Eine Nacht auf einer algerischen Niederlassung.

(Fortsetzung.)

Endlich wurde der Wegmachcr und Spion der Chuasen sichtbar.

Immer mißtrauisch, und deßhalb immer auf seiner Hut, trat er so leise auf, daß er den Boden kaum berührte.

Sein luftiger Tritt, sein dunkler Burnus, sein verschlagenes, List und Heimlichkeit anzeigendes Gesicht ließ ihn beinahe als ein Gespenst erscheinen, das am Strande irrt.

Bei seinem Anblick machte sich der Spahi zurecht und hielt sich, einem Panther gleich, der aus seine Beute lauert, zum Sprunge bereit.

Sobald der Bcni-Snassem den ersten Schritt über den Fels hinaus gemacht hatte, hinter dem sich Obigny verborgen hielt, warf dieser seinen Lasso mit so sicherer Meisterhand über ihn, daß der Chuase, von dem lausenden Knoten nahezu erdrosselt, nicht einen einzigen Laut auszustoßen vermochte.

Die erste unwillkürliche Bewegung seiner Hand suchte seinen Hals freizumachen; aber der Spahi hob ihn mir kräftiger (Faust empor und zog ihn den Fels hinaus wo ihn die beiden Jäger banden und knebelten.

Jean Casse-Tete kannte den Gebrauch des Lasso nicht; auch sein Jagdgesährte hatte sich desselben nie früher in seiner Gegen­wart bedient. Er begriff daher auch nicht ganz genau, in welcher Weise die Gefangennahme des Chuasen erfolgt sei und betrachtete deßhalb Oiqny ganz erstaunt; allein Heit und Stunde eigneten sich nicht zu Aufklärungen.

Obigny packte den Gefangenen aus seine Schulter, sprang mit ihm von Fels zu Fels und erreichte endlich den Strand.

Das Meer brüllte so gewaltig, daß Obigny gar kein Be­denken trug, dem Chuasen die Kehle so weit frei zu lassen, daß es diesem möglich wurde, zu reden.

Ücbrigens begriff der Beni-Snassem ganz gut, daß es völlig vergeblich wäre, wenn er den Beistand seiner Brüder anrusen wollte. Mit jener kalten Ergebung, die dem Muselmann, wenn ihm der Tod entgegentritt, jederzeit eigen ist, wartete er ruhig, was mit ihm geschehen werde.

Du zappelst im Netze, verabscheuungswürdigcr Nacht­vogel! redete ihn Jean Casse-Tcte höhnisch an.

Laß das beiseite, beschimpfe El-Saida nicht! sagte Obigny. Er ist einer der tüchtigsten Streiter des Atlas.

Der Chuase blickte verwundert empor.

Wer bist Du denn ? fragte er den Spahi.

Der Löwentödtcr! erwiderte dieser.

Gepriesen sei der Prophet! ries der Bcni-Snassem. So sterbe ich denn doch nicht von unwürdiger Hand, mein Tod wird ein rühmlicher sein.

Obigny lächelte.

Du wirst Deine Berge Wiedersehen, sagte er, denn die Stunde der Heimkehr in das Paradies der Tapferen ist für Dich noch nicht gekommen! Ich erkannte Dich soeben in der Schlucht von Djemmar, und da ich erfahren wollte, was Deine Brüder im Sinne führen, so nahm ich Dich gefangen. Ich erwarte nun von Dir, daß Du redest.

Würdest Du an meiner Stelle Deine Kameraden vcr- rathen? fragte der Chuase.

Du wirst reden, El-Saida!

O, rief der Chuase schlau lächelnd, das werde ich nicht!

Du wirst reden! entgegncte der Löwentödtcr. Höre mich an. Du hast ein Weib, so schön wie die Houris; sie ist die Blume der Berge. Du liebst sie bis zum Wahnsinn. Um sie gleich einer Sultanin zu schmücken, trotzest Du dem Tode jede Nacht. Du glaubst, während Deiner Abwesenheit denke sie an den geliebten Galten, der sich in weiter Ferne von ihr mit tausend Feinden für sie schlägt. Du bist auch ihres Herzens ganz sicher; Du weißt, daß sie Dich liebt. Nun denn, ich sage Dir, Du täuschest Dich.

Beim Allah, Du lügst! rief der Beni-Snassem. Sprächest Du die Wahrheit, ich würde sie tödten und ihr Fleisch den Hun­den vorwersen!

El-Saida, der Löwentödtcr hat nie gelogen!

Verdammt, das mag wahr sein, denn Dein Wort ist heilig wie der Koran; Meriemm (Marie) hat mich verrathen! !

Der Beni-Snassem krümmte sich vor Wuth und fuhr dann ! fort: ^

Also bin ich El-Laida, der Grimmige, El-Saida, der Gefürchtete, ich, dessen Zorn Grauen erweckt wie der Samum, das Spielzeug eines elenden Weibes!

Fahre wohl, Löwentödtcr, Du weißt um meine Schmach und sollst erfahren, wie ich dieses Weib bestraft habe.

Damit wollte der Chuase sich ausraffen; aber der Spahi ! trat vor ihn hin und sagte: ^ !

Du vergißt, daß Du mein Gefangener bist! !

Diese Worte wirkten wie ein Zauber. !

Der Beni-Snassem krümmte sich zu den Füßen Obigny's.

