«m billiges Fleisch eine gegen sie gerichtete Chikane zu erblicken, sondern das Bemühen geht dahin, vor allem dem „kleinen Mann" ein gutes Nahrungsmittel in vermehrtem Maße zugänglich zu machen, denn bessere Nahrung läßt die winterlichen Strapazen besser ertragen, da gute Kost bekanntlich wärmt!
Lin folgenschweres Keirathsgesuch.
(Schluß.)
m.
Beiter Eonrad, in dem wir wohl schon längst Assessor von Schönfels wieder erkannt haben, schritt während dem neben seinem College« dem Restaurant zu, in welchem die „Erholung" ihre Kegelclubs abhielt."
„Haben Sie meine Cousine gesehen, Hellmuth?" frug er glücklich lachend.
„Ja," entgcgnete dieser, „wer aber war die junge Dame, mit der sie am Fenster stand?"
„Eine Pensionssreundin, ein Fräulein Hülsen, ihr Vater ist als Gerichtsdirector in Sachsen verstorben. Die Wittwe wohnt erst seit einigen Monaten hier!"
„So," erwiderte Hellmuth, „Sie sprachen nie von dieser Freundin Ihrer Cousine."
„Ich mag Mädchenfreundschaften nicht leiden," entgcgnete Schönfels, „und solche, wie die Beiden, sind mir auch ohne Extravaganzen denkbar. Es müssen aber durchaus Geheimnisse ausgetanscht werden. Apropos, lieber Hellmuth, ich habe auf meinen Brief schon Antwort, haben Sie Ihren jetzt beantwortet?"
„Ja, aber ich warte vergebens auf Nachricht, und doch fange ich an, die Sache ernst zu nehmen. Ich versichere Ihnen, der Brief verrieth Geist und Gemüth, so ins Lächerliche auch der Inhalt gezogen war. Sie hatten doch recht, als Sie meinten, es sei mitunter auch ein München von Bildung bereit, auf solche Annoncen zu antworten!"
„Sagte ich's nicht," rief Schönfels eifrig, „wer zuletzt lacht, lacht am besten, ich wette, Sie bekommen eine Fra» durch diese Annonce. Ich für meinen Theil spinne das Netz fertig, bis ich meine Fliege gefangen habe und dann lasse ich sie wieder laufen, denn so superbe, wie meine Engelskousine treffe ich so leicht keine Zweite. Ich bin neugierig, wie das Lustspiel endet, ändern sie die Sceneric nur nicht in ein Drama um, denn Liebe ist ein eigen Ding."
Hellmuth schwieg, er fühlte sich durch diese prophetischen Worte peinlich berührt. Schon fühlte er, wie ihm die Liebe verlockend winkte und er war zu schwach, um sich jetzt schnell zurück zu ziehen. Sein innigster Wunsch war, so bald wie möglich Nachricht zu bekommen und seine Unbekannte zu sehen. Der Kegelabend kam ihm heute zu langweilig vor und alle die Reden seiner Kameraden so fade, daß er mehr als einmal den Hut ergriff, um fortzugehen. Hellmuth war ein stiller eigenthümlicher Mensch, von frühester Kindheit allein in der Welt stehend, concentrirte sich feine Liebe auf eine um zwei Jahre jüngere Schwester, an welcher er mit abgöttischer Zuneigung hing. Sein Gemüth war dadurch empfänglich geblieben für Alles Gute und Edle und sein Herz hatte sich unter den Händen der jungen Schwester stets der Liebe erschlossen. Seit 4 Jahren war Camilla nun vermählt und so oft er das junge Paar besuchte, so oft kehrte er mit dem Bewußtsein zurück, daß wahres Glück nur im eigenen Heim, in dem Segen der echten Liebe zu finden sei.
Am nächsten Morgen, als Assessor Hellmuth am Postschalter nach einem Briefe unter Chiffre Äk. U. 500 frug, übergab ihm der Postsekretär ein veilchenduftendes Briefchen. Hellmuth eilte seiner Wohnung zu, zerschnitt dort angekommen mit großer Sorgfalt das zierliche Couvert und las mit fieberhafter Hast den Brief.
„Gott sei Dank," sprach er mit innigem Tone, „Sie antwortet. Aber sehen will sie mich nicht! O grausames Geschick, ich liebe ein Mädchen, das ich nicht kenne. O Schönfels, Du hast Recht mit Deinen prophetischen Worten. Wer mag mein Engel sein? Ich muß es wissen, sie gibt die Chiffre an, also ich antworte und meine Liebe wird siegen, ich fühle es, stelle Dich nicht so spröde, mein Mädchen, die Angabe der Chiffre verräth, daß Du im Stillen auf Antwort hoffst. O ich glaube zu ahnen, daß Du auch mit Interesse meine Briefe liest und ist erst bei einem Weibe das Interesse geweckt und verrathen, dann siegt Amor."
Es mußte ein leidenschaftlicher Herzenserguß sein, den der Assessor geschrieben, denn als er Tags darauf in Mariannes Händen lag, verrieth er die glühende Röthe in dem schönen ernsten Gesicht.
