Anklage. Der Angeklagte Jakob Brösamle, verheirateter . Maurer von Unterjettingen wurde nach Verhandlung des Falles bei geschlossenen Thüren freigesprochen. Die Anklage vertrat in diesem Fall Staatsanwalt Tr. Schanz, die Verteidigung führte Rechtsanwalt Dr. Lammfromm.

Stuttgart, 26. Juni. Es besieht die Absicht, iu der evangelischen Landessynode, die zum Herbst zusammentritt, auch die Frage der württembergischen Religionsreversalien zur Sprache zu bringen. Es dürste dies geschehen durch einen Antrag auf Aust stellung eines Ministerin in evnn^elicis, ähnlich wie in Sachsen, ivo bei überwiegend evangelischer Bevölkerung die Regentenfannlie katholisch ist.

Stuttgart, 26. Juni. Se. Mas. der König mit Ihr. Kön. Hoheit Prinzessin Pauli ne haben sich heute nachmittag von Marienwahl zu längerem Aufenthalt nach Friedrichshasen begeben.

Die 51. Jahresversammlung des Württ. Haupt­vereins der Gustav-Adolf-Stiftung findet am 10. und 11. Juli in Kirchheim u. T. statt. Dienstag 10. Juli findet nachmittags 3 Uhr im Ev. Vereins­haus die Begrüßung, die Darbringung von Gaben und Angebinden, die Beratung der geschäftlichen Vor­lagen des Ausschusses und die Verteilung der Gaben statt. Abends 7 Uhr wird eine gesellige Vereinigung in der Turnhalle stattfinden. Am Mittwoch 11. Juli beginnt der Gottesdienst in der Stadtlnrche um 10 Uhr. Die Festpredigt wird Prälat v. Berg halten, aus der Diaspora (Zerstreuung) werden Pfarrer Fa- brizius von Griesheim a. Main und Pfarrer Cal­vins von Lugano Mitteilungen geben.

Friedrichshafen, 26. Juni. Der König traf mit Prinzessin Pauline um 5 Uhr 36 Min. abends zum Sommeraufenthalt hier ein, nachdem gestern abend 6 Uhr ein Extrazug die Dienerschaft, Pferde und Equipagewagen unter Führung des Stallmei­sters Major z. D. v. Scholl hierher gebracht hatte. Die Beamten und die Geistlichkeit von hier, sowie Oberamtmann Liebherr von Tettnang, die bürgerlichen Kollegien, die Schüler mit ihren Lehrern und ein zahlreiches Publikum hatten sich aus dem Bahnhof- platz zum Empfang aufgestellt.

Straßburg. Der Reichstagsabgeordnete für den 14. reichsländischen Wahlkreis, der prakt. Arzt Dr. Haas in Metz, hat seinen Sohn, der auf einem belgischen Lyzeum vorgebildet wurde, nunmehr in die französische Kriegsschule nach St. Cyr verbracht. Die Thatsache, daß der Vater dem Deut­schen Reichstag angehört, wird den jungen Mann wohl empfohlen haben, sonst hätte es mit der Aust nähme sicherlich große Schwierigkeiten gehabt. Mit Recht fragt dasStraßb. Tagebl.", wie Herr Dr. Haas diese von ihm ins Werk gesetzte, wenn auch natürlich nicht sehr wirksame Vermehrung der fran­zösischen Armee durch Hergabe seines Sohnes eigent­lich mit seinem Eide als deutscher Reichstagsabgeord­neter in Einklang zu bringen vermag. Der deutschen Langmut wird allerdings unglaublich viel geboten.

Die Einnahmen der Reichspostverwaltung für April und Mai 1894 haben betragen 43661282 Mk. oder 2 281849 Mk. mehr gegen dieselben Mo­nate 1893. Die Ausgaben ergeben für April und Mai d. I. ein Mehr von 1617 074 Mk. Der reine Ueberschuß betrug in den beiden genannten Monaten 1894: 6882 082 Mk., dagegen 1893: 6217 307 Mk., mithin für 1894 mehr 664775 Mk.

