Und nun knüpfte sich hieran ein längeres Zwiegespräch, bei dem der Pseudo-Oberst die bekannte Vorliebe für die französische Sprache und Literatur bekundete, während Gcllert in begeisterten und freimüthigen Worten die Vorzüge der deutschen Sprache und Wissenschaft pries, die nur deswegen in ihrer Entwickelung zurück- gehalten würde, weil die Großen des Landes, und namentlich der König von Preußen in der Nachäffung des französischen Wesens vorausglngen.
«Hm ! Ihr seid ein guter Advokat für die deutsche Muse, sagte der Fremde. — Recht so, liebe den Freimuth, wen» er Gründe hat. Könnt vielleicht mit solchen Worten gar den König bekehren, der Euch heul' bei Tische sehen will."
„Eu'c Majestät!"
„Ei was, bi» der Obrist Bork! stets zu Eucrm Dienst!"
„Ein Dienst?" lispelte Geliert, der hier an seine Leutchen dachte. „Herr Obrist, ich hätte eine Bitte."
„Sie sei gewährt. — Was ist?"
„Ein junger Mann, der hier der Gärtnerei beflissen, Bräutigam und die Stütze einer hülflosen Wittwe, ist gestern Abend von den Soldaten im Schloß als Recrut angeworben worden. Es ist dadurch viel Kümmerniß in jenes Haus gekommen. Ein Wort von Ihnen, Herr Obrist, könnte all' daS Trübsal lösen, wenn . . ."
„Wie heißt er?" rief der König, indem er seine Brieftasche hervorzog.
„Friedrich!"
„Familienname?"
„Ja, der Familienname ... ist mir nicht bekannt."
„Nichts zur Sache." — Der König schrieb etwas .auf ein Blatt und rief dann mit gnädigem Blick: „Da, vorzeigen, beim Commandanten. — Adieu! Seid ein braver wackerer Mann. Heut' beim König, da wollen wir noch so manches Wörtchen mit einander reden. ^ revoirl"
Gcllert gab dem hohen Gast, der incognito erschienen, das Geleit bis an die Gartenlhür und ging dann langsam in sein Zimmer zurück. Hier blieb er einige Augenblicke still stehen und blickte auf den Stuhl, worauf der König gesessen. „War cS ein Traum? — Der König Friedrich, der Ruhmreiche, hier in meiner Nähe? Gcllert, hast du nicht zu viel gesprochen? Ich war zu muthig, die Begeisterung riß mich fort, ja, die Begeisterung für eine hohe, heilige Sache, deutsche Kunst, deutsche Sprache und Poesie. Es galt dem deutschen Genius."
Jetzt erst besah er daö beschriebene Blatt welches in französischer Sprache abgefaßt und an den Commandanten, Generalmajor v. Dieskau, gerichtet war. Wahrend sein Auge mit Ehrfurcht auf der Handschrift des Königs ruhte, erschienen plötzlich Liselte und Friedrich vor der Thür.
„Ein kleiner Zettel! Ja, gewiß das Blatt, das Du gestern . . ." Hier konnte sie sich nicht länger halten; sie eilte mit dem Getreuen ihres Herzens hinein in die Stube, lief auf Gcllert zu und rief: „Ach, Herr Professor! mein guter Herr Professor! gewiß, ich irre mich nicht, dies ist das Papier, welches der Dumm- Hut unterschrieben."
„Noch nicht, mein Kind! — Respekt vor diesen Worten, die hier ein großer Mann mit Bleistift geschrieben. Gegen Vorzeigung dieses erlangt der Recrut seine Freiheit."
Hastig griff der Angeworbene darnach, um damit auf daS Schloß zu eilen. Lisctte nahm ihm aber solches ad, da sie befürchtete, daß ihm auf dem Wege dahin dennoch ein Ungemach begegnen könne. — „Nein, ich selbst geh' znm Commandanten, ich ged' ihm hier diesen Zettel, der ... ach! Herr Professor, das ist ja wohl lateinisch oder griechisch, wenn dies nur der Herr Com- mandant versteht?"
„Sei ohne Sorge. Ein Blick darauf und du empfängst den Zettel mit den drcl Kreuzen zurück."
„Ja, den muß ich haben; das Handgeld der Soldaten habe ich hier eingesteckt, sie mögen sich ein Frühstück dafür kaufen. O, ich will durchaus nicht feig sein, ich will schon mit dem Herrn Commandanten reden."
Flüchtigen Fußes eilte sie durch den Garten. Fritz wollte hinterher laufen, als ihn Gellert ermahnte, nicht das Haus zu verlasse».
„Ach!" rief er in Angst und Bangen, „Lisette aus das Schloß zu den Soldaten, wenn sie ihr nur nicht etwa auch so einen Hut aufsetzen."
„Keine Furcht, junger Mann; Friedrich's Truppen wissen was Sitte und Anstand ist."
