Seit mehreren Tagen führt die „N. A. Ztg." sowohl, als die „Kreuzz." einen erbitterten Federkrieg gegen Belgien und dessen Presse, welche eine Deutschland so feindliche Stellung ein- nimmt. In der That dürfte gegen das Argument wenig einzuwenden sein: Aus den Enthüllungen Bismarck's geht mit Evidenz hervor, daß Napoleon Absichten aus Belgien hatte, und sie ohne Preußens kräftige Haltung wohl auch zur Ausführung gebracht hätte. Also ist der Krieg ein Kampf für Belgiens Selbstständigkeit. Wenn aber dem also ist, warum geifert die belgische Presse gegen Deutschland? (St.-A.)
In Wien finden große Ankäufe von Winterpelzen statt, die für die deutsche Armee bestimmt sind. Ebenso werden fortwährend größere Abschlüsse in Speck und geräuchertem Schweinefleisch Seitens süddeutscher Armeelieferanten gemacht, in Folge davon Speckpreise fast um 40 pCt. gestiegen sind. In welchem Umfange letztgenannter Artikel exportirt wird, geht daraus hervor, daß ein erstes Wiener Haus dieser Tage ein Accreditiv von 1)'» Mill. Francs erhielt, um damit die Speckankäufe eines süddeutschen Hauses zu begleichen. Zu selbem Zwecke, wie vorerwähnte Artikel, werden jetzt auch größere Abschlüsse in Schaf- wollwaarcn, Leibjacken, Socken, Decken gemacht, deren Gesammt- gewicht 100,000 Ctr. betragen soll.
Wien, 10. Okt. Thiers wurde gestern vom Kaiser empfangen und reist morgen nach Florenz ab. Von Resultaten, wie vorauszusehen, nirgends die Rede.
Die „St. Galler Ztg." bringt dieser Tage einen Artikel, in welchem sie die Schweiz dringend auffordert, zu Gunsten der „Schwesterrepublik^ ihre Neutralität aufzu geben und Frankreich zu helfen. Sie spricht von den deutschen Führern als dem Gottesgnadengesindel (wahrscheinlich in dem peinlichen Gefühl, in einer Republik von Gottes Gnaden leben zu müssen). Man wird in der Schweiz allenthalben gut thun, sich zu mäßigen. Mitgefangen — mitgehangen" gilt nie mehr als im Kriege.
Tours, 6. Okt. Die „France" erklärt gegenüber von böswilligen Gerüchten die Haltung des Generals Uhrich sei tadellos. Die Uebergabe Straßburgs war vom Kriegsrath mit allen gegen zwei Stimmen beschlossen worden.
Tours- 9. Okt. Die Regierung verbreitet folgende Nachricht: Garibaldi ist heute Morgen 7'/, Uhr eingetroffen, und in der Präfektur abgestiegcn. Am Bahnhofe lehnte er die ihm angetragcne Eskorte ab und bemerkte gegenüber dem betreffenden Offizier, er hoffe ihn auf dem Schlachtfeld im Kampfe um die Befreiung des Gebietes der Republik wiederznfinden. Um 8'/, Uhr empfing Garibaldi den Besuch Cremieux', Glais-Bizoin's und Laurier's. Die Revue über ein Bataillon Franktireurs, welches vor der Präfektur aufgestellt war. mußte er wegen seines leidenden Zustandes ablehnen. Gambetta, auf der Reise von Rouen hierher, hielt auf dem dortigen Bahnhof eine Ansprache an die Bevölkerung, worin er zum Ausharren bis zum Sieg oder Tod auffordert. Gambetta ist im Besitz ausgedehntester Vollmachten seitens der provisorischen Regierung.