DerReichsanz." (No. 144 vom 21. Juni) ver­öffentlicht den dem Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes, betreffend Erweiterung der Unfall­versicherung, nebst Begründung. Neu ausgenom­men in den Kreis der Unfallversicherung werden hie- nach diejenigen durch ihre Berufsthätigkeit gefährdeten Arbeiter, die von den seitherigen Gesetzen noch nicht berührt worden sind. Es handelt sich dabei vornehm­lich um die gefährlicheren Betriebe im Handwerk, im Handel, in der Fischerei und in der Küstenschiff­fahrt. Ferner wird die Versicherungspflicht ausge­dehnt auf Bedienstete aller Art, in Krankenhäusern und Badanstalten, in Bildhauerwerkstätten, Labora­torien, in Rennställen, Ruder- und Segelklubs, in Reitbahnen, Theatern, in zoloogischen Gärten, auf Feuerwehrmänner, Totengräber, Turmwächter u. a. Arbeiter, die zugleich zu häuslichen Diensten verwen­det werden, werden nun für ihre gesamte Thätigkeit der Unfallversicherung unterworfen. Endlich wird die Unfallversicherung ausgedehnt auf gewisse im Reichs-, Staats- und Kommunaldienst mit ähnlichen Dienstleistungen beschäftigte Personen.

Berlin, 27. Juni. Die Morgenblätter melden aus Rom: Minister Blanc beauftragte den italie­

nischen Botschafter Reßmann, bei der französischen Regierung auf Schutzmaßregeln für die Italiener in Frankreich zu dringen. Dupuy sprach sich ent­gegenkommend aus. In Turin sind über tausend aus Frankreich flüchtende Italiener angekommen. Das Kleine Journal meldet aus Paris: Ein Kom­plice Cesarios Namens Laborie ist verhaftet worden. Vorgefundene Briefe ergaben, daß das Attentat von langer Hand vorbereitet war.

Berlin, 27. Juni. DieVoss. Ztg." veröffent­licht einen Leitartikel, betitelt Deutschland und Frank­reich", und schreibt:Keine Nation nehme an dem schweren Schicksalsschlag, der Frankreich betroffen, aufrichtigeren Anteil als die deutsche. Wenn heute die Franzosen auf Deutschland blickten, komme ihnen vielleicht der Gedanke, daß es möglich sei, auch mit Deutschland in Frieden zu leben und Freundschaft zu pflegen, um in gemeinsamer Arbeit die Errungen­schaften der Kultur gegen eine Bande von Frevlern zu verteidigen. Am Grabe Carnots sollten sich die Franzosen erinnern, daß es eine ruhmreichere Arbeit gebe als die Zurückgewinnung zweier verlorener Provinzen, die Deutschland zur Festigung der eigenen Sicherheit gebrauche.

Frankreich.

Paris, 26. Juni. Wie man hier erzählt, ist die allzugroße Güte Carnots daran schuld, daß ihn der Dolch des Meuchelmörders erreichen konnte. Der am Wagenschlag reitende Offizier wollte zu ver­schiedenen Malen die Menge am Vordrängen hindern, aber Carnot sagte ihm:Herr Hauptmann! lassen Sie doch die braven Leute herankommen" und reichte vielen die Hand. Der Mörder zog selbst den Dolch aus der Wunde, warf ihn aufs Pflaster und ver­suchte, die Flucht zu ergreifen, aber die Menge, die zuerst ratlos gewesen, stürzte ihm nach und er wurde schnell festgenommen. In dem Verhör, das der von Carnot zur Mitfahrt eingeladene Pariser Polizei­präfekt vornahm, gestand der Mörder ein, daß er von Cette gekommen sei, um den Präsidenten zu ermorden. Weitere Ausschlüsse wollte er aber nicht machen. Bei der Durchsuchung des Verbrechers fand man zwei Notizbücher, ein Messer, einen Totschläger und ein Stück Brot. Die Polizei glaubt, daß der Mörder Mitschuldige habe.

