weis darauf, daß es besser sei, rechtzeitig allgemeine Gefahren zu verhindern, als ihnen später mit gewaltsamen Mitteln eugcgenzutreten. Abg. Marquardsen fnatlib.) erklärt, seine Partei werde nur für eine zweijährige Verlängerung des unveränderten Gesetzes eintrcten, und zwar einstimmig. Abg. von Koscielskp spricht gegen die Vorlage, worauf die Weiter- bcratung auf Montag ll Uhr vertagt wird.
Berlin, 36. Jan. Der Reichstag setzte heute die Beratungen über das Sozialistengesetz fort. Als erster Redner ergreift der Abg. Bebel das Wort; er vermisse irgend welche neuen, durchschlagenden Gründe für die Verschärfung; der kleine Belagerungszustand und die Ausweisungen hätten nichts genützt, sondern nur verbittert und den Agitationseifer vergrößert. v. Kardorff spricht namens der Reichspartei für die fünfjährige Verlängerung und die Verschärfung des Gesetzes, hält aber die Expatriierung für unwirksam. Windt- horst sagt, die Sozialdemokratie sei eine wahre Pest, die man auf Leben und Tod bekämpfen müsse, aber nur mit rechten Mitteln. Der Reichstag verwies das Sozialistengesetz an eine achtundzwanziggliedrige Kommission.
Berlin, 3l. Jan. Eine Verlängerung des Sozialistengesetzes auf mehr als 2 Jahre erscheint nach der vorwaltenden Stimmung und den Majoritätsverhältnissen im Reichstag ausgeschlossen.
Der Reichskanzler Fürst Bismarck und seine Gemahlin sind am Sonnabend abend von Friedrichsruhe in Berlin angekommen. Der Kanzler ist bereits vom Kaiser empfangen worden und wird heute Montag im Reichstage zur Vertretung des Sozialistengesetzes erwartet. Eine hochinteressante Debatte steht also bevor. (Ist bis jetzt noch nicht geschehen).
Schweiz.
Bern, 28. Jan. Der Bundesrat verbot wegen anarchistischer und sozialistischer Umtriebe den deutschen Reichsangehörigen Hauptmann Ehrenberg, Emil Schoppen, Ignatz Metzler und Christian Haupt den Aufenthalt auf Schweizergebiet. Er spricht ferner gegenüber der Regierung die bestimmte Erwartung aus, daß die Veröffentlichungen der Offizin der Sozialdemokraten sich innerhalb der Schranken einer ruhigen und sachlichen Diskussion halten und Aufreizungen, Beschimpfungen und beleidigende Ausfälle vermeiden werden. Der Bundesrat behält sich jeder Zeit ein Einschreiten gegen die Beteiligten vor.
Oesterreich-Ungarn.
Wien. In militärischen Kreisen finden die russischen Friedensbeteuerungen noch immer keinen festen Glauben. Ein militärischer Schriftsteller, der den kommenden „Krieg in Galizien" zum Gegenstand seiner Studien gemacht hat, geht von der immerhin richtigen Ansicht aus, daß die russische Armeeleitung viel aus den Feldzügen von 1866 und 1870/71, wie aus dem russisch-türkischen Kriege 1878 gelernt habe, betont aber noch, daß daraus nicht minder Oesterreich und Deutschland gelernt hätten. Er hält es für gefährlich, die Wehrkraft Oesterreich-Ungarns zu unterschätzen und setzt als bekannt voraus, daß Deutschland infolge der gespannten politischen Verhältnisse der letzten Jahre, wie er bescheiden meint, „toujours en vsästtv" gewesen und „mit der Zeit fortgeschritten" sei; über die russische Arroganz, welche die deutsche Armee eine „veraltete Maschine" genannt habe, äußert er vornehm: „„Wohl uns, wenn unsere Nachbarn im Osten diesen Glauben behalten; sie werden aber vielleicht eines Tages erstaunt sein, wenn die „veraltete Maschine", frisch geschmiert, in Funktion gesetzt wird. Mit Recht erklärt er bei der jetzigen Sachlage jede Darstellung der Situation für unrichtig, welche den Umstand nicht berücksichtigt, daß Deutschland Schulter an Schulter mit Oesterreich eingreift. Wie Oesterreich auf Bosnien und die Balkanstaaten bedacht sein muß, so braucht auch Rußland im Süden Observationskorps und selbstverständlich muß Deutschland auf Frankreich und Dänemark bedacht sein. Es würden gegen Frankreich das 7. bis 10. und 13. bis 15. Armeekorps, gegen Dänemark das 9. Armeekorps, gegen Rußland das 1. bis 6., das Garde- und 12.. sowie die beiden bayerischen Armeekorps in Aussicht zu nehmen sein." Der Verfasser hält die Tripelallianz jeder Eventualität gewachsen und setzt sein Vertrauen auf die Leiter der österreichischen Armee und den Kaiser Franz Josef, von denen gehofft wird, daß sie unausgesetzt darüber wachen. die Armee in die Lage zu versetzen, einen Einsall der russischen Heere kräftig abzuweisen.
