lassen, um das kleine verzweiflungsvoll sich vertei­digende Kabul niederzuwerfen, aber es überzuschlucken, das ginge nicht an, dann hätte auch Rußland noch ein Wort mit dreinzureden. Ueberhaupt hätte es von Englandschwere Schläge, Ungerechtigkeiten und Be­leidigungen zu ertragen gehabt, welche ihm vom Krimkriege ab an bis zum Berliner Vertrage in unabsehbarer Reihe zugefügt worden wären." In dieser Tonart geht das Raisonniren fort. Sicher ist bei alledem, daß diese Schreibereien der Stimmung des Petersburger Hofes vollkommen entsprechen. In der That sieht man dort mit scheelen Augen auf das Eindringen Englands hin, das stetig bemüht ist, in Indien seinen Besitz zu erweitern und seine Gren­zen gegen Rußland vorzuschieben. Eines Tages werden diese beiden Staaten - Kollosse einander auf den Leib gerückt sein und alsdann natürlich den Spiegelfechtereien der Diplomaten und den Wort­klaubereien spitzfindiger Staatsmänner der denkbar weiteste Spielraum vergönnt sein.

Amerika.

New-Aork,3.Sept. (WichtigeErfindung.) Edisvn, der Unermüdliche, hat eine neue Vorrichtung getroffen, welche die Anwendung des Telephons zu verallgemeinern verspricht. Am 1. September hat er vor dem wissenschaftlichen Verein in Saratoga Proben abgelegt, welche die kühnsten Erwartungen übertrafcn. Ohne Benützung von Schallhörnern waren die in großer Entfernung gesprochenen Worte oder gesungenen Lieder den tausend Anwesenden ganz ebenso deutlich, vernehmbar und klar, als ob die Sprechenden und die Sänger in demselben Zimmer gewesen wären. Edison war ehrlich genug zu erklä­ren, daß er selbst noch nicht recht wisse, worauf er dieses großartige Resultat zurückzuführen habe. In­dessen habe er zunächst den Erfolg zu konstatiren und werde sich nun bemühen, seine Vorbedingungen fest- zustellen.

Australien.

Sidney, 17. Sept. Die australische Welt­ausstellung ist in Gegenwart der australischen Gou­verneure, der fremden Commissäre und eines zahlreichen Publikums heute feierlich eröffnet worden.

Kandel L Verkehr.

Stuttgart, 22. Sept. (Landesproduttenbörse.) Die Witterung war auch in der letzten Woche veränderlich und es zeigen sich auch Morgens schon starke Nebel, welche für die Hopfenernte von ungünstigem Einflüsse sind. Im Gctreide- ge.schäft war die Stimmung fast überall fester und auch der Verkehr hat etwas an Festigkeit gewonnen. An unserer heu­tigen Börse stellten die Verkäufer in Folge der besseren Berichte von Auswärts wesentlich höhere Forderungen; da aber die Käufer nicht darauf eingingen, so blieben die Umsätze beschränkt. Nächsten Montag ist wegen des Volksfestes keine Börse. Wir notiren per 100 Kgr.: Waizen bayer.H! 22.50Hi 24, russ.

2323.50, KernenHi 2325, DinkelHl 14. Mehlpreise per 100 Kgr.: Nr. 1:Hl 34.50Hl 36, Nr. 2:Hl 3233, Nr. 3:Hl 27.5028.50, Nr. 4:Hl 24.5025.50.

Stuttgart, 23. Sept. (Kartoffel-, Obst-und Krautmarkt.) Leonhardsplatz: 150 Säcke Kartoffeln üHl 2. SO3.20 pr. Ztr. Alles verkauft. Wilhclmsplatz: 300 Säcke Mostobst ä 4.905 pr. Ztr. Alles verkauft. Marktplatz: 4000 Stück Fildcrkraut üHl 8 10 pr. 100 St.

Kirchheim, 22. Sept. (Obst.) Preis pr. SackHl 9 bis 10; pr. Ztr.Hl 4.50Hl 5.

Reutlingen, 20. Sept. Preis des Obstes stieg von 7 bis auf 9Hl per Sack.

Heilbronn, 20. Sept. MostobstHl 3.805.20 per Ztr. Kartoffel, blaue 3.70, gelbe 2.75, Wurstkartoffel -Hl 3.

