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Diese straffe Organisation, die darauf großen Wert legte, daß alle ihre Glieder „ehrsame" Meister waren, verschafften dem Handwerk einen goldenen Boden und hob dasselbe auf eine hohe Stufe der Leistung, so daß wir auch heute noch die Erzeugnisse jener Zeit bewundern und anerkennen, besonders wenn wir an die einfachen Mittel der Technik denken, auf die jene Handwerker angewiesen waren.
Ein Tag in einem Landstädtchen im 17. Jahrhundert
Noch breiten sich die Schatten der Nacht über dem Cchloßberg und über dem Städtchen. Rauhe Oktoberstürme durchtoben das Tal. Der Hochwächter auf dem Schloß tutet noch alle Viertelstunden mit seinem Horn. Der Nachtwächter schreitet nochmals durch die krummen Gaffen mit Spieß und Laterne. Die Nagold und die Waldach rauschen lauter und tosender als sonst. Zwar hat sich das Hochwasser, das in den letzten Tagen die Stadt durchflutet und das ganze Tal wie in einen See verwandelt hatte, wieder etwas gelegt; aber erst allmählich verlaufen sich die Wasser wieder. Jetzt läßt sich der „Hausprophete" hören; das Vieh in den Ställen regt sich; das Rattern der Mühlen hat eingesetzt. Der Torwächter öffnet mit hörbarem Geräusch das obere Tor; auch das untere Tor und das „Mühltörlin" öffnen sich. Der aufsteigende Rauch über den Häusern verrät, daß die Hausfrauen und die Dienstboten bereits um ihre großen, fast den ganzen Kllchenraum einnehmenden Herde beschäftigt sind, um die Morgensuppe zu bereiten. Vom Turmkranz der Stadtkirche läßt der Stadtzinkenist einen Choral ertönen. Unter der Haustüre steht der Bäckermeister mit aufgestülpten Hemdärmeln und weißem Schurz; frische Semmeln und neugebackenes Brot sind schon auf dem Brett vor seinem Fenster aufgelegt und laden die Vorübergehenden freundlichst zu geneigtem Zuspruch ein. In das Haus des Wagnermeisters daneben tritt ein Fremder mit der Mitteilung, daß in der Nacht ein Lastwagen, der von Straßburg wertvolle Waren nach Stuttgart führte, auf der Steige am Killberg stark beschädigt worden sei; der Wagner möge deshalb sofort an Ort und Stelle kommen. Nach wenigen Stunden rollt der ehrsame Meister ein neues Rad zur Schmiedwerkstätte, und wieder nach einiger Zeit fährt der Wagen mit seiner Last durch die Stadt und nimmt noch 4 Pferde als Vorspann auf die steile Oberjettinger Steige mit. Auch der Schloffermeister ist sehr geschäftig: draußen vor der Stadt an der Waldach, in der Nähe der Nikolauskapelle, befindet sich die Schießstätte, wo alle Männer bis zu 60 Jahren im Schießen mit Büchsen ausgebildet werden sollen, um nötigenfalls in der Landmiliz gegen den Feind Kriegsdienste leisten zu können. Nun hat seit längerer Zeit keine Uebung mehr stattgefunden; da aber am Abend jenes Tages wieder eine Uebung abgehalten werden sollte, hatten der Schlaffer und der Büchsenmacher Büchsen und Schießstand wieder in guten Stand zu setzen. Das Leben in und außer den Häusern ist in vollem Betrieb: Das Vieh wird an die Brunnen zur Tränke geführt; Hausfrauen und Dienstboten kommen mit ihren Kupfergelten und Holzkübeln an den