Aus Wien wird vom Sonntag telegraphiert, die Bedeutung von Tisza's Friedensrede werde allgemein zwar gewürdigt, sie habe aber die in gewissen Kreisen herrschenden pessimistischen Anschauungen doch nicht ganz zu verdrängen vermocht. Es werde immer noch befürchtet, ein unvorhergesehener Zwischenfall
könne einen ernsten Konflikt herbeiführen. Der sichere Fortbestand der Friedensallianz wird mit lebhaftem Beifall begrüßt.
Frankreich.
Paris, 28. Janr. In der gestrigen Konfrontation mit Wilson soll die Ratazzi die heftigsten Anklagen gegen denselben erhoben und im Namen der Gerechtigkeit seine Verhaftung verlangt haben. Das „Petit Journal" meldet. daß wiederum ein Brief verloren gegangen sei, den der Advokat der Ratazzi vor dem Apellhofe verlesen hat und der die Nachweise enthält, daß Legrand seinen Orden bezahlt habe. Dieser Brief befand sich unter den Akten, die der Präsident des Gerichtshofes und der Staatsanwalt Bvucbez zuletzt in Händen hatten. Sein Fehlen wurde durch die Ratazzi und den Untersuchungsrichter Atthalin entdeckt. In juristischen Kreisen sieht man bereits, wie „Petit Journal" weiter meldet, die Demission Bouchez's voraus.
Paris, 28. Janr. Die eine der beiden auf Luise Michel abgefeuerten Kugeln ist in deren Hut gefunden worden; Luise Michel hat dieselbe Herrn Rochefort geschenkt.
Belgien.
Brüssel, 28. Jan. Der „Nord" sagt: Rußland habe alle Ursache, den Besuch des rumänischen Ministers des Aeußeren, Sturdza, in Friedrichsruh ^ mit Mißtrauen anzusehen. Bezüglich der Verknüpf- ^ ung der bosnischen Frage mit der bulgarischen er- > klärt der „Nord" , Rußland wolle keineswegs die! gesetzliche Stellung Oesterreichs in Bosnien und! Herzegowina in Frage stellen. Es sei aber kein Ge-! heimnis, daß Oesterreich, welches blos das Besetzungsund Berwaltungsrecht besitzt, an die Annexion der beiden Provinzen denke. Es gebe sogar Leute, welche behaupten, daß Oesterreich seine Blicke weit über die ! Herzegowina hinaus richte. So lange nun Graf Kalnoky nicht das Gegenteil feierlich versichere, sei es notwendig, zu konstatieren, daß diesen Wünschen! Oesterreichs das Interesse Rußlands cntgegenstehe.
Italien.
Rom, 30. Jan. Der Papst empfing gestern! 350 Schweizer-Pilger und sprach, die Adresse des! Bischofs Mermillod beantwortend, die Hoffnung aus, ! daß bei gutem Willen der Behörden alle mit der j Schweiz schwebenden Schwierigkeiten beseitigt würden. ! Er betonte die ausgedehnte Freiheit, welche die! Schweizer Bischöfe gegenwärtig genießen.