Stuttgart, 23. Sept. Die Zufuhren in neuen Hopfen sind bis jetzt noch unbedeutend, dieselben erlösten übrigens 220Hl pr. Ztr. In 1878er Hopsen, größerer Borrath, wur­den 80Hl und 65Hl pr. Ztr. für 10 Ballen erzielt. Die Nachfrage nach neuen Hopfen lebhaft, größere Zusendungen sind aus nächsten Montag zugcsagt und dürfte der Markt ein be­lebter werden.

Tübingen, 21. Sept. Die Hopfenernte kann als be­endet betrachtet werden und man trifft schon ziemlich viel trockene Ware an. Käufer sind nur vereinzelt zu sehen; einzelne Käufe in kleineren Parthie» wurden zu dem Preise von 205, 210 bis 225Hl abgeschlossen. Die Ware trocknet recht schön und der Hopfen ist durchgängig hell. Rothe Hopfen trifft man Heuer gar nicht.

Nürnberg, 19. Sept. (Hopfen.) Aus den meisten Produktionsorten wird reger Einkauf, feste Tendenz und hoher Preisstand gemeldet. Notirungen lauten: Württembergs prima 200225Hl, Badische prima 20021SHl, Elsässer prima 200Hl

Stuttgart, 20. Sept. (Eisenbericht.) Es war vorauszusehen, daß nach den Ausschlägen in Walzeisen und Blechen auch in den Preisen der Gutzwaren eine Steigerung eintreten werde, welche auch durch den Aufschlag des Rohma­terials vollkommen gerechtfertigt ist. Die Preiserhöhung der Gußwaren, welche nach gemeinsamem Beschluß einer großen Anzahl der bedeutenderen rheinischen und Nassauer Gießereien am 15. d. M. in Kraft trat, beträgt 2Hl per 100 Kilo und ist die Nachfrage in diesem Artikel äußerst lebhaft.

Heilbronn, 23. Sept. Bei dem gestrigen Schafmarkt

wurden 15 226 Stück zugeführt und hievon 4 805 St. verkauft, also ein nur geringer Theil. Der höchste Preis für 1 Paar Schafe betrug 70Hl.

(Postalisches.) DerSt.-A." enthält eine Bekannt­machung über Briefe mit Zustellungsurkunde. Wünscht der Absender eines gewöhnlichen oder eingeschriebenen Briefes über die erfolgte Bestellung eine postamtliche Bescheinigung zu er­halten, so muß dem Briefe eine gehörig ausgefülltc Zustellungs­urkunde nebst Abschrift äußerlich beigesügt werden; zugleich muß in der Aufschrift vermerkt sein:Hierbei ein Formular zur Zu­stellungsurkunde nebst Abschrift.* Dieses ist von der Post zu beziehen. Es werden erhoben: 1) Das gewöhnliche Briefporto, 2) eine Zustellunqsgebühr von 20 ^!, 3) das Porto für die Rücksendung der Zustellungsurkunde und zwar wie für einen einfachen srankirten Brief. Wird die Einschreibung verlangt, so tritt dem Porto zu 1) die Einschreibgebühr von 20 hinzu.

Vrinzeß Uothhaar.

Erzählung von Max v. Schlacgel.

(Fortsetzung.)

Ich weiß noch recht gut," fuhr dieser eifrig fort,wie der Alte gleich einem Landstreicher in unsere Stadt kam und umherschlich gleich einem heimlichen Verbrecher. Aber mein Vorgänger im Amt, mein Herr Vater, Gott Hab' ihn selig, nahm ihn in seinen be­sonderen Schutz nnd verbriefte ihm seine Seele für Lebenszeit. So konnte ich ihm nichts anhaben. Aber daraus sterbe ich, der Mann ist nicht, was er scheint."

Und muß es denn durchaus etwas Böses sein, das ihn bewogen hat, seine Heimath zu meiden? Kann nicht auch ein Unglück und Trübsal ihn fortgetrieben haben? fragte Hilda sanft.

