sie nicht glauben, wir Reutlinger sitzen im Leid. Das sei ferne von uns. Wir sind so stark und gesund, als unsere reichssreien Väter, uud was immer die Zeit uns noch auftischen mag, wir Werdens zu verdauen wissen.
In Markgröningen sind die beiden Söhne des Schulmeisters Sauger, Knaben von 11 und 14 Zähren auf dem Feuersee in das Eis gebrochen und ertrunken.
Karlsruhe, 5. Dez. Nach der K. Z. hat Baden jetzt zum Transport östreichischen Getreides nach Frankreich 325 Eisenbahnwagen zur Verfügung gestellt. Aber alle diese Anstrengungen reichen nicht aus, um die Lieferungen auszuführen. Zn Wien allein liegen 1 Million Centner Getreide. Nun sollen geschlossene Extrazüge eingerichtet werden.
Karlsruhe, 6. Dez. In der Abgeordnetenkammer erklärte der Zustizminister, daß die Regierung, wo möglich noch in der laufenden Landtagssession, einen Gesetzentwurf für obligatorische Eivilehe vorlegen werde. (Bravo!)
Paffau, 2. Dez. (Ein gräßliches Unglück) wird aus Wien gemeldet: Gestern Sonntag Vormittag entgleiste auf der Sem- mering-Bahn der an diesem Tag stets stark besetzte Wien-Triester Postzug und stürzte in einen 40 Klafter tiefen Abgrund. Von den Passagieren blieb Niemand am Leben, vom Zugspersonal nur ein Bremser, der rechtzeitig noch vom allerletzten Wagen hcrabspringen konnte.
B e r l i n, 7. Dez. Die nachträglichen Einwendungen Bayerns gegen die Ratifikations-Formeln im Zollvertrage werden von Preußen als sachlich und formell unberechtigt zurückgewiesen.
Die preußische Regierung warnt neuerdings vor den Verlockungen südamerikanischer Agenten zur Auswanderung in dortige Colonicn. Sie führen ihre Opfer in sicheres Elend.
Für die Kaiserin von Oesterreich sind Kirchengcbete bis zum April n. I. angeordnet.
Ein Taglöhner in Linz wurde vor Schreck, daß seine Frau Trillinge zur Welt brachte, vom Schlage gerührt.
Paris, 4. Dez. (Warum man in Paris verhaftet wird.) Vor einiger Zeit fanden auf dem Friedhofe Montmartre zahlreiche Verhaftungen statt, angeblich um Ovationen am Grabe Manins zu verhindern. Die Polizei verfuhr daber mit gewohnter Rohheit. Heute begann der Prozeß der Verhafteten. Unter ihnen nun befindet sich auch der evangelische Pfarrer Mentaudon, der verhaftet wurde, „weil seine Gesichtszüge eine Mißbilligung der durch die Polizei beobachteten Haltung auszudrücken schienen."
Paris, 7. Dez. Die Blätter heben die Wichtigkeit der Erklärung Röuhers (für Aufrechthaltung der weltlichen Gewalt des Papstes) hervor und erkennen an, daß die Lage damit aus der bisherigen Zweideutigkeit heraustrete. Die France sagt, das erste Ergebniß der Erklärung Rouhers werde das sein, daß sie eine Konferenz nutzlos mache. Die römische Frage sei nunmehr gelöst, entsprechend der Ehre Frankreichs und der Ruhe des religiösen Gewissens. Der Temps sagt: die gestrigen Erklärungen seien gleichbedeutend mit dem Scheitern jedes Konferenzprojektes.
Florenz, 5. Dez. Ein königlicher Erlaß amnestirt die Theilnehmer und Mitschuldigen der jüngsten römischen Invasion und hebt dadurch die Absicht auf, Garibaldi den Prozeß zu machen.
Garibaldi erhält niit jeder Post Hunderte von englischen Pfunden, um sich und den Familien feiner Freiwilligen etwas zu gut zu thun. Ein englischer Freund schickte 1000 Pfund.
Der zerquetschte Hut.
Novelle von Adeline Votahausen.
Es ist immer eine mißliche Sache für eine junge Dame, allein zu reisen, aber meine Mutter pflegte zu sagen, es entspreche nicht dem Geiste der Zeit, ein Mädchen unter dem Glaskasten zu halten, eine junge Dame müsse lernen, sich in allen Fällen und Situationen richtig zu benehmen, und in sofern sie das verstehe, fei sie allenthalben von genügendem Schutze umgeben.
Dieser ihrer Ansicht zufolge nahm sie auch keinen Anstand, mich meine erste größere Reise allein oder doch zum Thcil allein machen zu lassen, und was mich betrifft, so waren ihre guten Lehren auch in so weit nicht verloren gegangen, als ich mich durchaus nicht fürchtete vor etwaigen Abenteuern, sondern im Getzentheil mich recht darauf gefaßt machte, einem zu begegnen. Es ist so hübsch, nachher etwas erzählen zu können, und das I
viele Geld nicht für stumme Reisegesellschaft und langweilige vi-z-L-vis ausgeben zu müssen.