San Remo, 30. Jan. Mackenzie ist heute hier eingetroffen.
San Remo, 30. Jan. Heute vormittag fand eine Konferenz der Aerzte mit Mackenzie statt.
San Remo, 30. Jan. Mackenzie tclcgra- j phierte nach London, es sei in den Teilen, wo die > früheren Gewächse sich entwickelten, in jeder Hinsicht eine entschiedene Besserung wahrnehmbar. !
San Remo, 31. Jan. Die gestrige Unter-^ suchung des Kronprinzen ergab ein günstiges Re-! sultat. Die linke Kehlkopfseite kann als geheilt be- trachtet werden. i
In San Remo herrscht ganz winterliches! Wetter. !
England. !
Der Londoner „Daily Telegraph" sagt bei! der Besprechung der deutschen Wehrvorlage, jede! Vermehrung der Militärmacht Deutschlands dürfe i von den übrigen Mächten Europas mit Sicherheit! als eine weitere allgemeine Friedcnsbürgschaft betrachtet werden. Der erlauchte Monarch und der weise Staatsmann, welche Deutschlands Politik leiteten, hätten während der letzten 17 Jahre unzählige Beweise ihrer friedlichen Gesinnung gegeben. Die Deutschen seien lediglich darauf vorbereitet, das Ihrige nach besten Kräften, gleichviel mit welchen Opfern an ! Blut und Geld zu verteidigen, und es müsse zugegeben werden, daß ihre patriotische Bereitwilligkeit in dieser Hinsicht eine allgemeine Bewunderung verdiene. Solche Redensarten sind sehr wohlfeil. Wir Deutsche verlangen gar kein Lob, uns wäre es viel lieber, wenn England auch Anstrengungen machte, die den unserigen entsprechen. Aber damit hat man es in London nicht so eilig.
Rußland.
Petersburg, 30. Jan. Mit Genugthuung registriert die Residenzpresse die angebliche Verstimmung Wiens über die deutsche Forderung von 280 Millionen für Wrhrzwecke. Die „Nowoje Wremja" meint, da die Kriegsgefahr momentan nicht so groß
sei, so beweise die Vorlage das Bestreben Deutschlands, eine Militärmacht zu schaffen, kraft deren erdrückenden Uebergewichts eS allen anderen Staaten befehlen könne. Unter solchen Umständen müßten andere Staaten sich erst recht die vollste Freiheit ihrer Handlungen bewahren.
Aus Warschau sind neuerdings wieder 105 Nicht-Russen ausgewiesen worden, davon an 30 Deutsche.
Türkei.
Konstantinopel, 28. Janr. In Kukajan haben Offiziere wegen Ausbleiben der Gehälter den ersten Finanzbeamten geprügelt. — Krupp hat wegen Nichteinhaltung der Verbindlichkeiten seitens des Finanzministers ein neues Ultimatum gestellt. Bulgarien.
Prinzeß Clementine, Mutter des Prinzen Ferdinand, hat der bulgarischen Eisenbahn Sofia eine Lokomotive geschenkt.
Amerika.
i N e w y o r k, 30. Januar. Heute früh brach ^ Feuer auf dem Broadway aus, zerstörte ein Geviert ! hoher Gebäude. Der Schaden wird auf 2 Millio- ^ neu Dollars geschätzt. Einige Feuerwehrleute sind ^ verletzt.
Kleinere Mitteilungen.
