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Unser Bezirk zur Zeit Napoleons I.

Ludwig XIV. hatte für seine ehrgeizigen Pläne einen ebenbürtigen Nachfolger in Napoleon I. Was jener ausgedacht und begonnen hat» das hat Napoleon in seiner despotischen Behandlung der Völker und besonders Deutschlands rücksichtslos zur Ausführung gebracht; Welt­herrscher wollte er werden; er war Imperialist im vollsten Sinn des Wortes. Bald starrte ganz Europa in Waffen. Zm Frieden von Lune- ville 1801 muhte das ganze linke Rheinufer an Frankreich abgetreten werden: Zwar erlangte der damalige Herzog von Württemberg, Fried­rich II.» durch Napoleon 1803 die Kurfürsten- und 1806 die Königs­würde; aber diese Standes- und Landeserhöhungen waren nur Mit­tel für die weitere hochfahrende Politik des französischen Kaisers. Friedrich war fest entschlossen gewesen, strenge Neutralität zu beobach­ten und den Krieg von den Grenzen seines Landes fern zu halten. Allein als Napoleon selbst in Ludwigsburg bei Friedrich erschien und diesem nur die Wahl ließ: für oder wider ihn, mußte er seine Solda­ten und sein Land Napoleon zur Verfügung stellen. Die europäischen Staaten schienen alle in Kriegsarsenale verwandelt zu werden. Schwer seufzten auch die Gemeinden unseres Bezirks, als auf den Befehl Na­poleons die Aushebung der Soldaten mit unerbittlicher Strenge durchgeführt wurde. Nagold wurde ein wichtiger militärischer Kno­tenpunkt: Waffen aller Art und Munitionsvorräte mußten daselbst angesammelt, Lebensmittel für die Heere, Heu und Stroh für die Pferde mußten in besonders dafür erstellten Gebäulichkeiten ange­häuft werden, um dann auf die verschiedenen Kriegsschauplätze wie an die durchmarschierenden Truppen verteilt zu werden. Das alte Schul­haus (in der Hinteren Gasse) wurde in ein französisches Militär- lazarett umgewandelt. Infolge des riesigen Ausmaßes der kriegeri­schen Operationen nahmen Durchmärsche, Einquartierungen, Militär­lieferungen und andere Lasten eine viel größere Ausdehnung als bisher an. Da zogen durch unseren Bezirk Truppen aller Länder: Franzosen und Portugiesen, Oesterreicher und Russen, deutsche Solda­ten aus den verschiedensten Staaten; heute kamen die Sieger, morgen die Besiegten; heute kamen Truppen, die gegen den Feind marschier­ten, morgen solche, die geschlagen waren; heute kamen Verwundete, morgen Fahnenflüchtige. Bezahlt wurde für die Verpflegung der durchmarschierenden Soldaten meistens nichts; daneben waren Miß­handlungen und Plünderungen an der Tagesordnung. Besonders schwere Ausschreitungen werden berichtet aus Gültlingen, Ober- und Untertalheim, Ober- und Unterschwandorf. Von den etwa 200 Mann, die 1812 mit nach Rußland marschierten, kamen nur wenige zurück.

Noch gewaltiger wurden die Militärlasten, als sich 1813 die euro­päischen Staaten zum Kampf gegen den französischen Tyrannen und Unruhestifter aufrafften: Da wimmelte es in unseren Städten und Dörfern von Soldaten aus aller Herren Ländern; öfters waren z. B. in Nagold nicht bloß Hunderte, sondern Tausende von Soldaten aller Waffengattungen beisammen; ja auf der Oberjettinger Höhe und