Dienstag den 8. März
1864
C a p t er l.
(Fortsetzung.)
Siebentes K a p i t e l.
Da Pierre nochmals vergeblich seine Ueberreduugsknnst auf- bot, Captal zu seinem umherschweifendcu und gaunerischen Leben zu bewege», und Captal ihm ganz ernstlich erklärte, daß ec sich augenblicklich für immer von ihm trennen würde, wenn er noch einmal seine Betrügereien aussührte, so ergab sich Pierre endlich in sein Schicksal und versprach, sich fernerhin vor der Sünde zu hüten. —
„Ich weiß nicht, wie cs kommt, daß ich dir in allen Stil» cken »achgcben muß," sagte er zn Captal. „Dn mußt cs mir angethan und mich behext haben."
„O nein," erwiderte Captal. „Dn siehst ein, daß dein bisheriges Leben sündhaft und verwerflich war, und hörst nun mehr auf die untrügliche Stimme deines Gewissens, als auf mich. Ersticke sie nicht wieder, Pierre, und du wirst sehen, daß dn viel froher »nd heiterer lebst, als bisher."
Pierre lächelte zweideutig und brach bas Gespräch ab, indem er Captal ausforderte, sein Mnrmelthicr zur Probe einmal tanzen zu lassen, während er selbst mit seiner Querpfeife dazu aufspiclen wolle. Captal lockte sogleich sein Thicrchen ans dem Kasten heraus, und cs tanzte so ausgezeichnet nach dem Takte der Musik, daß sogar Pierre sein Lob desselben anssprcchen mußte.
„Ei ja, wenn deine Marmokle immer so gehorsam ist wie geschickt, so können wir uns in Paris schon ein paar Wochen halten," sagte er. „Die Stadt ist groß und ehe wir in allen Straßen herninkommen, müssen wir manch liebes Mal aus den Beinen sein. BorwärtS, vorwärts Captal! Wir können heute noch unser gutes Glück versuchen und ein halb Dutzend Franks verdienen!"
Captal zeigte sich sogleich bereit, mit Pierre anszugehen und das Mnrmclthier seine Künste öffentlich zeige,, zu lassen. Ueberall sammelte sich bei dem Schalle der Querpfeife eine große Menschenmenge um sic her, und schien mit Bergnügen das geschickte Thicrchen zu sehen, wie den geübten Pfeifer zu hören. Pierre sammelte Geld ein, wenn sie weiter gehen wollten, und die Spenden fielen so reichlich aus, daß sie bei der Nachhauseknnft sich wirtlich im Besitze von siebe» Franks sahen. Ließ Geld wurde redlich gctheilt, und bald darauf legte sich Capkal, nachdem er ein Stückchen Brod verzehrt hatte, zur Ruhe. Pierre aber schweifte noch die halbe Nacht hindurch in Paris umher, und kehrte nicht eher in seine Wohnung zurück, als bis er die Einnahme deS Tages bis ans den letzten Heller wieder vcrthan hatte.
Mehrere Wochen hindurch ging das so fort. Captal und Pierre machten vortreffliche Geschäfte, und der Elftere halte sich schon einen hübschen kleinen Schatz von seinen Ersvarnissen gesammelt, während von dem Letzteren richtig die ganze Summe bereits wieder verschleudert, worden war. Captal machte Pierre öfters Lorwürfe wegen seines großen Leichtsinnes, aber Pierre hörte entweder gar nicht darauf, ober gab seinem jungen Freunde so empfindliche und spitzige Antworten, daß derselbe, lief gekränkt, sich endlich vornahm, Pierre in Zukunft seinen eigenen Weg gehen zu lassen, und sich um seine Berschwendnng nicht mehr zu bekümmern.
Da geschah es eines Tages, als die beiden Jünglinge gerade in einer ziemlich engen Straße ihre Vorstellung zeigten, daß ein prächtiger Wage» gefahren kam, in dem sich eine vornehm gekleidete Dame und ein ganz junges Herrchen befanden. Das Gedränge um Pierre und Captal zwang den Kutscher anzuhalten, und trotz dem Rufen desselben und dem Schreien des Jünglings rührte sich das Volk nicht von der Stelle. Das Geschrei der Beiden zog indeß Captals Aufmerksamkeit »ach denselben hin, und mit Ueberraschnng ruhte sein Blick auf der Dame, welche sich im Wagen befand. Obgleich nicht mehr jung, zeigte ihr Gesicht doch noch viele Schönheit, nur war cs sehr blaß, »nd diese
Blässe wurde um so mehr hervorgehoben, als die Dame durchaus in schwarze Sloffe gekleidet war.
