Handel in der Südsee dem Auslände überantworten will, ein Telegramm aus Hamburg den mit geradezu erschreckender Majorität errungenen Wahlsieg eines sozialdemokratischen Kandidaten für den Reichstag meldet. Nationalliberalismus und Fortschritt haben trotz eifrigster Wahlagitation und trotz Herrn Eugen Richters fulminanter Philippika zusammen kaum "st der Stimmenzabl zu gewinnen vermocht, welche dem sozialdemokratischen Bewerber zugefallen ist. Die Thatsache ist zu ernst, um schadenfrohe Glossen daran zu knüpfen, auch wollen wir die gründlichere Beantwortung der Frage, wie es so kommen konnte, gerne dem Hamburger Kollegen überlassen. Bei unbefangener Kritik werden diese aber bald selbst entscheiden, ob die Thatsache. daß Politiker vom Schlage Bam- berger und H. H. Maier in Hamburg noch als Autoritäten gelten können und dürfen, nicht in gewissem Zusammenhänge mit den Politischen Doktrinen steht, die in so fabelhast rapidem Fortschreiten die unteren Bevölkernngsschicküen der Stadt vollständig erfüllt zu haben scheinen. (W. L.)
Berlin, 29. April. Der Seniorenkonvcnt beschloß heute, daß am Dienstag, II. Mai, die Reichstagssession zum Schluß kommen solle. Bis zum Schluß werden noch erledigt: Wucher-, Sozialisten- und Viehsenchengesctz, der Handelsvertrag mit Belgien und die Interpellation wegen Einverleibung von St. Pauli in den Zollverein, wahrscheinlich auch noch die Brausteucr. Unerledigt bleiben die Gesetze über Stempelnvgaben, Faustpfandrecht, Dienstwohnungen, das Münzgesetz und der Antrag Volk auf Herabsetzung der Beschlußfähigkeit des Reichstages. Birchow, unterstützt vom Fortschritt, beantragt, den Antrag Völt auf Herabsetzung der Ziffer der Beschlußfähigkeit des Reichstages abzulehnen, ferner den Reichskanzler aufzufordern, eine Borlage wegen Gewährung von Diäten für die Reichstagsmitglieder zu machen und beantragt außerdem, daß dem Reichstag das Recht cingeräumt werde, die Gegenwart des Reichskanzlers zu verlangen. <N.-Ztg.>
Berlin, 29. April. Nach einer in unterrichteten Kreisen umlaufenden Version wird es für wahrscheinlich gehalten, daß Fürst Bismarck mit dem Plane umgeht, eine Vorlage über ein Rohtabak- Monopol, um keine Entschädigungen zu gewähren, ausarbeiten zu lassen. ;
Berlin, 3V. April. Bei der gestern über den Antrag Klotz, die Verminderung der Gerichtskosten betreffend, stattgehabten Debatte brachte der Abg. Frhr. zur Rabenau zur Sprache, daß, wenn man nicht die neuen Justizgesetze binnen Kurzem in der öffentlichen Meinung diskreditiren wolle, nicht nur eine baldige Revision des Gerichtskostenwesens erforderlich sei, sondern auch in Beziehung auf die gerichtlichen Exekutionen und das Gerichtsvollzieherwesen eine Wandlung einzutreten habe, und zwar derart, daß alle Exekutionen für die Gerichte, den Staat und die Gemeinden in die Hand eines fix besoldeten Exekutors gelegt werde». Dein Bundesrath könne von den Einzelregierungen das erforderliche Material über das Unhaltbare der jetzigen Zustände, sowie des Pauschalprinzips, auf welchem das Gerichtskostenwesen beruhe, bald zur Verfügung gestellt werden, wenn die Reichsregierung aut diese Revision eingehen wolle. In diesem Sinne solle dem Reichstage in der nächsten Session eine Vorlage gemacht werden. — Wie wir erfahren, ist der Oberbürgermeister von Berlin, Herr v. Forckenbeck, bereits damit beschäftigt, darauf hinzuwirken, daß die Exekution soviel als möglich in die Hand desselben Exekutors gelegt werden, damit die Armen, welche in der Regel von diesen Exekutionen betroffen werden, nicht vielleicht an demselben Tage von drei oder vier verschiedenen Exekutoren heimgesucht werden. ^ (W. L.)