Freilich begegnen wir auf unseren Reisen keinen wilden Thieren, werden nicht von Räubern angefallen oder in unheimliche Wirthshänser verlockt, — die Zeit solcher grausig romantischen Abenteuer ist — in unfern civilisirten, von Eisenbahnen durchzogenen ^Ländern wenigstens — vorbei, aber interessante Erlebnisse gibt's dennoch, und ich war wirklich so glücklich, eines zu haben.
Ich bin in einer kleinen rheinischen Stadt zu Hause, und da das Ziel meiner Reise Lüttich war, so führte mich mein Weg zunächst nach Köln. Bis dahin wurde ich begleitet. Da aber der Aufenthalt hier, die Besichtigung des Domes, des Museums, des zoologischen Gartens n. s. w. nichts mit dem zu schaffen hat, was ich eigentlich erzählen will, und da über jene Dinge ohnedies ofl genug geschrieben worden ist, so Halle ich mich dabei nicht weiter auf.
Das Wetter war schön, das will sagen heiß, wie es im Juni sein muß, und da meine Augen durchaus nicht empfindlich sind gegen das liebe sonnige Licht, und der azurne Himmel mir keineswegs Sehnsucht nach dem Schatten grauer Regenwolken erregte, so fand ich den Wunsch einer alten Dame, daß es bei einer Eisenbahntour immer regnen müsse, höchst sonderbar.
Diese Dame war auf dem Centralbahnhofe in Köln mit mir in denselben Waggon gestiegen; außer ihr befand sich noch ein Ehepaar mit einem Kinde darin. Amüsant mar diese Gesellschaft gerade nicht. Das Kind, mit dem ich mich unterhalten wollte — denn ich habe die Kinder sehr lieb und kann nicht gut so lange still sitzen — machte sich obendrein unangenehm. Es war eigensinnig und unzufrieden und trat mir immer auf mein hübsches Reisekleid von schwarzem Barege und blauseidenem Besatz, so daß ich mich endlich nach dem Fenster hinwandte, meinen weiten RAemantel über mich breitete und die Gegend studirte. Damit ist man aber auf dieser Strecke nur gar zu bald fertig, so weiß man ungefähr Alles, was auf diesem flachen Terrain Bemerkenswerthes zu sehen ist. Meine Mutter hatte mir empfohlen, ein Buch mitzunehmen als Präservativ gegen langweilige oder lästige Gesellschaft, und so zog ich denn das hervor und las. Nur an den Stationen legte ich jedesmal mein Buch hin und betrachtete mir Welt und Menschen, so weit sie sich aus dem Fenster des Waggons eben betrachten ließen.
Aus der drolligen Mundart der Leute entnahm ich, daß wir uns bereits in der Nähe von Aachen befanden, und dort war die Hälfte meiner Reise schon zurückgelegt. Aber ich wußte, daß die Strecke, die übrig blieb, die bei Weitem schönere war, die romantische Gegend von Aachen über Verviers nach Lüttich. Man hatte mir freilich von der Fahrt über Mastricht geschrieben, sie sei billiger und bequemer, aber beide Gründe fielen bei mir nicht in's Gewicht, ich zog die schönere Gegend vor.
In Aachen stiegen meine Reisegefährten aus.
„Allein" dachte ich, nahm meinen runden Strohhut ab, warf ihn in die Ecke mir gegenüber und machte mir's so recht bequem, indem ich einen Fuß gegen das Polster stemmte. Die Thüre machte ich zu, denn ich dachte: „wenn du allein bleibst, so kannst du wenigstens ganz ungenirt rechts und links hinausschauen und Mama recht viel davon erzählen, wie schön es in dem Lande ist, wo ihre geliebte Freundin wohnt."
Der Aufenthalt in Aachen dauerte wohl eine halbe Stunde. Schon war zum Drittenmale geläutet, das Glück schien mir günstig zu sein : ich blieb allein.
Da kommt noch ein Herr auf den Perron gestürzt. Die Locomotive pfeift, keine Secunde ist zu verlieren.
„Zweite Elaste!" keuchte der Eilende. „Lüttich!"
„Hier, hier!" ruft der Schaffner, der gerade im Begriff war, den Waggon, in dem ich saß, ordentlich zu schließen. Die Thüre wurde hastig aufgerissen und herein stürzte der Fremde. Ich zog schnell meinen Fuß von der andern Bank, und in demselben Moment setzte sich der Zug in Bewegung. Der unerwartete Stoß warf den Fremden in die Ecke mir gegenüber.
„Ach, mein Hut!" rief ich und fühlte, daß ich über und über roth wurde vor Verdruß, denn der Hut war nagelneu, vom feinsten italienischen Stroh, mit schwarzem Sammet aufgeputzt, ein blauer Schleier darüber. .___ (Forts, s.)
Redaktion, Druck und Verlag, der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung.