seit dem Tode ihres Kindes von niemanden mehr gesehen worden. Sie war im Hause ihrer Mama infolge der Aufregung erkrankt, und sollte sich dann zu ihrer Erholung nach Öberitalien an die Küste des mittelländischen Meeres begeben haben. Warum Herr von Rosen nicht bei ibr weilte, wußte man eigentlich nicht. Wichtige Geschäfte konnten ihn in Bernburg doch keineswegs zurückhalten, und persönlich sah er so leidend und angegriffen aus, daß ihm ein Aufenthalt in einer gesunden Gegend keinesfalls geschadet haben würde. Jedenfalls war er nervös so aufgeregt, daß es zwischen ihm und seiner Schwiegermama, der Kommerzienrats) Dernbach, zu einem kleinen Konflikt gekommen sein mußte, der Verkehr zwischen beiden Personen war auf ein Minimum reduzirt. Im Vertrauen gesagt, hätte man nicht die Redereien der Bekannten und guten Freunde gefürchtet, der Verkehr wäre auch äußerlich vollständig abgebrochen worden.
Es war zu Anfang Februar 1877. Als Herr von Rosen in den Salon seiner Schwiegermama cin- trat, hielt er zwei Briefe in der Hand.
Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches, Herr Baron?
Gnädige Frau, ich beabsichtige selbst auf die Gefahr eines Eklats hin, einem Zustande ein Ende zu machen, den länger zu ertragen nicht mehr in meiner Macht liegt. Wo befindet sich meine Gattin?
Sie meinen meine Tochter, Herr Baron? Ich habe nicht das Recht, Ihnen das mitzutheilen.
Ich muß das wissen, wenn ich nicht dem sichern Tode verfallen soll.
So leicht stirbt jemand nicht, Herr Baron, der in zwei Monaten zwei verschiedene Personen ewige Liebe und Treue schwören kann.
Gnädige Frau! fuhr Herr von Rosen auf.
Bitte, Herr Baron, Sie stehen einer alten Frau gegenüber.
Bitte um Verzeihung, Frau Commerzienrath, entschuldigen Sie meine Aufregung, aber helfen Sie einem Bittenden. Ich habe schwer gesündigt, aber ich habe auch furchtbar gebüßt. Sehen Sie, ich habe hier die beiden Briefe, die mich so namenlos unglücklich gemacht, helfen Sie mir die Schuld sühnen und ich werde Ihnen ewig dankbar sein.
Was für Briefe sind das?
Der eine ist von meiner Frau, und der andere —
Nun, und der andere?
Der andere ist —
Bitte, geben Sie die Briefe einmal her!
Mechanisch folgte Herr von Rosen dem Gebote und Frau Dernbach las die beiden Schreiben. Der Brief, den ihre Tochter am Tage nach der Beerdigung des kleinen Max geschrieben hatte, lautete:
Wenn Sie einen Blick auf den in diesem Schreiben eingeschlossenen Brief, den der Zufall zusammen mit einer Photographie mir in die Hände geführt hat, werfen, So werden Sie wissen, daß es mir jetzt, wo der Tod das einzige Band, das uns an einander fesseln konnte, zerrissen hat, unmöglich ist, länger mit Ihnen vereint durch das Leben zu gehen. Ein Mann, der so seine Schwüre brechen kann, wie Sie es ge- than, der in demselben Augenblick, wo ihn die heiligsten Pflichten an ein anderes Weib fesselten, neue Bande knüpfte, der Liebe heuchelte, wo die Grundlage aller Liebe, das gegenseitige Vertrauen fehlte, ein solcher Mann kann selbst nicht einmal wünschen, daß eine Frau ihr Schicksal an das seinige knüpft. Wollen Lue mir, die Sie — ich scheue mich nicht, dies einzugestehen — namenlos unglücklich gemacht haben, noch eine Bitte erfüllen, so ist es die, nicht nach meinem Aufenthaltsort zu forschen. Das von mir gefundene Schreiben lege ich bei, die Photographie erlaube ich mir, zu behalten. Dieselbe wird mir vielleicht helfen, eine heilige Pflicht zu erfüllen.
Elisabeth von Rosen.
Das eingelegte Schreiben war aus Minden datirt, es trug die Unterschrift Eugenie Walter und das Datum 20. April 1874. Der Schluß desselben lautete: Mögen Sie glücklich sein, wenn es Ihnen möglich ist und möge Ihre Frl. Braut niemals erfahren, daß eine andere heiligere Rechte an ihren Bräutigen hatte, als sie selbst. Für Ihre Unterstützung danke ich; meine Liebe war für Geld nicht feil. Für unser Kind werde ich zu arbeiten wissen, sollte ich sterben, so wird schon Der sorgen, der die Waisen noch niemals verlassen hat. Wenn Sie diesen Brief erhalten, werde ich bereits abgereist sein, eine Antwort Ihrerseits würde mich deshalb nicht mehr antreffen.