Bei der Mutter, die Dich genährt hat, jammerte er, bei

dem großen Allah, der den Stern im Auge des Löwen lenkt, bei j

Deiner eigenen Rache, wenn sie Dir einst die Brust entflammt, gib mich frei! Willst Dn einen Sclavcn, der Dir dient, wie ein Marabut dem Propheten; willst Du ein Herz, das Dich liebt wie ein Kind seinen Vater, so gewähre mir vier Tage Freiheit, und ich kehre zurück und erkenne Dich als meinen Herrn! Nenne mir meinen Nebenbuhler und mein Leben gehört Dir!

In der Stimme des Beni-Snassem lag eine so erschütternde Wahrheit, daß Jean Casse-Tete erwiderte:

Sage uns, wohin Deine Brüder gehen, und Du sollst die Freiheit haben!

Sprich schnell! setzte Obigny hinzu.

Nach den Fcigcnpflanzungen! cntgegnetc der Chuase. Und jetzt sprecht den Namen aus, den Namen meines Nebenbuhlers und gebt mich frei!

Der Amir (Anführer) Deines Dorfes ist Dein Neben­buhler! sagte der Spahi. Und jetzt, El-Saida, wünscheich, daß Dich der Prophet bei Deinem Rachewcrke beschütze!

Ich danke Dir, Löwentödtcr, ich danke Dir! Ich eile, gcleiw Dich Gott!

^ Und ohne weiter ein Wort zu sprechen, stürmte der Beni- Lmassem über die Berge hin.

Hast Du ihm die Wahrheit gesagt, fragte Jean Casse- Tete den Spahi.

Ja, entgegnete dieser; aber das treulose Weib ist gegen­wärtig in Sicherheit, denn ich weiß, daß El-Saida's Vater'ihr Geheimniß errathen und ihr gedroht hat, seinem Sohne ihr schändli­ches Betragen zu entdecken, sobald dieser znrückkehren wird. Sie ist daher entflohen. Hätte ich nicht ganz bestimmt gewußt, daß El-Saida bei seiner Heimkehr Meriemm's Verrath ohncdieß ganz zuverlässig erfahren werde, ich hätte geschwiegen. Aber jetzt auf, eilen wir, damit wir noch vor denNebelbrüdern" den Wirth- schastshof erreichen.

Und um den Saracqs nicht in den Weg zu kommen, nahmen die beiden Jagdgefährtcn den ihren durch Hecken uiid Dorngebüsch, bis sie die Bande üverholt hatten.

Als sic die Fcigenpflanznngen erreichten, lagen die Bewohner des Wirthschaftshofes im tiefsten Schlafe; nur die Hunde, als sic Tritte in der Nähe vernahmen, schlugen furchtbar an.

Obigny schellte heftig am Thore; Paul eilte herbei.

Wer ist's? fragte er.

Freunde sind da! Nur schnell ausgemacht, die Beni-Snassem überziehen das Haus in furchtbarer Menge.

Bald eilte auch das Hausgesinde herbei; der Hof füllte sich mehr und mehr. Endlich erschien selbst der alte Morales am Fenster und erkundigte sich zornig, was einen solchen Lärm ver­ursache.

Wie, Herr Obigny, wendete er sich an den Spahi, sollten denn die Beni-Snassem es wirklich wagen, in solcher Nähe von Nemours eine Besitzung anznfallen?

Sic haben nicht eine Minute zu verlieren, Sennor, ent­gegnete Obigny; in wenigen Augenblicken wird die Bande der Nebclbrüder" Hereinbrechen.

Morales unterdrückte die Unruhe seines Innern und suchte sich die möglichste Würde zu wahren.

Zündet Fackeln an, befahl er, bewaffnet euch, haltet euch schußfertig und verrammelt die Eingänge! Macht Oel siedend, stellt Leitern auf, legt Steine zurecht!

Sennor, unterbrach ihn Jean Casse-Tete plötzlich, Sie kennen den Kampf mit den Chuasen nicht, lassen Sie uns die Verthcidigung leiten.

Löscht die Lichter aus! rief Obigny, indem er mit einem Ausdrucke von Würde, dem sich unter ähnlichen Umständen alles freiwillig unterwirft, die Leitung der Vertheidigungsanstalten in die Hand nahm. Beobachtet das tiefste Schweigen und nehmt die Aexte zur Hand! Bringt schmale Oeffnungen in der Mauer an und steckt durch diese eure Flinten! Schnell, vorwärts!

Die Diener gehorchten!

Sie, Don Morales, fuhr der Spahi fort, begeben sich gefälligst zu Fräulein Rita und wecken sie aus dem Schlafe. Wir müssen in ihrem Zimmer Aufstellung nehmen, um die andere Seite des Hanfes zu überwachen. Haben Sie zwei ganz zuver­lässige Diener? ;

Ja, Herr Obigny, aber es sind Spanier.

Sind Sie gute Schützen?

Vortreffliche.

Herr Obigny, das ist nicht wahr! bemerkte der Pariser. Unlängst haben Sie in dem Bache, der in der Nähe des Hofes vorüberfließt, ein Wildschwein auf dreißig Schritte gefehlt. Wählen Sie Robert und Jussuff, den Neger, Herr Obigny. Robert hat bei den Zuaven gedient, mehr brauchen Sic über ihn nicht zu wissen; was aber den Neger betrifft, so fürchtet sich dieser vor Robert in dem Maße, daß er hundert Kanonen gegenüber Stand hielte, befähle ihm der alte Zuave, seinen Platz zu behaupten.

Ich danke für den guten Rath, mein Freund, erwiderte der Spahi. Ich bitte Sie, Sennor, stellen Sie den Franzosen und den Neger auf den an gedeuteten Posten. (Forts, folgt.) '"Redaktion, Druck und Verlag der G. W- Z aiser'schen Buchhandlung.