Amts- und Intelligenz-Blatt für den Overamts-Bezirk Nagold.

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Donnerstag 17. September

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1891

Gestorben in Amerika: Johann Hensler aus Pfalzgrafcnweiler, 29. I. a.. in Philad. Pa.

Die deutsche Arbeiterschaft vor 25 Jahren und heute.

Wenn heute in Wort und Schrift von Personen, die oft kaum das eigentliche Mannesalter also dreißig Jahre, erreicht haben, behauptet wird, daß unsere gesamten Zustände derartig beschaffen sind, daß es keine andere Rettung für die Menschheit giebt, als eine vollständige Umwälzung und Umleh­rung alles Bestehenden, dann muß wieder und immer wieder darauf hingewicsen werden, daß eigentlich niemand über das Heute zu sprechen sich anmaßen soll, der das Gestern nicht als denkender Mensch miterlebt hat. Das Warum? liegt nahe! Es ist kinderleicht, zu sagen, allcö, was ist, taugt nichts, die Welt muß verbessert werden! Dabei wird dann eben außer Acht gelassen, oder, besser gesagt, absichtlich verschwiegen, daß diese heute angestrebte Besserung schon seit langen Jahren ununterbrochen andauert, und daß besonders in den letzten fünfundzwanzig Jahren die bezüglichen Fortschritte außerordentlich große gewesen sind. Wer die Zustände aus den jcchziger Jahren nicht kennt, der darf auch nicht behaupten, daß es henke nicht zum aushalten ist. Bor allem ist in den icptcn fünfundzwanzig Jahren die industrielle deutsche Arbeiterschaft erst geschaffen, wenigstens hat der KbrperArbeiterschaft" in dieser Zeit erst sein festes Rückgrat bekommen. Vor einem Vierteljahrhnndert bestand schon eine deutsche Indu­strie, aber sie ist mit dem, was sich heute bietet, absolut nicht zu vergleichen. Die Löhne waren ganz erheblich niedriger, und cs ist eine grundfalsche An­sicht, zu sagen, daß damals nun auch alles spottbillig war. Mit Nichten! Sehr viele Produkte waren damals teurer, als heute, andere wohl billiger, auch die Wohnungsmieten standen nicht im Verhältnis zu den heutigen, aber die folgende Thatsache steht ganz unumstößlich fest: Vor fünfundzwanzig Jahren konnte kein Industriearbeiter so leben, seine Wohnung so einrichten, wie heute Hundertlausende. Man wirt­schaftete damals nicht sparsamer, weil die Sparsam­keit noch mehr den Leuten in Fleisch und Blut steckte, als heute, man war sparsamer, weil man nicht so viel Geld zum ausgeben hatte, wie heute. Was ist heute eine Mark? Vor fünfundzwanzig Jahren fiel das Achtgroschen-Stück schon sehr ins Gewicht. Man konnte damals manches, was zum Lebensunterhalt diente, billiger kaufen, aber so gut zu leben, wie heute, das war unmöglich. In Küche und Wirtschaft herrschten ganz andere Prinzipien, und selbst im Bürgerstand lebte man auch nicht entfernt so, wie heute. Not bestand damals wie heute, und momentan liegen ja nun ausnahmsweise hohe Schwierigkeiten vor, aber rechnen wir im Durchschnitt alles zusammen, unbestreitbar bleibt für jeden, der die früheren und der die heutigen Verhältnisse kennt, es ist viel, viel besser geworden, was die soziale Lebenslage betrifft. Wünschenswert wäre es ja freilich gewesen, unter dieser Besserung hätte die frühere Einfachheit und Bescheidenheit. Treue und Wahrheit nicht gelitten. Aber in dieser Hinsicht haben sich alle Gesellschasts- klaffen im letzten Vierteljahrhundert geändert, und nicht blos eine, und darum sollen auch nicht einer Vorwürfe gemacht werden.

