angekommen. Sie käme nach Neuweiler, die Männer zu deportieren. Schon bald erschienen deren Offiziere auf dem Rathaus. Zunächst mit neuen Auflagen. Unter anderem sollte der Bürgermeister den Sprengstoff herbeischaffen, den der Gemischtwarenkaufmann Gottfried Seeger für gewerbliche Zwecke in einem Schuppen außerhalb des Dorfes gelagert hatte. Es wurde Bürgermeister Hanselmann nicht erlaubt, den Schlüssel für das Lager zu holen. Er zeigte den Franzosen die vorschriftsmäßig abgeschlossene Hütte. Diese brachen die Tür auf und nahmen den Sprengstoff mit. Inzwischen hatte die Polizeitruppe begonnen, das Dorf nach männlichen Bewohnern im Alter zwischen 15 und 60 Jahren zu durchsuchen. Sie wurden gegenüber demAdler zusammen­getrieben und in die dortige Scheuer gesperrt. Bürgermeister Hanselmann wurde imAdler von einigen Offizieren verhört. Er wurde bezichtigt, Mitglied des Werwolf zu sein. Bei einer Leibesvisitation nahm man ihm sogar das Taschenmesser weg. Nach stundenlangem Verhör ging er hinaus zu den anderen Neuweiler Männern. Sie wurden von teils betrunkenen, mit Maschinenpistolen bewaffneten Soldaten bewacht. In einer Ansprache erklärte einer der Offiziere, alle Männer von Neuweiler würden nach Frankreich gebracht. Die Kommission habe Herrn Jakob Rexer zum neuen Bürger­meister der Gemeinde bestimmt. Herr Hansel­mann mußte vortreten und ihm die Schlüssel zum Rathaus übergeben. Dazu mußten alle Anwesenden die Kopfbedeckung abnehmen. Dann begann dieDeportation der Neuweiler nach Frankreich. Zunächst ging es in Richtung Berneck. Was sich unterwegs an Greisen und Jugendlichen noch blicken ließ, wurde auch mitgenommen. So ging es auch jenem Gaugen­walder, der im Wald arbeitete. Als er von weitem die Neuweiler Männer sah, wollte er genau wissen, was da passierte. Anstatt sich zu verstecken, näherte er sich der Kolonne. Das gefiel den Franzosen wieder nicht. Er mußte sich dem Zug anschließen. Verzweifelt rief er in den Wald zurück: Du Anna, sag au meiner Marie dia hem-me mitgnomma! Er durfte aber vor Berneck wieder zurück.In Berneck wurden wir in den Schulsaal gesperrt. Nach einiger Zeit fuhr ein Lastwagen vor. Wir wurden verladen. Die Fahrt ging zunächst in Richtung Neuweiler. Schon glaubten wir.... Aber es ging nach Calw zum Amtsgericht und seinem Gefängnis. Der Bürgermeister und der stellvertretende Ortsgruppenleiter der NSDAP wurden in die bereits überfüllten Gefängnis­zellen gesperrt. Dort trafen sie auf Leidens­genossen aus anderen Kreisgemeinden. Und wieder einmal wurde angekündigt: Morgen werdet Ihr erschossen! Die übrigen Neuweiler Männer mußten im Gefängnishof nächtigen. Am nächsten Morgen hielt ihnen ein französischer Offizier eine Strafpredigt. Aber er kündigte ihnen auch an, daß sie unter Beachtung verschiedener Auflagen wieder nach Hause dürften. Nur der Bürgermeister, der stellvertretende Ortsgruppenleiter und der HJ-Führer blieben inhaftiert. In diesem kritischen Moment trat der - inzwischen verstorbene- Philipp Schlecht mit hohem Mut vor die Front und bat die Franzosen: Wir wollen unseren Bürgermeister mitnehmen. Er hat nichts Unrechtes getan. Es nützte nichts. So fand dieDeportation der Neuweiler Männer nach Frankreich ein schnelles Ende. Für die Zurückgebliebenen gingen die Unan­nehmlichkeiten der Haft weiter. So mußten immer etwa 20 Häftlinge sich eine etwa 15 bis 20 qm große Zelle teilen. Nachts gab es nicht für jeden die Möglichkeit zu liegen. Dafür hörte man aus Nachbarzellen die Schreie Ge­schlagener, darunter auch Frauen. Hunger war noch das kleinere Übel jener Tage. Nach etwa 3 Wochen erhielt Hanselmann einen Ent­lassungsschein und konnte nach Hause gehen. (...) Es war ein schwieriger Neubeginn. Obwohl gegen Geld nichts zu bekommen war, war das neue Dach für das Rathaus noch ein kleines Problem. Am meisten belasteten den Bürger­meister und seine Verwaltung die auferlegten Lebensmittel- Ablieferungen. Sicher, man wußte von den Hungersnöten in den Städten. Aber wie sollte es besser werden, wenn man den Erzeugern auf dem Lande die Möglichkeit nahm, weiterzumachen? In vielen Dörfern konnte das Ablieferungssoll nur noch mit Polizeigewalt erfüllt werden. 16