mit Eifer unternnmmen und mit Nutzen fortgeführt, doch nur in dem engen Kreise einiger Erziehungsanstalten. Das Volk im Ganzen und Großen wußte und sah nichts davon, und das ganze Volk bedurfte der Wiedergeburt. Das Vaterland, zerrissen und gedrückt vom fremden Eroberer, geschmäht, unterjocht von über- müthigen Feinden, konnte nur errettet werden, wenn die leiblich erschlaffte und sittlich verkommene Jugend in ihrer Gesammthcit sich den Bauden unmännlicher Schwäche entriß, sich Kraft und Gewandtheit, Muth und Ausdauer erwarb.
Das fühlte und wußte ein Mann, ein Freund des Volkes und des Vaterlandes, ei« Vorbild Allen an körperlicher Krast und geistiger Regsamkeit, Friedrich Ludwig Jahn (geboren am 11. August 1778 zu Lanz an der Priegnitz, gestorben am 15. Oktober 1852 zu Freibnrg an der Unstrut). Er predigte deutsches Volksthum und deutsche Sitte; die Befreiung Deutschlands vom fremden Joche war seine Lebensaufgabe, und das Mittel, sie zu löse», die deutsche Turnkunst. Ihm gelang es, die Leibesübungen volksthümlich zu machen. Seitdem gab es im deutschen Vaterlande Platze in grünem Waldesschatten, Tempel der Männlichkeit, wo die Jugend sich Krast und Geschicklichkeit in allseiliger Hebung des Leibes erwarb, wo man sich an Anstrengung gewöhnte, an Sonnenhitze und Schweiß der Arbeit, wo man zum kühnen Sprunge in jähe Tiefe sich Entschlossenheit und Muth ancignen mußte, wo man Gefahren verachten lernte, wenn man in den Lüften schwebend vom hohen Klettermast zur Erde hinabsah. —
Die Turnkunst gab der deutsche» Jugend ihre Mannheit wieder, und die Jugend rettete das Vaterland. Fast ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen. Die Turnerei ist gewachsen, ist ein Baum geworden, der jetzt seine Aeste über das ganze deutsche Vaterland hinstreckt. Viele wackere Männer haben ihn in schlimmer Zeit gepflegt, die zum Theil jetzt todl, zum Theil noch am Leben sind. Von den Todten nenne ich Friedrich Friesen, Ernst Eiselen, Philipp Fcddern, Adolph Spieß; von den Lebenden Hans Ferdinand Maßmann, August Ravenstein, Wilhelm Lübeck, Böttcher und Karl Waßmannsdorf als die bcdeutcnsten. Das Turnen ist neben einer Kunst auch eine Wissenschaft geworden. Es umfaßt außer dem eigentlich turnerischen Theile ein großes Gebiet von Kenntnissen des Erziehers und Arztes, alle dem nö- thig, der mit Erfolg und Nutzen als Turnlehrer arbeiten will. Die Turnkunst lehrt die Ausführung und zweckmäßige Anordnung einfacher und zusammengesetzter Körperbewegungen, deren Zweck es ist, alle Theile des Körpers gleichmäßig auszubilden und zu kräftigen, und dadurch dem gesummten Leibe Festigkeit, Gewandtheit und Widerstandskraft gegen äußere Schädlichkeiten, sowie auch mittelbar durch die körperliche Entwickelung dem geistigen Theile des Menschen Frische, Selbstständigkeit und Muth zu erwerben und zu erhalten.
Nach der jetzt gebräuchlichen Auffassungsweise zerfallen die Turnübungen in drei Hauptabtheilunge»: Frei- und Ordnungsübungen, Geräthübungen und Turnspiele. An sie schließen sich eng au als Mittel zur turnerischen Ausbildung die Turn- und Wanderfahrten, diese harten und anstrengenden und doch so herrlichen und genußreichen Kreuz- und Ouer- züge der Turner. Wenn der Schnee des Winters geschmolzen, das Eis der Flüsse gebrochen ist, wenn der blaue Himmel wieder lacht, und Baum und Strauch und Wiese grünen, wenn die Lerchen wirbelnd aufsteigen, dann erwärmt sich die Brust, und hinaus zieht es uns in die schöne weite Welt- Mit dem erwachenden Lenze beginnen die Tnrufahrtcn; am frühen Morgen sammeln sich die Turner, und bei Gesang und frohem Liederichall geht es hinaus über Berg und Thal. Brüderliches Zusammenhalten, Ge- mülhlichkeit und Frohsinn, Scherz und Spiel bereiten jedem offenen, reinen Gemüth ein genußreiches Fest; in der Freude öffnet sich die Brust, vertrauend gibt man sich hin, es schließt sich Herz an Herz, und zum Freund wird auch der Unbekannte. Man vergißt die brennende Sonnenhitze und die Anstrengung des Marsches, man wird Freund und Vertrauter der Natur, man sieht Gegenden und Menschen, man lernt im Genüsse. Und wenn der Himmel sich verdunkelt und Gewitterwolken heranziehe», wenn der strömende Regen die Turner badet, das stört die Heiterkeit nicht, denn nach dem Regen kommt wieder Sonnenschein, und was naß war, wird wieder trocken. „Wandern, Znsammcnwan- dern erweckt schlummernde Tugenden, Mitgefühl, Thcilnahme, Gemeingeist-und Menschenliebe. Steigende Vervollkommnung, Trieb nach Verbesserung gehen daraus hervor, und die edle Be
triebsamkeit, das auswärts gesehene Gute in die Heimath zu verpflanzen. Uralt ist des deutschen Reisetrieb, noch jetzt beurkunden Sprücknvörter des Reisetriebs Deutschheit. „Er ist nicht hinter dem Ofen weggekommen," „Er weiß nicht einmal, wo Barthel Most holt," „Er hat sich keinen Wind »m die Nase wehen lassen," und so viele andere schmähen auf das Ungereistsein." So Jahn in seinem deutschen Vvlksthum. — Kleinere Turnfahrten, die nur einen Tag dauern, müssen häufig des Sonntags unternommen werden. Die Göttlichkeit in der schönen Natur erkennen und bewundern, an ihr und in ihr sich erfreuen und ergötzen, ist auch ein Gottesdienst. Auch größere Turnfahrten müssen, wie es die Muße der Turner gestattet, ein ober einige Male während des Sommers in fernere Theile des deutsche» Vaterlandes unter- nominell werden. Von diesen großen Wanderungen gilt alles oben Gesagte doppelt, auf sie paßt recht das Lied Maßmann's, das ich mich nicht enthalten kann, Dir mitzntheilen. Freuen würde ich mich, wenn auch Du cs bald aus froher Brust auf einer Turnfahrt mitsängcst:
Turner zieh'n froh dahin.
