Tone, während sein Blick mit einem schmerzvollen Borwurf auf ihrem Antlitz weilte, das sich während seiner Abwesenheit mit Paul wunderbar verschönert zu haben schien.
Die Seele, die aus jenen Zügen sprach, war sie nicht sein Eigenthum? Hatte er nicht das Edelste und Beste, was in ihm lebte, ihr gegeben und jetzt — jetzt fiel sie vielleicht einem Andern zu, einem Andern, der ein solches Kleinod kaum zu würdigen wußte; indeß der arme Hauslehrer nicht einmal seine Wünsche zu ihr erheben durste. Aber ließ sich auch dem raschen Jngeudblnt gebieten, das bei ihrem Anblick nach dem stürmisch klopfende» Herzen drang, ließ sich den Gefühlen gebieten, die täglich durch ihre reizende Erscheinung genährt wurden? So fragte er sich in diesem Augenblicke mit tiefer Bitterkeit. Doch er war stolz und dieser Stolz half ihm seine Empfindungen unterjochen.
Er ging zum Flügel, öffnete ihn und spielte die berühmte Cismoll-Sonate von Beethoven. Während seine Finger leise und zögernd die Saiten berührten, tönte in seinem Innern das weh- muthsvoüe Lied entsagender Liebe; wie ein Abschied von aller Hoffnung klangs, dem das Wort versagt ist und welcher sein Lebewohl in süßen Tönen aushaucht. j
Fink merkte nicht, daß die Unterhaltung am Fenster längst ins Stocken geratben war, so hatte er sich in die Musik vertieft. Erst als er geendigt und aufstehen wollte, sah er, wie Jsabeau ihm gegenüber am Instrument lehnte, mit gefalteten Händen
und geöffneter Lippe, während Thränen in ihren dunklen Au
gen blitzten.
Das Eintreten des Schloßherrn machte der Scene ei» Ende und der Hofmeister vermied Len übrigen Theil des Abends sichtlich die Nähe seiner Schülerin; er war kalt und in sich gekehrt,
spielte Billard mit dem Grafen und überließ die jungen Leute ungestört ihren Plaudereien.
Ein Monat war seit diesem zuletzt beschriebenen Abend verstrichen — »och immer blieb Arthur ein täglicher und dem alten Herrn ein sichtlich willkommener Gast auf Wellda.
Fink schien schweigsamer und ernster geworden, die alte» Falten zogen oftmals seine Stirn zusammen. Jsabeau fühlte sich verstimmt und mühte sich, ihre Verstimmung vor den Anderen unter einer erkünstelten Heiterkeit zu verbergen; war sie allein, so konnte sie stundenlang da sitzen und sich den schönen Kopf über den quälenden Gedanken zerbrechen: was ihren Lehrer so verändert haben möchte.
„Statt mir ein Bruder zu sein, wie ich so freudig gehofft, ist er mir ein Fremder geworden", seufzte sie eines Nachmittags, als sie sich in den großen Saal geschlichen hatte, in welcbem sie noch eben so gern einsam saß, wie als Kind, und wohin sie oftmal ihr volles Herz trug, um cs dort reckt auszuweinen.
Das Rollen von Nädern unterbrach ihr schmerzliches Sinnen, sie ging zum Balcon und war erstaunt, Herrn von Warrcn- bachs Wagen zu erblicken.
„Die Bedienten in großer Livree, die Pferde im Staatsgeschirr und der Onkel, selbst als wolle er dem König aufwarten", flüsterte sie, beugte sich über das eiserne Geländer und sah voll Verwunderung auf die glänzende Equipage und den alten Herrn, der mit feierlichem Ernst, auf seinen Jäger gestützt, der großen Halle zuschritt.
„Aber was kümmert das mich?" fügte sie Hochfeiner Pause hinzu und kehrte in das Gemach zurück.
Eine Stunde mochte ihr wiederum in »nissigen Träumereien verflossen sein, als sie den Wagen fortfahren horte. Gleich darauf erschien ein Diener und ersuchte die gnädige Comtcsse im Namen des Grafen herab zu kommen. Sorglos und gleichgültig folgte sie dem erhaltenen Befehl und stand wenige Minuten später vor ihrem Vater, der sie mit einem eigcnthümlichen Blicke anschaute.
„Du weißt, Jsabeau, ich liebe es nicht, viel Umschweife zu machen; darum zur Sach. Wartenbach hat um Deine Hand für seinen Sohn gebeten, und ich habe sie ihm mit Freuden zugesagt. Es war ein längst besprochener und festgesetzter Plan zwischen uns, und wir haben mit seiner Ausführung nur wegen eurer Jugend gezögert. Arthur liebt Dich aufrichtig und Du bist von heute an, wo ich mein Wort gab, seine Braut."
Schweigend mit bleichen Wangen und funkelnden Augen hörte das Mädchen zu; als er geendigt, erwiederte sie mit augenscheinlicher Ruhe:
„Ich, Arthur Wartenbachs Braut - - sein Weib nie — niemals!"
