Kunst, interessant, fesselnd, anregend zu sprechen. Man mag seine Anschauungen nicht teile», so wird man sich dem bestrickenden Eindrücke seiner Worte nicht entziehen können, die ödeste, langweiligste De­batte gelangt in eine reißende Strömung, sobald er in dieselbe eingreift. Er bringt immer neue Gesichts­punkte, neues Material und inspiriert seine Gegner zu lebhafter Diskussion. Eugen Richters Bedeutung liegt in seiner dialektischen Gewandheit, seiner erstaun­lichen Schlagfertigkeit, in seiner Begabung für Satire und Ironie und in seinen ausgebreiteten Kenntnissen. Er wirkt durch die glänzende Macht seiner Reden und durch den leidenschaftlichen fließenden Bortrag an positivem Gehalt, an staatsmännischen Ideen werden spätere Geschlechter aus den gesammelten Werken dieses Meisters der Verneinung kaum etwas zu schöpfen vermögen. Eine einzige Rede Bismarcks wiegt an innerem Wert ein halbes Hundert Richter'- fcher Repliken auf, mögen auch die letzteren für den Augenblick eine zündendere Wirkung ausüben, da ihr Kern aus geschickten persönlichen Angriffen besteht.

Die Nordd. Allg. Ztg. meldet, daß die feierliche Grundsteinlegung des ReichstagSgebäudeS gegen Ende dieses Monats stattfinden wird, also zu einer Zeit, wo der Reichstag nicht zu Hause ist. Der Präsident erklärte, die Abgeordneten hievon zu benachrichtigen.

Die Berliner deutsch-freisinnigen, früher fort­schrittlichen Blätter gestehen und beklagen ganz offen den Bruch der neuen Fusion, der durch die verschie­dene Abstimmung der Fusionierten zum Sozalisten- gesetz bewirkt worden ist. DieBerliner Ztg." sagt, eS habe sich ergeben, daß die Verschmelzung der bei­den Parteien ein Fehler gewesen sei. Die Partei habe die Feuerprobe nicht bestanden. Sie habe ihren Grundsatz:Gleiches Recht für Alle" verleug­net und befinde sich in vollster Auflösung.Alles Vertuschen, alle Schönmalerei", schreibt sie,hilft heute Nichts mehr, die vereinigte Partei hat ein klägliches Fiasko erlitten, das nicht verfehlen wird, bei wirklich liberalen Wählern den peinlichsten Ein­druck hervorzurufen." Insbesondere ist die Berl. Z. mit der Abstimmung Forckenbecks, die nicht im Sinne der Berliner Bürgerschaft ausgefallen sei, unzufrieden.

Der Prozeß v. Kraszewski-Hentsch, so schreibt man derB. L.-Z." von Berlin, wird allseitig mit allergrößter Aufmerksamkeit verfolgt. Man sieht in ein Getriebe hinein, das an Gewissenlosigkeit und Mangel an Vaterlandsliebe seines Gleichen nicht hat. Die militärischen Behörden dürften für den Fall der Verurteilung Hentsch's sich angelegen sein lassen, dessen Helfershelfer zu entdecken, die sich von dem früheren Hauptmann bestechen ließen, und deshalb wird der jetzige Landesverratsprozeß seine sehr üblen Nachwehen haben. Politisch betrachtet, ist die Leip­ziger Verhandlung ungewöhnlich interessant, denn wir erfahren, wie umfassende Anstrengungen die franzö­sische Regierung gemacht hat, um durch Spione hinter deutsche Militärgeheimnisse zu kommen. Der Vor­wurf, von Spionen umlauert zu sein, die alles Fran­zösische brühwarm an Moltke melden, ist in Paris feit Jahr und Tag ein stereotyper, die Behauptung hat bisher durch nichts erwiesen werden können, während jetzt vor aller Welt der Nachweis geliefert wird, daß die französische Regierung jede Summe usgegeben hat, um durch Spionageberichte dahinter au kommen, was seit 1871 in Spandau, in Metz, zu Berlin und wo sonst nicht noch auf militärischem iGebict vorgegangcn ist.

Bei dem Laudesverratsprozeß des Kraszewski- Heutsch-Adler drängt sich unwillkürlich die Frage auf: Wie ist es dem nicht mehr im Dienst befind­lichen Hauptmann Hentsch gelungen, im Laufe der Jahre eine solche Menge geheimen Materials zu be­schaffen? Denn nach flüchtiger Schätzung weiß man von ungefähr dreißig Dokumenten, welche er ent­wendete und verriet. Hentsch verkehrte viel in Mi­litärkreisen; er war mit einer Menge von Offizieren bekannt und wurde von allen als alter Kamerad ge­schätzt, der noch immer allen militärischen Dingen sein vollstes Interesse zuwandtc. Kein Wunder, daß man ihm hie und da einmal eine neue geheime In­struktion zur Durchsicht aus einige Stunden über­ließ: denn Niemand ahnte in diesem Freunde (der ja immer noch Offizier geblieben war) einen Ver­räter. Wenn Hentsch das Material aber nicht harm­los leihen konnte, so stayl er cs. Besuchte er einen seiner Kameraden im Dienst und sah auf dessen Schreibtisch eine neue Instruktion oder ein sekretes Ak­tenstück liegen, so entwendete er es bei passender

