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des unteren Bades. Dort wurden sie von der Hofgesellschaft teilweise zusammen- geschossen, der Rest in die Fluten der Nagold getrieben, wo das Wild vollends erlegt wurde. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts gingen die schönen Tage von Liebenzell zu Ende. Die Badegäste blieben nach und nach säst ganz aus. Cs begann eine Zeit der Armut und des Vergeffenseins, die gegen l 50 Jahre andauerte. Das Kurhaus wurde 1755 abgebrochen, die Badewiese (seht Kurpark), auf der sich zwei Jahrhunderte fröhliche Menschen ergangen hatten, fiel jetzt wieder dem landwirtschaftlichen Betrieb anheim. Manche Schicksalsschläge mußte das Städtchen über sich ergehen lassen: fünfmal kamen die Franzosen als ungebetene Gäste und jedesmal wurde es ausgeplündert; im Dreißigjährigen Krieg 1645, während der Raubkriege Ludwigs XIV. 1688 und 1692, in den Kriegen der Revolutionszeit 1792 und 1796. Im Jahr 1785 zerstörte ein Brand, der durch die Unvorsichtigkeit eines betrunkenen Schreibers entstand, fünfzehn Häuser. I8O9 brachte die Verlegung des Oberamts neuen Verlust. Zum Amt Liebenzell hatten folgende Orte gehört: Schömberg, Unterreichenbach, Bieselsberg, Kollbach, Dennjächt, Ernstmühl, Jgelsloch, Maisenbach, Monakam, Oberlengenhardt, Schwarzenberg, Un- terhaugstett, Zainen und Tannmühl. Vom Jahr 1824 an stellten sich die Badegäste wieder ein, die Zahl der Besucher steigerte sich. Jetzt sieht man der Stadt von der langen Leidenszeit nichts mehr an. Die ehemaligen Dadewiesen wurden durch Vereinigung von Natur und Kunst zu einem prächtigen Kurpark, den König-Wil Helm-Anlagen umgewandelt, wo während der Besuchszeit die Kurkapelle ihre lieblichen Weisen ertönen läßt.
Zum Schluffe sei noch ein alter Brauch erwähnt: das Giesibel oder Gieß- hülbeln. An den Ufern des Forellensees stand ein Balkengerüst, das Ähnlichkeit mit einer Wage hatte. Diebe und andere Spitzbuben mußten sich auf die Wagschale setzen. Dann wurde am Hinteren Balken so heftig gerüttelt, daß der Missetäter zur Belustigung der zahlreichen Zuschauer in die Höhe geschleudert und kopfüberin denSee gestürzt wurde. Der Schinder zog nun den Wassermann an einem ihm um den Leib befestigten Strick wieder heraus, woraus ihm noch einigermale, je nach der Größe des Verbrechens, ein unfreiwilliges Bad verabfolgt wurde. Bei leichterem Vergehen wurde der Dieb nicht untergetaucht, sondern kam mit dem bloßen Schütteln davon.
Die Sage vom Riesen Erkinger.
„Vor vielen, vielen Jahren lebte im Nagoldtale ein gewaltiger Riese namens Erkinger. Der war ein böser Räuber und Menschenfresser. In Liebenzell ließ er sich einen starken Turm bauen, und dabei mußten die Maurer den Speis mit Wein anmachen, damit die gewaltigen Quadersteine umso fester aneinander gekittet würden. Hier in seiner Burg hauste nun Erkinger mit zwei Gesellen und brachte Furcht und Schrecken über die ganze Umgegend; denn mit besonderer Vorliebe raubte er den Bauern, wenn sie gerade Hochzeit hielten, ihre Bräute weg, schleppte diese mit sich fort in seinen Turm und fraß sie aus. Die Gebeine der Menschen, die er verzehrt, warf er immer zum obersten Fenster hinaus. Sie fielen eine gute Viertelstunde von der Burg entfernt immer auf derselben Stelle nieder, und mit der Zeit