Berlin, lieber den interimistischen Staatssekretär des Auswärtigen. Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst, schreibt man der „Magd. Zeitg." von hier: In erster Reihe ist es die Ruhe und die Milde seines Wesens, die Alle für ihn einnimmt; in seiner jetzigen Stellung übt er sich wohl als künftiger Reichskanzler. Würde doch Fürst Bismarck, wenn er heute zurücktreten könnte, die Geschäfte vermuth- lich in keines Anderen Hände lieber legen, als in die deS deutschen Botschafter bei der französischen Republik. Die Beziehungen dieser beiden Staatsmänner sind die intimsten schon seit vielen Jahren; Fürst Hvhenlohe-Schillingsfürst gab namentlich als bayerischer Ministerpräsident zu erkennen, daß und wie sehr er ganz und gar ein deutscher Mann ist. auf
den sich die Nation verlassen kann. Seitdem sind durch den unmittelbaren geschäftlichen Verkehr zwischen hier und Paris die beiden Männer nur noch mehr befreundet worden, und es besteht ein Verhältnis; zwischen ihnen, das, von Vertrauen und Hochachtung getragen, Dauer verbürgt. Fürst Hohenlohe vereinigt in sich alle Eigenschaften eines excellenten leitenden Ministers, er ist unbefangen, kenntnißreich, geschäftskundig, energisch, wohlwollend. Immer den Blick auf die Sache richtend, ist er Feind jeder Abschweifung; bei voller äußerer Unabhängigkeit hat er sich eine Einfachheit im Auftreten bewahrt, die überaus wohlthuend berührt. Der Reichstag — man merkte es ihm an — sah seinen alten Vizepräsidenten gern in seiner Mitte.
Durch fast alle deutsche Blätter ging in den letzten Tagen die Nachricht, daß Staatssekretär S tephan Anordnungen getroffen habe, die „Postsekretäre" in Zukunft nach Analogie der „Gerichts- schrciber" „Postschreiber" zu nennen. Das Gerücht ist, wie wir versichern können, vollkommen unbegründet. Es wäre auch ein komisches Zusammentreffen gewesen, wenn Herr Stephan in demselben Augenblick, in welchem er zum Staatssekretär erhoben wurde, seinen Beamten den Sekrctärstitcl hätte nehmen wollen.
Bezüglich der Wehrsteuer verlautet: Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden seien gegen dieselbe, würden jedoch in der Minderheit bleiben.
Fürst Bismarck hat parlamentarischen Freunden gegenüber erklärt, er würde, wenn sein Gesundheitszustand irgend gestattet, bei der nächsten Berathung des Handelsvertrags mit Oesterreich-Ungarn im Reichstage erscheinen, weil er Angesichts der Vorkommnisse in England für nöthig halte, in voller Oeffentlichkeit und im amtlichen Charakter sich über die politische Lage zu äußern.
Wie die Nat. Lib. Korr, wissen will, sind die Verhandlungen mit Rom zur Zeit vollkommen in's Stocken gerathen. In Rom lehnte man jeden thatsächlichen Akt der 'Nachgiebigkeit ab, und in Folge dessen sehe man sich in Berlin lediglich auf ruhiges und festes Abwarten angewiesen.
Eine nicht geringe Bestürzung ist über die guten Hamburger gekommen, seitdem sie merkwürdigerweise zuerst aus den Zeitungen erfahren mußten, daß ein Stück ihres heimathlichen Bodens in den Zollverein gelegt werden soll. 'Natürlich wird mit den Ausdrücken wie „Vergewaltigung" und „Ungerechtigkeit" und wohl noch weitergehenden Mißfallensäußerungen nicht sparsam umgegangcu. Der dem Bundesrath vorliegende Antrag hat allerdings nicht im Geringsten irgend einen Anschein der Berechtigung für sich, in dem Falle aber, wo Hamburg nicht nachzuweisen vermag, daß die Vorstadt St. Pauli erb- und eigenthümlich zu ihm gehöre - bietet der todte Buchstabe des Gesetzes Handhabe genug, eine Zollgrenze quer über eine der lebhaftesten Verkehrsadern Deutschlands zu legen.
Die hamburgischc Kaufmannschaft hat einstimmig eine Eingabe an den Senat angenommen, welche sich gegen den preußischen Antrag auf Einverleibung der Vorstadt L>t. Panli in das Zollgebiet richtet.
Hamburg. Der neue Vertreter der freien Reichs- und Hansestadt Hamburg im Reichstage, Hartmann, ist von Haus aus Schuhmacher und zur Zeit Restaurateur. Seine Wirthschaft hat in den letzten Tagen florirt. Alles ging hin, um bei dem neuen Reichstagsabgeordneten einen Kümmel zu trinken und den interessanten Wirth zu sehen. Italien.
Rom, 30. April. Nach dem gestrigen Mini- sterrathe überreichte Cairoli dem König am Abend die Demission des Kabinets.
England.
In London ist am 29. April das neue englische Parlament eröffnet worden, ohne Sang und Klang, d. h. ohne Thronrede, als hätte die Königin Victoria die Sprache über den unerwarteten Wechsel und den Verlust ihres Lieblings Disraeli verloren. Disraeli löste das alte Parlament auf, um eine stattliche Mehrheit zu bekommen, das neue hat sein Gegner Gladstone eröffnet. So wechselt alles wie Ebbe und Fluth unter dem Mond und der Mond selbst, der bald ein urgemüthliches und bald ein „schief Gesicht" macht.
Rußland.