To.urs, 10. ykt. Gambetta erließ eine Proklamation an die Bewohner Ler Departements: Er habe auf Befehl der Regierung Paris verlaßen, um die Anweisungen und Befehle derselben zu überbringen. Die Revolution hakt« weder Geschütze noch Waffen vorgefunden: jetzt sind hier (in Paris?) 100,000 Nationalgarden, 100,000 Mobilgarden, 80,000 Mann reguläre Truppen. Täglich werden Millionen von Patronen angefertigt. Die Forts sind mit Marinetruppen besetzt. Wir haben 3800 Geschütze. Bis letzt ist der Feind verhindert, nur auch das kleinste Erdwerk zu errichten. Die Festigkeit und Erfahrung unserer improvisirten Truppen wird täglich größer. Hinter der Enceinte existirt eine andere aus Barrikaden. Es ist keine Illusion: Paris ist uneinnehmbar. Preußen bleibt nur die Hoffnung auf einen Ausstand, auf Hungers- noth. Aber zu keinem vvn beiden wird es in Paris kommen. Lebensmittel sind für Monate vorhanden. Es ist Pflicht der Bewohner der Departements, sich den Befehlen der Regierung zu fügen, welche nicht» als die Rettung Frankreichs will. Sobald dies geschieht, wird dre Regierung fest begründet fein. An Mannschaften fehlt es nicht. Gefehlt hat dis jetzt nur der Entschluß, die Konsequenz. Die nunmehr ^geschlossenen Lieserungsverträge sichern alle disponibein Gewehre der Welt. Wir muffen alle Hilfsquellen anspannen, dem Feinde Hinterhalt legen, einen nationalen Krieg anfangen. Die Herbstreäen werden kommen, die Feinde werden decimirt werden durch unsere Waffen, durch Hunger, durch die Natur. Erheben wir uns in Massen, laßt uns lieber sterben, als in die Verstümmelung Frankreichs willigen!"
Mit welchen kindlichen Mitteln die Regierung zu Tours den Franzosen Muth zu machen sucht, beweist u. A. der Umstand, daß unter den „offiziellen Depeschen", welche der zu Tours erscheinenden „Corr. Havas" zur Veröffentlichung mitgetheilt werden, sich folgende befindet: „Neu- fchateau, 3. Okt-, Abends. Es geht das Gerücht, daß die getödtete Persönlichkeit, deren sbleierner mit Goldbrokat verhüllter) Sarg neulich Chalbns und Toul passirte, der General v. Moltke sei. Man erinnert sich, daß nach der neulichen Depesche dieser Sarg von 3000 Mecklenburgern eskorlirt wurde. Es ist nicht unnütz ins Gedächtniß rurückzurufen, daß General v. Moltke in einer kleinen Stadt des Großherzogthums Mecklenburg geboren ist."
A m i e n s, 8. Oktbr. Ein Dekret der Zentralregierung verzagt die Wahlen.
Der General Ducrot, welcher ehrloser Weise sein Ehrenwort gebrochen, hat Paris auf einem Luftballon verlassen, um das Ober-Commando über die Loire-Armee zu übernehmen.
Das größte Unheil, die größte Gefahr unserer Stellung in Paris liegt darin, daß, so tapfer sich die französische Hauptstadt auch wehren mag, es doch unmöglich ist) der ansteckenden Frage
auszuweichen: „Eine heroische Vertheidigung zugegeben, was aber nachher?" Die in Paris aufgespeicherten Dorrälhe werden ausreichen, die Einen sagen für einen Monat, Andere für zwei, wieder Andere für drei Monate. Ich selbst habe den Eindruck, daß wir vor Ablauf von drei Wochen von Belleville, Aubervilliers und Batignolles sehr deutliche Andeutungen von dem Hereinbrechen einer Hungersnoth erhallen werden. Man vergesse nicht, daß die Arbeit und der sie begleitende Lohn der Hauptstadt aufgehört haben. Der Arme ist ärmer als je, für diejenigen, welche von ihrer Hände Arbeit leben, giebt es keine Beschäftigung, und diejenigen, welche die zahllosen Abfälle der großen Stadt aufsammeln oder die tausend gelegentlichen kleinen Dienste derselben verrichten, sind mit ihrem Witz zu Ende. Die kalte Nothdurft und der bittere Hunger lauern auf uns, und mit ihnen werden weder die Mobilgarden, noch die provisorische Regierung, noch der General Trochu fertig werden.
(Frechheit.) Ein Brief des Pariser „Figaro" spricht von einer amerikanischen Kompagnie, welche, falls die Regierung genügendes Kapital findet, zu dem Behufe gebildet werden soll, um Gras Otto Bismarck todt oder lebendig einzufangen; wenn lebendig gefangen, soll die Kompagnie das Privilegium erhalten, den Grafen in einem Käfig ausftellen zu können.
