Klärchen.

(Fortsetzung.)

Zunächst ging er in die Mühle und befahl dem Friedrich Winter, daß er gleich den Dienst anlrete. Der junge Mann hatte schon sein Arbeitszeug angelegt, das er aus dem Tornister genommen.

Din schon dabei, Meister! war die Antwort.

Göpel ging in die Wohnstube zurück und rief aus dem Fenster:

Franz! Franz!

Der Mühlknappr sah träge empor.

Was giebt es denn?

Komm sogleich zu mir! Auf der Stelle! fügte er hinzu, als er sah, daß der Geselle sich nicht rührte. Ich befehle cs Dir!

Kann schon geschehen!

Fünf Minuten später trat der Mühlknappe, ein hagerer knochiger Mensch von dreißig Jahren, ein. Aus seinem eckigen, mit kurzen schwarzen Haaren bewachsenen Schädel lugten ein paar kleine graue Augen wie aus der Tiefe empor. Sein Gesicht war zwar mit Mehlstaub bedeckt, aber die Bläste und die Falten desselben ließen sich doch erkennen.

- Da bin ich, Meister! sagte er trotzig.

Du hast Dich in meiner Abwesenheit wieder schön be­nommen, hast die Meisterin mit Grobheiten tractirt, als sie Dir sagte, daß der Mühlrumpf leer sei und die Klingel schon lange läutete . . . Soll noch ein Unglück geschehen? Soll mein kleines Higenlhum in Flammen ausgehcn? Und dazu bist Du noch grob, beleidigend grob? Da liegst Du wieder draußen und lätzt Dir die Sonne auf den Kopf scheinen . . .

Genug, Meister! ries der Geselle mit rauher Stimme.

Auch das noch: soll ich etwa mit Dir nicht reden? Ich kann die Wirthschast nicht mehr ertragen, ich will sie auch nicht mehr ertragen!

Der Knappe drückte seine Mütze zusammen, die er zwischen den gewaltigen Fäusten hielt.

Meister, ich bin kein Junge mehr, rief er, seinen Grimm unterdrückend.

Darum fordere ich Ordnung und Pünktlichkeit von Dir. Einen Jungen kann ich auch in meiner Mühle nicht brauchen! Eben so wenig einen Knappen, der seinen Kopf für sich hat und die Arbeit vernachlässigt.

Jetzt zuckten die Fäuste des Knappen.

Meister, das ist nicht wahr!

Auch Göpel gcrieih in Zorn.

Mensch, willst Du mich Lügen strafen?

Nein, aber ich muß mich vertheidigen gegen boshafte Verläumdung! O, fügte er hinzu, die bebende Hand ausstreckcnd, ich weiß schon, wer mich schlecht gemacht hat . . . Es ist jedes­mal so, wenn Sie aus dein Hause gewesen sind ... die Meisterin und die Tochter können mich nicht leiden . . . Das ist die Sache!

Franz, ries ernst der Alte, von heute allein kann die Rede nicht sein; ich könnte Dir ein ganzes Register aufzählen . . .

Ist unnütz, ganz unnütz! Sic haben einen Zugcwander- tcn ausgenommen ... -

Ja, das habe ich!

Und das heißt so viel: der Franz Eckhardt kann gehen . . .

Gut, daß Du es gemerkt hast, ich brauche cs Dir nun nicht zu sagen. Zwei Knappen braucht meine Mühle nicht, ich kann sie auch nicht bezahlen. L-treitcn wir uns nicht, wir trennen uns in Güte und Frieden.

Eckhardt zitterte am ganzen Körper.

Also doch! murmelte er, indem sein Gesicht sich verzerrte. Also doch! die Meisterin hat es durchgesctzt . . . Da soll ich wohl heute noch gehen?

Auf der Stelle! antwortete Göpel entschieden. Ich habe mich schon zwei Mal wieder breit schlagen lassen, zum dritten Male geschieht es nicht wieder, darauf kannst Du Dich verlassen.

Scheußlich lächelnd hatte der Knappe auf seine Mütze geblickt.

Wie steht es denn mit meinem Lohne? fragte er nach einer Pause.

Ich zahle ihn Dir voll für den ganzen Monat. Auch will ich Dir ein Attest schreiben, mit dem Du zufrieden sein sollst. Jetzt gehe und wenn Du zur Abreise fertig bist, hole Dein Geld!

Franz stand zögernd an der Thür.

Meister! murmelte er.

Was noch?

Daß man mich Knall und Fall fortjagt, habe ich doch nicht verdient.

Disputiren wir nicht mehr, die Sache ist abgemacht! Es wird für uns Beide gut sein, wenn wir uns trenne».

Der Knappe warf einen Seitenblick auf den Meister.

Für uns Beide? fragte er höhnend.

Göpel stutzte. Einen so schrecklichen Blick hatte er noch nicht gesehen.

Was soll das heißen? fragte er streng.

Ich meine nur, Meister!

WillsODu etwa Rache an mir nehmen?

'Nein, das will ich nicht.

In Deinen Worten liegt eine Drohung, die nicht schwer zu verstehen ist. Hüte Dich Franz ... Ich habe lange Nach­sicht mit Dir gehabt!

Der Knappe verließ brummend das Zimmer.