Gelegenheit, um es beim nächsten Besuche wieder in die jWohnung des Kameraden zurückzuschmuggcln, nachdem er daheim unter Zuhilfenahme der Nacht und mit einen! dummen Schreiber in rasender Eile eine Kopie genommen hatte. Der Kamerad hatte das entwendete Schriftstück manchmal noch gar nicht vermißt, so lag es bereits wieder in einem Neben­fach seines Schreibtisches. Und wenn er es vermißt und stundenlang vergeblich gesucht hatte und es end­lich am nächsten Tage wiederfand, dann schalt er wohl die eigene Nachlässigkeit, die ihn Tags zuvor den Platz nicht hatte finden lassen, an welchen er es gelegt. Ob Hentsch mit seinen Vcrrätercien viel Geld verdient hat, ist fraglich. Die von der An­klage aufgezählten Summen betragen nach flüchtiger Schätzung ungefähr 30000 An die höchsten Geheimnisse des deutschen Generalstabes scheint er nicht herangekoinmcn zu sein. Nebenbei hat der Gauner Adler wohl das Meiste geschleckt. Derselbe scheint in Wien spurlos von der Bildfläche ver­schwunden zu sein.

Leipzig, 16. Mai. Prozeß Kraszewski- Hentsch. Heute haben die Plaidoyers begonnen; Reichsanwalt Treplin beantragt das Schuldig in vollem Umfange und Sinne der Anklage und bittet, bei Hentsch mildernde Umstände auszuschließen. Der­selbe beantragt gegen Hentsch lo Jahre Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust, gegen Kraszewski 5 Jahre Zuchthaus und 5 Jahre Ehrverlust.

Oesterreich-Ungarn.

Die WienerPresse" bezeichnet die jüngste Reichstagsrede des Fürsten Bismarck als weitaus seine bedeutendste Kundgebung auf dem Gebiete der sozialen Frage, denn sie enthalte, was die Parteien so oft forderten, das volle und ganze Programm der leitenden deutschen Sozialpolitik.In drei schlich­ten Sätzen, so schreibt das Blatt, hat der Fürst das­selbe ausgesprochen: Den gesunden Arbeitern Arbeit, den kranken Verpflegung, den invaliden Versorgung. In der That, in diesen 3 Punkten gipfelt für alle Vernünftigen die soziale Frage und so weit ist der Staat im Stande, sie einer Lösung näher zu bringen. Mit den utopistischen Träumen des Anarchismus vom allgemeinen Besitz und Genuß nach gründlicher Liqui­dation der heutigen Gesellschaft, mit den sozialistischen Tendenzen, dem sogenannten vierten Stand nun end­lich die wirtschaftliche, politische und kulturelle Herr­schaft über Kapital und Intelligenz zu erringen mit allen diesen teils törichten, teils verbrecherischen Illusionen hat die Bismarck'sche Gesellschaftsreform nichts gemein. Die heutige Schichtung der Gesell­schaft soll als bleibende Voraussetzung der nationalen und kulturellen Entwickelung beibehalteu werden, nur daß der Staat die ausgleichende Gerechtigkeit repräsentiert, daß er der Ausbeutung des Schwachen durch den Starken steuert, die Existenzbedingungen der Arbeit, die im wilden Kampfe der unbeschränkten Konkurrenz verloren gingen, wieder herstellt. Es ist unmöglich, den Arbeiter in einen Anteil an den Gü­tern dieser Erde einzusetzen, ohne den Anderen das Aequivalent wegzunehmen, aber es ist möglich, ihm den Weg zum Besitze zu eröffnen, indem der Erwerb gesichert wird."

Wien, 16. Mai. Gegen fünf Uhr brach im Innern des Stadttheatersein Brand aus, welcher andauert. Das Theater wird für unrettbar verlo­ren gehalten. Die Feuerwehren Wiens und Umge­bung sind in gefahrvollster Tätigkeit für die Rettung der anstoßenden Gebäude. Kein Menschenverlust.

Wien, 17. Mai. Das Stadttheater ist voll­ständig abgebrannt. Gegen 10 Uhr gelang es, das Feuer zu lokalisieren. Die Nachbarhäuser sind außer Gefahr, kein Menschenverlust ist zu beklagen. Vier Wachmänner wurden bei den Löscharbeiteu verletzt.

Wien, 17. Mai. Die polizeiliche Vernehmung des technischen Theaterpcrsonals stellt nahezu als gewiß fest, daß die Nachlässigkeit eines auf dem- sterbodeu beschäftigt gewesenen Zimmermanns den Brand des Theaters verursacht hat.

Lemberg, 13. Mai. In letzter Nacht wurde in Buczacz im belebtesten Teil des Städtchens ein sechsfacher Raubmord verübt. Von einer ganzen Familie wurde blos ein achtjähriger Knabe gerettet. Schweiz.

