Preuß schnarrte einen Münchener höhnisch an: „Sag Sie mal, lieber Bayer, auf dem Theaterzettel steht Orpheus in der Unterwelt." Wie lesen das die Münchener, sagen sie nun Orpheus oder (getrennt) „Orphe-us?" — „Ach was, entgegnete der Münchener trocken, „Orpheus sagt man halt, wir sagen ja auch nicht Sau-Pre-uß, sondern Sau-Preuß!" Es gehört nicht viel dazu, um zu erkennen, daß diese ganze Geschichte erfunden ist.
Wie aus Kissingen berichtet wird, erstand ein Lord eine Kaffeetasse um den Preis von 10 aus der Fürst Bismarck in einem Restaurant getrunken; ein anderer füllte eine Seltersflasche mit dem Soolewasser, in dem sich der Fürst kurz vorher gebadet hatte, und zwei Ladies aus Liverpool ließen einige Büschel Haare, welche der sich haarende Reichshund Tyras ihnen ließ, in goldene Medaillons fassen.
Kehl, 18. Aug. Saßen gestern abend in der „Sonne" in Sand der Sohn des Bürgermeisters Nieder und sein Vetter Doll, sowie noch mehrere jüngere Bursche. Im Laufe des Abends kam das Gespräch auch auf die körperliche Kraft und Stärke der Anwesenden. R. behauptete stärker zu sein als sein Vetter. Der Kampf begann in Spaß in der Stube, wobei D. den R. warf. Rieber wurde wütend und rief Doll zu: „Wenn du Courage hast, komm raus in den Hof, da wollen wirs mit einander fertig machen!" D. ging hinaus, das Ringen begann und R. wurde von D. zweimal mit solcher Wucht geworfen, daß R. sofort tot war. D. ist verhaftet.
Trier, 21. Aug. Gestern sind im ganzen 25 000 Pilger in unserer Stadt eingetroffen.
Trier, 22. Aug. Fürstbischof Gruscha von Wien und Bischof Wahl von Dresden sind hier eingetroffen und beim Bischof Komm abgestiegen. Bis heute abend haben ca. 90 000 Wallfahrer den heiligen Rock verehrt.
Der Andrang der Fremden in Trier, welche den heiligen Rock verehren wollen, ist ein ganz ungeheurer. Wenn das die ganzen sechs Wochen, während welcher die Ausstellung stattfinden soll, so anhält, dann wird die geschäftliche Spekulation der Trierer Einwohnerschaft sicher nicht getäuscht. Das Ausland, besonders England, Amerika und Frankreich, stellt gleichfalls eine überaus große Besucherzahl. Mehrere Millionen werden wohl herauskommen.
Die beiden Direktoren der vor vier Jahren gegründeten Kinderversicherungsanstalt Freia in Hamburg wurden wegen Unterschlagung von Kautionen und eingezahlten Prämien im Betrage von 50,000 Mark verhaftet.
Berlin, 22. Aug. Die Parade verlief auf das Glänzenste. Der Kaiser, der im Vollbart erschien, und die Kaiserin ritten zunächst die Front der in zwei Treffen aufgestellten Parade ab, und ließen die Tmppen hierauf zweimal an sich vorbeiziehen. Bei dem Beginn des zweiten Vorbeimarsches stiegen zwei Ballons der Luftschifferabteilung auf. Auf dem Wege durch die Stadt wurde der Kaiser von nicht endenwollenden brausenden Hurrahs begrüßt. Sämtliche hier anwesenden Fürstlichkeiten und ein glänzendes Gefolge hatten der Parade beigewohnt.
Berlin, 24. Aug. Nach einer Meldung des „Loc. Anz." aus Lissabon ist in Portugal die Influenza ausgebrochen. In Oporto allein sind über 2000 Personen schwer erkrankt.
Die Knrnpreise steigen an der Berliner Produktenbörse immer noch, obgleich allgemein konstatiert wird, daß ganz gewaltige Posten Brotkvrn auf dem Wege nach Deutschland sind, und das Erntewetter der letzten Tage recht befriedigend war. Man scheint die Preise unter allen Umständen Hoch- Halten zu wollen. Auch in Dänemark wird beabsichtigt, so lange die Roggenpreise höher sind als die Weizenpreise, Weizenbrote statt der bisherigen Roggenbrote zur Verpflegung der Armee zu ver- wenden. In Deutschland ist bekanntlich schon in der vorigen Woche der Anfang hiermit gemacht.
Einen Vollbart trägt, nicht nur der Kaiser, sondern, wie jetzt mitgeteilt wird, auch Prinz Heinrich und zwar kurz zugestutzt, unterm Kinn spitz auslaufend. Dem Prinzen soll die Barttracht sehr gut stehen.