Das von den Aerzten Unterzeichnete Leichenbefund- Protokoll lautet: Die Verwundung ist eine der ent­setzlichsten, welche je gesehen wurden. Die Leber ist in einer Tiefe von 12 Centimetern vollständig durchschnitten, das große Blutgefäß ist an zwei Stellen zerschnitten, eine Rippe ist gebrochen. Die Waffe war nach ihrer ganzen Länge von 18 Cm. eingedrungen. In der Bauchhöhle wurden zwei Liter Blut vorgefunden.

Die Leiche Carnots wurde vom Präfekten des Seine-Departements, dem Polizeipräfekten und dem Kabinetschef des Präsidenten empfangen und zu Wagen nach dem Elysee gebracht. Es folgten fünf weitere Wagen; in einem derselben Frau Carnot. Im Elysee waren die Mitglieder der militärischen und zivilen Umgebung Carnots anwesend. Der Sarg wurde in dem -zu einer Trauerkapelle umge­wandelten Salon niedergesetzt. Die Feierlichkeit trug einen durchaus privaten Charakter, die Minister wohnten ihr nicht bei.

Der Ministerrat hat als Tag der Beisetzung der Leiche Carnots endgültig den nächsten Sonntag fest­gesetzt.

Paris. DerTemps" veröffentlicht folgende aus Kiel datierte Depesche des deutschen Kaisers an die Witwe Carnots:Die Kaiserin und Ich sind auf das tiefste betroffen über die schreckliche Nachricht, welche Wir von Lyon erhalten. Seien Sie überzeugt, Madame, daß Wir mit Unserer vollen Sympathie, mit allen Unseren Gefühlen in diesem Augenblick bei Ihnen und Ihrer Familie sind. Möge Gott Ihnen die Kraft verleihen, diesen furchtbaren Schlag zu ertragen. Seines großen Namens würdig, ist Herr Carnot wie ein Soldat auf dem Felde der Ehre gestorben. Wilhelm I. U,"

Paris, 26. Juni. Carnot ist ini Elysee auf einem Katafalk aufgebahrt; zwei Nonnen beten die Totengebete und zwei Polytechniker halten mit gezo­genen Säbeln die Leichenwacht.

Lyon, 26. Juni. Eine Proklamation des Bür­germeisters besagt, daß unter dem Vorwände, ihren Patriotismus zu bekunden, Uebelthäter an verschiede­nen Punkten der Stadt Akte des Vandalismus und der Plünderungssucht begangen hätten. Diese Leute

müßten als gemeine Verbrecher betrachtet und bestraft werden. Die Proklamation fordert alle Bürger auf, solche schmählichen Handlungen nicht zu dulden, viel­mehr die Behörden bei ihrer Bekämpfung zu unter­stützen.

Paris, 27. Juni. In einer von der demokra­tischen Linken veranlaßt«» Versammlung aller Republi­kaner entstand ein Handgemenge. Die Teilnehmer schlugen mit Urnen auf einander los und bearbeite­ten einander mit Faustschlägen. Der Lärm dauerte zehn Minuten. Viele Senatoren entfernten sich em­pört. Das Ziel der Sozialisten und der äußersten Linken, eine Abstimmung zu verhindern, war damit erreicht.

Paris, 27. Juni. Bei der Versammlung der drei republikanischen Senatsgruppen, wobei 179 Se­natoren abstimmten, erhielt Casimir Perier 144, Du­puy l5 Stimmen.