Solothurn. In der Nacht vom 12. auf den 13. ds. brannten in Winznau 8 Häuser und 2 Scheunen nieder. Zwei Personen werden ver­mißt; 8 Stück Vieh blieben in den Flammen.

Frankreich.

Paris, 14. Mai. Ein Privattelegramm des Temps" aus Aden meldet: Bei Stana ist eine furchtbare Empörung ausgebrochen; 300 Türken wurden dabei niedergemetzelt.

Paris, 13. Mai. Zwischen Frankreich und England ist lautKöln. Z." ein Einvernehmen über die Konferenz zustande gekommen; man erwartet, daß Lord Granville diesen Abend dies dem englischen Parlament anzeigen werde. Wie versichert wird, soll die Konferenz in London Ende Juni oder an­fangs Juli zusammentreten.

England.

Die schnellste Fahrt zwischen England und Amerika machte der Dampfer Oregon. Er legte die Fahrt von Queenstown nach Ncwyork in 6 Tagen 10*/s Stunden zurück. Maschinen und Kesselfeuer des Oregon sind größer und anders gebaut als auf andern Schiffen und das ganze Schiff darnach ein­gerichtet. Es führt nur Reisende erster Klasse und diese zahlen 273 Gulden in Gold.

Rußland.

(Achtfacher Mord.) In Bjelopolje, Gouverne­ment Kiew, hat ein beurlaubter Soldat namens Ru- denko seine gesamte Verwandtschaft, Mutter, drei Schwestern, Schwager, (zwei Schwestern waren noch im Kindesalter), die Frau seines verstorbenen Bru­ders nebst deren zwei Kindern, Mädchen, also im ganzen acht Personen, im Schlafe mit dem Beil er­mordet. Die That ist mit ungewöhnlicher Energie und Wildheit verübt und nur der Schwager scheint Widerstand geleistet zu haben, denn er weist sieben Wunden auf. Der Mord scheint wegen Familien­zerwürfnissen begangen zu sein, denn kein Raub an Eigentum ist verübt worden. Der Mörder hat merk­würdiger Weise einen stillen, nüchternen Lebenswan­del geführt, besitzt seine vollen Geisteskräfte, so daß die That rätselhaft erscheint. Der Mörder, blutbe­deckt, zeigte selbst den Mord bei der Behörde an, leugnet aber, denselben begangen zu haben, obgleich die Beweise gegen ihn überwältigend sind.

Italien.

Der italienische Kriegsminister hat dieser Tage in der Kammer einen Antrag ans Erhöhung des jährlichen Rekrutenkontiugcnts von 65 000 auf 80 000 Mann eingebracht. Wie die italienischen Zeitungen ausrechnen, würde dadurch die Stärke der italienischen Feldarmee auf 540 000, die der Milizia mobile auf 200000 Mann gebracht, das heißt auf die doppelte Zahl der Streitkräfte, über welche Ita­lien im Jahre 1860 verfügte.

^ Egypten.

Ein Telegramm aus Kairo meldet vom 14. Mai: Der Aufstand nähert sich Dongola. Debbath ist gegenwärtig die letzte Telegraphenstation über Dongola hinaus, die im Betrieb ist.

Kairo, 15. Mai. England hat die Absendung egyptischer Truppen nach Wadi-Halfa seitens der egyptischen Militärbehörden untersagt. Der Gouver­neur von Dongola ersucht fortgesetzt, Verstärkungen oder wenigstens Waffen und Munition zu senden; wie es heißt, wird aber diesen Bitten mit Rücksicht auf die geringe Zuverlässigkeit der Truppen nicht stattgegeben werden.

Vom Mahdi entwirft ein Korrespondent der Daily News" in Dongola folgendes Bild:Die aufständische Bewegung ist eine sonderbare Mischung von religiösem, politischem und sozialem Fanatismus. Es ist ein Krieg gegen den Türken, den Ungläubigen und den gemeinsamen Feind der enterbten Mensch­heit den reichen Mann. In dem neuen Reiche soll es keine Arme und keine Reiche haben. Jeder fall etwas und keiner zu viel haben. Mahommed Achmet, der Mahdi, ist ein äußerst willensstarker und intelligenter Mann. Er läßt sich in eine unfrucht­bare Diskussion seiner Mission nicht ein. Wer die Heiligkeit seiner Sendung in Zweifel zieht, wird ein­fach um einen Kopf kürzer gemacht. Der Mahdi führt ein äußerst einfaches Leben. Seine einzige Schwäche ist seine Neigung für das schöne Geschlecht und er soll nicht weniger als 39 Frauen zählen, während seine Religion ihm nur 4 erlaubt. Das Gebot umgeht er durch zeitweilige Scheidungen. Aller Luxus ist dem Mahdi verhaßt; in El Obeid darf niemand auf einem weichen Pfühl schlafen; nie­mand darf rauchen und berauschende Getränke trinken; selbst der Kaffee ist verboten. Ein Kaufmann, der in den Straßen der Stadt mit einer Cigarette im Munde getroffen wurde, erhielt dafür von dem Mahdi