Wenn die Bäume schwellen grün. Wanderfahrt, streng und hart: Das ist Turner Art.
Turnersinn ist wohlbcstellt,
Turner Wandern wohlgefällt. Darum frei Turnereistets gepriesen sei!
Graut der Tag in's Gemach, Dana ist auch rer Turner wach. Wird's dann hell, rasch und schnell Ist er auf der Stell';
Wandert hin zum Sammelort, Und dann zieh'n die Turner fort. Darum frei u. s. w.
Arm in Arm, sonder Harm Wandert fort der Turnerschwarm. Weit und breit zieh'n wir heul' Bis zur Abendzeit;
Und rer Turner klaget nie. Scheuet nimmer Wandermiih'. Darum frei u. s. w.
SturmcSsaus, Wettcrbraus Hält den Turner nicht zu Haus. Frischer Muth rollt im Blut, Däucht ihm Alles gut;
Singt den lust'gcn Turncrsang, Bleibet froh sein Leben lang. Darum frei u. s. w.
Stubenwacht, Ofenpacht Hat die Herzen feig gemacht; Turncrsang, Wandcrgang Macht sic frei und frank;
Und dem Turner wohlbekannt Wird sein deutsches Vaterland. Darum frei u. s. w.
Lebensdrang, Todesgang Findet einst uns nimmer bang. Frisches Blut, Männcrmuth Ist dann Wehr und Hut.
Braust der Sturm uns auch zu Grund,
Fall'» wir doch zu guter Stund'. Darum frei u. s. w-
Jetzt habe ich Dir auseinandergesetzt, so weit eS mir möglich war, was Turne» sei. Den Zweck des Turnens und die Mittel, womit derselbe erreicht werben soll, habe ich im Allgemeinen besprochen. Aber Eines muß ich Dir noch geben, eine Erklärung nämlich des inneren Zusammenhanges zwischen Hebung des Leibes und allgemeiner (auch geistiger) Gesundheit:
Wenn Du lebhaft turnst, so bethähigst Du zwar unmittelbar nur die Muskeln, Sehnen und Gelenke. Die Muskeln ziehen sich zusammen, die Sehnen und Gelenkbänder dehnen sich aus. Aber eine Folge dieser Thätigkeiten ist eine Belebung des Blutumlaufs im ganzen Körper. Das Herz schlagt schneller, die Adern schwellen an, Wärme durchströmt alle Glieder. Bei diesem regeren Umlauf gibt das Blut von seinen nährenden Bestand- theilen an alle Theile des Körpers mehr ab als bei trägem Laus, es wird also die Ernährung des Körpers begünstigt. Auch die Ausscheidung verbrauchter Stoffe, des Schweißes und anderer Absonderungen geht rascher und leichter von Statten. Wenn aber das Blut schnell und reichlich die Theile des Körpers nährt, so verbraucht es schneller als sonst seine Nahrung gebenden Bestandtheile. Es bedarf also eines schnelleren Wiederersatzes. Das Bcdürfniß aber gibt sich durch den Hunger zu erkennen. Nun werden Speisen genommen, und der zur schnellen Wiedererzeugnng neuen Lebensafles angeregte Magen und Dünndarm verarbeitet rascher und vollständiger die Speisen, als er es bei fehlender Anregung thun würde. Sv gedeihen alle Theile des Körpers; der Verbrauch der Stoffe ist beschleunigt, aber auch der Wicdersatz; der Wechsel, das Allbelebcnde, ist erhöht, und mit ihm das Leben selbst. Gesundheit, Kraft und Wohlge- sühl des Leibes sind eine Folge des erhöhten Lebens. Und eine Folge wiederum des leiblichen Woblbefindens ist eine freie, heitere Stimmung des Geistes, eine Gewecktheit und Frische, wie sie bei Krankheit und Siechthum nimmer verkommt. In einem gesunden Leibe wohnt eine gesunde Seele. Das ist es, was ich Dir noch zeigen wollte.
In meinem nächsten Briese werde ich Dir den Turnbetrieb in seinen Einzeluheiten schildern, um Dich zu überzeugen, daß Menschen jedes Alters und Geschlechts mit Nutzen an den Turnübungen Theil nehmen können. —_ (Fortsetzung folgt.)
Druck und Berlag der Ä. W. Lais r'schen Buchhandlung. Redaktion: Hoizle.