Beilage zum Gesellschafter.

1864.

S«

Freitag den 11 . März

Captal.

sFortsetzung.)

Captal rang verzweifelt mit den Dienern des Gesetzes, die mit Gewalt ihn. den Unschuldigen, verhaften wollte». Aber seine schwache Kraft erlag den rüstigen Armen der Häscher, nnd er er­reichte weiter nichts, als daß in der Hitze des Gefechtes seine Kleider zerrissen wurden und sein Murmelthierkasten ihm abhan­den kam. Die Pvlizeidicner nahmen ihn in ihre Mitte und führ­ten den weinenden Knaben durch die versammelte Menge davon, welche theilnahmlos Alles geschehen ließ. Wenn der arme Knabe nicht des Diebstahls beschuldigt worbe» wäre, hätte es ihm viel­leicht nicht an Beistand gefehlt; aber einem Knaben helfen, der von einem Reichen nnd Bornebmen dich Diebstahls beschuldigt worden war, nein, das ging nickt a».

Als Captal an dem Wagen vorbcigesührt wurde, in welchem die Dame saß, die ihn so lebhaft beschäftigt batw, schien er noch einen Versuch machen z» wollen, dem Schicksale der Gefangen­schaft zu entgehen. Flehend erhob er seinen Blick zu der Dame, die ihn nicht ohne Theilnahme betrachtete.

Ach, gnädige Frau," rief er,helft mir! Euer Begleiter hat mich des Diebstahls angeklagt, aber ich bin unschuldig!"

In diesem Augenblicke trat der junge Edelmann an den Wa­gen. Tie Dame winkte den Polizeidienern, stehen zu bleiben nnd fragte den Jüngling:Robert, bist du auch gewiß, daß der Knabe da dich bestohlen hat?"

Ohne Zweifel," erwiderte der junge Mensch.Wenn er es nicht that, so khal es sein sauberer Kamerad, der leider ent­wischt ist. Mir fehlt meine Uhr und meine Börse, und ich will nicht ruhen, bis ich beides zurückbekommmen habe. Fort mit dem Burschen!"

Nein, nein, Robert, laß den armen Jungen laufen, ich will dir deinen Verlust doppelt ersetzen," erwiderte die Dame. Ich bin fest davon überzeugt, daß er unschuldig ist."

Gleichwohl muß er fest gehalten werde», damit wir um so leichter den Schuldigen entdecken können," sagte Robert gleichgül­tig.Fort mit ihm, Leute! Ihr macht euch strafbar, wenn ihr so lange zögert!"

Cavtal wurde so schnell fortgerissen, daß er kein Work mehr zu seiner Vertheidignng Hervordringen kennte. Aber sein Blick dankte der Dame für ihre Theilnahme nnd ihre Verwendung. Der Blick drang ihr tief in die Seele nnd cs war ihr, als ob sie durchaus dem Gefangenen Nacheilen und befreien müsse. Aber ihr Begleiter setzte sich hurtig au ihre Seite, und da sich mittler­weile das Volk verlausen hatte, so rollte der Wagen rasch durch die Straßen davon.

Während Captal, erzürnt und traurig zugleich, davon ge­führt wurde, peinigte ihn der Gedanke, daß wohl gar Pierre wirklich daö Verbrechen ansgeübt habe, an dessen Theilnahme man ihn beschuldigte. Er erinnerte sich, etwas Glänzendes in der Hand seines Kameraden gesehen zn haben, nnd überdem kam ihm die Eile sehr ausfallend vor, mit der sich der Zigeuner von dem Kampsvlatzc entfernt hakte. Er beschloß, in Zukunft allen Um­gang mit ihm zn vermeiden, wenn sein Verdacht sich bestätigen sollte, und im Uebrigen geduldig sein Schicksal zn erwarten.

Mittlerweile hakten die Polizeidiener das Gcsängniß erreicht, führten ihn über einen ziemlich geräumigen Borhos, der rings mit hohen und starken Mauern umgeben war, zu einem langen, dü­ster anssehendcn Gebäude, zogen au einer Klingel, die neben der Thür befestigt war, und übergaben Captal dem Gefangenwärter, welcher ihn ohne viele Umstände in das HauS führte, eine starke, mit Eisen beschlagene Thür öffnete, und ihn durch diesilbe in eine» düsteren, aber geräumigen Saal hinein stieß. Captal stand wie betäubt. Erst nach einer langen Weile gewöhnte sich sein Auge an die Dunkelheit seines Gefängnisses, und nun gewahrte er wohl an zwanzig Gefangene, welche entweder ans hölzernen Bänken an den Wänden herumsaßen, oder in dem finsteren Ge­

mache einzeln und paarweise auf und nieder schritten. Still schlich er in den dunkelsten Winkel, kauerte sich dort zusammen und weinte, als ob ihm das Herz brechen solle.