Es durchfuhr Captal wie ein Blitz, daß er die Dame schon einmal gesehen haben müsse, und während er hierüber nachgrübelte, vergaß er ganz, dem Spiele Pierre's Einhalt zu ihn», um den Wagen erst vorbei zn lassen. Pierre selbst kümmerte sich um denselben gar nicht. Mochte er noch eine Stunde warten; wenn er nur einer guten Einnahme gewiß war.
Als der Jüngling, welcher im Wagen den Platz neben der Dame einnahin, bemerkte, daß sein herrisches Geschrei gar nicht geachtet wurde, so sprang er heraus, drängte sich hastig durch die Volksmenge hindurch, und befahl Pierre, sofort mit dem Pfeifen inne zu halten und znm Henker packe», damit Platz auf der Straße würde. Pierre schaute den jungen Menschen an, ließ sich dabei aber nicht im mindesten stören. Jener mochte etwa in seinem Alter sein; nur war er viel schmächtiger und schwächer gebaut, und eine krankhafte Blässe bedeckte sein nicht übel gebildetes Gesicht. Er war sehr prachtvoll gekleidet, wie es die damalige Sitte unter den vornehmen und reichen Einwohnern von Paris mit sich brachte, und eben diesem prächtigen Anzüge hatte er es wahrscheinlich zn danken, daß ihm das versammelte Volk so leicht Platz gemacht hatte. Denn der Pöbel beugt sich ja immer gar leicht vor dem blendenden Schimmer des Vornehmen, obgleich eben dieser Schimmer so häufig nichts, als nur die jämmerlichste Hohlheit verbirgt.
„Du, Bursche, hör auf mit deinem Pfeifen," schrie der vornehme Jüngling mit kreischender Stimme Pierre zu.
Pierre sah den geputzten jungen Herrn mit einem höhnischen Blicke an, und ließ sich in seinem Thun und Treiben keinen Augenblick stören. Das umstehende Volk lachte und dieß brachte den vornehmen Jüngling so in Wnth, daß er gänzlich alle Besonnenheit vergaß. In seiner Hand trug er eine Reitgerte. Er erhob sie, und versetzte Pierre einen tüchtigen Schlag mit derselben, indem er ausrief: „Ich will dich gehorchen lernen, du Hund!"
Bisher hatte Pierre sich innerlich über den Zorn des jungen Edelmannes belustigt; jetzt aber, wo der naseweise Bub es wagte, ihn zu schlagen, sprang er wild aus ihn zu, und vergalt den Schlag mit einem Hiebe seiner geballten Faust, der einen kräfti- geren Menschen, als den adeligen Jüngling zu Boden gestreckt haben würde. Ec stürzte, und das versammelte Volk theilte sich alsbald in zwei Parteien, deren eine es mit dem niedergeschlagenen Edelmann, die andere mit Pierre und dem Savoyarden- knabeu hielt. Captal, obgleich er innerlich Pierres Benehmen nicht billigte, sprang seinem Kameraden doch sogleich zu Hilfe. Pierre kniete auf der Erde und hielt den jungen Edelmann nieder, ohne ihm jedoch noch ein weiteres Leid zuzusügen. Captal aber bemühete sich, ihn von seiner Beute zu entfernen.
„Laß ihn, Pierre, laß ihn," sagte er. „Wenn er sich gegen dich vergangen hak, so ist er jetzt gestraft genug. Ich bitte dich, laß ihn anssteheu und komme."
Pierresprang sogleich in die Höhe, steckte einen Gegenstand, welchen Capial nicht zn erkennen vermochte, in die Tasche und lachte laut.
„Komm," sagte er zu seinem jungen Freunde, „nimm dein Mnrmelthicr und komm! Wir haben hier nichts mehr zu thun."
Rasch und gewandt drängte er sich durch die Menge des umstehenden Volkes, und war schon weit weg, che sein Feind wieder auf den Füße» stand. Captal wollte ihm folgen; aber kaum hatte er sein Murmelthier in den Kasten verschlossen, so fühlte er sich beim Arme ergriffen, und die vor Wuth keuchende Stimme des Edclmannes schrie: „Die Galgenstricke haben mich bestohlen!"
Unwillig machte sich Captal von dem Griffe los und wollte sich entfernen. Aber jetzt verschloß ihm das Volk selber den Weg und ließ ihn nicht durch.
„Was wollt Ihr von mir?" rief er dem jungen Edelmanne