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zeugten Stoffe konnten nicht alle in Württemberg abgeseht werden. Die frühere Bevölkerung des Herzogtums lebte fast ausschließlich vom Ackerbau, und der Landmann zog die solide Lederhose und den derberen Rock der feineren und für ihn zu kostspieligen Bekleidung mit Tuchstosfcn vor. (Die Bewohner der Bauerndörfer des Calwer Waldes sind immer noch der Tracht ihrer Vater treu geblieben.) Der größte Teil der verfertigten Ware wanderte daher ins Ausland. 1654 gingen mit der nnglücklichen Stadt sämtliche Betriebe der Zeugmacher in Flammen aus. Sie wurden wieder zweckmäßiger aufgebaut, und in kurzer Zeit war der durch den Krieg vernichtete Wohlstand wieder erreicht.
Im Jahr 1650 verbanden sich die Tuchmacher und die Färber zur sogenannten Calwer Zeughandlungskompagnie, die sich bald zum größten und bedeutendsten Handelsunternehmen im Herzogtum entwickelte und zum Mittelpunkt der würt- tembergischen Industrie machte. Die Teilnehmer — es waren deren bis zu 45 Personen — hießen „Companievcrwandtc", weil sich die Anteile durch Verwandtschaft vererbten. Jedes Mitglied hatte 15 000 Gulden Geschäftsanteil und erhielt oft bis 5 000 Gulden Reingewinn im Jahr. Die Kompagnie besaß das Vorrecht („Privilegium"), daß außer ihr innerhalb eines gewissen Bezirkes niemand die Anzugsstoffe und die Beuteltücher für die Müller fabrizieren durfte, die sie Herstellen ließ. Die Zeugmacher, auch „Knappen" genannt, durften nur an die Kompagnie abliefern. Dafür war diese aber auch verpflichtet alles anzunehmen, was ihre Arbeiter vorschriftsmäßig ablieferten. Diejenigen Gewebe, welche den Anforderungen nicht genügten, durfte die Kompagnie zurückwcisen. Sie wurden besonders gestempelt, und der Eigentümer durfte sie beliebig verkaufen, aber nur ellenweise. Die Zeugmacher hatten selbst in Zeiten der Nor einen sicheren Verdienst, jedoch war er nie besonders groß, auch gingen manche mit dem Gelde verschwenderisch um, wie es leichtsinnige Arbeiter heutzutage noch an ihrem Zahltag machen. Es herrschte deshalb stets eine Notlage unter der Zeugmacherbevölkerung besonders im Nagoldtal, wo das Einkommen nicht durch Erträgnisse der Landwirtschaft gesteigert werten konnte. Wildberg hatte zeitweise mehr Zeugweber als Calw. Im Jahr 1687 wohmen 245 Zeugmacher im Bezirk Calw, davon in der Stadt allein 198. 1787 ging ihre Zahl im Bezirk zurück auf 185, von denen 117 in Calw beschäftigt waren. Am meisten Zeugmacher lebten in Gcchingen, Dachtel, Deckenpsronn, Stammheim und Holzbronn, weniger zahlreich waren sie vertreten in Hirsau, Teinach, Liebcnzell, Alt- und Neubulach, Möttlingen, Ottenbronn, Althengstctt, Oberhaugstett und Ostelsheim. Selbst >m Amt Kirch- hcim beschäftigte die Kompagnie schon im Jahr 1645 „etliche hundert Seelen, die sich vom Spinnen nähren." Die steten Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern suchte die Regierung durch Vergleiche und Verordnungen beizu- legcn; denn wegen des Verdienstes, den die Kompagnie ms Land brachte, und der Abgaben, die ihr zuflossen, hatte jene ein großes Interesse an der Einhaltung der bestehenden Ordnung.
Die Kompagnie kaufte den Zeugmachcrn die rohen Waren ab und ließ sie in ihren Geschäftsräumen vollends fertig machen. Für feinere Arten von Geweben lieferte die Kompagnie die Wolle selbst. An bestimmten Tagen brachten die Zcug-
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