Der Schloßherr warf sich mit einem höhnischen Lächeln in den Sessel zurück, während seine zuckenden Finger mit der goldenen Tabaksdose spielte.
„DaS wußte ich", erwiederte er kalt, „die gewöhnliche Antwort — habe ich doch nie etwas Anderes von meiner Tochter, meinem eigenen Fleisch und Blut erfahren, als Widerspruch, Trotz und Eigensinn. Doch das ändert meinen Entschluß nicht. Du bist Arthurs Braut. Ich werde dafür Sorge tragen, daß er keines der Vorrechte beansprucht, die gewöhnlich an einen solchen Titel geknüpft sind; ich liebe das Gegirre und Getändel nicht, und Alles bleibt beim Alten bis zu Eurer Hochzei t, die in einem Jahre Statt finden wird."
„Nie, niemals!" wiederholte sie.
„Nun so wisse," versetzte er, sich stolz in die Höhe richtend, „wenn ich auch Jahre lang Deinen Eigenwillen, Deinen Starrsinn geduldet habe, dies eine Mal, wo meine Ehre, mein gegebenes Wort auf dem Spiele steht, werde ich ihn brechen."
Sie trat einen Schritt zurück, ihre wankende Gestalt suchte nach einer Stütze. „Vater!" rief sie, „ich liebe Arthur nicht — auch ich bin eine Wellda, auch mein Wort ist heilig — ich kann und will ihn nicht heirathen."
„Schweig," donnerte der erzürnte Schloßhcrr, „das werden wir scheu."
„Ja," murmelte sie, sich fortwendend und mit zitternder Hand die Thür schließend, „wir werden sehen."
Bleich und außer sich langte das Mädchen auf ihrem Zimmer an.
Am nächsten Nachmittage ging Fink mit gekreuzten Armen und schnellem Schritt in der Allee auf und ab.
Jsabeau schien ihm so verändert, besonders heute war ihm ihr Benehmen ausgefallen. Es lag ein so finsterer Trotz in ihren Zügen, und als er sie beim Frühstück gedankenvoll angeschant, um wie sonst in ihrer Seele zu lesen, da war sein forschendes Auge plötzlich ihrem Blicke begegnet, und er betroffen von dem ver- zweiflungsvollen, schmerzlichen Ausdruck, der sich für einen Moment darin offenbarte.
Der Gedanke, sie leidend zu wissen und müssig zuzuschauen, beunruhigte und quälte ihn.
„Wo mag sie sein?" fragte er sich, vergebens den Park durchspäheud; dann sah er am Hanse hinauf, wo die Balkonthüre halb geöffnet war. „Dort," murmelte er, „wo ich sie einst als Kind fand, wie sie vor dem Sessel kniete und ihre Aufgabe lernte." Er kam jetzt langsamer die Allee herauf, ging ins Schloß und stand nach wenigen Minute» vor dein Saale. Er zögerte cinzu- trctcn — vielleicht wäre es besser, umzukehren — aber nein, dies Mal sollten nicht die beengenden Rücksichten, die guten Regungen seines Herzens verkümmern. Rasch, wie um der inner», abmahnenden Stimme zuvorzukommen, überschritt er die Schwelle und blieb im nächsten Augenblicke überrascht und wie gebannt an seinem Platze.
Das Mädchen lag vor dem Bilde ihrer Mutter mit halb- gelöstem Haar, ringenden Händen und bleichem Antlitz. Sie hatte sein Kommen nicht gehört.
„O, Mutter," rief sie in leidenschaftlichem Tone, „wenn die Stimme Deines verzwciflungsvollen Kindes in Deinen Himmel zu dringen vermag, so sende mir Beistand und Trost. Mutter! Mutter! Laß mich nicht so grenzenlos elend werden. Ach, warum mußtest Du sterben, warum nahmst Du Deine Jsabeau nicht mit Dir von dieser Welt, wo ihr Niemand, Niemand blieb!" Und überwältigt von Kummer drückte sie die Hände an die Stirn.
„Haben Sie den Bruder vergessen, der ihnen so gerne Helsen, Sie so gern trösten möchte, wenn es in seiner Macht steht?" fragte Fink, sich ihr nähernd und sie sanft aufhebend.
„Nein," entgegnete sie leise , „ich glaubte nur, er hätte meiner vergessen." (Forts, f.)
Allerlei.
— Ein Frömmler wußte seine Augen so stark zu verdrehen, daß man sie als Korkzieher gebrauchen konnte.
— In der Rathsversammlung einer kleinen Stadt wurde der Antrag gestellt, während der Landestrauer nur „traurige Lieder" vom Thurme blasen zu lassen. — Unsere Thurmmustk ist ohnehin traurig genug, entgegnete ein Bürgcrvcrtreter-
— Der Ehestand ist ein Punsch, zu welchem der Mann den Rum der Kraft und die Frau den Zucker der Liebe und Sanftheit thut. Nach dem Rausche folgt oft ein sehr starker Katzenjammer- _
Druck und Verlag der G. W. Zaifersschen Buchhandlung. Äedalti«»: H h l z l«.