Stuttgart, 27. Jan. Ein eigenartiger Vorfall versetzte heute die Einwohner der oberen Stadt in nicht geringe Aufregung. Die Frau des in der Rothebühlstraße wohnenden Werkmeisters Widmann hatte vor einigen Tagen ein totes Kind geboren und war dann auch ganz Plötzlich, nachdem sie über Krampf im Bein geklagt, gestorben. Der Mann war außer sich vor Schmerz und behauptete steif und fest, obwohl Aerzte und Totenschauer den Tod der Frau konstatiert hatten, wie es heißt, auf Grund der Einreden alter Weiber, seine Frau sei nur scheintot. Auf heute Nachmittag war die Beerdigung angesetzt. Der Leichenwagen stand vor der Thür, das Trauergefolge hatte sich eingefunden, aber der Mann litt nicht, daß der Sarg geschlossen ward. Trotz der wiederholten Versicherung von Arzt und Leichenschaner, daß die Frau wirklich tot, blieb er dabei, daß sie nur im Starrkrampf liege. Der Kutscher mutzte mit dem Leichenwagen unverrichteter Sache wieder abfahren, das Traucrgefolge auscinandergehen. Der Mann war weder durch Zureden noch durch Gewalt dazu zu bringen, die Leiche aus dem Hause zu lassen. Von klatschsüchtigen alten Weibern wurden natürlich allerlei Schauermärchen in Umlauf gesetzt, daß die Frau wirklich nur scheintot sei, was aber nach den ganz bestimmten Erklärungen rein aus der Luft gegriffen in. Der Lcichengeruch wurde konstatiert.
Königshütte, 25. Jan. Seit beinahe fünf Wochen liegt die etwa 30jährige geisteskranke Tochter eines hiesigen Eisenschlackenhändlers im anscheinend tiefen Schlafe. Kein Mittel, sie aus der Lethargie zu reißen, hat bisher Erfolg gehabt. Man flößt ihr Nahrung mit Gewalt ein. Der Arzt, der sie behandelt, glaubt indessen, daß seine Patientin sich nur mit der den Geisteskranken öfters eigenen Beharrlichkeit verstelle.
Eine Frau in Kempten, welche fünf Jahre hintereinander jedes Jahr ihren Ehegatten mit Zwillingen beschenkt hatte, versetzte denselben abermals — also zum sechsten Male innerhalb sechs Jahren — durch die Geburt von Zwillingen in eine freudige Stimmung. Von den zwölf Kindern lind acht am Leben.
fEine weltcrschütternde Erfindung.) Ein Berliner Schneidermeister soll, nach der Darstellung eines Berichterstatters einen. Apparat erfunden haben, „mit welchem man jeden Menschen in wenigen Minuten förmlich abmsdelliercn kann." Der Apparat aus feinem Uhlfederstahl gefertigt und nach allen Richtungen hin verstellbar, wird an den Körper, — gleichviel ob Mann, Weib oder Kind — angelegt und ist durch einen leicht zu handhabenden Mechanismus in wenigen Minuten dem betreffenden Körper glatt angepaßt. Von demselben wieder abgenommcn, giebt er die vollständige Büste wieder, und nachdem er auseinandergelegt ist, erhält man das genaue Maß, bezw. den Schnitt des für die betreffende Person erforderlichen Gewandes.
Von Graf Herbert Bismarck erzählt Hans Thunicht- gut noch, daß er ein hübscher Mann sei, ein schlanker brauner Krauskopf, welcher vom Vater die starken Brauen und den dicken Schnurrbart geerbt hat, auch den etwas mißtrauischen Blick, der noch nicht durch eine souveräne Spottlaune gemildert wird, wie sie im Auge des Kanzlers blitzt. Er ist nicht so groß und breit wie sein Vater und sein Haupthaar ist dicht wie ein Urwald. Damit steht er unter den männlichen Gliedern der Familie Bismarck einzig da, die alle sonst einer entlaubten Eiche oder dem Simson gleichen, als die Scheere der Delila ihn grausam bearbeitet hatte. Lieber Himmel, wer muß nicht im Leben Haare lassen! Graf Herbert ist noch unbeweibt und eine gute Partie.
Posen, 23. Jan. Wie die „Pos. Ztg." berichtet, wurde in der evaug. Garnisonskirche am 22. d. M. ein Soldat getauft, der bis jetzt weder getauft noch konfirmiert worden war.
In der Gemeinde Tr ins in Graubünden machen der Arzt und Totengräber schlechte Geschäfte. Von Mitte Juni 1S87 bis zum Ende genannten Jahres kam dort kein Todesfall vor und der Arzt hatte während dieser ganzen Zeit nur 2 Krankenbesuche zu machen. Der Ort zählt 906 Einwohner. Glückliches Trins!
Eine eingefrorene Zeitung. An der Spitze des „Pre-