Während in Frankreich allen ernsthaften Leuten neben der Trauer um Carnot nur das Wohl des Vaterlandes und die Zukunft Frankreichs am Her­zen liegt, hält der Pöbel, der bei außergewöhnlichen Fällen in Frankreich ja immer eine große Rolle ge­spielt hat, die Gelegenheit für günstig, sich wieder einmal n tont prix recht tüchtig auszutoben. Die armen Italiener, die für die nichtswürdige Schand- that Cesarios so wenig können, wie jeder einzelne andere Ausländer oder Franzose, müssen herhalten, und so hat sich denn eine regelrechte Jtalienerhetze entwickelt. Wer kein festes Hab und Gut in Frank­reich hat, der hat wohlweislich die Flucht ergriffen und dem gastlichen Frankreich den Rücken gekehrt; anders aber ist es mit jenen Aermsten, die neben einem italienischen Namen, einen Laden oder ein Restaurant besitzen. Sie sind trotz allen militärischen Schutzes und aller Ermahnungen der Blätter zur Ruhe in ernstester Gefahr. In Lyon dauert die Plünderung der italienischen Spezereiwarenhandlungen fort. Auf dem Cours Lafayette wurde ein Maga­zin geplündert; 30 Ruhestörer wurden verhaftet, im ganzen sind gegen 2000 Verhaftungen vorgenommen worden, von denen ein Viertel nicht aufrecht gehalten wurde. Augenblicklich ist die Stadt ruhig.

Lyon, 27. Juni. Die Stadt ist ruhig, die Straßen sind noch von Truppen besetzt. Ein Viertel der Verhafteten ist freigelassen. Man glaubt, daß die Ruhestörungen beendigt sind.

Versailles, 27. Juni. Die Zugänge des Kon­greßsaales werden durch strengste Maßregeln freige­halten. Polizeibeamte halten die Straßen besetzt. Die Gambettastraße, wo der Kongreßsaal liegt, ist für den Wagenverkher vollständig gesperrt. Die Trup­pen sind konsigniert, der Bahnhof ist besetzt durch eine Abteilung des Pionierregiments. In der heute stattgehabten Plenarversammlung der Linken in dem Varietetheater waren 100 Deputierte anwesend, vor­wiegend Radikale. Der vom Vorsitzenden Verninac vorgeschlagenen Kandidatur Brisson wurde einstimmig zugestimmt. Das Bureau der Versammlung erhielt die Vollmacht, in Zwischenfällen auf dem Kongreß nach Umständen vorzugehen. Challemel Lacour eröffnet um 1 Uhr 10 Minuten den Kongreß. Er­weist auf das traurige Ereignis, welches den Zusam­mentritt desselben nötig machte, hin, und fordert zur Abstimmung auf. Das mehrseitig verlangte Wort wird verweigert. (Es ist eben jede Erörterung, jeder Antrag ausgeschlossen. Der Kongreß aus 300 Sena­toren und 584 Abgeordneten, im ganzen aus 884 Mitgliedern bestehend, hat nicht das Geringste weiter zu thun, als zu wählen.) Darauf folgte der Auf­ruf der Mitglieder, Casimir Perier ist abwesend.

Versailles, 27. Juni. Der Kongreß wählte im ersten Wahlgang Casimir Perier mit 451 von 853 Stimmen zum Präsidenten der Republik.

Marseille, 26. Juni. Ein Volkshaufe griff das ital. Hotel Liguria, sowie die große ital. Öel- fabrik Verminza, mit Steinen an. Mehrere Fuhr­werke, welche von ital. Kutschern gelenkt wurden, wurden saint diesen in das Meer geworfen.

Lille, 26. Juni. In vergangener Nacht ver­anstalteten Studenten eine feindliche Kundgebung gegen die Italiener, llnter den Rufen:Es lebe die Armee und Frankreich! Nieder mit Crispi! Tod den Italienern!" erstürmten und zerstörten sie eine italienische photographische Anstall an der Nalional- straße.

Casimir Perier, der neugewählte Präsident der französischen Republik ist im Jahr 1847 in Paris geboren. Sein Vater, der Bankier Casimir Perier,