Dieser Franz ist ein gefährlicher "Mensch, dachte Göpel. Ich werde froh sein, wenn er meinem Hause den Rücken gewendet hat. Die ausgesprochene Drohung werde ich mir vor der Hand merken; man kann nicht wissen, was geschieht. Ach, das Leben bietet doch nur Elend, Sorgen und Verdruß. Ein Mensch ist der Teufel des andern. Ich habe ja genug zu denken und zu beseitigen . . . soll ich mich denn mit diesem elenden Kerl Herum­balgen? Es ist Zeit, daß ich mir in meinen vier Pfählen Ruhe schaffe, der Aerger kommt allein von außen. Wie friedlich könnte ich jetzt leben, wenn der Professor ein billiger Mann wäre! Sein Kapital steht so sicher auf meiner Mühle, die Zinsen habe ich ihm auf den Tag bezahlt . . . Und doch verfährt er rücksichtslos . . . Wie das nur so gekommen ist, daß er sein Geld gerade jetzt haben will, da die Kapitale so schwer auszutrciben sind. Das Ding muß einen Haken haben, ich lasse es mir nicht nehmen. Den Brief will ich abwarten; steht nichts Gutes darin, so muß ich meiner Frau alles sagen, denn ich kann die Last nicht allein mit mir herumschlcppe». Darüber will ich aber nicht versäumen, mich nmzusehen; es wäre mir lieber, ich hätte einen andern Dar­leiher als diesen Professor, der sich freundlich stellt wie ein Ohr­wurm, während er doch hartherzig und tückisch ist.

Der Meister ging in die Mühle, wo Friedrich Winter in voller Thätigkeit war. Es sah schon ganz anders aus in dem kleinen Raume: Die Säcke standen in Ordnung ausgeschichtct, so daß man das Mehl von dem Korne leicht unterscheiden konnte. Die Gänge zeigten sich gefegt und gesäubert. Durch das offene Fenster zog frische Luft herein . . . man merkte es schon, daß hier eine sorgsame Hand waltete. Die Instruktionen, welche der Meister crtheilte, schienen fast überflüssig zu sein, denn Friedrich fand alles selbstverständlich und fragte nur nach Dingen, die er nicht wissen konnte.

Nene Besen kehren gut, dachte der Meister. Bleibt indcß dieser Knappe, wie er sich anläßt, so kann ich von Glück sagen. Wir werden ja sehen.

Während dieser Zeit hatte Franz sein Bündel geschnürt. Es hatte diese Beschäftigung nur kurze Zeit in Anspruch genommen, da der abziehende Knappe wenig besaß. Das Kämmerchen, das er bewohnt hatte, lag hinter der Werkstatt, in der Müllersprache Faisc" genannt. Das Fenster desselben ging nach dem Gras- gartcn hinaus, wo Klärchen beschäftigt war, Wäsche zu bleichen und zu trocknen. Das schmucke Mädchen ging mit der glänzenden Gießkanne auf ab, die schneeweHe Leinwand tränkend, die auf dem frischen Grün ausgespannt lag. Und frisch wie das Grün war die ganze Erscheinung der lieblichen Mnllerstochter. Tie trug ein weißblaues Cattuukleid, das ihre runden und vollen Arme nur zur Hälfte bedeckte. Ein weißes Tuch von lichtem Stoffe hüllte züchtig Schultern und Busen ein. Der gelbe Stroh­hut mit breitem Rande, durch ein rothes Band unter dem Kinn zusammengehalten, schützte das blühende Gesichtchen vor der Nach- mitlagssonne, die warm herniederschien.

Franz stand vor dem halbgeöffneten Fenster und beobachtete Klärchen, die keine Ahnung davon hatte, daß sie beobachtet wurde.

Flink und munter wie ein Reh hüpfte sie zwischen den Lein- wandstreifcn hin, um das aus der Gießkanne brausende Wasser gleichmäßig zu vertheile». Die Sorglosigkeit selbst, kam sic der ländlichen Beschäftigung nach, die ihr keine Anstrengung, wohl aber Freude verursachte.

Da muß ich nun abziehen, murmelte Franz vor sich hin und sein häßliches Gesicht hatte einen gehässigen Ausdruck ange­nommen. Für dieses Mädchen hätte ich mein Leben gelassen . . . ich weiß schon, warum man mich mit Knall und Fall fortjagt ^. . Es ist die Antwort auf den Antrag, den ich Klärchen verblümt gestellt habe. . . Sie mag mich nicht, darüber bin ich im Klaren . . . der neue Knappe ist ihr vielleicht lieber! Ich kann nicht schmeicheln wie eine Katze, die um den heißen Brei kriecht, bis er kalt ist . . . Aber ich bin ein ehrlicher Kerl . . , Muß ich auch in dieses Mädchen vernarrt sein, zum ersten Mal in meinem Leben!

Mit furchtbarer Bitterkeit lächelte er vor sich hin.

Ihr habt den Vorwand, mich los zu werden, vom Zaune gebrochen! flüsterteer. Und dieser Mühlbursche ist auch nicht zufällig gekommen, der alte Göpel hat ihn sicher in der städtischen Herberge ausgesucht ... Ich müßte ja ein Tropf sein, wenn ich das nicht alles durchschauen wollte. Gut, ich ziehe ab, weil ich muß . . . Aber weit gehe ich nicht, ich bleibe in der Nähe, um zu erfahren, wie sich alles hier macht! Stoßt nur den Hund hinaus, er bellt und wimmert zwar nicht, aber er kann doch beißen!

(Fortsetzung folgt.

Re daction, Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung-