Ein Händedruck und sie entfloh.
„Sie scheinen", rief uns der Herr Lieutenant, halb zu mir, halb zu Rosalie gewendet, beim Eintritt zu, eine sehr interessante Unterhaltung gepflogen zu haben, da Sie unser dreimaliges Rufen überhört!"
„Wirklich? fragte ich verwirrt, „wirklich? Ich habe nur ein einziges Mal gehört, und Fräulein Rosalie ..."
Zch? erwiderte diese minder befangen, „ich hörte es wohl; es gewährte mir aber Vergnügen, Sie einmal recht lange warten zu lassen."
Der Herr Lieutenant wollte hierauf wieder entgegnen, allein die Pfandauflösung ging vor sich; vielleicht siel ihm denn auch nichts Gescheites ein.
Dame S-, die immer heitere, schüttelte die empfangenen Pfandopfcr nochmals mit lautem Geräusch in ihrem Körbchen und rief das übliche: „Was soll Der oder Die thnn, dem oder der dieses Pfand gehört?" mit wichtiger Stimme ab. Der Herr Lieute nant benutzte diesen Angeublick. Da ich so eben mit Rosalie in einen vertraulichem Gespräch versunken . . . und lispelte der Pfandinhaberin: „Nehmen Sie ein Pfand von Rosalie!" zu. — „Sie mag uns," rief der Boshafte, wohl wissend, daß Rosalie sehr viele gesellschaftliche Tugenden besaß, nur keine gute Sängerin war, jetzt laut: „Sie mag uns ein schönes Lied singen!"
Ta traf ihn aber ein strafender Blick von der Pfandausgeberin — schnell war die Börse von Rosalie, die sie wirklich schon in der Hand gehalten hatte, mit einem Pfand von mir verwechselt, und Herr Actuar rief sie, sich zu mir wendend, „wenn es Ihnen gefällig wäre?"
„Verd ....", murmelte der Herr Lieutenant, mit dem Fuße stampfend, und ich stellte mich in Positur.
Ich war meines Sieges zwar ziemlich gewiß, aber dennoch zitterte ich. Rosalie schmiegte sich ängstlich an ihre Freundin S. . . .
Ich sang das schöne: „Sah ein Röslein am Wege fteh'n!" wobei ich Rosalie mit liebeglühenden Augen ansah.
Eine Todtenstille herrschte im Salon. Nur der abrasirte Herr Lieutenant ging wie eine Schildwache auf und ab, mit den Zähnen knirschend. Aus Rosaliens Auge aber stahl sich eine Thräne der Freude. Die Frau Hofräthin PH. gab zuerst ein Zeichen ihres Beifalls. „Prächtig! allerliebst!" tönte es jetzt von den zarten Lippen der gefühllosen Damen, „Bravo, Bravo" von denen der Männer. Der süßeste Dank aber wurde mir durch Rosalie, die, das allgemeine Entzücken benutzend, sich in meine Nähe drängte und mir verstohlen die Hand drückte.
Der Herr Lieutenant schien es aber doch bemerkt zu haben, und außer sich vor Aerger, Hub er ironisch lächelnd an: „In der That, Herr Actuar, es wundert mich sehr, daß Sie sich die Anwesenheit der hier spielenden Schauspielergesellschaft nicht zu Nutze machen und sich als ersten Sänger engagiren lassen. Sie haben eine seltene, schöne Stimme."
„Wenn schon," erwiderte ich hochroth vor Zorn und ermuthigt durch die Indignation, die sich auf den Mienen Aller aussprach, „eine kleine Anlage, die ich blos aufgefordert und dann zum Besten gebe, sobald ich eine kunstliebende Gesellschaft damit auf einige Augenblicke zu unterhalten glaube, genügt, ein so vor- theilhaftes Engagement zu erhalten, wie Sie mir eben die Güte hatten vorzuschlagen, so wundert es mich noch mehr, daß Sie sich nicht bereits als Souffleur angeboten haben; denn daß Sie hierzu ein ausgezeichnetes Talent haben, wird Fräulein S. . . . bezeugen können, der Sie vor wenigen Augenblicken noch unaufgefordert eine Probe ablegten.
„Herr Actuar," rief er mit wutherstickter Stimme, „Sie vergessen, daß ich Lieutenant bin . . ."
„Meine Herren!" unterbrach ihn der joviale Steuerrath, nur keine Pikanterien. Der Herr Actuar hat eine schöne Stimme und Sie sind ein muthiger Cavalier. Hab' ich Recht oder Unrecht?"
Aber Herr Steuerrath," warf der Lieutenant dazwischen, „darf ich solche Beleidigungen annehmen?"
„Was da, Beleidigungen," lachte der Gastgeber, „Sie haben angefangen und der Herr Actuar sortgefahren; jetzt trinken Sie ein Glas Punsch zusammen und damit ist die Sache abgemacht. Hab' ich Recht oder Unrecht?"
„Recht, Recht!" tönte es im ganzen Kreise. Der Herr Actuar hat Recht, lispelte Rosalie.
Nur ungern bequemte sich der Herr Lieutenant.
