daß dem Kaiser das Nahen des Todes nicht be­wußt ward.

Als der Kaiser verschieden war, ließ die Groß­herzogin von Baden sich einen Korb mit Blumen kommen, Maiglöckchen, Veilchen, weiße Rosen, die sie im Zimmer ausstreute; einen Strauß von densel­ben Blumen legte sie auf das Bett, ebenso kreuzweise zwei Palmenwedel. Bon der Fürstin Bismarck kam ein umflorter, mit gelben und roten Rosen gezierter Lorbeerkranz. Die Menge der Blumen wurde so groß, daß man sie im Palais nicht mehr bergen konnte und verfügen mußte, daß dieselben nach dem Schloß gebracht würden.

Der Sektionsbefund ergab, daß Kaiser Wilhelm in Folge eines großen, mit zahlreichen spitzen Kanten versehenen Blasensteines verstorben ist; die häufigen blutigen Entleerungen und die schließlichen häufigen Ohnmachtsanfälle vor dem Tode, welche auf eine schwere Verletzung der Blase und damit verbundene große Schmerzen schließen lassen, hängen damit zusammen. Die übrigen Organe wa­ren vollkommen gesund. Die Leibärzte, Lauer und Leuthold, durchsägten die Steinbildung, von welcher jeder der Beiden eine Hälfte an sich nahm.

Berlin, 11. März. Die aus demDeutschen Tagblatt" übernommene Nachricht, daß der komman­dierende General des IV. Armeekorps Graf Blumen­thal seinen Abschied erhalten hat, bestätigt sich nicht.

Berlin, 12. März. Kaiser Wilhelm liegt in der großen Generalsuniform, nur mit dem eisernen Kreuze geschmückt, das er sich in den Freiheitskriegen erworben und von seinem Vater erhalten hatte. Das Gesicht trägt den freundlichen milden Ausdruck, den wir an ihm im Leben gewohnt waren. Man hat das Gefühl, als ob man den schlafenden Kaiser vor sich sehe. Auf dem Haupte sitzt die bekannte weiße Generalsmütze mit dem breiten Schirm, wie sie der Kaiser bei seinen Lebzeiten so gerne getragen hat.

Berlin. 12. März. Die Ueberführung der Leiche des Kaisers vom Dom nach dem Mausoleum in Charlottenburg wird am Freitag mittag 12 Uhr stattfinden. Die hier anwesenden Prinzen und Prin­zessinnen verweilten heute vormittag einzeln längere Zeit am Sarge des Kaisers. Von allen Seiten treffen Deputationen ein.

Das Testament des Kaisers wurde am Samstag im Ministerium des Königlichen Hauses eröffnet. In demselben bestimmt Kaiser Wilhelm seine Beisetzung im Mausoleum zu Charlottenburg zur Seite seiner Eltern.

Berlin, 12. März. Einer Mitteilung des Berl. Tgbl." zufolge soll das Barvermögen, wel­ches Kaiser Wilhelm hinterlassen hat, 54 nach anderen Mitteilungen sogar 78 Mill. betragen.

Kaiser Friedrich hat die Leiche seines Vaters noch nicht gesehen, das stürmische kalte Wetter erlaubt die Fahrt zum Dome noch nicht. Dagegen hat die Kaiserin Viktoria mit den Pinzessinnen Töchtern so­fort am Morgen nach der Ankunst den Dom besucht und längere Zeit am Sarge verweilt.

Die Eidesleistung des Kaisers und Königs Friedrich auf die preußische Verfassung vor den beiden Häusern des preußischen Landtages ist gesetzlich vorgeschrieben. Da an eine mündliche Ablegung des Eides in nächster Zeit nicht zu denken ist, wird der Kaiser entweder die Worte des Eides vor einer Landtagsdeputation niederschreiben oder das schriftliche Gelöbnis dem Landtage übersenden. Wahr­scheinlich wird Letzteres gewählt.

Berlin, 12. März. Das Befinden Kaiser Friedrichs ist befriedigend, er hat die Anstrengungen der letzten Tage überwunden; ohne die Wahrheit ganz verbürgen zu können, muß ich Ihnen melden, daß mir von sonst gut unterrichteter Seite eben die Mitteilung zugeht, der Kaiser habe sich gestern abend, nachdem er im Schlosse zu Charlottenburg abgestie­gen, in einem einfachen Wagen nach dem Sterbehause seines hochseligen Vaters begeben und sei im stillen Gebet längere Zeit an der irdischen Hülle des letz­teren verblieben. Unerkannt (?) von der Menschen­menge ist der Kaiser gekommen und unerkannt von ihr hat er, nachdem der Sarg geschlossen und von den Unteroffizieren auf die Schultern genommen und zum Palais hinausgetragen worden, das letztere wie­der verlasse» und sich nach Charlottenburg begeben. Dem Vernehme» nach soll der Erlaß einer Prokla­mation unmittelbar bevorstehen und der Reichskanz­ler für heute nachmittag 3 Uhr zum Vorträge nach Charlottcnburg beschieden sein.