In den letzten fünfundzwanzig Jahren ist. wie schon angedeutet, der große deutsche Arbeiterstand in der Hauptsache erst erschaffen worden. Die In- dustrie dehnte sich, dank dem scharfen Geiste ihrer

Leiter, machtvoll aus, sie ersann und bildete neues, öffnete den Werken deutschen Fleißes den Weltmarkt. Der Arbeiterstand hat die Industrie im Laufe der Jahre wohl gehoben, aber das leitende Element ist er nicht gewesen und konnte er nicht sein, weil die genialen industriellen Errungenschaften nicht aus seinem Kopfe hervorgingen. Die Industrie hat den Arbeiterstand geschaffen, ihr verdankt es der Arbeiter­stand erst, daß er überhaupt besteht. Diese that- sächlichen Feststellungen werden manchen Irrwahn zersplittern; zum Ruhme gereicht es dem deutschen Arbeiterstande, daß er schnell auf die industriellen Neuerungen einging, daß aus seiner Mitte gewichtige industrielle Größen hervorgegangen sind. Alles das sind Ereignisse des letzten Vierteljahrhunderts, und wer über das Heute sprechen will, wie es einem vernünftigen Menschen zukommt, der soll diese Ver­hältnisse des Gestern nicht aus den Augen lassen. Unvollkommen ist heute noch manches, aber viel mehr hat sich im verflossenen Zeitraum ganz von selbst gebessert, als alle modernen Propheten in Zu­kunft je bessern werden. Die Geschichte der Ent­stehung der deutschen Industrie zeigt Schwächen, Fehler, Mängel, Jrrtümer. Dafür sind wir eben Menschen. Aber im Ganzen bietet sie ein großar­tiges Bild, und wenn wir das Heute mit der Lage vor 25 Jahren vergleichen, dann können wir stolz sein. Was wäre denn heute, wenn die geniale Ent­faltung deutschen Erfindergeistes nicht stattgcfunden hätte? Wir hätten Millionen von Bettlern, dann hätten wir ein wahres Jammcrland. dann könnten wir allerdings am Leben und an der Existenz verzagen.

Man spricht von der sozialen Stellung der Arbeiter! Nun, wie sieht es heute damit, wie stand es früher? lieber den vollzogenen Wechsel kann sich der Arbeiterstand am wenigsten beklagen, und wenn noch nicht alles vollkommen ist, am meisten gewonnen hat der Arbeiterstand. Das letzte Vierteljahrhundert hat dem deutschen Arbeiterstande Rechte gegeben, die in keinem anderen großen Jndustriestaate der Arbeitcr- stand hat, das allgemeine Wahlrecht. Wenn heute von der politischen Bedeutung des Arbeiterstandes gesprochen wird, nun, wer hat ihm diese gegeben? Wenn s. Z. das allgemeine Wahlrecht von den ver­bündeten Regierungen nicht vorgeschlagen wäre, da­mals hätte kein Hahn darnach gekräht, heute hätten wir aber auch nicht einige dreißig sozialdemokratische Abgeordnete im Reichstage. Haben es denn die Arbeiter im freien England oder in Frankreich so weit gebracht? Mit Nichten! Die deutschen Arbeiter sollten einmal ins Ausland, sich dort umsehen, sich nach den dortigen Gesetzen behandeln lassen, mancher würde keine Vergleiche mehr anstellen. Man hat Deutschland einen Polizeistaat genannt, und wir können wirklich in dieser Hinsicht einige Reformen vertragen, aber es giebt wohl keine Stadt der Welt, die mehr unter dem Polizeizaum steht, als Paris. Die Pariser Bevölkerung ist daran so gewöhnt, daß sie dabei gar nichts weiter findet. Wenn deutsche Arbeiter sich das gefallen lassen sollten, was solche in anderen Ländern sich von der Polizei gefallen lassen müssen, sie würden einen netten Spektakel machen. Nur erst einmal aus unseren Grenzen hinausgehen, es kuriert wirklich!

