Der Wildfang.

(Fortsetzung.)

WaS soll ich thun?" fragte sie zögernd und traurig.Ich will eilig heimlaufen und Dir Hülfe senden", fuhr sie nach eini­gem Nachdenken fort.Habe nur guten Muth, General, Du bist durch Deine Tapferkeit und Deine Verwundung nun zu einem edlen Ritter geworden, Mkd ich eine Prinzessin, die täglich kommt, um Dir Märchen zu erzählen."

Und mit einem lieben freundlichen Blick schied sie von dem Jungen; aber statt den Weg an der Quelle vorüber einzuschlagen, ging sie ein Stückchen durch das Gehölz. Als dennoch das Mur­meln des Wassers durch die tiefe Stille bis zu ihr drang, wandte sie den Kopf ab, und große Thräneu rannen unaufhaltsam über ihre Wange».

Lebe wohl, Kolma, lebe wohl, mein stolzes Pferdchen", sagte sie mit leiser, bebender Stimme, und eilte schnell heimwärts, um für Peter zu sorgen.

Bei den Stallungen angclangr, gab sie in Betreff des klei­nen Hirten die nöthigen Befehle.Wo ist der erste Jäger?" fragte sie dann und durchschritt ungeduldig den Hof, bis der Er­wartete vor ihr stand.

Mein Araber liegt todt auf dem Weideplätze neben der Quelle, ich wünschte, daß er dort begraben wird; daß Sie meinen Vater davon in Kenntnis setzen. Der Gärtner soll eine der jun­gen Eschen, die unten am Ufer im Park stehen, auf die Stelle pflanzen. Ich möchte durch kein Wort wieder an Alles das erin­nert werden." Der Jäger antwortete durch eine ehrerbietige Ver­neigung, und sie ging dem Schlosse zu.

Der Herr Graf läßt die gnädige Comtesse bitten, in die Halle zu kommeu", sagte einer der Diener, indem er die Thürcn öffnete.

Sie trat ein und blieb an der Schwelle stehen. Tie Lich­ter erhellten nur einen Thcil des weiten Raumes. Ihr Schimmer fiel voll auf einen schlanken hochgewachseneu Jüngling, mit dem der Schloßherr sprach, während des Mädchens Gestalt nur schwach aus dem Schatten gehoben wurde.

Sieh hier Deinen künftigen Erzieher und Lehrer, komm näher. Meine Tochter, Gräfin Jsabeau Herr Gustav Fink."

Der Fremde verbeugte sich mit einem leichten Anflug von Ironie vor dem kleinen, bewegungslosen, von der Dunkelheit halb­verborgenen Wesen.

Komm näher, habe ich gesagt," wiederholte ihr Vater; Du wirst, von nun an dem Herrn gehorchen. Ich hoffe, es wird Ihre erste Aufgabe sein, dem Kinde da Gehorsam zu lehren," wandte er sich zu dem neuen Hofmeister.

Sie stand jetzt vor den beiden Männern. Sie sah mit bli­tzenden Augen auf den Hauslehrer, eine dunkle Röthe flammte über ihre Wangen, und indem sie die Lippe stolz und verächtlich aufwarf, erwiderte sie:Ich gehorche keinem Fremden."

Dieser senkte den tiefen ernsten Blick schweigend auf das trotzige Gesicht herab; auf dieses Gesicht, welches ihn vor wenigen Stunden im Walde schon einmal zornig angeschaut.

Es lag etwas so Eigeuthümliches in seinem Blicke, daß sie fast wie beschämt die Wimpern niederschlug. Doch gleich darauf zog sie sich mürrisch in eine Ecke zurück, wo sie auf Paul stieß, der bereits vor ihrer Ankunft dem Hauslehrer vorgeführt war und sich ermüdet in den Schlupfwinkel geschlichen hatte, als die Her­ren von Politik und anderen langweilige» Dingeil zu reden begonnen.

2.

Paul und Jsabeau unterhielten sich in ihrem Schlupfwinkel von dem neuen Informator.

Wie gefällt er Dir Jsa?" sagte der Bruder.

Gefallen?" wiederholte sie, verächtlich die Schultern zu­ckend.Wenn Du mich fragst, wie mir eine Blume, ein Vogel oder sonst etwas Hübsches gefällt, so ist das in der Ordnung; aber ebensowenig wie mir eine Brennnessel oder eine Brummfliege gefallen kann, ebensowenig vermag es ein so schrecklicher Gegen­stand, der uns zu Sklaven machen soll."

Uns nicht allein. Schwester: Arthur und Elisabeth auch, die an dem Unterrichte Theil nehmen werden."'

Was sprichst Du da?" versetzte sie heftig,was solls mit den Warrenbach? Kann uns Papa nicht einmal einen eigenen Lehrer halten, müssen wir uns noch in Gegenwart Anderer demü- thigen lassen?"