„Mein Gott, was that ich!" rief sie erregt. „Ich fühle, es erfüllt mein Herz mit Entzücken, dieser Austausch der geheimsten Ideen und der leisesten Hoffnung, und dennoch ist es ein Leichtsinn von mir. Doch er ist ja mein Seelenfreund. Aber was soll ich thun, soll ich ihm antworten? Mein Herz jauchzt ihm entgegen, und die Vernunft bietet Einhalt. O, meine gute Mutter, während Du fern bei den geliebten Todten weilst, richte ich ein Grenzscheit zwischen mir und Dir auf und zerstöre meine Herzensruhe, wie soll ich Dir in die Augen sehen?"
Das leidenschaftlich erregte Mädchen brach in Thräneu aus, ihr mit Wonne erfülltes Herz bedurfte zu sehr der Erleichterung. Mit Thränenspuren-Augen im Gesicht setzte sie sich an den Schreibtisch. Sie mußte ihm antworten, selbst wenn es ein Unrecht war.
IX.
Eva von Echtingen stand am Fenster ihres Zimmers, die Hände lässig ineinander gelegt, während ihr Antlitz ebenfalls ein Paar verweinte Augen zeigte. Gewiß war Vetter Conrad wieder einmal die Ursache gewesen. Doch nein, diesmal waren die Thränen ernster Natur. Der böse Papa hatte die Idee, jetzt wo der Winter mit seinen Bällen vor der Thür war, nach Italien zu reisen und das Töchterchen sollte ohne Gnade mit. Eva schluchzte leise, als sie jetzt wieder daran dachte: sie hatte sich so kindisch auf das Tanzen mit Conrad gefreut. Woher nur der Papa diese Idee hatte? Sie warf sich bei dem neuen Gedanken an Conrad in den Sessel und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, Thränen rollten durch die rosigen Finger und das arme Kind war so erregt, daß sie gar nicht hörte, daß die Thür geöffnet wurde, und Jemand eintrat.
„Aber Cousine Eva," schallte Conrad's Stimme an ihr Ohr, „Du weinst ja wieder, mein kleines Mädchen!,,
Eva sprang auf.
„Höre auf mit Deinem „kleinen Mädchen," rief sie fast zornig, und die kleinen Füße berührten heftig den Boden, „Du bist unausstehlich!"
„Das weiß ich ja, Eva, Du läßt mich das ja so oft hören, daß ich es gar nicht vergessen kann. Weinst Du deswegen, meine liebe Eva?"
Er hatte leise die Hand auf ihre Schulter gelegt und sah ihr lächelnd in das erhitzte Gestchtchen. Er schwieg und ihre Thränen flössen von Neuem."
„Was fehlt Dir denn, liebe Eva?" frug Conrad theilnehmend."
„Der Papa will mit mir nach Italien," antwortete sie „und ich, o Conrad —"
„Nun, mein Herzensliebling, weine nicht!" sagte er innig, „sieh mich an, Eva, ich lasse Dich nicht fort. Willst Du bei mir bleiben, süße liebe Eva!"
Conrad hatte so zärtlich, so innig gesprochen, daß Eva vollständig besiegt war. Er liebt Dich! jubelte es in ihr und mit dem Ausrufe:
„Conrad, mein lieber Conrad!" schlang sie ihre Arme fest um seinen Nacken.
Lange plauderten die Beiden mit einander und Eva ward nicht müde, Ihren Conrad „den Unausstehlichen" abzubitten. Der alte Major von Echtingen starrte die Beiden verwundert an, als sie in der Dämmerung in sein Zimmer traten.
„Wir reisen doch nicht nach Italien, nicht wahr, Herzenspapa?"
„Ich muß wohl da bleiben, mein Goldkind, denn allein will ich nicht nach Rom, nein, das wäre zu einsam. Nun muß ich aber doch nicht mehr befürchten, immer die Klagelieder über den bösen Vetter zu hören! Ja, meine Eva, wir bleiben und nun bist Du doch zufrieden, Herzchen?"
Eva schmiegte sich eng an die Brust Ihres Papas und Vetter Conrad jubelte laut:
„Ja wir bleiben!"
V.
Assessor Hellmuth war in der letzten Zeit mehr denn je zum Träumen geneigt, so daß Conrad, der überglückliche Conrad, wie man ihn ja nennen konnte, ihn selten und immer seltener aufsuchte. So sehr er sich den Anschein gab, als käme ihm die Heirathsge- schichte Hellmuths lächerlich vor, im Herzen bedauerte er den jungen Freund aber doch, daß er so hoffnungslos verliebt sei. Er begriff vor Allem nicht, wie man sich durch einen einzigen Brief in ein Mädchen so sterblich verlieben könne, wußte er doch nicht, daß fast tagtäglich ein veilchenduftendes Briefchen in Hellmuths Hände gelangte und von ihm mit heißer Sehnsucht erwartet und stets seine Leidenschaft von Neuem nährte.