Nachdem Frau Commerzienrath Dernbach die beiden Briefe, den letzten mit sichtlicher Spannung gelesen hatte, faltete sie dieselben ruhig zusammen, überreichte sie Herrn von Rosen und fragte: Und trotzdem verlangen Sie, daß ich die Hand bieten soll, daß meine Tochter zurückkehrt? Nimmermehr!
Gnädige Frau, die Folgen Ihrer Weigerung treffen Sie!
Ich nehme sie aus mich , antwortete die alte Dame kalt.
Nun, ich reise noch morgen ab, um meine Frau zu suchen; um keinen Skandal vor den Leuten zu provoziren, die bereits die Köpfe zusammenstecken, wenn ich mich blicken lasse, werde ich Ihnen nominell die Verwaltung meines Hauses übertragen, in Wirklichkeit werden Sie keine Last davon haben; ich werde meinen Anwalt genügend instruiren. Nur um eins bitte ich, lassen Sie die Zimmer meiner Frau, in denen seit ihrem Verlassen noch nichts geändert ist, und das meines Kindes unverändert.
Es war am 12. Mai 1878, als in einem kleinen Städtchen am Rhein nicht weit von Bonn eine junge und doch schon halb entblätterte Menschenknospe sich zum ewigen Schlafe schloß. An ihrem Bette kniete eine Dame in tiefem Schwarz, neben ihr ein kleiner Knabe von etwa vier Jahren, der mit mehr neugierigen, als ängstlichen Blicken den Begebenheiten zuschaure und nicht begreifen konnte, daß Tante Elli aufschluchzte, weil seine Mama eingeschlasen, wie das schon so oft geschehen war.
Sie hat ausgelitten, Herr Pastor, sagte sich aufrichtend die Dame, welche der Kleine Tante Elli genannt hatte, zu einem eintretenden Priester. Sie hat sich selbst den Text für Ihre Leichenpredigt ausgewählt. Sie finden ihn 1. Eor. 13,7 — ich möchte auf ihren Grabstein gesetzt haben: „Hier ruhet aus von des Lebens Noth und Kummer, die ihr nach kurzem Wonnetraum reichlich zugemessen wurden rc."
Ihr Wunsch wird geschehen, gnädige Frau, und der Herr wird Ihnen lohnen, was Sie an der Armen gethan.
Reden Sie davon nicht, Herr Pastor, ich habe nur eine Schuld abgetragen, ich habe schwer an der Verstorbenen gefehlt, ich habe ihr das Liebste geraubt, allerdings unbewußt und ungewollt, und habe viel von ihr gelernt, am meisten aber, daß ihr liebster Bibelvers recht hat, welcher sagt, daß die wahre Liebe niemals aufhört.
Sie wollen unser Städtchen bald wieder verlassen, gnädige Frau?
Vielleicht bleibe ich doch noch den Sommer hindurch hier, und lasse meine Mama einige Monate herüberkommen.
Haben Sie sonst niemanden auf der Welt?
Nein, antwortete herb die Gefragte, ich habe an einem Tage mein einziges Kind und meinen Gatten verloren. Doch entschuldigen Sie, Herr Pastor, ich habe noch Geschäfte zu besorgen. Leben Sie wohl.
Etwas verwundert schaute der alte Geistliche ihr nach und sagte dann kopfschüttelnd: Da ist auch etwas nicht ganz in Ordnung, aber wie soll ich es ändern? Wer meinen Rath gewissentlich meidet, dem kann ich ihn nicht aufdrängen.
Langsam stieg der Priester die kleine Anhöhe zum Städtchen hinab. Mitten auf dem Wege begegnete ihm ein elegant gekleideter Herr, der in athem- loser Hast den Hügel zum einsam gelegenen Hause hinaneilte. Als er den Pfarrer erblickte, mäßigte er seine Schritte und blieb dann bei dem alten Herrn stehen.
Entschuldigen Sie, daß ich Sie hier anrede, können Sie mir vielleicht Auskunft darüber geben, ob in jenem Hause eine Dame wohnt, die den Namen Eugenie Walter trägt?
Sie hat dort gewohnt, mein lieber Herr!
lind wo wohnt sie jetzt!
Sie ist vor einer halben Stunde in jenes Land abgeschieden, von dem man nicht wiederkehrt.
Zu spat! rang es sich von den Lippen des fremden Herrn, der für einen Augenblick einer Ohnmacht nahe schien, so veränderten sich seine Gesichtszüge. Todt! Und ich habe meine Schuld nicht sühnen können. Schicksal, du bist grausam. Dann sich aufraffend, fragte er: War die Dame allein?
Nein, eine Freundin, eine junge Wittwe, die sie hergebracht und die Monate lang Alles aufgeboten hat, das geknickte Leben zu retten, war bis zu ihrer letzten Minute bei ihr, und —
Nun, und? fragte hastig der Fremde.
