Zweites Blatt.

Der Gesellschafter.

Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts-Bezirk Nagold.

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Erscheint wöchentlich 3mal: Dienstag, Donners­tag und Samstag, und kostet vierteljährlich hier (ohne Trägerlohn) 8V 4, in dem Bezirk 1 außerhalb des Bezirks 1 20

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Samstag 14. November.

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1891

Gestorben: In Freudenstadt, Otto Wagner, Kauf­mann und Gewerbebankkassier, 36 I. alt.

Hages-WeuigkeiLen.

Deutsches Weich.

Stuttgart, 9. Nov. Der Buchdruckerstreik hat mit dem heutigen Tag seinen Anfang genommen. Der Union ist es gelungen, von auswärts 30 Ersatz­gehilfen zu erhalten. Man hofft, mit ihnen die not­wendigsten Arbeiten fertigstellen zu können. Ebenso ist es auch vielen anderen Druckereien gelungen, teil­weise Ersatz zu finden. In Vaihingen a. F., wo­hin heute nachmittag ein gemeinsamer Ausflug (!) der Streikenden mit Angehörigen stattfindet, wird Bierbrauereibesitzer Leicht 1000 Liter Bier regalieren. Einige hiesige Wirtschaften, darunter die Brauerei Dinkelacker verabreichen das Bier um 10 Pfennig an die Streikenden.

Stuttgart, 10. Nov. Im Feuerbach-Tun- nel wurde heute mittag ein Bremser aufgefunden, welcher von einem Schnellzug herabgefallen war; beide Füße des Unglücklichen waren unterhalb des Knies abgefahren. Nach einem in Feuerbach ange­legten Verband wurde der Verunglückte um 5 Uhr hierher transportiert. Der Verunglückte, Namens Diem aus Ulm, ist heule früh seinen schweren Ver­letzungen erlegen.

Stuttgart, 1l. Nov. Auf beiden Seiten, auf Seiten der strickenden Buchdrucker und auf Seiten der Prinzipale sieht man dem Ende der Bewegung mit Siegesgewißheit entgegen. Die Strickenden be­haupten den Strike vermöge ihrer Mittel 67 Wochen (?) aushalten zu können; als Losungswort ist jetzt die Parole ausgegeben worden, die Verring­erung der Arbeitszeit bezwecke, den geschäftlos herum­wandernden Kollegen Stellung zu verschaffen. Alles in allem leben die Strikenden bis jetzt in äuloi jubilo, aus den Wirtschaften tönt freudiger Gesang und an den Biertischen wird aller möglicher Schabernak ge­trieben. Die Prinzipale ihrerseits, wenigstens die­jenigen, die die Forderungen abgelehnt haben, haben ebenfalls einen Ring geschlossen und eine ziemlich hohe Konventionalstrafe festgesetzt für den Fall des Bruchs, besonders widerwärtig erscheint das Beneh­men etlicher hiesiger und benachbarterBierbrauer, welche als völlig Unbeteiligte die Strikenden mit Geldgaben, 500 und 200 Mark, und Freibier regalieren. Die Prinzipale, welche übrigens gegenwärtig stetigen Zu­zug aus Oestreich erhalten, sind von ihrem Sieg überzeugt.

Wegen zu niedrigen Wasserstandes mußte die Schifffahrt auf dem Neckar eingestellt werden.

In derlllmer Schnellpost" veröffentlicht V. H. Welker, Vorsitzender der deutsch-sozialen Partei Würt­tembergs und des schwäbischen Bauernvereins fol­gendes: DieUlmer Schnellpost" ist von heute ab Organ derdeutsch-sozialen antisemitischen Partei" Württembergs und des schwäbischen Bauernvereins.

Hall, 12. Nov. In einer zahlreich besuchten Versammlung der Deutschen Partei wurde beschlossen, auf dir Aufstellung eines eigenen Reichstagskandidaten zu verzichten.

Die angebliche Erschießung eines Marinesnldaten in Köln wird von derKölnischen Zeitung" de­mentiert, von einem anderen Blatt wieder bestätigt.