Kaiser Wilhelm II. und Fürst Bismarck. Wie, die „Voss. Ztg." von unterrichteter Seite erfährt, hat ein Besucher des Fürsten Bismarck die Beobach
tung gemacht, daß im Gespräche der Fürst den Kaiser nie anders, als durch die Bezeichnung, „unser junger Herr" oder „der Herr" erwähnte, während unter „Majestät" und „Kaiser Wilhelm" Kaiser Wilhelm I. zu verstehen war.
„Ist der Arbeiter kein Sklave?" fragte der sozialdemokratische „Vorwärts" in seiner Samstags-Ausgabe auf der dritten Seite. Die Antwort gab er sich selbst, wie das „Leipz. Tagbl." bemerkt, auf der letzten Seite, wo für einen Sonntag nicht weniger als 8 sozialdemokratische Festlichkeiten mit Musik, Tanz und Feuerwerk, Kindervergnügungen u. s. w. angekündigt waren. So eine Sklaverei ließen sich Hunderttausende von „Bourgeois" gefallen, die das Geld für solche Lustbarkeiten nicht haben.
Straßburg, 22. Aug. Der amtlichen Straßburger Korrespondenz zufolge ist das Ernte-Ergebnis an Körnerfrüchten im Elsaß, soweit es zu übersehen ist, ein über Erwarten befriedigendes. Die Roggenernte ist ganz, die Weizen- und Gerstenernte nahezu beendigt. Uebereinstimmende Berichte melden einen dermaßen günstigen Ausfall des Ausdrusches der Winterfrucht, daß der durch den Winterfrost verursachte Schaden fast ausgeglichen wird. Die noch ausstehenden Berichte aus Lothringen dürften nicht ganz so günstig ausfallen.
Aesterreich-Ungarn.
Wien, 22. Aug. Die „Presse" glaubt, die Agitation für Aufhebung der Kornzölle in Deutschland werde bald wenigstens für gewisse Zeit verstummen. Die Getreideversorgung werde ohne große Schwierigkeiten bewerkstelligt werden. Gelange eine ruhige Ueberlegung zum vollständigen Durchbruch, dann werde die Festigkeit der deutschen Regierung nicht nur keinem Tadel begegnen, sondern Anerkennung finden, zumal der gedeihliche Fortschritt der Handelsvertragsverhandlungen die Vorteile der neuen Handelsverträge klarer hervortreten lassen werde. Der Entschiedenheit der deutschen Regierung sei zu danken, daß durch die letzte Maßregel der russischen Regierung die Interessen der deutschen Volkswirtschaft nicht geschädigt würden.
Wien, 24. Aug. Auf dem Schraubendampfer „Aposta" fand gestern in der Nacht auf der Donau bei Futtak eine Kesselexplosion statt. Das Schiff ist gesunken, zwei Steuerleute und ein Heizer sind tot, der Kapitän ist l-icht, ein Maschinist schwer verletzt worden.
Italien.
In Palmi (Calabrien) entdeckte man eine aus 300 Mitgliedern bestehende Räuberbande, welche seit langem die Gegend unsicher machte. Die Bande hat Satzungen und Gesetze, etwa wie die Mala Vita, und besitzt in Calabrien zahlreiche Filialen.
Frankreich.
Paris, 20. Aug. In der Nähe von Oran (Algerien) brennt seit 10 Tagen der Wald von Amminussa. Bis jetzt sind 4000 Hektar zerstört. Das Feuer wurde wohl an 50 Stellen zugleich bemerkt, so daß die Vermutung einer Brandstiftung nahe liegt.
Belgien.
Belgische Zustände. In einer aus Brüssel stammenden Meldung , über den internationalen sozialistischen Arbeiter-Kongreß, bringt der Berliner „Vorwärts" folgende erbauliche Schilderung: lins Deutschen fiel beispielsweise die „Freiheit" auf — wenn man den Mangel an Polizeivormundung schon Freiheit nennen will —, mit welcher die belgischen Genossen Monarchie und Landesvater verhöhnten. Ganze Menschenalter von Freiheitsstrafen würden deutsche Richter für solche Freiheit verhängen. Im Saale stand z. B. in Lebensgröße das Gipsmodell des Königs Leopold II. Aber wie sah es aus? Die Genossen hatten ihm ein rotes Tuch über den Kopf geworfen, so daß nur der Rumpf sichtbar war — und so zwang die Statue des Königs unmittelbar zum Vergleiche mit dem Rumpfe eines Delinquenten, der eben von Guillotine weg an die Wand gestellt wurde. Aber diese Respektwidrigkeit war nicht die einzige! In einem „Panorama" wurde als Extra- Spezialität „die letzte Kravatte König Leopolds" — Pappendeckelkönig ist sein Spitzname — angekündigt. Und was sahen wir nach Erlegung eines Extra- Obolus zu Gunsten der Parteikasse? Einen derben handfesten Strick. In einer andern Bude wurde der Schrecken der Hölle und des Fegefeuers dargestellt. Diensteifrige Satane beförderten Pfaffen und Aus
beuter je nach der Größe ihrer Verbrechen und trotz Wehegeschrei und Widerstandes in den feuerspeienden Schlund.