Die deutsche Arbeiterschaft hat ein volles Recht auf soziale Gleichberechtigung, das ist keine Frage, es werden auch bei uns noch viele alte Vorurteile und Zöpfe beseitigt werden müssen, während die Einführung von neuen» wenn auch gut gemeinten,

verhindert werden muß. So finden sich beispiels­weise im neuen sogenannten Trunksuchtsgesetz Be­stimmungen, welche unannehmbar sind. Aber zum Anspruch auf soziale Gleichberechtigung gehört auch, daß die gesamte Arbeiterschaft so äußerlich austritt, daß keine Bedenken entstehen. Wir haben Hundert­tausende deutscher Gewerbsgehilfen. die schon auf diesem Standpunkte stehen, wir haben aber auch Elemente, die viel verderben, was jene gut machen wollen, und die der Gesamtbeit nicht zur Ziede ge­reichen. Neigung und Charakteranlagen, Auftreten und Formen werden immer verschieden sein, aber eins soll allen gemeinsam sein: Geistes- und Herzens­bildung! Ohnedem kann in dieser Beziehung gar nichts geschehen, und wo die Zügellosigkeit obwaltet, ist eine Versöhnung und Verwischung der Klassen­unterschiede unmöglich. Zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts kann ausnahmslos ein jeder Staats­bürger fordern, als ein gebildeter Mensch behandelt zu werden, gleichviel ob er Glacehandschuhe oder Arbeitskittel trägt, aber das ist Vorbedingung, jeder Staatsbürger muß dann auch selbst wie ein gebildeter Mensch auftreten, auch andere so behandeln.

Ucrges-Weuigkeiten.

Deutsches Weich.

Tübingen, 13. Sept. Die Diebe des zin- nenen Sarges von Hans v. Ungnad sind mit Hilfe der Stuttgarter Fahndungspolizei entdeckt und sitzen hinter Schloß und Riegel. Die Unterschrift des Frachtbriefes führte auf einen hiesigen Flaschner, der eingestand, das Zinn von einigen Maurern, welche an der Stiftskirche arbeiteten, gekauft zu haben, wo­rauf sämtliche Beteiligte ein Geständnis ablegten und dann verhaftet wurden.

Stuttgart, 12. Sept. Mit dem 1. August ist bei den württ. Staatsbahnen der Titel Oberloko­motivführer zufolge Entschließung des Verkehrsmini­steriums für diejenigen Lokomotivführer eingeführt worden, welche neben ihrem Dienst als Führer die Vorstände der Nebenwerkstätten in der Beaufsichti­gung des Lokomotivdienstes zu unterstützen und die Stellvertretung für dieselben in der Regel zu über­nehmen haben, oder welche auf solchen Lokomonv- stationen, auf denen kein Werkführer vorhanden ist, die Aufficht über den Lokomotivdienst führen.

Stuttgart, 12. Sept. Wie derBeobachter" erfährt, wird dieses Jahr des schlechten Herbstetträg- niffes halber die neue städtische Kelter nicht eröffnet werden.

Stuttgart, 13. Sept. Die wegen Kuppelei angeklagte Frau Jllg ist einstweilen auf freien Fuß gesetzt. Von dem Mitangeklagten Professor, zuletzt wohnhaft in Bietigheim, hat man immer noch keine Spur.

Stuttgart, 14. Sept. Gestern abend zwischen 5 und 6 Uhr geriet ein Brautpaar in der Weber­straße miteinander in Streit, welcher damit endete, daß der Bräutigam der Braut mit einem Schuhmacher­hammer einen Schlag an die Schläfe versetzte, wo­durch dieselbe zwar bedeutend, jedoch nicht lebens­gefährlich verletzt wurde. Sie wurde ins Katharinen­hospital verbracht. Der Thäter hat der Polizei selbst Anzeige von dem Vorfall gemacht.

Der 100jährige Geburtstag von Theodor Körner (geb. 23. Sept. 1791) wird überall in deutschen Landen gefeiert werden; in hervorragender Weise von den Turnvereinen, denen Körner im Dre