Oeh rin gen, 20. Oft. Die alte Linde zu Neuenstadt a. K. ist nun um einen historischen Moment reicher geworden. Wegen Umbaus der dortigen Kirche wurde am vergangenen Sonntag der Trauergottesdienst für den verstorbenen König Karl unter ihren Zweigen abgehalten.
Oehringen, 20. Okt. Eine unerhörte Unterschlagung bildet hier das Tagesgespräch. Kaufmann Metzger. Agent bei der Württ. Sparvereins- Kasse, hat dieselbe um ca. 6000 ^ betrogen. Auch in Pflegschaftssachen,soll derselbe sich größere Betrügereien zu Schulden haben kommen lassen.
Aus München kommt die Meldung, daß die Handelsvertragsverhandlungen mit Italien in etwa 3 Wochen zum sicheren Abschluß gelangen werden. Italien gebe jetzt nach.
Köln. 23. Okt. Russische nach Westpreußen kommende Flößer erzählen laut „Köln. Ztg." grausige Schilderungen von dem in Rußland herrschenden Notstände. Am oberen Stromgebiet des Don, Wolga, Watluga, Wjatka, Sura seien Tausende dem Hungertyphus erlegen. In großen Zügen wandern die Leute nach anderen Gegenden aus, wobei viele umkommen. Die südrussischen Gouvernements Kasan und Astrachan werden hierdurch übervölkert, bis in den Kaukasus flüchtet man. Die Truppen werden teilweise aus den notleidenden Gegenden zurückgezogen.
Wiesbaden, 22. Okt. Der russische Minister des Aeußern, Herr v. Giers, ist mit seiner Gemahlin, Tochter und Sohn heute nachmittag hier angekommen.
Hamburg, 19. Okt. Auf dem gestern von Afrika eingetroffenen Dampfer „Akaffa" starben während der Herfahrt 12 Mann der schwarzen Besatzung am Fieber. Auf dem ebenfalls nach Hamburg bestimmten Dampfer „Afrika" sind auf der Fahrt von Banani nach Boni von 27 Passagieren 17 am Fieber gestorben.
Die „Hamb. Nachr." wenden sich gegen die zweijährige Dienstzeit, da diese eine persönliche und finanzielle Mehrbelastung für das Volk sein würde. Dazu bemerkt das Blatt: Die an maßgebender Stelle gefaßten Entschlüsse hinsichtlich der Einführung der zweijährigen Dienstzeit werden innerhalb Jahresfrist den gesetzgebenden Instanzen unterbreitet.
Der Kaiser hat sich als Geburtstags-Ueber- raschung für die Kaiserin den Vollbart abnehmen lassen.
Der „Mg. Reichscvrr." zufolge wird die längste Fernsprechverbindung Berlin-Danzi g-Königsberg von 589 Km. im nächsten Frühjahr ausgeführt.
Berlin, 22. Okt. Der freisinnige Reichstagsabgeordnete Dr. Bamberger nimmt an dem Friedenskongreß in Rom teil.
Berlin, 23. Oktober. Die gestrige Buchdruckergehilfenversammlung war von 3500 Personen besucht ; dieselbe beschloß, den Kollegen die Kündigung des Arbeitsverhältnrsses auf 24. Oktober zu empfehlen, ferner die Festsetzung der Lohn- und Arbeitsverhält- nisfe dem Vorstande des Unterstützungsvereins deutscher Buchdrucker zu überlassen. Auch aus Wien war ein Vertreter in der Versammlung anwesend. — Aus Leipzig wird gemeldet: Eine Versammlung der Hilfsarbeiterinnen in den Buchdruckereien beschloß, gleichzeitig mit den Buchdruckergehilfen zu kündigen.
Ebenso wie aus Berlin wird auch aus Breslau, Leipzig, Hamburg, Königsberg, München, Nürnberg, Augsburg rc. gemeldet, daß Buchdruckerversammlungen beschlossen hätten, am 24. Okt. zu kündigen und die Einführung der neunstündigen Arbeitszeit zu fordern. Die Bewegung ist eine einheitliche und dürfte sich über den größten Teil Deutschlands ausdehnen.
Die neuen Handelsverträge. Wie verlautet, steht der Abschluß der Handelsverträge Italiens mit Deutschland und Oesterreich unmittelbar bevor.
Krltrrreich-Ungarn.
In Mayerling ist am Dienstag die dem Andenken an das Ende des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich gewidmete, neu errichtete Votivkapelle ein- geweihl worden. Im Beisein des Kaisers wurde daselbst die erste Messe gelesen.
Pest, 23. Okt. Die Stadt Sovar steht in Flammen. Ein schrecklicher Sturmwind verursachte große Ausdehnung. Mehrere Straßen sind bereits nicdergebrannt.
Frankreich.
