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1879
eilclge Mm GeMMsMr.
Prinzeß Kothyaar.
Erzählung von Max v. Schlaegel.
(Fortsetzung.)
Am nächsten Tage ließ der Vater ihn nicht aus den Augen und wußte es immer wieder zu verhindern, daß Wendelin allein in die Stadt Hinabstieg. Verzweiflungsvoll fügte sich dieser, unablässig horchend, ob nicht Hilda's Schritt endlich auf der Treppe erklinge, aber sie kam nicht. Als Weudelin zur Messe geläutet hatte, sah er Hilda im Festtagsgewaud an der Seite ihrer Elter» das Rathhaus verlassen uno über den Lindenplatz in die Kirche gehen. Er selbst konnte nicht hinabsteigen, da der Vater ihm alle seine Pflichten für heute übertragen hatte. Nur beim Hm- ansgeben sah er Hitda noch einmal, und mit tiefstem Groll erkannte er den Schreiber Hunold a» ihrer Seite. Was hatte dieser von der Straße aufgelesene Fremdling vor ihm voraus, daß er unter demselben Vach mit Hilda wohnen und stolz an ihrer Seite einhergehen durfte, während Wendelin von Ferne stand und sich in hoffnungsloser Sehnsucht nach einem einzigen Wort von ihr verzehrte? Der Tag verging, der Abend sank, und mit einem letzten Hoffnungsstrahl in der Seele flog Wendelin zu den Glockensträngen und riß an denselben, daß das schwere Erz sich dröhnend durch die Luft schwang. Ih n war, als müsse Hilda den verzweifelten Ruf seines Herzens vernehmen aus den gewaltigen Klängen, als müsse jeden Augenblick ihre silberne Stimme neben ihm fragen: „Was ist's, Wendelin? Warum ruft Deine Glocke so sehnsuchtsvoll ?" Aber Hilda kam nicht. Lange schon waren die letzten Tonschwingungen zerflossen in der milden Som- merlnft, auf dem Dachfirst schlummerten die Krähen, der Rabe saß mit dem Kopf unter dem Flügel, und im Westen stand leuchtend der Abendstern. Dämmerig stieg die Nacht am Horizont herauf, dennoch ließ Wendelin nicht nach, zu hoffen und zu warten. Als er endlich begriff, daß es vergeblich war, legte er endlich den Kopf auf die gefalteten Hände und weinte bitterlich. Dann schrieb er eilig ein paar Abschiedsworte auf ein Pergamentblättchen und befestigte dasselbe mit einer feinen Schnur unter dem Flügel des Naben. Der Vogel dehnte schlaftrunken die Glieder, aber ließ sich geduldig das Briefchen umhängen. Wendelin wußte, daß er auf Hilda's Ruf auf ihre Hand kain, und so mußte sie bei ihrem nächsten Besuche im Thurm das Blättchen finden. Früh ani nächsten Tage, che u ch der erste Sonnenstrahl sich im Morgeuthau gespiegelt, trat der Thürmer mit seinem Sohn aus der Pforte des Annenthurms. Wendelin trug ein Nänzel auf dem Rücken und den Wanderstab in der Hand, und auf seinen bleichen Zügen lag ein ungewohnter trüber Ernst. Schweigend schritten Vater und Sohn über den Lindenplatz am Rathhaus vorüber, das lautlos in der Dämmerung des Sommermorgens dalag. Wendelins Blick irrte suchend über die spitz- bogigen Fenster, aber sie waren alle geschlossen und verhängt, und nur ein paar frühwache Schwalben schossen zwitschernd um ihre Nester unter den behauenen Simsen. Mit einem tiefen Seufzer wandte Wendelin das Gesicht ab. Dabei traf sein Blick die Augen des Vaters, die scharf und prüfend auf ihm ruhten, eine dunkle Gluth überflog die schönen Züge des Jünglings, und befangen senkte er den Kopf. Der Thürmer machte indeß keine Bemerkung, aber ein sorgenvoller Ausdruck beschattete seine Stirn.
Wendelin sah ihn nicht mehr an, sondern eilte mit so raschen Schritten durch die stillen Straßen, daß der Alte kaum zu folgen vermochte. Draußen vor dem Stadtthor, das der Thorwart ihnen gähnend geöffnet, stand der Thürmer still.
„Ich muß jetzt umkehren, Wendelin! Laß uns den Abschied kurz machen!"
Um die Lippen des Jünglings begann es zu
zucken.
