Der Gesellschafter.

Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts-Bezirk Nagold.

W 83.

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Donnerstag 16. Juli

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1891.

! Frankreich und Rußland.

Der ehemalige Vertraute des einstigen Präsidenten ^ Thiers, der Senator Varthelemy St. Hilaire, hat > sich kürzlich über das sog.französisch-russische Zu­kunftsbündnis" in sehr bemerkenswerter Weise ge­äußert. Die Pariser Blätter schweigen die Aeußer- ungcn ihres Landsmanns natürlich tot, wir aber i haben solche Rücksichten nicht zu nehmen und wol- ! len die uns sehr verständig erscheinenden Worte l des betagten Staatsmannes hier wiedergeben: Der ! Mitarbeiter eines Pariser Blattes hatte den I Senator Barthelemh St. Hilaire über dieJsolie- i rung Frankreichs" befragen wollen und von dem ! grellen Gelehrten die folgende Antwort erhalten:

!Ich bin Senator, ich bin Minister des Aeußern gewesen, ich war der Vertraute eines Präsidenten der Republik (Thiers). Die verschiedenen Stellungen, welche ich eingenommen habe, meine gegenwärtige parlamentarische Stellung, verbieten es mir, mich interviewen" zu lassen. Am Tage, da ich meine Intervention notwendig erachte, werde ich auf der Tribüne des Senates das Wort ergreifen. Wenn ! Sie mir indessen versprechen wollen, meinen Namen nicht zu mißbrauchen, so werde ich Ihnen gerne j meine Ansichten über die Allianzen mitteilen, welche in diesem Augenblick in Europa bestehen, sowie über ! die Handlungsweise, welche meiner Ansicht zufolge

- Frankreich beobachten müßte. Die Tripel-Allianz ! wird morgen die Quadrupel-Allianz sein. Das ist . nur noch eine Frage von Stunden. England, die ! einzige Nation, mit der wir uns alliieren könnten,

^ ohne uns herabzusetzen, geht wohin sein Interesse es ^ drängt, und dieses Interesse führt England zu einer ' Einigung mit den drei Mächten, welche entschlossen i sind, Rußland in seinen Welt-Eroberungsgelüsten ! aufzuhalten. Denn täuschen Sie sich darüber nicht,

! die Tripel-Allianz ist viel mehr gegen Rußland als

gegen Frankreich gerichtet. Wenn nicht aufgepaßt wird, muß ganz Europa binnen Kurzem die Beute § des Zaren sein. Alle Länder der alten Welt sind ' bedroht. Es darf daher sicherlich nicht Wunder nehmen, daß die Mächte einen Damm gegen diesen ! drohenden Strom errichten wollen. Frankreich nimmt,

! wie gesagt, nur den zweiten Platz in den Besorg- ! nissen Deutschlands, Oesterreichs, Italiens und Eng- lands ein. Heute ist es England, welches das Werk der Verteidigung des Abendlandes gegen das Mor­genland vervollständigt. Ich für meinen Teil wei- ! gere mich, zu glauben, daß irgend eine der 4 Mächte die Absicht hegt, Frankreich anzugreifen. Wenn wir . in dem Duell zwischen Rußland und den alliierten ' Mächten neutral bleiben, haben wir nichts zu be­fürchten. Niemand bedauert mehr als ich den Ver­lust der Provinzen, die uns entrissen worden sind.

^ Aber wenn ich diesen Verlust beklage, so geschieht solches nicht aus Chauvinismus, sondern weil wir diese Provinzen besitzen müssen, um unsere jetzt offene Ostgrenze zu schließen. Es existiert aber eine Moral für die Völker wie für die Individuen. Frankreich

- ist lange Zeit an der Spitze der Zivilisation gewesen und ist es heute noch; es würde diese heilige Sache verraten, wenn es Rußland begünstigte, dieses bar­barische Land, welches in so vielen Punkten mit

