt: ,,Ende Mrirz war ich noch als Vertreter des Landrats bei der Musterttng in Wildbad. Natür­lich gab es nur noch Kinder und Greise zu mustern. ... ...1n den ersten Apriltagen hriuften sich die Fliegerangrffi auf die Stadt mit Bomben und Bordwaffen... Ab Freitag 13.4. war kaum mehr Tritigkeit auf dem Amt. Die einen waren beim Volkssturm, oder sollen dazu und wollten nicht mehr; andere waren bei der Kreisleitung und warteten der Dinge, die sich entwickeln würde. ... Es erbarm­22