„Leb wohl, Vater!" flüsterte er und streckte die Hand aus, aber plötzlich flog sein Stab zu Boden und Wendelin warf sich schluchzend an die Brust des Thürmers. Einen Augenblick ließ dieser ihn gewähren, dann drängte er ihn sanft von sich:
Samstag den 20. September.
„Sei ein Mann, mein Sohn! Wir scheiden ja nicht für immer. Später komme ich, um nach Dir zu sehen. Bis dahin halte Dich brav und grüße mir den Freund. Er wird Dir ein guter Vater sein."
Wendeln: nickte nur stumm und preßte die Hände des Alten. Der erste Schmerz seines Lebens war zu gewaltig, um ihm Worte leihen zu können.
Der Thürmer wandte sich zum Gehen; da hielt Weudelin »och einmal seine Hand fest:
„Vater," bat er leise, „Du denkst an meinen Raben und lässest ihn keine Noth leiden"
Und als der Alte lächelnd nickte, fügte er mit gesenkten Angen hinzu :
„Und grüße auch die Hilda, wenn Du sie siehst . . .
Mit einem letzten Händedruck machte der Thürmer seine Hand frei.
„Sei unbesorgt, dem Raben soll nichts geschehen. Leb' wohl, mein Sohn!"
Ehe der Jüngling noch etwas entgegnen konnte, eilte der Vater bereits mit raschen Schritten der Stadt zu. Schweigend starrte Weudelin ihm nach, dann hob er seinen Stock auf, und sich entschlossen emporrichtend, schritt er, ohne umzusehen, in den thaufrischen Morgen hinein . . .
Während er so seiner neuen Bestimmung rastlos entgegeuwanderte, erhob sich der Bürgermeister Wicdemann nach langem Schlummer träge von seinem Lager und trat an das Fenster, um wie gewöhnlich nach dem Wetter zu schauen. Da sah er den alten Thürmer langsamen Schrittes die Straße heraufkommen, und mit einem Henkelkrug in der Hand der Thurmpforte zuschreiten. Es war sonst Wendelins Amt gewesen, die uöthigen Nahrungsmittel in ihre hochgelegene Wohnung zu schaffen, und fast täglich hatte der Bürgermeister um dieselbe Zeit mit dem Milchkrug oorübergeheu sehen, daß er sofort errieth, der Alte habe Wort gehalten und Wendelin aus der Stadt geschickt. Schmunzelnd theilte Leberecht seiner Gattin das fröhliche Ereigniß mit und empfahl ihr zugleich dringend, Hilda gegenüber das tiefste Stillschweigen zu beobachten.
Der Tag verlief für die Bewohner des Nath- hauses in gewohnter Weise, und als die Sonne sank, versammelte sich die Familie des Bürgermeisters um das gemeinschaftliche Nachtmahl, an welchem der Schreiber Hnnold als'zum Haushalt gehörig, theilnahm. Leberecht Wiedemann war in seiner ro chstcn Laune, und wenn ihr Eheherr heiter war, strahlten auch die hageru Züge seiner Walpurga in mileer Freundlichkeit. Doch auf dem gelbbleichen Gesicht des Schreibers lag es wie heimliches Behagen, und Hilda war frisch und fröhlich wie der Maitag, der eben hinter den Hügeln im Westen verblich. In ihrem rothen Lockengewirr hing eine weiße Roseuknospe und ihre blauen Äugen wandcrten manchmal verstohlen au dem grauen Thurme empor, auf dessen Spitze der Wetterhahu sich in den letzten rosigen Gluthen der sinkenden Sonne badete.
Kaum hatte der Vater die Teller gefüllt und die Mutter nach kurzem Gebet das Zeichen des Kreuzes darüber gemacht, so schwebte der erste Ton des Abendläutens über das feiernde Städtchen hinaus, aber schon nach den ersten Klängen erblich der heitere Ausdruck in Hilda's Zügen und die Schatten von Unruhe und Befremden legten sich dunkel darüber. Gespannt horchte sie aus den: geöffneten Fenster. Der Bürgermeister und seine Gattin wechselten heimlich einen vielsagenden Blick, und um die Lippen des Schreibers zuckte ein schadenfrohes Lächeln.
„Wer läutet denn heute die Anuenglocke?" fragte Hilda endlich. „Sie hat ja eine ganz fremde Weise. Und auch der Schluß ist nicht wie sonst," fügte sie mit wachsender Verwunderung hinzu, da sie Wendelins Hand an den letzten Schlägen sicher zu erkennen pflegte.
„Wahrscheinlich der Alte," meinte der Bürgermeister in erzwungener Gleichgültigkeit.
