Erscheinungsorte. Noch aber war das begnadigte Mädchen nicht erschienen. Erst gegen Sonnenunter­gang bewegte sich abcnnals ein Zug aus der Stadt heraus, der das Wunderkind begleitete. Als das Mädchen seinen angezäunten Platz eingenommen hatte, geschah Etwas, was wohl kaum einer der Gläubigen erwartet hätte. Es erhoben sich nämlich die beiden Geistlichen, und mit zürnender Donnerstimme sing der eine Geistliche an. das Volk abzumahnen, doch nicht an einen solch ossenbaren Betrug zu glau­ben, sich vielmehr an ihre Geistlichkeit zu halten und derselben Gehör zu schenken. Zum Schluß der Rede des Geistlichen ermahnte derselbe das Volk, sich mit ihm von dem Platze des Schwindels sortzubewegen. Die beiden Geistlichen, von welchen einer der Vikar aus Wisset war, gingen voran nach der Stadt; aber nur ein Häuslein der Gläubigen solgte denselben. Der zurückgebliebene PolkShaufen wartete ans die Erscheinung, und solche blieb auch nicht auS. Doch nicht mehr alle Schoberglünbigcn knieten: es stand vielmehr der 3. Theil derselben. Die Rede deL Geist­lichen hatte doch zum Theil ihre Wirkung gethan, und allgemein wurde schon gezweiselt. Spät erst verlief sich die Volksmenge. Die Polizei war schwach vertreten, doch sind Ruhestörungen nicht vm gekom­men. Der Landrath Frcimark auS Wirsitz war am 6. in Wisset, und in den nächsten Tagen werden 2 Kompagnien Infanterie den Gläubigen den Weg znm gebenedeiten Schober wohl ein wenig erschweren. Die Geschäftsleute Wissek's machten wiederum die glänzendsten Geschäfte. Das Mädchen, welches die Muttergotteserscheinung auf einem Strohschober in Wisset gesehen haben will, wurde von der Geistlich­keit in scharfes Verhör genommen und hat schließlich bekannt, daß sie überhaupt nichts gesehen, sondern Alles erlogen hat.

Straßbnrg, II. Sept. Etwa vom 25. d. M. ab wird unter der Leitung des Herrn Generalfeld­marschalls Grasen v. Moltkc eine Gencralstabs- übungsreise zur Ausführung kommen, welche nach den allgemeinen Dispositionen von Kollmar ausgehend Ober- und Unter-Elsaß berühren wird. Die Stärke deS Kommandos wird folgende sein: 1 Chef deS Generalstabes der Armee (Generalfeldmarschall Graf v. Moltkew 2 Adjutanten (davon 1 Oberst mit dem Range eines Abtheilungschefs und 1 Hauptmann); 5 Abtheilungschefs bezw. Regimentskommandeure; 13 Stabsoffiziere: 10 Hanptleute: 1 Registrator; 3 Un­teroffiziere; 43 Gemeine incl. 23 Burschen und Die­ner: 60 Pferde.

OesterreichUngarn.

Wien, 10. Sept. Wie heute als sicher ver­lautet, wird der deutsche Reichskanzler am 14. Sept. Abends oder am 15. Vormittags zum Besuche des Grafen Andrassy in Wien eintreffen und daSselbst in keinem Fall länger als zwei Tage, möglicher Weise blos einen Tag verweilen. Fürst Bismarck wird auch vom Kaiser Franz Josef empfangen werden. Den Konferenzen zwischen dem Fürsten und dem Grasen Andrassy wird der künftige Minister des Aenßercn Baron Haymerle beiwohnen. Der Letztere befindet sich bereits in Wien. Vier oder fünf Tage nach der Abreise des Fürsten Bismarck von Wien soll die Entlassung Andrassys und die Ernennung HaymerleS amtlich publizirt werden. Eine Aendcrung in dieser letzteren Disposition könnte möglicherweise eintreten, wenn die Österreich. Truppen im Sandschak Novibazar auf heftigen Widerstand stießen und daran eine diplomatische Aktion in Kouftantinopel sich knüpfen würde.

Wien, 11. Sept. Meldung derPresse" aus Plevljc, 10. Sept.: Vor dem Einzuge der österrei­chischen Truppen in Plevlje erklärte der türkische Commandant Mustafa Pascha, er sei beauftragt, mit einem Bataillon in der Stadt zu bleiben. General­major Killics erklärte dies im Sinne der österrei­chisch-türkischen Convention nicht zugestehen zu können. Mustafa bereitete auch sonst Schwierigkeiten. Schließ­lich wurde der Einmarsch unter Zurufen der christ­lichen Bevölkerung vollzogen. Der Abmarsch der türkischen Truppen soll morgen erfolgen.

Wer's Gruseln lernen wiss, muß nach Wien gehen, wo der berühmte Seiltänzer Blondin seine halsbrechenden Kunststücke macht. Er hat nie weni­ger als 3000 Zuschauer und allen stehen die Haare zu Berg vor Vergnügen. Als Blondin s. Z. auf dem Seil über die Niagara-Fälle in Amerika schritt, fragte ihn der Prinz von Wales, was er fühle, wenn er so auf dem Seile gehe. Nichts als die Noth-

wendigkeit, mich im Gleichgewicht zu halten, antwor­tete Blondin.