, Rußland kontrastiert. Jawohl, wie für die Men­schen giebt es auch eine Gerechtigkeit für die Natio- ' nen und dieselben müssen dafür büßen, wenn sie darauf keine Rücksicht nehmen. Frankreich hat das Anfangs dieses Jahrhunderts an sich erfahren. Und was würden wir durch einen Verrat an der Sache

der Zivilisation gewinnen? Im Fall der Niederlage der französisch-russischen Armeen würde uns eine vollständige Zerstückelung bevorstehen, wir würden wie Polen behandelt werden. Wenn wir im Gegen­teil Sieger blieben, würde man uns Elsaß-Lothringen, vielleicht sogar das ganze linke Rheinufer zurückgeben, aber wir würden gezwungen sein, bis an das Ende der Jahrhunderte unser Losungswort in Petersburg, d. h. bei den Barbaren zu holen. Nein, ich söge es Ihnen, rüsten wir weiter, wenn wir es notwen­dig erachten, aber bleiben wir isoliert, bewahren wir unsere Neutralität." Gewiß ist Herr Barthelemh nicht der einzige Franzose, der so verständig denkt, wohl aber ist er einer der wenigen, der den Mut gefunden hat, seine Meinung offen zu sagen. Die große Masse schweigt und läßt sich von den Schrei­hälsen tyrannisieren.

Tciges-Weuigkeiten.

Deutsches Weich.

Nagold, 12. Juli. (Einges.) Auf heute, Sonn­tag nachmittags 2*/s Uhr, war von dem Herrn Vorstand des hiesigen landwirtschaftlichen Bezirks­vereins ein Vortrag des hiesigen Stadtförsters Weinland über die forst- und landwirtschaftlichen Schutzzölle in den Gasthofzum Rößle" hier aus­geschrieben. Im Sinne der Versammlung beschränkte sich aber der Redner (unter Vorbehalt eines später« Vortrags über die Holzzölle an einem andern Orte) auf das, die heutigen Zuhörer mehr interessierende Gebiet der Lebensmittel-Zölle und der neu­projektierten Zoll- und Handels-Verträge mit Oesterreich, Italien und Schweiz. In nahezu ein- stündigem freien Vortrag wurden auf Grund von Mitteilungen Sachverständiger wie auch eigener Wahr­nehmungen erörtert: 1) das Für und Wider bezüglich des Freihandels, der Finanzzölle und Schutzzölle, wobei nachgewiesen wurde, warum gerade Deutschland an den Schutzzöllen für unsre Landwirtschaft, Groß­industrie und Gewerbe nicht blos zum Schutz dieser Erwerbszweige sondern auch als Hauptquelle unsrer Reichs- und Staatskassen-Einnahmen festhalten müsse. 2) Die bestehenden landwirtschaftlichen Zölle. 3) Der Ansturm der sozialdemokrat. Partei und der Freisinnigen" im Reichstag im Jan. d. I. gegen die Bismarckische Schutzzollpolitik und der Sieg der letztem mit 210 gegen 106 Stimmen. 4) Nachweis, warum die Lage der Landwirtschaft keine beneidens­werte sei. 5) Nachweis, daß Industrie und Land­wirtschaft in ihrem Gedeihen auf einander angewiesen seien, und daher beide den gleichen Schutz gegen ausländische Konkurrenz verdienen. 6) Widerlegung falscher Behauptungen und schädlicher Ratschläge der Freihändler auf dem Gebiete landwirtschaftlicher Fragen, namentlich der Sätze: daß unsre jetzigen mäßigen Zölle an der gegenwärtigen Steigerung der Getreide-, Brot- und Fleisch-Preise die Schuld tragen, daß unsere Schutzzölle in der Hauptsache blos den Großgrundbesitzern zu gut kommen, daß unsere Landwirte den Getreidebau aufgeben und sich blos noch auf Viehzucht und Handelspflanzen werfen sollen. 7) Allerlei Bedenken wegen der glaubwürdig bekannt gewordenen Herabsetzung unserer landwirt­schaftlichen Schutzzölle gegenüber von Oesterreich, Italien und Schweiz. Uebrigens werden diese Zoll­verträge voraussichtlich mit Hilfe desZentrums" im Reichstag doch die Mehrheit erlangen, und unsere deutsche Landwirtschaft könne zu Gunsten unserer