Und ein kleiner Knabe, der die Verstorbene Mut
ter nannte, und der den Namen Max führt, kniete mit am Sterbebette.
Mein Sohn! war alles, was der Fremde hervorstieß, der dann mechanisch dem Geistlichen die Hand reichte und eiligst dem Hause zuging.
Vielleicht bringt der heutige Tag die Lösung aller der Räthsel, welche die Todte umschweben, dachte der Priester, als er seinen Weg zum Städtchen fortsetzte. (Schluß folgt.)
Allerlei.
Erwartungen. Nichts in dieser Welt ist der Entwickelung der Geisteskräfte so verderblich, als das, was man gewöhnlich Erwartungen oder Aussichten nennt. Man nehme zwei Knaben von demselben Alter uud soviel als möglich von denselben Fähigkeiten. Man sage dem einen, daß er der Erbe eines großen Vermögens ist, und dem andern, daß er keinen Heller zu hoffen hat, sondern sich auf seine eigenen Anstrengungen verlassen muß, und 10 Jahre später wird man einen gewaltigen Unterschied zwischen Jenen bemerken. Der eine wird sein Pfund vergraben und der andere es zu wucherischen Zinsen ausgeliehen haben.
— (Diphtheritis.s Ein Beispiel von lleber- tragbarkeit der Diphtheritis auf Katzen berichtet das „Boston Medical and Surgical Journal". In einer Familie in Newyork, in welcher fünf Kinder an Diphtheritis krank lagen, ließ inan zuweilen drei junge Kätzchen in das Krankenzimmer. Sämtliche Thiere wurden von der Diphtheritis befallen und starben am Tagen nach der Erkrankung. Die Untersuchung ergab reichliches Vorhandensein diphtheritischer Membranen in ihrer Kehle. — In Leipzig starben voriges Jahr zwei Vögel, welche im Zimmer eines an Diphtheritis erkrankten Kindes hingen : die Section ergab auch bei diesen Thieren die gleiche Krankheit.
— Die reichste Sprache. Einige Gelehrte stritten sich einst bei einem Spaziergange darum, welche Sprache die reichste sei. Ein Philologe schwor natürlich, auf das Griechische, während ein Jurist die Lateinische für die reichste Sprache erklärte. Ein Lehrer der orientalischen Sprachen stimmte für die heilige Sprache der Vedas, für den Sanskrit, ein Zeitungs - Redactenr für die deutsche, während ein Mediciner, der einmal in Paris gewesen war, für den großen Wortschatz des Französischen schwärmte. Während nun jeder einzelne alle die Gründe, die er für feine Meinung geltend gemacht hatte, noch laut wiederholte, taumelte ein Betrunkener auf die Herren zu und halb für sich, halb gegen diese gekehrt, lallte er: — „Der Wirth sagt zwar, ich sei besoffen, — Ich habe aber nur einen kleinen Hieb ja, etwas im Thran bin ich - kanonenvoll bin ich nicht — nur ein bischen schief geladen haben wir — nee dieser Brand — bist du aber angesäuselt, — Wie kann man nur so knille sein — so duhn war ich lange nicht, das ist ja ein Saurausch —" und damit fiel er in die Gosse. Redakteur, Ihr habt recht?" rief der Jurist. „Es lebe der Reichthum unserer deutschen Muttersprache!"
Die „Germania," Lebens-Bersichernngs-Actien- Gesellschaft zu Stettin, hat nach ihrem jetzt festge- stellten 22. Geschäftsabschlüsse auch im Jahre 1879 wiederum günstige Erfolge und eine erhebliche Steigerung ihres Geschäftes erzielt. Neu versichert wurden im vergangenen Jahre 21,870,992 ^ auf das Leben von 7523 Personen. In Kraft waren ani Ende des Jahres 127,835 Policen über 231,333,970 »fL Kapital und 134,940,31 jährliche Rente. Unter diesem Bestände waren 86,923,451 Mark gegen eine Jahresprämie von 3,290,317,73 auf das Leben von 18,401 Personen mit Anspruch auf Dividende versichert. Diese Versicherungen mit Gewinnantheil erhielten 1879 einen Zugang von 3894 Personen mit 17,639,238 otL Versicherungssumme und zeigen gegen den Bestand des Vorjahres einen reinen Zuwachs von 2802 Personen mit 12,747,555 IL Versicherungssumme. Die gesummte Prämien - Einnahme stieg um 543,270 ^ auf 8,039,621 cU, die Zinsen-Einnahme aus den Geldanlagen um 137,852 „fL auf 1,755,852 cM, die Jahres-Einnahme an Prämien und Zinsen zusammen um 681,122 auf 9,795,473 ^ Für 1879 fällig gewordene Versicherungs-Beträge wurden ausgezahlt resp. reservirt 3,534,038 ^ Die Sterblichkeit unter den Versicherten war für die Gesellschaft günstig. Dem Prämien - Reservefonds wurde aus der Ein-