Berlin, 12. März. Uebereinstimmend wird von allen Seiten das vortreffliche Aussehen, die stramme Haltung, die elastische Bewegung des Kaisers gerühmt. Dagegen enthält er sich ganz des Spre­chens. Alle Unterhaltungen werden schriftlich ge­führt. Der Kaiser schreibt auf Zettel, die er von einem Blatt abreißt und, wenn er sie gelesen, dann sofort vernichtet.

Berlin, 12. März. DerReichsanzeiger" enthält folgendes Bulletin aus Charlottenburg von heute: Der Kaiser hat trotz der angreifenden Reise und der Gemütsbewegung eine sehr gute Nacht ge­habt und fühlt heute keine Beschwerden. Die Respi- l ration ist unbehindert und die örtlichen Erscheinun­gen unverändert. Weitere Bulletins werden auf Allerhöchsten Befehl von Zeit zu Zeit ausgegeben. Mackenzie. Wegener. Krause. Hovell.

Berlin, 12. März. Zur Beisetzung soll vom Dome bis zum Mausoleum in Charlottenburg eine lebendige Hecke gebildet werden, wozu 180000 Men­schen benötigt wären. Es ist in Anregung gebracht, hierzu Arbeiter aufzurufen, welche durch die sozial- reformatorische Initiative des Verstorbenen, also durch die Unfall- und Krankenversicherung versorgt sind.

Berlin, 12. März. Von zuverlässiger Seite geht derNordd. Allg. Ztg." die Mitteilung zu, daß der Reichskanzler sich in Folge der Aufregung der letzten Tage in einem sehr angegriffenen Zustande be­findet. Der Verlust seines langjährigen Herrn hat den Kanzler nicht nur seelisch ergriffen, es hat sich leider auch wieder das alte Venenleiden eingestellt. Ruhe und thunlichste Beschränkung der Geschäfte sind nach Ansicht des Professors Schw. dringend geboten.

Der greise Generalfeldmarschall Moltke hat am Samstag nachmittag die zum Generalstabe gehö­rigen und die dazu befohlenen mehrere hundert Offi­ziere im großen Bibliotheksaal versammelt und sie persönlich vereidigt. Gleichzeitig leistete er selbst den Eid.

Berlin, 13. März. Ueber das Befinden der Kaiser!. Witwe zirkulieren beunruhigende Gerüchte. Der Andrang des Publikums zu dem Dome ist so groß, daß Unglücksfälle befürchtet werden. Die ^ Eidesablegung auf die Verfassung von Sr. Majestät ^ dem Kaiser ersolgt am nächsten Samstag. Ueber die Form der Eidesleistung ist noch nichts bekannt.

Berlin, 13. März. Die heutigeNat.-Lib. Korr." führt aus, die Kundgebungen des Kai­sers Friedrich (s. Beil.) müßten allenthalben im deutschen Volk wie im Ausland einen tiefen und sehr wohl- thuenden Eindruck machen. Es spreche daraus der­selbe Geist, der den Verstorbenen beseelt habe. In dreifacher Hinsicht erscheine uns Kaiser Friedrich nach diesen Kundgebungen: Als Friedensfürst für die Welt, als Schirmherr der nationalen Sache für Deutschland und als wohlwollender, treuer Landesvater für das preußische Volk. Bon be­sonderer Bedeutung sei namentlich der Satz, daß die Erschütterungen möglichst zu vermeiden seien, welche ein häufiger Wechsel der Staatseinrichtungen und Gesetze veranlaßt. Damit und durch die aus­drückliche Berufung auf die Unterstützung des Fürsten Bismarck sei ausgesprochen, daß an den bewährten Grundlagen des bisherigen Regiments im Reich und Preußen nichts geändert werden solle. Die Hervor­hebung des Grundsatzes religöser Duldung werde > man an denjenigen Stellen, wohin die Worte zielen,

! wohl verstehen. Die Andeutungen des Erlasses über wirtschaftliche und sozial-politische Anliegen ließen ! nicht den Eindruck zu , als ob in diesen Fragen ein ^ Umschwung zu erwarten. Auch die ausdrückliche Erwähnung der Gewinnung überseeischer Besitzungen sei beachtenswert. Hinsichtlich der Anregungen fi­nanzieller, steuerpolitischcr und administrativer Art werde man erst die bestimmteren Vorschlägen und Anordnungen abwarten müsse. Alles aber vereinige sich, um das deutsche und preußische Volk zu be­rechtigen . Vertrauen und schöne Hoffnungen dem neuen Regiment entgegenzubringen, i Die Ruhestätte Kaiser Wilhelms. Das Masoleum in Charlottenburg, jetzt schon eine Wall­fahrtsstätte für Tausende und Abertausende, welche alljährlich zu den Füßen Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise Minuten stiller Erinnerung feiern, wird in Zukunft, wenn die sterblichen Reste des ersten deutschen Kaisers hier beigesetzt werden, in allen Zeiten eine geweihte Stätte für alle Vater­landsfreunde sein. An jedem lO. März, dem Ge­burtstage der Königin Luise und an jedem 7. Juni, > dem Sterbetage Friedrich Wilhelm's III., sah man ^