Dem Bürgermeister sank vor Erstaunen die Hand mit dem Nachttrunk zurück auf den Tisch. War das sein eigen Fleisch und Blut, das mit solchem Nachdruck das hergelaufene Gesindel in Schutz zu nehmen wagte? Ihm selbst gegenüber, dem regierenden Bürgermeister dieser ehrbaren Stadt? Schon wollte Leberecht das ungerathene Kind scharf zurechtweisen, aber Walpurga sagte besänftigend:

Laß es gut sein, Leberecht, was kümmert denn uns der Thürmer oder sein Sohn?"

Es ist wahr, beruhigte sich der Bürgermeister. Laß die Narren laufen! Aber Du, Hilda, betrittst mir fortan den Thurm nicht mehr, er ist kein Ort für ein Mädchen von Deinem Stande."

Wie Ihr befehlt, Vater!" entgegnete Hilda ruhig, dann verließ sie das Gemach, um heimlich in ihrem Kämmerlein ihren Schmerz über den Verlust des Gefährten auszuweinen.

Als auch der Schreiber sich zurückgezogen hatte, und die Ehegatten im dämmerigen Zimmer allein waren, sagte Leberecht strenge:

Es ist Zeit, daß Hilda die Kinderschuhe ab­streift und lernt, was sie ihrem Stande schuldig ist. Du bist mir dafür verantwortlich, Walpurga!"

Die Gattin seufzte. So sehr auch Hilda's Glück ihr am Herzen lag, heute war ihr klar geworden, daß die Tochter nicht mehr das Kind sei, für das man sie so lange gehalten, und ihr bangte vor Allem, was ihrem Liebling die dunkle Zukunft bringen mochte. Dennoch ging sie mit Eifer an ihre Aufgabe, welcher Hilda jetzt keinen Widerstand mehr entgegensetzte. Das junge Mädchen schien seit jenem Abend wie umgewan­delt. Ihre kindliche oft an's Knabenhafte streifende Munterkeit war einer nachfinnenden Ruhe gewichen, sie schlüpfte nicht mehr heimlich aus dem Hause, um im Gebälk der Kirche Dohlennester zu suchen oder Fledermäuse zu fangen, und sang nicht mehr aus den Dachluken hervor mit den Lerchen um die Wette. Sie betrat überhaupt den Thurm nicht mehr und suchte auch keine Gelegenheit mehr, mit dem Thürmer ein Gespräch anzuknüpfen, was dieser ebensowenig zu wün­schen schien wie sie. Wendelins Name kam nicht mehr über ihre Lippen, und den Versuchen des Schreibers, sie dazu zu reizen, begegnete sie mit schweigender Ge­ringschätzung. Ohne Zögern fügte sie sich jedem Be­fehl ihres Vaters, der Magister und Tanzmeister in sein Haus kommen ließ, um die Erziehung des Töch- terchens zu vollenden.

Mit Ernst und Eifer überließ das sonst so flüch­tige, zu jedem Scherz aufgelegte Mädchen sich jetzt den Studien Alles dessen, was man für ein Mädchen der höchsten Stände angemessen hielt; auch übte sie ihre MenuetS und Gavottes mit einer so ruhigen Würde, daß der alte Tanzmeister seines Entzückens kein Ende fand. Dabei schien ihre zierliche Figur zu wachsen und sich schlanker und voller zu gestalten, und der ruhige Ausdruck, der jetzt auf ihrem jungen Ge­sicht lag, gab den sonst beständig bewegten, feinen Zü­gen eine Regelmäßigkeit und einen Liebreiz, daß selbst Fernerstehende die Veränderung bemerkten und ihr

bewundernd nachschauten, wenn sie an der Seite ihrer Mutter züchtig einherschritt. Bald äußerte sich der allgemeine Beifall in der einstimmigen Meinung: Prin­zeß Rothhaar ist das schönste Mädchen in der Stadt. . .

Das sagte sich auch der Schreiber täglich, wenn er ihr bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten gegenüber saß, und die Blicke, mit denen er Hilda verfolgte, wur­den immer heißer und begehrlicher. Für sie war er jedoch ebenso wenig vorhanden wie zuvor, und seine, nicht immer zarten Bemühungen, sich ihr bemerklich zu machen, glitten erfolglos ab an ihrer unnahbaren Kälte und Würde.