von Nord-Amerika und Rußland sehr empfindlich beschädigten und daher auf mehr Export nach Osten und Süden angewiesenen Industrie am Ende auch diese Zollopfer bringen, vorausgesetzt, daß man gleichzeitig den herabdrückenden Einfluß der öster­reichischen Eisenbahntarife und Valutaschwankungen auf unsere Zölle vertragsmäßig zu beseitigen vermöge, und wenigstens die drückende Konkurrenz der ame­rikanischen und russischen landwirtschaftlichen Produkte durch blos gegen diese Staaten erhöhte Zölle vom deutschen Markte um soviel zurückdrängen könnte, als uns künftig in Folge des bemerkten neuen Vertrags von Oesterreich-Ungarn mehr Ge­treide, Holz und Vieh zuströmen werde. 8) Warnung des Landvolks vor den angekündigten Verführungen der sozialdemokratischen Partei, und Verweisung unserer Landwirte auf die erprobte und auch künftig zu erwartende Staatshilfe, Selbsthilfe (durch mehr rechnerischen Betrieb und verstärkten Beitritt zu land- wirtsch. Vereinen, durch gemeinschaftlichen Ein- und Verkauf, Gründung von Darlehenskassen-Vereinen re.) und Gotteshilfe, ohne welche trotz Staatshilfe, Selbsthilfe und Arbeit mit Hand und Kopf niemand seinen Wohlstand gründen könne. Der Redner schloß mit der Versicherung, daß unser hochverehrter er­probter Reichstags-Abgeordneter sicher bei den höchst- wichtigen Reichstagsverhandlungen im Spätherbste über die neuen Zollverträge vermöge seines klaren Urteils das für das Gesamtwohl des Vaterlandes Ersprießliche herausfinden und dann auch freimütig dafür eintreten werde. Darum gelte sein Trinkspruch dem Herrn Landgerichtsrat Freih. v. Gültlingen, welchem die Versammlung auch begeistert zustimmte. Der Vortrag war zwar mindestens so stark besucht, wie der letzte hiesige Vortrag des Herrn Oekonomie- rats Stirm. Es hätten sich aber ohne Zweifel noch mehr Leute eingefunden, wenn die Versammlung am Abend stattgefunden hätte, indem das nach langer Regenzeit erstmals schöne Wetter von vielen Städtern zu Ausflügen und von Landleuten zur Heuernte benützt wurde. Ueberhaupt aber zeigt die Erfahrung, daß landwirtschaftliche Vorträge auf dem Lande von überallher viel stärker besucht sind, als solche in Nagold, obgleich sich hier weit über 100 Vereins­mitglieder befinden.

fff SeminarNagold. Künstlerkonzert. Bei dem diesmaligen Auftreten der HH. Konzertgeber aus Stuttgart vermißten wir die Waldhornpartieen des H. Spohr, der inzwischen nach Berlin verzogen ist. Statt seiner hat sich ein Cellist gut eingeführt, Herr Paul Stein, der namentlich in einem Larghetto von Mozart seinem edlen Instrument seelenvolle Töne entlockte. Die Leistungen des Violinvirtuosen Herrn Franz Neumeister sind bekannt, und auch seines strebsamen Sohnes haben wir voriges Jahr schon gedacht, und so bleibt uns nur noch übrig, unsre Anerkennung über die Auswahl der Stückfolge auszusprechen, die uns durch die Tannhäuser-Lohen- grin- und Holländerphantasie Muster der einst viel­geschmähten und jetzt vielgespielten Richard Wagner'- schen Musik bot.

Stutlgart, 7. Juli. Die K. Württembergi- schen Staatseisenbahnen beförderten im Monat Mai d. I.: 1,548,972 Personen, 425,290 Tonnen Güter. Die Geldeinnahmen betrugen im Personenverkehr: 1,228,237 im Güterverkehr: 1,784,896 aus sonstigen Quellen: 187,369 im ganzen also: 3,200,502 ^ Insgesamt wurden vom 1. April bis