Der internationale Sozialistenkongreß in Brüssel ist am Sonnabend geschlossen. Der nächste Kongreß soll im Jahre 1893 in der Schweiz abgehalten werden. Die beiden Hauptbeschlüsse des Kongresses sprechen sich gegen neue Kriege und für einen allgemeinen Arbeiterfeiertag am I. Mai aus.
Schweden-Norwegen.
Hammerfest, 23. Aug. Der norwegische Walfischfänger Aritic begegnete am 10. August unter 77 Gr. 40 Min. im Bellsund bei Spitzbergen dem Dampfer Amely mit der württembergischen Expedition, die nach dem 80. Grad unterwegs war. Alle waren munter.
Rußland.
Petersburg, 22. Aug. Der „Börsen-Zeitung" zufolge sind die russischen Zollämter angewiesen, Getreide mit mehr als achtprozentiger Beimischung von Roggen als Contrebande zu confiszieren.
Die russische Zeitschrift „Wroth" teilt als medizinisch-interessant folgenden Fall mit: Eine 35jährige Arbeiterin der Zigarettenfabrik Saatschi und Man- gub, welche bei 14stündiger täglicher Arbeit etwa 30—40 Kopeken verdiente, wurde, schließlich infolge der Anstrengungen und Entbehrungen krank. Nach ihrer Wiederherstellung und Entlassung aus dem Krankenhause wurde sie. da ihr Paß abgeiaufen war, ausgewiesen. In ihrer Heimat suchte sie vergebens nach Arbeit und hungerte währenddessen. Da sie nicht betteln wollte, so faßte sie den Entschluß, zu sterben. Ihre religiösen Ueberzeugungen verboten ihr jedoch, Hand an sich zu legen, und so glaubte sie durch Pessivität den ihr durch das Schicksal offenbar bestimmten Hungertod erleiden zu müssen. Sie ging in den Wald, legte sich in einer zerfallenen Hütte hin und erwartete den Tod. Sechsundzwanzig Tage lag sie daselbst, bis sie zufällig ein Bauer entdeckte. Sie stöhnte noch ganz leise und war bei vollem Bewußtsein. Der Puls war nicht fühlbar, die Herztöne kaum wahrnehmbar. Der im Zustande höchster Abmagerung befindliche Körper war von Insekten bedeckt und zerfressen. Die Kranke gab später an, daß sie während aller 26 Tage dem Winde und Wetter ausgesetzt gewesen und weder Nahrung noch einen Tropfen Wasser zu sich genommen hatte. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht; nach drei Wochen war sie gänzlich hergestellt und wurde entlassen. Von irgend welchen Maßnahmen zur Schätzung derselben vor weiteren „medizinisch interessanten" Experimenten wird aber nichts erwähnt.
Der künftige Zar von Rußland. Der jetzt im 24. Lebensjahre stehende russische Thronfolger Nikolaus ist wie sein Vater ein ausgeprägter Starrkopf und hat in der Jugend wegen eines weiter unten noch zu erwähnenden Leidens ziemlich schwer gelernt. Sein Erzieher, der General Danitowitsch, war ein Stockrusse und hat den Prinzen natürlich ganz in seinen Anschauungen erzogen. Die Krankheit, an welcher der Thronfolger in seinen Jugendjahren gelitten hat und deren Natur so ängstlich geheim gehalten wird, war hohe Nervosität. Im Laufe der Jahre hat das peinliche und lästige Leiden unter der sorgfältigen Behandlung der berühmtesten Aerzte an Heftigkeit nachgelassen, tritt aber hin und wieder doch noch auf. Namentlich ist das an Gesichtszuckungen zu sehen. Eine Folge dieses Leidens war auch wohl die Antipathie des Großfürsten gegen das schöne Geschlecht, eine im Hause Romanow ungewöhnliche und für die künftige Thronfolge so bedenkliche Erscheinung, daß aus Gründen der Staats- raison dem jungen Prinzen vor einiger Zeit eine Liaison mit einer interessanten, aber schon in gesetztem Alter befindlichen Dame vom Ballet gewissermaßen gestattet wurde. Diese Maßnahme hat scheinbar den gewünschten Erfolg gehabt und man spricht bekanntlich von einer Verlobung des Prinzen mit der Prinzessin Marie von Griechenland. Bei dem jüngeren Bruder des Thronfolgers, dem Prinzen Georg, ist die Schwindsucht zweifelsohne konstatiert. Der Prinz ist seitdem menschenscheu, fast trübsinnig geworden.
Türkei.
Die Entführung des italienischen Bahnmeisters Solini auf; der Orientbahn lenkt von Neuem die Aufmerksamkeit auf das Räuberwesen in der Türkei. Es ist das eine alt eingewurzelte Institution in der Türkei, diesseits wie jenseits des Bos-