Marianne Hülsen gab sich gleichfalls dem Zauber dieses Briefschreibens hin, und eine nie gekannte Wonne erfüllte ihr Herz mit hoher Sehnsucht. Geliebt wird sie von einem Wesen, das ihr unbekannt und welches sie als Unbekannte liebte. Ein leichtfertigeres Mädchen hätte diese Romantik bezaubernd gefunden; Marianne litt unsäglich darunter. Wohl lag es nur an ihr, den Schleier zu lüften, aber ihre Mädchenscheu hielt sie davon zurück. Nein, lieber alles Andere, nur das nicht! O, es gab Stunden, wo sie Eva von Echtingen beneidete, wo deren junges Liebesglück sie bitter schmerzte. Eva, die leichtfertige Eva, hatte sie in diese Lage gebracht. Freilich, Eva wußte ja gar nicht, baß der Briefwechsel noch fortdauerte. Nur den ersten Brief hatte sie gelesen und um Alles in der Welt hätte Marianne ihr Geheimniß nicht verrathen.
Frau Gerichtsdirector Hülsen schüttelte den Kopf über ihre Tochter und vermißte schmerzlich den Mangel an Vertrauen, den Marianne zeigte. Und wie gern hätte die Tochter der Mutter vertraut. Aber so schwieg sie und mußte nach ihrem Ermessen schweigen.
Heute beantwortete sie wieder einen Brief an den fremden Geliebten. Es wollte keine rechte Stimmung über sie kommen, es war ein eigenthümliches Etwas, was sie zwang, dem Geliebten zu verrathen, daß sie heute das Theater besuchen würde. Als es geschehen, erschrack sie, aber fort mit dem Briefe, er holte ihn heut noch ab. Aber wie sollte sie ihn aus dem Gewühls herausfinden? Schon war es zu spät, der Brief befand sich im Kasten und nun: „Amor halte Wacht!"
Als Eva von Echtingen eine Stunde später in Marianne's Zimmer trat, saß diese ruhig arbeitend am Fenster.
„Nun, liebe Marianne, ich komme, Dich zu bitten, den heutigen Abend bei mir zuzubringen. Wir feiern Conrads Geburtstag und es kommen mehrere Freunde von ihm, auch meine Tante mit meinen Cousinen und noch mehrere Familien. Auch Assessor Hellmuth kommt! Der arme Mensch thut mir zu leid. Ich muß Dir unter der Hand etwas verrathen, Herzchen. Du weißt, Brautleute haben kein Geheimniß voreinander, und Conrad hat mir erzählt, daß Hellmuth eine ihm Unbekannte unglücklich liebe. Wie findest Du das? Ich reizend. Der Assessor aber thut mir wirklich zu Leid.
Eva sprach zu eifrig, daß sie nicht bemerkte, wie Marianne plötzlich bleich geworden war.
„Liebe gute Eva," entgcgnete diese, „ich kann nicht kommen, ich habe mir vorgenommen, heute Abend das Theater zu besuchen."
„Ach, Du kommst zu mir. Assessor Hellmuth machte es akurat so wie Du, erst verspricht er zu kommen und vor einer halben Stunde sagte er zu Conrad, er müsse heute Abend in's Theater gehen."
Kaum hatte Eva geendet, als Marianne in ein leises Schluchzen ausbrach.
„Um Gottes Willen," rief Eva ängstlich, „Marianne, was ist Dir? Eben warst Du noch so froh und ruhig. Soll ich Deine Mutter rufen?"
„Nein," sagte Marianne und legte ihren Kopf an Eva's Schulter.
„Erzähle mir, was Dir fehlt!" bat Eva und bald wußte die glückliche Braut um die unglückliche Liebe der theuren Freundin.
„Und Du meinst, Assessor Hellmuth ist Dein Geliebter? O, wenn das keine bloße Vermuthung ist! Uebrigens, da fällt mir ein, daß Conrad von einer Annonce sprach. Also Du nimmst meine Einladung an und nun Adieu, ich habe bis heute Abend noch viel zu thun!"
Sie küßte Marianne und eilte hinweg, ehe diese etwas erwidern konnte.
Eine Stunde später wußte der unglückliche Assessor aus dem Munde seines Freundes Schönfels, wen er liebte. Eva hatte ihrem Verlobten das Geheimniß Marianne's gestanden, und das zierliche Briefchen, das bald darauf in ihre Hände gelangte und heute deutlich mit „Assessor Hellmuth" unterzeichnet war, verrieth in seinen leidenschaftlichen Worten die ganze bisher zurückgedrängte Liebe Hellmuths. Frau Kreisgerichtsdirektor Hülsen war vollständig beruhigt, als Marianne das schöne Haupt an ihre Brust gedrückt, von ihrer leidenschaftlichen Liebe sprach.
„Assessor Hellmuth und Fräulein Hülsen, das glückliche Brautpaar, lebe hoch!" das war der überraschende Jubelruf, den Conrad bei der Tafel ausrief, und der sich unzählige Male wiederholte. —
Während dem saß Marianne glücklich lächelnd neben ihrem Verlobten, den endlich gefundenen Geliebten.