Nun, lächelte er, „wenn sich denn Alles gegen mich verschworen hat, so muß ich wohl Unrecht haben. Auf das Wohl Ihrer schönen Stimme, Herr Actuar!"
Ich danke," erwiderte ich anstoßend. „Auf das Wohl Ihres . . ."
Pst, pst," unterbrach mich der Herr Steuerrath. — Der Friede war hergestellt.
Die Pfänderspiele werden natürlich nicht fortgesetzt. Ich gab deshalb den allgemeinen Bitten nach und trug noch einige Gesangspiecen vor, wobei mir abwechselnd Rosalie oder Fräulein S** auf dem Fortepiano begleiteten. Der Herr Lieutenant war inzwischen in das Nebenzimmer gegangen und hatte sich zu den Spieltischen gesetzt. Bald aber wurden auch diese von den älteren Herren und Damen, die nach und nach einen großen Kreis um mich bildeten und mir unter den verschiedenartigsten Exclamationen zuhörten, verlassen.
„Wie wäre es," Hub endlich der Steuerrath an, der wie ein Perpetuum mobile bald in den Spielzimmern, bald in unsrem Saale herumtrippelte, „wie wäre es, wenn wir ein Tänzchen improvisirten? Hab' ich Recht oder Unrecht?"
„Ein famoser Vorschlag," bemerkte ein anwesender Studiosus, ich schlage nach!"
Die Mienen der sämmtlichen jungen Damen lachten Beifall, die älteren begaben sich wieder an ihre Spieltische.
Wahrhaftig, Herr Steuerrath," erinnerte der Lieutenant, „daß ist ein Einfall zur rechten Zeit. Da der Herr Actuar so gut singen kann, kennt er ohne Zweifel auch einige neuere Tänze und ist gewiß so gut, einige zum Besten zu geben."
„Mit Vergnügen," erwiderte ich. — „O, was das anbelangt," versetzte der Steuerrath, „so ist das meine Sorge. — Ich spiele noch so leidlich, und gewiß haben einige Herren die Güte, mich einmal abzulösen."
Es liegt eine Fülle von Poesie in den Vergnügungen des Tanzes, ein Meer von Wonne, wenn man im Arme der Geliebten dahinstürmt, so nahe dem wogenden Busen und dem pochenden Herzen, von denen sonst Form und Convenienz scheiden!
War es Zufall oder Bedacht, genug, als mein Auge Rosalie suchte, stand sie ganz in meiner Nähe. Eben, als der Herr Lieutenant dahergeflogen kam, hatte ich die Bitte, mir das Vergnügen des ersten Tanzes zu schenken, vorgebracht. Erröthend reichte sie mir die Hand.
„Der Herr Actuar," Hub der Lieutenant, der mit Fräulein S** uns zunächst tanzte, an, als ihn diese eben auf einen Augenblick verlassen hatte, „der Herr Actuar hat mich der Ehre beraubt, mit Ihnen tanzen zu können, mein Fräulein, und ich muß Sie daher schon in Ihrer gewiß sehr anziehenden Unterredung unterbrechen, um Sie für den nächsten Tanz um dieses Vergnügen zu bitten."
Rosalie verneigte sich.
„Muß ich vielleicht fürchten, mein Fräulein", lispelte ich ihr zu, als ich mich unbelauscht sah, „daß auch Sie meinem Glücke zürnen? Der Herr Lieutenant scheint ein sehr guter Tänzer."
„Sie sind gütiger gegen ihn in Ihren Aeuße- rungen als er gegen Sie," hauchte sie mir zu, „und schon aus diesem Grunde macht es mir Vergnügen, mit Ihnen tanzen zu können."
„Sie umgehen meine Frage," gegenredete ich, „und wenn mir auch meine Eitelkeit zuflüstert, daß Sie mit mir vielleicht nicht ungern tanzen, so so .. ich stockte.
„Nun", antwortete sie leise erröthend, „so will ich Ihnen gestehen, daß ich mit Ihnen sogar lieber tanze, als mit dem Herrn Lieutenant."
„O, dies Geständniß", flüsterte ich, ihre Hand an mein Herz drückend, „wie glücklich macht es mich!"
(Schluß folgt.)
Allerlei.