Paris, 20. Okt. Der Chemiker Berthelot zeigte gestern seinen Kollegen in der Akademie der Wissenschaften eine Reihe schöner Muster eines neuen Silbers, welches man für Gold halten könnte. Dieses
gelbe Silber wurde von Carre durch die Behandlung von jSilbersalzen mit Eisenzitrat erreicht. Man verspricht sich davon viel für ein neues Vergoldungsverfahren. Ferner erklärt sich daraus, wie Berthelot in einem Vortrage entwickelte, wie gewisse Alchy- misten behaupteten, sie können Silber in Gold verwandeln.
Spanien.
Madrid, 22. Okt. Das Oberthal des Guadiana ist vollständig überschwemmt. Die Nebenflüsse stiegen in der Nacht 4 m, zahlreiche Leichen, Häuser und Vieh mit fortreißend. Die ganze Ebene steht unter Wasser. Biele Ortschaften sind bedroht; sie sind, von Wasser umgeben, hilflos, ohne Lebensmittel. Die Verkehrsverbindung ist vollständig unterbrochen.
Italien.
Rom, 20. Oktbr. Der Ausbruch des Vulkans auf der Insel Pantelleria ist äußerst heftig und im Zunehmen begriffen. Der Hafen von Maddalena ist bedroht.
Rom, 23. Oktober. Der P ap st richtete ein Schreiben an den Erzbischof von Aix, worin er dessen Vorgehen gegen die Regierung billigt.
England.
London, 19. Okt. Reuter meldet aus Tentsin: Beunruhigende Meldungen über das Vorgehen der russischen Expedition nach Pamir gelangen noch immer nach Peking. Der chinesische Gesandte in Petersburg erhielt Instruktion, von der russischen Regierung über die Anwesenheit russischer Truppen in den chinesischen Gebieten Auskunft zu fordern.
London, 23. Okt. Depeschen aus den Provinzen melden andauerndes Hochwasser infolge von Regengüssen; namentlich in Westengland stehen Tausende von Negern unter Wasser. Gutsbesitzer und Pächter sind schwer geschädigt. Auch das Themse- Thal ist teilweise überschwemmt.
Zu den englischen Eigentümlichkeiten gehört es auch, daß sie Honig aus allen Blumen zu saugen verstehen. Während der letzten Unruhen in China war bekannt geworden, daß ein Engländer Mason den Rebellen Waffen und Munition geliefert hat. Dieser Ehrenmann ist jetzt festgenommen und zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Seine Freunde versuchen, ihn frei zu bekommen. Hoffentlich nützt es nichts.
Rußland.
Petersburg, 23. Okt. Nach einer Meldung aus Rybinsk geriet gestern morgen 3 Uhr unweit des Orts aus der Wolga ein Paffagierdampfcr in Brand, wobei sieben Menschen umgekommen sein sollen. Nähere Einzelheiten fehlen.
Am 1. Januar betrug die Summe aller Steuerrückstände im europäischen Rußland 56 Millionen Rubel, wovon merkwürdigerweise fast ^/, auf 9 Gouvernements fallen, welche durch ihre Schwarzerde sehr fruchtbar sein könnten. Es ist eben die Mißwirtschaft, welche diese Gegenden heruntergebracht hat und dieselben Gouvernements gehören natürlich in diesem Jahre zum Notstandsgebiete.
Russische Zeitungen beschweren sich darüber, daß eine Musiklehrerin aus Kiew, welche schon 16 Jahre in Berlin gelebt, plötzlich von dort ausgewiesen sei. (Wird, wenn wahr, seinen berechtigten Grund haben.)
Der Großfürst Michael, welcher wegen nicht standesgemäßer Heirat verbannt war, soll begnadigt sein.
Nach angeblich zuverlässigen Berichten wurden in Kiew 170 Studenten verhaftet und davon etwa die Hälfte nach Petersburg, die andere in ihre Heimatsorte geschickt. Außer in Moskau ist auch in Cherson eine nihilistische Druckerei entdeckt. In mehreren Städten Südrußlands sind nihilistische Anschüsse aufgehoben.
Triest, 21. Okt. Der „Mattino" meldet aus Salonichi, daß die Räuberbande, welche in der Um- gegend der Stadt zahlreiche Personen gefangen und nur gegen Lösegeld freigelassen hatte, durch die Energie des neuen Gouverneurs Sechdi Pascha aufgehoben wurde. Der Hauptmann der Bande, der Iierüchtigte Bandit Vafilo und vier Personen wurden getötet, zahlreiche andere verhaftet. Die Eisenbahnlinie ist noch militärisch bewacht.
Amerika.
Unweit Mingo (Ohio) stießen am letzten Samstag zwei Personenzüge zusammen. Zehn Personen
wurden getötet, viele verletzt. Die Wagcntrümmer gerieten in Brand und die Leichen verbrannten.
Kleisere Mittettusze«.