Brüssel, 8. Okt. Aus Tours wird gemeldet: Cremieux hat dem diplomatischen Korps angezeigt, daß die Verlegung des Regierungssitzes nach Toulouse, wo auch die Konstituante znsammentreten werde, bevorstehe. (S. M.)
Brüssel, 10. Okt. Berichten aus Tours zufolge ist cs zwischen Gambetta, Glais-Bizion und Cremieux zu lebhaften Auseinandersetzungen gekommen, namentlich in Betreff der Wahlen und der Armeeverwaltung. Glais-Dizoin und Cremieux sind entschieden gegen die Vertagung der Wahlen und gebe» zu verstehen, daß sie die Abhaltung der Wahlen am 16. Okt. durchsetzen wollen. (S. M.)
Antwerpen, 9. Okt. Die hiesige Polizeibehörde hat auf einem nach Havre bestimmten Schiff 22 Kisten mit Munition confiscirt.
Florenz, 7. Okt. Das Resultat der Abstimmung in dem Kirchenstaat ist folgendes: Eingeschriebene Wähler 167,548, abgegebene Stimmen 135,291, davon stimmten 133,681 mit „Ja", 1507 mit „Nein"; 103 Stimmzettel waren ungültig.
Florenz, 11. Okt. Ein königl. Dekret verkündet die Einverleibung von Rom und der Provinzen des Kirchenstaats. Dem Papst bleibt seine Würde, seine Unverletzbarkeit, seine persönlichen Souvcränitätsrechte. Im Wege der Gesetzgebung werden die Bedingungen für die Wahrung der Exterritorialität des Papstes und seiner freien Ausübung der geistlichen Autorität sestge- stellt. Lamarmora ist zum Statthalter des Königs in den römischen Provinzen ernannt.
London, 7. Okt. Die Regierung ist sehr mit Projekten beschäftigt, die zwischen Preußen und Rußland im Gange sind und die orientalische Frage betreffen. Die Karte von Europa soll umgestaltet und ein Congreß berufen werden.
London, 8. Okt. Aus Madrid wird vom 8. Okt. gemeldet: Der Minister des Aeußern Sagasta erklärte in einer Kommission der Cortes, Frankreich habe nach der Unterredung Bismarck's mit Favre die Vermittlung Spaniens nachgesucht. Spanien habe dieselbe adgelchnt.
Petersburg, 8. Oct. Preußen macht Massenankäufe in russischen Schafspelzen. Dir russischen Journale sehen darin die Ueberzcugung Preußens, daß der Krieg nicht sobald ein Ende nehmen werde.
Welchen Eindruck die Nachricht von der Katastrophe von Sedan auf die Deutschen am stillen Weltmeer gemacht hat, mag man aus folgenden Sätzen des in San Francisco erscheinenden California Demokrat vom 4. Scpt. ermessen: „Deutschland ist erstanden seit Jahrhunderte langem Schlaf. Nicht länger mehr wird man seine Zerrissenheit verewigen und seine gesegneten Fluren zum Schlachtfeld Europas machen. Seit gestern besteht eine große Deutsche Nation, die das erste Wort mitspricht in dem Rathe Europas. Stolz weht sein Banner in den Lüften, und gegen seine Anmaßung kennt es von heute an keine Antwort mehr, als die mit dem Schwert. Das größte Ereigniß des letzten Jahrtausends ist an uns vorübergegangen, und doch war der Tag ein Tag wie jeder andere. Wir werden unseren Kindern und Kindeskindern von dem Tage erzählen, und diese werden uns beneiden, daß wir ihn durchlebt. O wer gestern in Deutschland hätte sein können von dem Jubel einer Nation, die zum ersten Mal zum Bewußtsein der vollen Würde ihrer Nationalität gelangt, die mit Blut den Schimpf abgewaschen, den der Uebermuth eines fremden Abenteurers ihr aufzuladen versucht!" Die Siegesnachrichten hatten die deutsche Bevölkerung in San Francisco aufs Höchste begeistert und einen Enthusiasmus mach äußerlich hervorgerufen. Die freudigsten Kundgebungen und Sieaesseiern werden aus einer Reihe von Städten in Amerika gemeldet. (S- M.)
Redaktion, Truck und Verlag der G. W. Zaiser'scheN Buchhandlung.