Der Schneider von Stuttgart.

(Fortsetzung.)

Die Reisenden waren inzwischen bei der Herberge angclangt, und nachdem der Reiter sich leicht aus dem Sattel geschwungen und den Zügel seines Pserdes seinem Diener überlasse» hatte, überschritt er, gefolgt von unserem Bogenschützen, in fester Hal­tung die Schwelle zumGrauen Bären," indem er ihn ziemlich ungenirter Weise den dicken Wirth bei Seite schob, der mit der Mütze in der Hand den Reisenden entgegen getreten war, mit sich selbst aber noch nicht recht einig zu sein schien, wie lief er nach dem Aeußeren derselben seine Verbeugungen abmessen sollte.

He, Meister Ditzmann!" sagte der Unbekannte, indem er sich in einen Sessel warf und dem Gefährten winkte, ein Gleiches zu thun,hier seht Ihr ein paar durstige Kumpane und bei St. Georg! habt wohl acht, daß Ihr in Eurem Keller das beste Faß findet, sonst könnte es Euch übel bekommen!"

Da haben wir's," brummte der dicke Wirth vor sich hin, trotz des vom Kaiser errichteten Landfriedens mache» diese adli­gen Herren mit uns armen Bürgern doch, was sie wollen, denn beim Heiligen Gerion, meinem Schutzpatron, ich sehe cs wohl an seiner stolzen Haltung und an dem langen Schwerte, welches unter seinem Mantel hervorblickt, daß es ein Ritter mit seinem Gefolge ist.

Was sagt Ihr da?" rief der Fremde, der seinen Gefallen daran zu finden schien, seine Kurzweil mit dem Wirth zu treiben.

Nichts, gestrenger Herr, was gegen den Respekt verstieße, ich meinte nur, daß es sündhaft wäre, wollte ich einem so edlen Herren nicht das Beste vorsetzen."

Gut gesprochen, Meister Ditzmann!" cutgegnete der Ritter lachend,obgleich Ihr dessen ungeachtet doch der alle Schelm bleibt, der Ihr Euer Lebelang gewesen seid.

Der würdige BesitzerZum grauen Bären" fand wahr­scheinlich aus Liebe zur Wahrheit es nicht für nöthig, hierauf et­was zu erwidern, sondern beeilte sich, dem Gebote seines Gastes Folge zu leisten, indem er zwei mächtige Becher und eine Kanne fnnkelnden Weines auf den Tisch setzte.

Und nun macht es mir nach," sagte der Ritter zu seinem Reisegefährten, indem er einen der Becher ergriff und ihn fast bis auf den Grund leerte.Ha ! Das erquickt nach einer langen und beschwerlichen Tagreise, oder seid Ihr etwa anderer Mei­nung, mein wackerer Bursche?"

Keineswegs, gestrenger Herr, und der beste Beweis hicfür ist der, daß ich Euch beschreiben kann, wie der Boden dieses Humpens aussieht," cntgegnete jener, den andern Becher leerend.

Nun, so erzählt mir Eure Geschichte, und während Ihr sprechet, werde ich Sorge trage», daß Euer Gaumen nicht tro­cken wird."

Nun, seht, Herr," begann der Bogenschütze, wie ich Euch bereits gesagt habe, bin ich nur ein armer Schneider. Aber mein Baker' war Forstwart bei unserem gnädigen Herr Herzog, und in der Einsamkeit des Waldes, unter Hirschen und Rehen, unter Bären und wilden Ebern, wurde ich groß gezogen. Da lernte ich denn bald die Armbrust führen, und als ich das vier­zehnte Jahr erreicht hatte, war ich, trotz meiner Jugend, der beste Schütz weit in der Runde."

Und doch gibt cs deren in Schwaben viele," warf der Ritter ein,ich habe die schwäbischen Schützen kennen gelernt, und kann bezeugen, daß sie ihre Bolzen durch die Fugen einer Rüstung zu treiben wissen. Doch fahret fort. Warum seid Ihr nicht, wie Euer Vater, ein wackerer Waidmann geworden?

Weil Niemand da war, der sich meiner annahm, als mein Vater eines Tages, von einem Wildschützen tvdtlich getroffen, nach Hause gebracht wurde, wo er kurz darauf starb. Meine Mutter hatte schon frühzeitig das Zeitliche gesegnet, und so stand ich hülflos und verlassen da und wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte.

Ihr wäret damals noch jung," wendete der Ritter ein, und wußtet vielleicht noch nicht, wie viel das Vertrauen aus Gott werth ist?"