Schweiz.

Mit lebhaftem Interesse folgt man in der Schweiz den französischen Simplon - Bestrebungen. Man betrachtet in Frankreich den Gotthard als eine schwere Schädigung der französischen Interessen, nicht nur Deutschland, sondern auch Holland und Belgien, England, ja selbst ein großer Theil des französischen Handels werden die Gotthardstraße benützen. Also müsse der Simplon durchstochen werden. Die Ge- sammtkoften der Simplonbahn sind auf 136 500 000 FrS. veranschlagt. Die Staatssnbventionen würden <0 Millionen betragen müssen und davon hätten Italien und Frankreich 50 Millionen und die Schweiz 15 bis 20 Millionen zu tragen. Die Beschaffung dieses Subventionskapitals wird begreiflicherweise auf große Schwierigkeiten stoßen und die Schweiz wird sich daran nur bethätigen, wenn Tarife geschaffen werden, welche den Gotthard nicht gefährden. Das Streben der französischen Eisenbahnpolitik ist daraus gerichtet, bei Zeiten und ganz verstohlen die Znfahrts- linicn zum Gotthard lahm zu legen oder dem Sim­plon dienstbar zu mache».

Frankreich.

Paris, 10. Sept. Es bestätigt sich derKöln. Ztg." zufolge, daß Prinzessin Clotilde fich weigert, ihren Aufenthalt in Frankreich zu nehmen. Der Prinz Napoleon hatte dieö gewünscht, weil er hoffte, daß er durch seine Gemahlin, die eine sehr fromme Dame ist, auf die Klerikalen einwirken könnte. Der Plan einiger klerikalen Bonapartisten, den Prinzen Napo­leon zu bestimmen, zu Gunsten seines ältesten SohneL zu entsagen und seine Gemahlin mit einer Art von Regentschaft zu betrauen, hat keine Aussicht ans Erfolg.

Paris. (Verlockendst Ein Konkurrent Bar- nnms hat der Pariser Schauspielerin Sarah Bern­hardt für ihr Skelett eine halbe Million Franks angebvten. Das Skelett Hütte natürlich erst nach dem Tode der Künstlerin abgeliefert werden müssen. Mademoiselle Bernhardt antwortete ablehnend auf den verlockenden Antrag.

Griechenland.

Das kleine Griechenland rüstet sichzu Wasser und zu Land" auf einen Krieg mit der Türkei. Zwar verhandeln türkische und griechische Abgesandte in Konstantinopel, allein man scheint in Athen vorauS- zusehen, daß ans den Friedensvcrhandlungen nichts Vernünftiges heransschanen werde und macht deßhalb nach Kräften mobil. Unterließ ist aber auch schon eine türkische Armee an der Grenze anfmarschirt und bat bereits alle nach Griechenland führenden Straßen besetzt und die strategischen Punkte befestigt. Wir wollen abwarten, welche Folgen dies laute Säbel­gerassel nach sich ziehen wird!

England.

London, 11. Sept.Standard" meldet: Die Priester in Afghanistan predigen den heiligen Krieg gegen die Engländer. DieDaily News" melden auS Rangun vom ll. Sept.: Das Gesammtperso- nal der englischen Gesandtschaft verließ Mandalay auS Besorgniß vor Gewaltthütigkeiten des Königs von Birma.

London, 11. Sept. Der lang anhaltende Nothstand unter der arbeitenden Klasse in Glasgow führte am 10 d. zu einem Brvdkrawall. Das Volk drang gewaltsam in 2 Bäckerläden ein und eignete sich daselbst Brod und andere Artikel an. Zunächst wurden einige Brodwagen ans der Sraße angegriffen und ihres Inhalts beraubt. Einer der Kutscher, der Widerstand leistete, wurde arg mißhandelt. Mehrere der Aufrührer wurden verhaftet.

Rußland.

Der russische Botschafter Fürst Orlow wird unverzüglich in Paris zurückerwartet; Graf Schu- walow war kaum in Paris eingctroffen, als er plötz­lich nach Baden-Baden eilte.

Wohl, um der Welt zu zeigen, daß es nicht so sehr ein Ding der Unmöglichkeit sei, zwischen Frankreich und Rußland eine Art Schutz- und Trutz- bündniß anzubahnen, hat der Redakteur einer Pariser Zeitung, eine Unterredung mit dem russ. Kanzler Fürsten Gortschakoff in dem Kurorte Baden gehabt, und solche denn auch alsobald in seinem Blatte ver­öffentlicht. Der vor uns liegende genaue Wortlaut dieser Unterredung läßt nur zu sehr das abgekartete Spiel durchscheinen. Eben darum, weil die Sätze für die Oeffentlichkcit berechnet, haben sie ein eigenes