„Es sind aber Husaren dabei und diesen ist nicht über den Weg zu trauen." — Hierbei sah er ängstlich nach der Thür, per Schweiß stand auf seiner Stirn; es war eine namenlose Unruhe über ihn gekommen, die der gute Gellert dadurch zu beschwichtigen suchte, daß er nach den schriftlichen Dienstzengiiissen fragte, welche ihm Fritz nebst seinem Lehrbrief eiuhändigte, da er das alles schon den Abend vorher cingesteckt.
Als Gellen im Begriff war, solche durchzulescn, schrie der gelernte Gärtner und preußische Rekrnr fast laut auf und rief mit ängstlicher Stimme: „Ach! Herr Magister, schützen Sie mich, da kommt ein Häscher, ein RathSdicucr aus Leipzig." — Fritz, der überall Gespenster sah, wünschte sich jetzt wieder hinter die Bienenstöcke oder in den Bauch der Erde. Der Rathsdiencr trat ein, verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor dem Herrn Professor, überbrachte selbigem einen Brief von dem Herr» Bürgermeister und — entfernte sich dann wieder unter tiefen Bücklingen.
Gellert erbrach die Zuschrift. Freudig glänzte sein Ange, als er die ersten Zeilen gelesen, und er lispelte dan» für sich: „Herrlich! so — führt alles . . . gut ... zu Ende."
Schnellen Blickes prüfte er jetzt die Atteste und wollte seinem Schützling den Inhalt des soeben empfangenen Briefes mittheilen, als plötzlich freudig und fast außer Alhem Lisette zur Thür hereingcsprungen kam.
„Fritz . . . Herr . . . Pro . . . fessor, hier, hier ist daS Blatt!"
„Ja, das ist's!" schrie Fritz und griff mit beiden Händen darnach.
„Ich lief," begann Lisette weiter, „augenblicklich auf das Schloß. Im Nn war ich die Treppe hinauf und wollte so mir nichts Dir nichts gleich in das große Zimmer, wo ich den Kommandanten vermulhete. Da trat mir aber ein wahrer Riese von einem preußischen Grenadier entgegen und schrie: „Wohin?" — Ich sagte: „Zum Herrn Commandanten!" — Hn! da rasselte mich der Mensch an, daß es wirklich znm Erschrecken war, und meinte: „Ich sollte augenblicklich gehen, woher ich gekommen, es sei doch eine Bettelei." Schon setzte ich mich ei» wenig in Positur und wollte den Eingang mit Gewalt erstürmen, da öffnete sich die Thür und der Herr Commandant, begleitet von mehreren Officieren trat heraus. Wie er nach der Treppe schreiten wollte, da stellte ich mich ihm entgegen, machte einen Knix und überreichte ihm das Papier. Als er die Handschrift erblickte, da lüftete er den Hut und warf einen höchst gnädigen Blick auf meine Person. Der alte barsche Grenadier war jetzt wie ein Ohrwürmchen und verwendete kein Auge von dem Herrn General, der jetzt etwas sehr heftig mit einem Officier sprach. Jetzt suchten zwei aus der Suite in ihren Brieftaschen, bis endlich hier der Zettel zum Vorschein kam» der mir -ganz artig und ohne alle Umstände in die Hand gegeben wurde. Ich machte wiederum meinen Knix und erhielt vom Herrn Commandanten ein Compiiment, als wenn ich ein Edelsräu- lein oder selbst so ein Officier wäre."
„So ist es denn mit Gottes Hülfe meiner schwachen Kraft gelungen," rief Gellert: „Euch, meine Lieben, von dem Trübsal zu befreien."
„Ja, tausend, tausend Dank!"
„Nicht mir dankt, dem da droben. Aber noch ein freudiges Ereigniß. Ich hatte gestern an den Herrn Bürgermeister in Leipzig geschrieben, soeben erfolgte Antwort und günstiges Resultat. Er braucht für seinen Garten wiederum einen Gärtner und bietet Euch diese Stelle an. — Da jauchzten die Liebenden laut auf; sie waren am Ziel ihrer Wünsche, und unter Freudenthränen küßten sie die Hand des Dichters, der da das Lied geschrieben: „Wie groß ist des Allmächt'gen Güte."
Unter heißen Danksagungen schied das glückliche Paar, welches vor übergroßer Freude heute Essen und Trinken vergaß. — Gellert aber speiste an der Tafel des — alten Fritz, saß zur Rechte» des Königs, der sich gar wacker noch mit ihm über Poesie und deutsche Sprache unterhielt und ihn am Schluß lo xlu5 rrüsonnadls äs tous los savans allemruills nannte.
Das glückliche Pärchen in Gohlis feierte gar bald darauf Hochzeit und zog dann nach Leipzig. Am TraunngStage erhielten beide ein nettes Geschenk von Gellert, aber auch noch besonders ein Geschenk von dem — langen Glaser-Lieb, der den Brautführer machte und durch den bewußten Zettel ebenfalls vom Gamaschendienst befreit worden war.
LniNuud L-rlagdcrG.W. Zaiser'schk» Buchhandlung. HS Izle