Verzeiht, gestrenger Herr," antwortete sein Reisegefährte, obgleich noch ein halbes Kind, gab mir doch gerade dieses Ver­trauen den Muth. unverzagt in die Zukunft zu blicken. Ich nahm den Lieblingsbogen meines Vaters diesen, den Ihr hier sehet verließ die Hütte und den Wald, wo ich meine Kind­heit zugebracht hatte, und wandelte getrost nach Stuttgart. Dort lebte ein weitläufiger Verwandter von mir, arm, wie ich sei­

nes Handwerks ein Schneider. Ich klopfte an seine Thür, klagte ihm mein Leid und dal ihn, mich als Lehrling bei sich aufzuneh­men und mich in seinem Gewerbe zu unterrichten. Den Alte» mochte es wohl rühren, als er mich so nicdergebeugt vor sich stehen sah und mir die Thräncn in Hellen dicken Tropfen aus die Wangen herabrollten, aber was ihn noch mehr ergriff, wa­ren die Bitten eines achtjährigen, blondgelockten, blauäugigen Mädchens, das wo möglich noch heftiger als ich weinte, den Al­ken um den Hals fiel und ihn mit ihrer sausten, zum Herzen sprechenden Stimme bat. mich nicht zu verstoßen. Das besiegte den letzten Widerstand meines Verwandten, denn Katharina war sein einziges Kind, und er hing mit großer Liebe an ihr. Er nahm mich daher bei der Hand und sagte:Trockne deine Thrä- ne» und beruhige Dich, Tn bleibst bei mir; ich bin zwar selbst nur ein unbemittelter Mann, aber wo bisher Zwei satt geworden sind, wird es auch der Dritte werden." Und seht, als wenn der Himmel seine edle Handlungsweise hätte belohnen wollen, so ver­mehrte sich von dieser Zeit an die Kundschaft meines Meisters und es ging ihm besser, als cs ihm je gegangen war. Ich aber lernte etwas Ordentliches, und nach dem Verlaus von vier bis fünf Jahren war ich ein tüchtiger Gesell, der ihm nützlich zur Leite stehen und durch Fleiß und Geschicklichkeit das an mir ver­übte Werk der Barmherzigkeit vergelten konnte."

Das war brav, mein Bursche, wenn Ihr das gethan habt," unterbrach der Ritter,denn das schwärzeste Laster eines Men­schen ist der Undank."

Ader jetzt kommt das Schlimmste, gestrenger Herr," sagte Hans Sindclfinger gutherzig, indem er durch einen tiefen Seuf­zer zu erkennen gab, wie schwer es ihm nm's Herz sei.

Nun so thut vorher einen herzhaften Zug, cntgegnete sein Gefährte, indem er beide Becher wieder füllte, und dann fahrt in Eurer Erzählung fort, wie ein Mann, der sein Unglück zu tragen versteht. Ich hoffe doch, Ihr habt bei Nadel und Scheere Euren guten Bogen nicht vergessen?"

Keineswegs!" fiel der Schwabe ein, den» wenn mir eine Freistunde wurde, so übte ich mich wacker im Zieltreffe», und >o blieb ich nicht allein der gute Schütze, der ich gewesen war, sondern ich brachte es sogar z» einer noch größeren Vollkommen­heit, so daß mir sobald kein Preis entging, wenn ein solcher zu erwerben war."

Nun, was drängte sich denn unter solchen Umständen den­noch zwischen Euch und Euer Glück?" fragte etwas erstaunt der Ritter.

Ach, Herr, die Liebe, entgcgncte der Bogenschütz in sei­ner offenen Weise.Katharina war mit der Zeit eine blühende Jungfrau geworden, innerlich rein und gut wie ein Engel, äu­ßerlich eine in den schönsten Farben prangende, kaum vom ersten Morgenthau benetzte Blume: Um glücklich zu sein, fehlte nichts weiter, als die Einwilligung des Vaters, und diese hofften wir auch zu erlangen. Aber seht," fuhr Hans Sindclfinger, den Kopf senkend, fort,so geht es im Leben, wenn die Menschen einen Schatz besitzen, so wollen sie Bortheil daraus ziehen, und dann werden sie hartherzig und ungerecht, ihr Herz wird zu Stein, und ihr Gewissen schrumpft zusammen, daß keine edle Regung darin mehr Platz findet."

Nicht alle sind so," entgcgncte der Ritter,und cs ge­fällt mir nicht, daß ein so junger Bursche wie Ihr schon ein solches Urtheil fällt. Doch fahrt fort, ich crrathe jetzt Eure Geschichte."

(Fortsetzung folgt.)

Allerlei.

Baiern hat 2 Hauptstädte; Sitz der Regierung ist Mün­chen, Sitz des Handels Nürnberg. In der baierischen Haupt- handelsstadt wurden im vergangenen Juni geboren 175 Kinder, darunter 45 uneheliche, also der 4te Theil. In der baierischen Landeshauptstadt München dagegen, dem Hort der ultramontanen Partei, 413 Kinder, darunter 205 uneheliche, also die Hälfte der Geburten unehelich!!

-- Gerstäcker erzählt, daß in Brasilien die Orden käuf­lich zu haben sind und daß von dem Ertrage das großartige Ir­renhaus in Rio unterhalten werbe. Welche Summe könnte in unserem deutschen Vaterlande aufgebracht werden, wenn die vor­handenen Orden nur mäßig besteuert würden?

Druck und iberiug der G>

W. Luiser'sckiru Luchdunbtun,.

Re»«»,»»: chol-t«.