den Kaiser und die Mitglieder der königlichen Familie zu dieser in ihrer Art einzigen Grabstätte wallfahren. Hier verweilte der Kaiser im stillen Gebet nach Ein­treffen der französischen Kriegserklärung, hierher lenkte er zuerst seine Schritte nach der Heimkehr aus Frank­reich. Und hier, an der Seite seiner Eltern, soll der siegreiche Held nun die ewige Ruhe finden. Hier ist bekanntlich auch das Herz Friedrich Wil­helm's IV. beigesetzt, auch Prinz Albrecht, des Kai­sers Bruder, schlummert hier und Kaiser Wilhelm hatte hier auch die Beisetzung der Fürstin Liegnitz, als dieselbe 1873 starb, angeordnet. Das Mausoleum, welches noch in der Zeit, wo Napoleons Hand auf Preußen lastete, erbaut war, hatte ungefähr die heu­tigen Formen; die Fassade war indessen nur von Sandstein ausgeführt worden. 1826 erfolgte die Ausführung in edlem Gestein, und es entstand jener weihevolle dorische Tempelbau am Ausgang der ernst stimmenden Tannen-Allee im Schloßpark. Säulen von grünem Marmor und weißen Kapitellen, aus roten Marmorsockeln und Wandpfeiler von siziliani- schem Jaspis, welche den oberen Raum von dem un­teren scheiden, empfangen den über 8 Stufen des Einganges Eintretenden. Die grünen Säulen sind sehr alt. Sie sollen aus dem Orient nach Rom, von da nach Polen und endlich an König Friedrich I. ge­kommen sein, der sie im Schlosse zu Oranienburg aufstellte. Das eindringende bläuliche Licht wirft magische Strahlen auf das Marmorbild der Königin Luise und ihres Gemahls. Ein Altarbild in der Aphis stellt den König und die Königin dar, wie sie ihre Krone dem Heiland überreichen. Die Wände und Decke sind mit Bibelsprüchen geschmückt. Dieses aus dem dunklen Tannenwald hervorragende Denk­mal ist die würdigste Ruhestätte auch für Kaiser Wilhelm.

Berlin, 13. März. DieNordd. Allg. Ztg." veröffentlicht eine Reihe Beileidstelegramme aus Süd­australien. Hongkong, Kanton, Lafayette, Zante, Gua­temala, Helsingsfors, Peking, San Franzisko, Cincin­nati, Mexiko und Montevideo.

LesterreiL-Ungaru.

Der Kaiser Franz Joseph ist persönlich in der deutschen Botschaft erschienen, um sein Beileid auszudrücken, etwas, was in Wien noch nie dage­wesen ist und das größte Aufsehen erregt hat. So­gar der Kaiser und die Kaiserin von Rußland sind persönlich in der Botschaft erschienen.

Wien, 10. März. Das Fremdenblatt betont, die Reichstagsrcde Bismarcks sei eine denkwürdige Leistung, die das eindrucksvollste Bild des verbliche­nen Kaisers für alle Zeiten den deutschen Gemütern einprägen werde. Von dem neuen Kaiser erwarte man mit Recht, er werde an der großen Mission Deutsch­lands unentwegt festhalten, um den Frieden Europas zu wahren.

Wien, 12. März. Die zwischen dem Kaiser von Oesterreich und dem deutschen Kaiser Friedrich sofort gewechselten Telegramme geben der persönlichen Freundschaft und dem Bündnisverhältnisse beider Reiche warmen Ausdruck.

Frankreich.

Paris, 10. März. Das Telegramm des Kaisers Friedrich, welches das Beileidstelegramm des Präsidenten der Republik, Carnot, beantwortet, ist sehr herzlich gehakten; der Kaiser spricht seinen ! Dank für ihm von zahlreichen Franzosen bewiesenen j Sympathien und die Hoffnung auf eine herzliche Ge- ! staltung der Beziehungen beider Länder aus. Carnot i wird sich bei den Bestattungsfeierlichkeiten durch einen ^ General nebst Gefolge vertreten lassen; die Wahl der ! betreffenden Persönlichkeiten ist noch nicht getroffen.

Paris, 1l. März. Das Parlament hat es also wirklich nicht über sich gebracht, irgend eine No­tiz von dem Tode des Kaisers Wilhelm zu neh­men. Selbst von vielen Franzosen wird ein solches Verhalten als der Nation unwürdig angesehen, welche vorzugsweise den Anspruch auf Generosität und hoch­herzige Gesinnung macht. Das Parlament der Herren Floquet, Goblet u. Gen. mußte sich von dem kleinen Dänemark beschämen lassen, ja es steht total verein- ^ zeit in der Welt da. Nimmt man noch dazu, daß am Abend des Hingangs von Kaiser Wilhelm Hun­derte von Kolporteuren in den Straßen von Paris injuriöse und zum Teil obszöne Bilder und Verse auf den Verewigten verkaufen durften, ohne daß das Pub­likum etwas dagegen einzuwenden hatte (die Polizei legte allerdings den Kerlen das Handwerk, aber zu spät), daß der größte und verbreitetste Teil der Presse