— Or. Jäger in Stuttgart hat sein wunderbares System von den Seelendüften auf dem Satze aufgebaut? „Wenn zwischen zwei Geschöpfen instinktive Sympathie besteht, so duftet die Ausdünstung des einen dem andern stets angenehm, sie ist Wohlgeruch für ihn." Er versichert, daß für ihn die Kopfhaare seiner Frau den feinsten Duft haben. Weiter erzählt er von seiner Frau, daß sie als Braut ihm gehörige Dinge, die er bei seinen Besuchen liegen ließ, einen Handschuh, eine Cravatte oder dererlei
mit seinem Körperduft versehene Kleinigkeiten gesammelt und gelegentlich daran gerochen habe — es habe ihr alles sehr angenehm geduftet. Nachforschungen bei anderen Ehepaaren haben ihm dasselbe Ergebniß geliefert; er behauptet, dasselbe müsse bei allen Bräuten der Fall sein, die in ihren Bräutigam wirklich verliebt sind und daß der entgegengesetzte Fall ein sicheres Zeichen dafür sei, daß sie nicht verliebt sind. Der antipathische Partner (und Genosse) duftet für die Nase des andern stets unangenehm, däher die Redensart: ich kann ihn nicht riechen! — Er unterscheidet genau zwischen „Backftschduft", Jungfrauenduft", „Frauenduft" und läßt sich in Abgründe ein, in die man ihm nicht folgen kann. Tragikomisch ist Jägers Schilderung über die „Luftdifferenz zwischen — Juden und Nichtjuden", die er als „Differenz zwischen semitischem und indogermanischem Blut" bezeichnet und wobei er sich auf die Mittheilungen seines Mitarbeiters in der Riechforschung, eines vr. M., stützt. Dieser schrieb ihm: „Von Jugend auf hatte jeder Jude für mich einen absonderlichen, wenn auch nicht unangenehmen Duft, und als Junge bekam ich manches Kopfstück, wenn ich ganz ungenirt Besucher unseres Hauses fragte, ob sie auch Juden seien? Später erkannte ich durch den Geruchssinn auch solche Personen, welche entweder durch Kreuzung oder durch Spiel der Natur nichts weniger als Juden gleichsahen, die auch Niemand im Entferntesten dafür hielt, ja die es vielleicht kaum selbst mehr wußten, daß sie jüdischer Abstammung seien oder doch nichts davon wissen wollten. Als ich 1847 ?io Rcmo in Rom den Pantoffel küßte, war ich der Erste, der des Papstes hebräische Abstammung behauptete - die er 1861 selbst den Gebrüdern Kohn aus Lyon zugestand — und ohne daß ich wußte, daß Kardinal Consalvi schon längst gesagt: „v un Lbroo!' Dieser vr. M. lebte in Berlin mit einem Juden in intimster Freundschaft und in regem geistigen Verkehr, bis ihm derselbe eines Tages sagte: „Was nützt all' das Hinterdem-Berge-Halten! Ihr Christen, und wenn wir Euch noch so gern haben, riecht uns zu schlecht! Nur der Jude, und auch der schmutzigste, riecht uns anderen Juden köstlich, er riecht nach unserer Race, und sei er fünfzigmal getauft oder gekreuzigt!" Ich ging — fährt Or. M. fort — nach diesem Gespräch ganz betäubt nach Hause. Hierzu bemerkt vr. Jäger: „Das sei ganz natürlich, denn instinktive Antipathie äußere sich stets darin, daß sich Beide gegenseitig stinken, z. B. Hund und Katze, Hund und Hundefeind." So Or. Jäger vor den Naturforschern in Baden-Baden. Die Herren haben ihn ausgelacht und beinahe ausgetrommelt.
— Schlechte Luft und Lungenkrankheiten. Der berühmte Anatom vr. Langenbeck sagt, daß derartige Krankheiten, erbliche Anlagen abgerechnet, in fast allen Fällen der Einathmung verdorbener Luft ihren Ursprung verdanken. Daraus geht nun hervor, daß zur Heilung vor Allem reine Luft unerläßlich ist.
— (Der gute Wille.) Notar (zur testirenden Frau): „Ja, liebe Frau, haben Sie denn soviel Vermögen, daß Sie Ihrer Base 6000 und Ihren beiden Neffen je 8000 vcr- sckreiben können?" — Frau: „Nein, Herr Notar, Vermögen Hab' ich gar keins, — 's ist mir halt nur, damit sie meinen guten Willen sehen!"
— Abgefertigt. Justizrathswittwe (zu ihrer ehemaligen Köchin): „Sie haben ja, wie ich hörte, gehcirathet, — was ist denn Ihr Mann?" — Köchin: „Scheerenschleifer, gnädige Frau!" — Justizrathswittwe: „Soo! Das ist aber wenig!" -- Köchin: „Nun, ich mein', ein lebendiger Scheerenschleifer ist doch immer noch besser als ein todter Justizrath!"
Der Mutter Liebling.
Komm' her zu mir, mein krankes Kind,
Mit deinem lahmen Fuß,
Komm' her zu mir — nicht so geschwind - Und gieb mir einen Kuß!
Obgleich man's Unrecht, Schwärmerei Und Mißcrziehung schilt,
Lieb' ich dich mehr, als jene Zwei,
Die dort sich Haschen wild.
Die Zwei erhaschen wohl dereinst Sich Ehre, Gold und Lieb',
Wenn du noch einsam um mich weinst,
Die ich dein Kleinod blieb.
Noch bin ich um dich, bin noch dein,
Trag' mit dein traurig Loos:
D'rum schließ' die matten Aeugelcin, Schlaff süß auf meinem Schooß.
Zweisilbiges Räthsel.
Dem Reichen bin ich nie, dem armen oft beschicken, Doch weiß kein Sterblicher mir Dank.
Wenn Du mich hast, so bist Du unzufrieden,
Hast Du mich nicht, so bist Du krank.