Doch Hunold ließ sich dadurch nicht abschrecken, ihr noch zuvorkommender und ergebener zu begegnen; heimlich aber beobachtete er sie unablässig, und sie ahnte nicht, daß er jeden ihrer Ausgänge das Ziel all ihrer Wege erforschte. Denn Hunold, dem die menschliche Natur in ihren Schattenseiten am verständ­lichsten war, bezweifelte nicht, daß Hilda trotz Wendelins Abwesenheit den Verkehr mit diesem fortsetzte, obschon er bisher nicht zu ergründen vermochte, aus welche Weise das geschah. Daß Hilda nicht mehr in den Thurm stieg, wußte Hunold, aber auch im Gespräch mit dem Thürmer hatte er sie noch nicht zu überraschen vermocht. Dennoch mußte sie durch den Thürmer über Wendelins Ergehen unterrichtet sein; wie hätte das Mädchen sonst so theilnahmslos und gleichgültig blei­ben können bei allen Nachrichten, die Hunold von Zeit zu Zeit über Wendelin vorzubringen wußte, sie konnte doch unmöglich wissen, daß diese lediglich der gehässi­gen Phantasie des Schreibers entsprungen ....

An einem stillen, dämmerigen Herbsttage stand Hunold am offenen Fenster seines Zimmers und schaute gelangweiligt auf die goldenen Blätter, die von den ersterbenden Linden lautlos auf das feuchte Pflaster des Kirchplatzes niedertaumelten. Der Vorhang des Fensters war fest geschlossen, das Hunold mehr liebte zu sehen, als selbst gesehen zu werden. Plötzlich bog der Schreiber sich lauschend vor; er hatte gehört, daß die schwere Thür des Rathhauses dumpf ins's Schloß gefallen war. Eine jähe Röthe überflog sein farbloses Gesicht, als er Hilda's Gestalt erkannte, die in ein dunkles Tuch gehüllt, die breiten Sandsteintreppen hinabschritt. Gespannt folgte Hunold ihr mit den Blicken; da öffnete sich auch trüben die Thür des An- nenthurms, und der Thürmer trat heraus. In zit­ternder Erregung vergaß der Schreiber seine gewöhn­liche Vorsicht und bog sich weit aus dem Fenster, um den beiden nachzusehen, die kurz hintereinander über den Platz schritten. Jetzt hatte der Thürmer Hilda eingeholt, und jetzt mit fliegendem Athem ge­wahrte es Hunold stand sie still und redete ihn an, ja sie reichte ihm ihre Hand, die der Alte auch ohne Zögern ergriff. Dann gingen beide sogar neben einander das Gäßchen hinab. Unentschlossen stand der Schreiber im Zimmer sollte er ihnen folgen? Doch was bedurfte er noch eines weiteren Beweises für ihr Einverständniß? ganz gewiß war eben ein Briefchen in Hilda's Hand gewandert. . . .

Hunold bebte vor Eifersucht und Ingrimm sollte dieser Wendelin ihm ewig im Wege stehn?

Grüß Gott, Hilda!" rief draußen plötzlich eine rauhe Stimme.

Mit einem Satz war der Schreiber wieder am Fenster, aber er sah Niemand. Der Platz war men­schenleer; auf dem Giebel des Kirchdachs saßen ein paar Krähen, und Schaaren von Spatzen lärmten unter den Bäumen. Da rief es wieder ganz deutlich: Grüß Gott, Hilda!" und jetzt entdeckte Hunold den zahmen Raben des Thürmers, der hoch auf der dürren Spitze einer Linde schaukelte.

Ein boshafter Zug entstellte das Gesicht des Schreibers.

Warte nur, ich komme," flüsterte er und hob die geballte Faust" . . .

Gleich darauf kehrte Hilda von ihrem Ausgang zurück; eben überschritt sie den Lindenplatz, um in's Rathhaus zu gehen, da krachte plötzlich ein Schuß, dicht über ihr ertönte heftiges Flattern und Flügel­schlagen, dann fiel ein großer Vogel schwerfällig zu ihren Füßen nieder.

Das junge Mädchen war vor Schreck zurückgewichen, doch unwillkührlich folgte ihr Blick der Richtung, wo­her der Schuß gekommen. Sie sah Niemand, nur von einem Fenster im obern Geschoß ihrer Wohnung schwebte ein leichtes Dampfwölkchen, das rasch in dem herbstlichen Duft zerfloß. Mitleidig beugte Hilda sich dann zu dem getroffenen Thier. (Forts, folgt.)