Interesse, besonders nachdem die Absicht bekannt, in der sic geschrieben worden sind. Der russ. Kanzler verstieg sich zu dem eigenthümüchen Satze: Die Feind­schaft, mit der ihn der deutsche Kanzler beehre, ver­danke er wahrscheinlich seinem Streben, Frankreich um jeden Preis zu kräftigen! Außer diesem Zaun­pfahlwink, den sich die Herren Franzosen gewiß hinter die Ohren schreiben werden, ist noch folgende Stelle als besonders piquant hervorzuheben. Der französ. Journalist fragte den rnss. Kanzler, ob er ein Bünd­nis; Deutschlands, Oesterreichs und vielleicht Italiens gegen ein Bündniß Rußlands und Frankreichs für möglich halte und die rnss. diplomatisch weise Excel- lenz antwortete auf diese kühne Frage:Aha, da stehen wir an dem Hauptpunkte." (Nach einer Pause:i Die Blätter sprechen davon; aber es ist ein Gegen­stand, den wir mit Ihrer Erlaubnis; jetzt lieber un- erörtert lassen. Was uns Russen betrifft, so kann ich Sic nur versichern, daß wir einen Invasionskrieg keineswegs fürchten. Auf alle Fälle ist cs aber wohl- gethan, auf seiner Hut zu sein, und einer Ihrer berühmten Fabeldichter hat mit Recht gesagt, daß Mißtrauen die Mutter der Sicherheit sei. Am Schluffe dieser Unterredung wird dem göttlichen Frankreich von dem russ. Staatsmann nach Kräften süßer Honig unter die Nase gerieben, indem der Fürst in die Worte ausbricht: Noch einmal und Sie mögen dies Ihren Landsleuten von mir ansrichten ich hege eine innige Liebe zu Frankreich und glaube da­von in den letzten Jahren überzeugende Beweise ge­liefert zu haben. Ich erachte für ein Interesse ersten Ranges, das; eS den ihm aus so vielen Gründen gebührenden Platz in Europa einnehme. ES ist dies, sage ich, ein Interesse ersten Ranges nicht blos für Frankreich, sondern für alle anderen Nationen. Eine Absetzung Frankreichs wäre ein Majestätsverbrechen gegen die Civilisatiou. Es nimmt uns nur Wunder, wie ein russ. Kanzler solch' abgestandene Redensarten in den Mund zn nehmen mochte!

Der Haß Rußlands beginnt sich jetzt gegen ein anderes Land zu kehren und zwar gegen Oestreich- Ungarn. Es lassen die rnss. Zeitungen schon eine Art Drohung durchblicken, indem sic von ernsthaften Erörterungen sprechen, die den geduldigen Oestreichern seitens des rnss. Reiches bevorständen, da-S urplötzlich den Beruf in sich zn fühlen scheint, überall als das den Frieden störende Karnickel aufzutreten. Dieser neuen Wendung zufolge würde Rußland, falls es sich wirklich mit kriegerischen Plänen trügt, gegen Ocstreich sich wenden wollen, nachdem cs mit den Anfeindun­gen gegen Deutschland nicht recht hat gehen wollen. Amerika.

Das immer bedrohlichere Anwachsen der so­zialdemokratischen Arbeiterbewegung in den Vereinigten Staaten Nordamerikas hat die Washingtoner Regierung veranlaßt, ihre europäischen Konsuln zu beauftragen, über den Stand der euro­päischen Arbeiterverhältnisse zu berichten. Diese Be- riche sind nun eingegangen und das Staatsdeparte­ment in Washington hat ein Nesiimo dieser Berichte der amerikanischen Presse übermittelt. Darnach er­strecken sich die Mittheilungen der Konsuln über alle Erscheinungen der Arbeitsfrage in Europa, nämlich die Lohnsätze, die Arbeitsstunden, die Gewohnheiten der Arbeiter, ihre Lebensweise, Kapital und Arbeit» Streiks, Trunksucht, Gewerbevereine, Sozialismus» Kommunismus u. A. Die Lage der Arbciterbevölke- rnng Europas, ihr fortdauernder Kampf mit höchst ungünstigen Umständen, verglichen mit dem Stande der Arbeiterbevolkerung der Vereinigten Staaten» wird in eingehender Weise geschildert. Die folgenden Thatsachen sollen durch diese Berichte klar erwiesen werden: 1) Der Arbeitslohn in den Vereinigten Staaten ist doppelt so groß wie in Belgien, Däne­mark, Frankreich, England, dreimal so groß wie in Deutschland, Italien und Spanien und viermal so groß wie in den Niederlanden. 2) Die Preise der Lebensbedürfnisse sind in den Vereinigten Staaten niedriger als in Europa, und der Arbeiter in den Ver. St. kann, wäre er mit der spärlichen und kläg­lichen Kost, von der ein europäischer Arbeiter lebe» muß, zufrieden, gleiche Nahrung für weniger Geld kaufen, als das, wofür sie in Europa gekauft werden kann. 3) Der franz. Arbeiter ist mit geringem Lohne glücklicher, als der Arbeiter Großbritanniens mit dem höchsten Lohne in Europa, und zwar wegen der Stetigkeit und der ökonomische» Gewohnheit des elfteren und der Streiks, der Trunksucht und der daraus folgenden Nachlässigkeit des letzteren. 4)