Freudenstadt, 17. Okt. In dem Ortsarrest in Baiersbronn erhängte sich heute nacht ein daselbst untergebrachter, aus Bayern gebürtiger Handwerksbursche.
Cannstatt, 17. Okt. In den Weinbergen beim Kappelwalde wurden Dachse erlegt, welche die nahen Weinberge gründlich ausgeplündert hatten.
Riedlingen, 19. Okt. Gestern mittag ereignete sich bei dem Leichenzuge des verstorbenen Goldarbeiters Weltin der schauerliche Unfall, daß einer der Sargträger — Namens Wilhelm Braun — vom Schlage getroffen umsank und sofort tot war.
Hechingen, 21. Okt. Gestern wurden hier im Zwangswege und in Gegenwart ziemlich vieler Kauflustiger 2 Pferde für zusammen 15 ^ verkauft. Jedenfalls ein Paar edle Rosse.
Dettingen, 19. Okt. Im Laufe des gestrigen Abends und der Nacht erkrankten die Glieder der Familie eines Webers hier in der Fuchsgasse infolge von Vergiftung. Es wird vermutet, daß die Vergiftung durch den Genuß von Kirchweihkuchen stattgefunden hat. Ein noch schulpflichtiger Knabe foll bereits gestorben sein. Die gerichtliche Untersuchung dürfte in Bälde Klarheit in diesen tragischen Fall bringen.
Eichstetten, 17. Okt. Heute früh wurde hier eine furchtbare blutige That begangen. Bierbrauer Heinzmann, ein 28jähriger hiesiger Einwohner, erschoß zwischen 6 und 7 Uhr erst seine etwa 4 Jahre jüngere Ehefrau und sodann sich selbst.
Heidenheim, 19. Okt. Die Staaren sammeln sich in Scharen von Tausenden. Merkwürdig ist, wie diese Scharen die Schafherden auf den Weiden aufsuchen und sich auf diese friedlichen Tiere setzen. Fünf und noch mehr Staren kann man auf einem Schaf sitzen sehen. Sobald das Schaf weidet und dabei Pflänzchen losreißt, wodurch Würmer und andere kleine Tierchen zum Vorschein kommen, Hüpfen die Staren von ihrem wolligen Standpunkt herunter und sättigen sich.
Bon der badischen Grenze, 17. Okt. Daß auch der Apfelmost, wenn zu reichlich genossen, Streiche spielen kann. mußte Ratsschreiber G. in
.erfahren. Am Sonntag nacht vom Ochsen,
wo er bis 1l Uhr gesessen, heimkehrend, wollte er, wie schon öfters, wenn er den Hausschlüssel vergessen, in sein ebenerdig gelegenes Schlafzimmer einsteigen» geriet aber an das zunächst gelegene Küchenfenster, wo er einstieg und in der Dunkelheit an eine mit Wäsche gefüllte große längliche Kufe geriet, die er im Dusel für das Bett hielt, sich entkleidete, hineinlegte und sofort einschlief. Als die Wäscherinnen morgens 4 Uhr mit ihrem Tagwerk beginnen wollten und den entkleideten schlafenden Mann, den sie nicht gleich erkannten, entdeckten, gab es einen Höllenlärm. G. wird wohl noch oft mit diesem Abenteuer gefoppt werden.
Bettlerfrechheit. Wie weit die Frechheit mancher „armen, reisenden Handwerksburschen" geht, welche fechtend durchs Land ziehen und jeder Arbeit sorgfältig aus dem Weg gehen, mag folgender Vorfall wieder einmal illustrieren. In einen Bäckerladen in Berlin tritt ein vierschrötiger, von Gesundheit strotzender „armer Reisender" ein und bittet gar beweglich um einen Zehrpfennig, weil ihn gar so hungere. Die mitleidige Bäckerfrau erklärt nun dem Bittsteller, daß sie ihm zwar nicht bares Geld, wohl aber einen Gutschein auf die Arbeiterkolonie geben könne, wo er gegen Arbeitsleistung eine recht gute Verpflegung erhalten werde. Der Bursche macht eine wegwerfende Geste: „Wenn Sie mir kein Geld geben wollen, so erzählen Sie mir auch keine Geschichten; mit der Arbeiterkolonie aber lassen Sie mich ja in Frieden!" Empört ruft die Frau: „Sie sagen, daß Sie hungrig sind, aber es ist wirklich eine Schande, daß ein so gesunder, kräftiger Mensch nichts thun will, um sein Brot zu verdienen. Warum arbeiten Sie denn nicht?!" „Aber Madamchen, regen Sie sich doch nicht auf, wenn ich arbeite, da bekomme ich ja noch mehr Hunger!" Sprach's, warf die Thür dröhnend ins Schloß und schritt stolz seiner Wege.
Er läßt sich nicht verblüffen. Der alte Schullehrer T. in M. läßt sich nicht verblüffen, auch vor dem Herrn Schulinspektor kommt er nie aus der