Dacht ichs doch, schon wieder Trotz und Eigensinn!" rief der Graf, welcher Jsabeaus Worte gehört hatte.Heraus da aus der Ecke und marsch zu Bette. Ich bin >des ewigen Wider­spruchs müde, und das muß und soll anders werde». WaS Elisabeth und Arthur anbelangt, so haben Beide mit Euch Unter­richt; ich hoffe, Du wirst Dein böses tückisches Gemüth zügeln und freundlick und artig gegen sie sein. Der Arthur ist ein wilder Junge, aber doch tausend Mal besser als Dn."

Wieder presste Jsabeau die aufgeworfenen Lippen zusammen und ballte die Hände, aber sie entgegnete nichts und verließ ruhig die Halle. Sie stieg wie träumend die steinernen Stufen hinab, blieb unter einer der Linden stehen, legte den Kopf an den Stamm und flüsterte:Wenn ich doch wüßte, ob er wirklich besser als ich wäre; dann muß ich sehr, sehr böse sein;" und i» finsteres Sin­nen versunken, vergaß sie Zelt und Ort.

Plötzlich hob sie den Blick empor und lauschte athemloS. Drüben in dem Thurme, welcher sich an den reckten Flügel des Gebäudes anschloß, und der gleich dem an der linken Seite etwas beivortrat vor dem Haupktheile des Schlosses, brannte jetzt Licht. Die Fenster waren geöffnet und die milde Abendlnft trug mächtige Töne zu ihr herüber. Es wurde Clavier gespielt. Sic drückte die Hand auf die Brust.

Kolma", sagte sie leise.Wie wunderbar mir ist, als ob Du von Neuem stürbest die Töne da erzählen von Dir."

Es war dem trauernde» Kinde, als empfände sie nochmals all den Schmerz und Kummer, den sie beim Anblicke ihres tobten Lieblings gefühlt, aber nicht so scharf und bitter. Es lag etwas Beschwichtigendes, Wehmuthsvolles in der Musik, und deren Klänge tönten nach und nach so süß und versöhnend, daß es wie Himmelsfriede in das kleine, störrische Her, kam, daß Bitterkeit und Verzweiflung daraus entwichen und es still in ihm wurde.

Als das Mädchen hineinging, legre sie getröstet die thräiieu- nasse Wange in die Kissen, schloß die Augen und träumte von Kolma, wie er so lustig und früh durch den Wald dahinflog, und die silberne Schelle klang ihr wie die Musik.

Der Sonnenschein glitzerte am nächsten Morgen in den Thau- tropfen auf Blättern und Bäumen, die Haide 'blickte um einen frischen Hügel, der sich auf dem Weideplätze erhob, und das Mur­meln der Quelle tonte wie eine Tranerklage.

Peters Harmonika, welche sonst in früher Stunde schon den Wald belebte, ließ sich nirgends hören. Langsam kamen die Zie­gen die Vogclbeerstraße daher, hier und dort anhaltend, sich gra­vitätisch mit den Augen Messend und dann im Duell kampflustig mit den Hörnern zusamincnstoßeud, oder neugierig eine» Seiten­sprung wagend und sich hie und da umschauend, bis Spitz, mit gesenktem Kopf und Schweif folgend, sie durch ein rechtzeitiges Geknurr vorwärts trieb.

Statt des kleinen Hirten begleitete den Hund heute -er Nachtwächter, welcher das Amt des Kranken übernommen hatte und sich die größte Mühe gab, schreckliche Mißtöne auf einem Kuh­horn zu blasen.

Jsabeau saß bereits neben dem Hügel, die Ziegenheerde an­sehend, wie sie een Weideplatz pasfirte und dann im Walde ver­schwand. Sie hörte des Hundes freudiges Gebell, der ihre Nähe witterte; aber als sic Peter nicht erblickte, legte sie gleichgültig den Kopf auf den Arm, welcher sich ans den Rasen stützte.

Oh, Kolma, ich vermag nicht auszusprechen, wie tief die Musik in mein trauerndes Herz drang und mich doch so ruhig machte, obgleich sie mir sagte. Du seiest todt, obgleich sie mir alles Das wiederholte', was ich bei diesem Gedanken gelitten habe. Sie klang gar herrlich, wenn ich nur vergessen könnte, daß der Hauslehrer so gespielt hätte. Jetzt, Kolma, beginnt das Schreck­lichste, was wir so lange fürchteten, die Erziehung. Wir Beide waren so froh und stolz, nicht erzogen zu sein, jetzt hat das Glück ein Ende. Ich kann die steinernen Knappen am Thore nicht ohne Furcht ansehen; denn es wird nicht lange bauern, so bin ich ihnen ähnlich. Ich muß nun heim; mir ist, als hingen Gewichte an meinen Füßen. Ich werde so langsame Schritte machen, baß ich wahrscheinlich vor Mittag nicht nach Hause komme. Auf Wieder­sehen, mein Liebling."

.Und das Mädchen schleuderte nachlässig die Straße entlang und bog dann in den Park ein. Als sie den Lindenplatz er­reichte, erblickte sie zwei Kinder, welche die Allee heraufkamen. Sie blieb stehen, die Kommenden zu erwarten. _ (Forts, f.)

Druck und Verlag der G. W. Zaiser'scheu Buchhaudlung. Redaktion: Hölzl«,