Berlin, 10. Nov. Vor den großen Bankge­schäften in der Leipzigerstraße entstanden infolge massenhafter Depot-Rückforderungen große Menschen­ansammlungen. Die aufgebotene Schutzmannschaft

konnte nur mühevoll einen ordentlichen Eintritt des Publikums in die Geschäfte aufrechterhalten, wo an­dauernd Rückzahlungen erfolgten. Auch gegen an­dere Banken fand Andrang statt, es wurde densel­ben nach den bisherigen Meldungen überall begegnet.

Wie eine Berliner Lokal-Korrespondenz erfährt, soll auch Geheimrat Professor Dr. Koch mit einem Depot von 300 Ol 0 bei dem Zusammenbruch der Firma Wolfs beteiligt sein.

Der frühere sozialdemokratische Abgeordnete Has­selmann, der neuerdings zu den Anarchisten über­gegangen ist, soll aus Amerika, wohin er sich nach seiner Ausweisung auf Grund des Sozialistengesetzes begab, nach Deutschland zurückkvmmen. Die sozial­demokratische Opposition in Berlin sammelt Geld, Hasselmann die Heimkehr zu ermöglichen.

Was der Streik kostet, dafür sind die fol­genden Thatsachen charakteristisch. Nach der Fest­stellung, welche von der Kommission der Buchdrucker­gehilfen in Berlin vorgenommen wurde, haben von den ohne Kündigung beschäftigten Setzern 818. von den mit Kündigung angestellten 700 die Arbeit niedergelegt. Zu diesen 1518 ausständigen Setzern kommen noch 295 Hilfsarbeiter bezw. Hilfsarbeite­rinnen hinzu. Die Setzer werden wöchentlich mit 21 Mark, die Hilfsarbeiter mit 1214 und die

Hilfsarbeiterinnen bis zu 10 ^ aus der Verbands­kasse unterstützt. Die Summe, welche für Unterstü­tzungen allein in Berlin nötig ist, beläuft sich also auf rund 40 000 wöchentlich. Dazu kommen dann noch die Kosten für die Agitation rc. Aehnlich steht das Verhältnis in Leipzig. Dort sind aus­ständig nach demVorwärts" 1400 Gehilfen und 600 Hilfsarbciteriunen; auch dort beträgt also die wöchentliche Unterstützung nahe an 40 000 In diesen zwei Städten kostet also der Streik in einer Woche nahezu achtzigtausend Mark. Für Leipzig dürfte sich aber die Summe deshalb vielleicht noch höher stellen, weil nach den sozialistischen Blättern bereits vor Ausbruch des Streiks dort 500 Gehilfen entlassen worden waren, die natürlich auch unter­stützt werden müssen.

Wie Berliner Blätter vernehmen, soll es im Plan der Heeresverwaltung liegen, in Zukunft zu den Uebungen der Reserve und Landwehr mehr Mannschaften des Beurlaubtenstandes heranzuziehen als bisher. Die Absicht ginge dahin, außer den besonderen Uebungsklassen wie Offiziersaspiranten, ehemaligen Einjährig-Freiwilligen, welche nicht Offi- ziersaspiranteu sind, Volksschullehrern rc., durch­schnittlich jeden Mann im Reserve- und Landwehr­verhältnis je eine Uebung von 13tägiger Dauer durchmachen zu lassen.

Was die Uebersicht der Etatsstärke des deutschen Heeres anbelangt, so zählt Preußen mit den dazu­gehörigen Kontingenten anderer Bundesstaaten 15990 Offiziere, 45209 Unteroffiziere, 771 Zahl- meister-Aspiranten. An Spielleuten 4454 Unteroffi­ziere, an Gefreiten und Gemeinen 306 683, Lazaret- gehilfen 2616, Oekonomiehandwcrker 6292, überhaupt 376841; Militärärzte 1420, Zahlmeister, Militär. Musikinspizienten, Luftschiffer 695, Roßärzte 437, Büch­senmacher und Waffenmeister 662, Sattler 73, Dienst­pferde 73795. Für Preußen, Sachsen, Württem­berg und Bayern zusammen werden gezählt 20524 Offiziere, 58446 Unteroffiziere, 989 Zahlmeister­aspiranten. An Spielleuten 5645 und 10088 Ge­meine. Ferner Gefreite und Gemeine 395666, La- zaretgehilfen 3782, Oekonomiehandwerker 8817, über-

Haupt 486983, Militärärzte 1837; Zahlmeister, Mi- litär-Musikinspizienten, Luftschiffer 893, Roßärzte 559, Büchsenmacher und Waffenmeister 855, Sattler 93, Dienstpferde 93750.