Achtes Kapitel.

Stumm und traurig blieb Captal in seinem Winkel sitzen und grübelte über sein Schicksal nach, ohne sich um seine Mitge­fangenen zu bekümmern. Diese betrachteten ihn indeß anfänglich nicht ohne Theilnahme, und Einer oder der Andere versuchte es sogar, ein Gespräch anzuknüpfeu. Da Captal aber zu sehr mit

seinem Schmerze beschäftigt war, so gab er nur kurze und ein­

silbige Antworten, und sah sich deßhalb sehr bald ganz allein und völlig unbeachtet. Der Tag verging, der Abend dämmerte, Captal merkte es nicht. Der Gefangenwärter kam, brachte die sckmale Abendkost, welche in nichts als Brod und Wasser bestand, reichte Jedem sein Tbcil, auch Captal, aber dieser sah nicht ein­mal danach hin. Er legte das Brod neben sich auf die harte

Bank, und der Kummer in seiner Seele war so lebhaft, daß er selbst das Gefühl des Hungers nicht anfkommen ließ. Es war dem Knaben, der von Kindheit an in Frömmigkeit und Gottes­furcht erzogen war, zu schrecklich, des Diebstahls angeschuldigt worden zu sein, und der Gedanke, daß man auf seine Rechtferti­gung am Ende nicht einmal hören werde, beugte ihn so tief dar­nieder, daß er sich in seinem Schmerze gar nicht zn fassen wußte. Er weinte ununterbrochen vor sich hin und achtete auf nichts, was um ihn her vorging.

Plötzlich klopfte ihn Jemand auf die Schulter und eine rauhe Stimme sagte:He, du junger Bursche, jetzt ist nicht mehr Zeit zum Heulen und Wehklagen. Wiscke deine Thränen ab und komm mit mir zu den Andern. Ehe du eine Stunde älter geworden bist, sollst du wieder so frei sein, wie der Vogel in der Lust!"

Captal richtete sich aus und sah einen großen bärtigen Mann vor sich stehen.Laßt mich in Ruhe," sagte er.Ihr könnt mir meine Freiheit nicht znrückgeben, denn Ihr seid weder der Richter, noch der Gefänguißhüter."

Du wirst schon sehen, ob ick es kan» oder nicht," erwi­derte der Mann.Steh' ans nnd folge mir zu den Uebrigen".

Captal fühlte fick vou einer kräftige» Faust ergriffen und von seinem Litze emporgezogen. Obgleich er sich unwillig sträubte, fühlte er doch bald, daß er der überlegenen Kraft nachgeben müsse nnd schickte sich an, freiwillig den bärtigen Mann zu begleiten. Er wurde in den Kreis der übrigen Gefangenen geführt und sah sich nun von lauter Menschen umgeben, von denen gewiß kein Einziger so unschuldig iu'ö Gcsängniß geführt worden, wie er. Das düstere Licht einer brennenden Lampe warf ihren Schimmer auf lauter wild aussehcude Gesichter, deren Ausdruck unseren Cap­tal mit einem geheimen Schauder erfüllte.

He, mein Bursche," sagte der Mann, welcher ihn in den Kreis seiner Gefährten gebracht hatte,ich frage dich, ob du mit uns aus dem Gefängnisse entwischen willst? Binnen einer Stunde ist Alles bereit; der Kefangenwärtcr wird niedergcstoßen und kein Mensch wird uns verrathen."

Captal blickte verwundert um sich her.Ich fliehe nicht," sprach er dann.Ich bin unschuldig, aber wenn ich heimlich davon liefe, würde man mich mit Recht für schuldig Hallen müssen."

Die übrigen Gefangenen wechselten drohende Blicke mit ein­ander und Captal hörte, wie einer sagte:

Wenn er nicht mit will, so muß er sterben. Er würde uns Alle verrathen."

Nein, nein," sagte der Erste,kein Mord, wenn es nicht nöthig ist." Dann wendete er sich wieder zu Captal, indem er sprach:Wenn du nicht gutwillig mit uns geben willst, so wer­den wir dich zwingen. Verstehest du? Wir haben nickt seit Wo­chen schon alle Vorbereitungen getroffen, um endlich durch einen Gelbschnabel, wie du bist, unsere Pläne vereitelt zu sehen. Sprich, willst du uns folgen oder nicht?"

Captal sah die drohenden Mienen und wilden Blicke der Ge«