„Dessen Art kenne ich," beharrte Hilda. „Es ist eine ganz fremde Hand."
„So wird's der Bursche sei», den der Thürmer an Stelle seines Sohnes in Dienst genommen hat," warf der Schreiber nachlässig hin, während seine zwinkernden Augen lauernd über Hilda's Gesicht irrten.
Das junge Mädchen erschrack sichtlich, würdigte aber den Schreiber keines Blickes.
„So? Hat er einen Burschen angenommen?" mischte Walpurga sich in's Gespräch. „Er hat Recht, es war im Grunde keine Beschäftigung für seinen Sohn!"
„Nun rede Du der hochmüthigen Sippschaft auch noch das Wort," brummte Leberecht in verstelltem Zorn. „Der Wendelin ist fort. Heut' früh ist er ausgezogen, um in der Welt sein Heil zu versuchen. Wird das was Rechtes werden," fügte er geringschätzig hinzu. „Aber wenn der Hochmuthsteufel in das Volk fährt, wissen sie nicht mehr, wie hoch sie hinaus wollen."
Der Schreiber nickte beifällig. „Ja, ja, der Thürmersohn ist ein eingebildeter Tropf, aber Hofffahrt kommt vor dem Fall."
In Hilda's Augen, die bisher wie in stummer Betäubung nach dem Annenthurm gestarrt hatten, blitzte es auf, und gewaltsam ihren Schreck und Kummer unterdrückend sagte sie achselzuckend:
„Der Thürmersohn hat Recht, warum sollte er sich auch schämen — er ist ehrlicher Leute Kind!"
Wie von einer Schlange gestochen.zuckte der Schreiber zusammen und maß Hilda mit feindseligen Blicken. Aber ehe er etwas entgegnen konnte, rief der Bürgermeister, mit der fetten Hand auf den Tisch schlagend:
„Und woher weißt Du das so bestimmt, Jungfer Vorlaut? Ich bin jetzt bald zwanzig Jahre Bürgermeister und habe es noch nicht herausgebracht l"
Mit großen Augen blickte Hilda auf ihren aufgeregten Vater, der nicht einmal bemerkte, dctzß er der eigenen Weisheit ein so wenig schmeichelhaftes Zuge- ständniß machte. (Fortsetzung folgt.)
Allerlei.
— Beurtheilung eines mageren Rindes zur Mast. Hierbei sind folgende Punkte zu beachten: 1) Dicke und runde Knochen zeigen nicht nur geringe Mastfahigkeit, sondern auch Möchte Fleisch- gualität an; sie sollen mehr flach mit inehr oder weniger schmalen Vorder- und Hintertheilen sein. Die Knochen müssen im Verhältnis; zur Körpergröße nicht zu kräftig sein. 2) Die Brust muß weit und tief sein, Bugleere darf nicht gefunden werden. Das Kreuz muß breit, der Rücken und Stock eben sein und der ganze Knochenbau des Rumpfes, der Schultern und Schenkel ein möglichst gleichmäßig cubisches, längliches Viereck bilden. 3) Der Zustand der Haut erlaubt uns sowohl auf die Mastfähigkeit als auch ans die Gesundheit zu schließen. Wir werden uns günstige Resultate versprechen, wenn die Haut dick und weich ist und lose ausliegt. Dazu gehört kräftiges aber glattes Haar. Dünnes Fell und gleiche, oder auch borstige, grobe Haare sind schlechte Zeichen. Es ist eine anerkannte Thatsache, daß hellfarbige Thiere sich besser mästen als dunkle, da die hellere Haarfarbe stets auch weiches und dickes Fell mit sich führt. 4) Der Kopf der Thiere soll die nöthitz'e Feinheit und das Auge weder einen unstäten, wildest, noch blöden, starren Ausdruck haben, sondern hell und milde blicken.
— (Im Biergarten.) Herr: „Sie Kellner! Warum ist das Brod, das Sie mir gebracht haben, so näß?" — Kellner: „Ja wissenS! ich hab's halt unterm Arm g'habt und bei der Hitzen schwitzt mcr halt a bisl viel."
Palindrom.
Ein Wörtlein mir mit wenig Zeichen,
Wie kann es doch ein Herz erweichen!
Man folgt erröthcnd der theuren Spur Durch Haus und Garten in Wald und Flur.
Doch ach, wie wirkt auch so crtödteud,
Natur und Menschenwelt verödend Dasselbe Wörtlein, umgekehrt!
Wen gibt's, der das nie selbst erfährt?