Der Haupturheber der Explosion im Petersburger Winterpalais, Namens Szeviez,
dessen Verhaftung vor einigen Tagen in Petersburg telegraphisch gemeldet wurde, lebte, wie wir von gutunterrichteter Seite erfahren, Ende der sechziger Jahre mit seiner Mutter in Stuttgart, wo sein Bruder Attache bei der russischen Gesandtschaft war und wo er gleich diesem Zutritt bei Hofe hatte. Se. Majestät der König soll sich, wie aus Hofkreisen verlautet, nach Eintreffen der Nachricht von der Verhaftung Szeviez dessen noch wohl erinnert und sich sehr indignirt über seine ruchlose That ausgesprochen habe». Tie vornehmen Familienverbindungen Szeviez dürften vielleicht der Grund sein, warum die kaum erst offiziös bestätigte Nachricht von der Verhaftung des Attentäters plötzlich wieder, anscheinend von anderer offiziöser Seite, entschieden dcmentirt wurde. i'Tüb. Chr.)
Petersburg. Im Don-Gebiet droht eine bedenkliche Hungersnoth und schon sind verschiedene Fülle vom Hungertod gemeldet worden.
Türkei.
Stach dein Belgrader „Widelo" drangen am 5. April 1500 Albanesen vom Stamme der Mallisoren i» Prizrcn ein, zwangen Mukthar Pascha, acht Gerichtsbesitzer von Prizren zu entfernen und übergaben dem Pascha folgende Erklärung: Europa hat den Bulgaren ein Fürsienthum. dem Staate Oesterreich Bosnien und die Herzegowina, den FürsrenthlMiern Serbien und Montenegro Gebietsvergrößerungen gegeben. Wir Albanesen find nicht Einwanderer, wie die Osmanen, sondern die Ureinwohner dieses Landes , welche einmal selbständig waren, wie jemals Serbien. In Thessalien, Epirus und Albanien leben 3 Millionen Albanesen, die entweder untergeben oder das erlangen werden, was sie verlangen. Wir wollen cin Fürstenthum und euren Fürsten aus einer der regierenden Dynastieen Europa's.
Amerika.
Einwanderung. Der amerikanische Cor- respvndent der „Times" meldet unterm 27. Llpril, daß Auswanderer drüben in unerhörter Anzahl ein- treffen, hauptsächlich Iren. Deutsche und Schweden. Im Verlaufe des MouatS seien 34,000 in New-Aork angelangt: 3342 am letzten Sonnabend. Castle Garden (der Rew-Uorker Landungsplatz) sei förmlich überschwemmt. Die Eisenbalm-Gesellschaften feien genöthigt, Extrazüge am Sonntag abgehen zu lassen, um die Leute zu befördern, damit die Dampfschiffe dieser Woche die Neueintreffenden landen können. In andern Häsen sieht es gerade so. Der Dampfer „Straßburg" aus Bremen hat am Sonnabend 1914 Personen in Baltimore gelandet: die größte Anzahl, welche je mit einem Steamer befördert worden; sieben Kinder starben bei der Ueberfahrt, zwei wurden geboren. Die ganze Gesellschaft verließ vorgestern Abend Baltimore in vier Zügen nach dem Westen, wo sie sich in Minnesota, Iowa, Wisconsin und Rebrasca niederlassen werden. Man klagt über Ueberfüllung der Dampfer. Der deutsche Dampfer „Ohio" aus Bremen hatte am Freitag 1342 Einwanderer in New-Aork gelandet, darunter 272 Kinder. Dreizehn Kinder starben auf der Reise.
Kandel ä- Gerkehr.
Tübingen, 30. April. Die Messe geht heute in derselben kläglichen Weise, in der sic begonnen, zu Ende. Frostig wie der Mestverkehr ist dabei auch das Wetter, das in verflossener Nacht in der Temperatur einen bedeutenden Sprung nach abwärts gemacht hat. Heute früh 7 Uhr zeigte der Thermometer nur 3» über Null. — Der am Dienstag ab- achaltenc Biehmarkt war ebenfalls sowohl von Käufern als Verkäufern schwach besucht. Die Bauern, die meist noch über vorjährige Fnttervorräthe verfügen, erwarte» auch für Heuer wieder ein gutes Futterjahr und halten deshalb mit ihrem Vieh zurück. Es war in Folge dessen hauptsächlich nach jungem Vieh eine stärkere Nachfrage. Zugochsen waren etwa 300 Paare beigetrieben und wurden gehandelt zu 25—35 Karol., Mastochsen zu 35—50 Karol., Kühe 400 Stück zu 150—300 Mark, Schmalvieh 500 St. von 40 —200 Läuferschweine 100 Stück von 34—40, Milchschweine 500 Sr. von 25—33 Mark pro Paar.
Von der schwäbischen Alb, 28. Apr. DieHolz- prcise sind auf der Alb bedeutend zurückgegangen. Bei der kürzlich stattgefundenen Holzversteigerung in der Staatswaldung bei Marbach wurde für das Raummeter buchene Scheiter 6 für do. Prügel 5 für hundert buchenes Reis ca. 9 Mark erlöst. _ (N.-Ztg.)
Miedergefrrnbe» am Grabe.
Dem Leben nacherzählt.
(Fortsetzung.)
Die Festlichkeiten, welche in der Wintersaison von 1877 auf 1878 in den Salons der bernburger Gesellschaft gefeiert wurden, fehlte eine Hauptzierde, das von Rosen'sche Ehepaar. Frau von Rosen war
^ -