Eine für den Mobilmachungssall wichtige Aen- derung in der Beförderung der Reservisten und Land­wehrmänner ist getroffen worden. Während nach den bisherigen Bestimmungen die zur Mobilmachung einzuberufenden Mannschaften auf Grund ihres Ge­stellungsbefehles bei ihrer Orlsbehörde die Mrrsch- gedührnisfe vor der Abreise in Empfang nehmen mußten, empfangen dieselben ihre Gebühren jetzt bei demjenigen Truppenteil, bei welchem sie sich zu stellen haben. Ferner ist es im gegebenen Fall nicht mehr notwendig, daß die Mannschaften des Beur­laubtenstandes an den Bahnhofkassen auf Grund ihres Gestellungsbefehls Fahrkarten lösen, dieselben können vielmehr in jedem nach dem Militärfahrplan abgehenden Zug ohne weiteres einsteigen und werden auf Grund ihres Gestellungsbefehls bezw. ihrer son­stigen Militärpapiere nach ihrem Gestellungsort be­fördert.

Zu den Bankzusammenbrüchen in Berlin bringt dieVoss. Ztg." folgende scharfe aber treffende Zeilen:Nicht diejenige Presse verfehlt ihre Auf­gabe, welche die Hand in die Wunde legt, sondern diejenige, welche offenbare Mißstände zu beschönigen sich bemüht. Mit der künstlichen Unterhaltung der Vertrauensseligkeit konnte man vielleicht einige wan­kende Bankhäuser noch eine Zeit lang stützen, aber auf Kosten von zahlreichen Familien, an deren Er­sparnissen der Schwnß ihrer Hände klebt. Wie viele Menschen sind nicht durch das Geschäftsge- bahren der jetzt gefallenen Bankhäuser um den Preis eines mühevollen arl eitsreichen Lebens betrogen worden! Nur zu lange war in manchen Kreisen die ungemessene Steigerung der Lebenshaltung Gesetz und Brauch; freilich ist es schwer, Feste zu geben, welche viele Tausende verschlingen, Reitpferde zu halten und üppige Salons zu errichten, wenn man die Kosten aus der Kasse ahnungsloser Kunden be­streitet? Geld war der Maßstab aller Dinge ge- worden, und wer sich mit bescheidenem Einkommen begnügen mußte, der wurde trotz höherer Bildung und würdiger Amtsstellung über die Achsel angesehen; konnte man doch für Geld auch Band und Stern und Wappenschild erwerben! Wenn jetzt ein reini­gendes Gewitter herunterfährt, so wird die Arbeit wieder zu ihrer Geltung kommen, und man wird wenigstens eine Zeit lang in Verschwendern, welche maßlos prassen, nicht beneidenswerteSpitzen" der Gesellschaft sehen, sondern Katilinarier, welche einem traurigen Verhängnisse zutreiben. Es mag sein, daß unter dem herrschenden Mißtrauen ein Unschuldiger mit dem Schuldigen leidet und daß derrun", der plötzliche Ansturm auf die Kassen, auch ein gutes Bankhaus gefährden kann. Aber auf einenrun" mußten sich, nicht erst seit dem Sturze des Hauses Baring, sondern seit dem Beginn der wirtschaftlichen Krisis allmählich alle Bankhäuser vorbereiten. An­gekündigt hatte sich die Verbreitung des Mißtrauens oft genug; es knüpfte hier an den Gubener Gründer­prozeß, dort an den Epprndorfer Schwindel an. Daß nach einer wilden Gründungs-Aera der Rück- schlag nicht ausbleiben werde, ist oft vorausgesagt und von jedem Geschäftsmann empfunden worden. Di Presse hat um so weniger die Aufgabe der Schönfärberei, als sich die Bürger gegen Depotsdiebe schwer zu schützen vermögen. Daß aber nicht auf