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Meine Freunde empfingen mich mit Wcmuth und der zärtlichsten Theilnahme; mein Unglück schien sie nur noch fester an mich geknüpft zu haben. Mehrere boten mir Wohnung, Vorschuß und was sonst in ihren Kräften stand, mit der uneigennützigsten Bereitwilligkeit, mit der edelsten Schonung an. Nur ein Darlehen schlug ich nicht aus, weil ich mich im Stande wußte, mit der Zeit Ersatz zu leisten.
Die Gasthöfe in ... waren mit Einquartirten, Gefluchteten, entlassene» Gefangenen angefüllt; doch glückte es mir nach Verfluß einiger Tage, in einem der ersten Hotels eine Hinterstube zu erlangen.
Meine eigene verzweifelte Lage, meine noch nicht ganz geheilten Wunden, das Unglück meines Königs, das Schicksal meines Vaterlandes, bestimmte mich, alle öffentlichen Gesellschaften zu vermeiden. Ich speiste größten Theils auf dem Zimmer, nud zerstreute mich dann und wann durch Spaziergänge in der, selbst im Winter, reizenden Gegend.
Zufälliger Weise hatte in demselben Hotel ein Mann mit Wachsfiguren den geräumigen, und jetzt, weil an Festlichkeiten gar nicht zu denken war, ganz leer stehenden Concertsaal z» seinen Ausstellungen gemiethet. Der Zulauf war nicht gering. Man rühmte die Leichtigkeit und Achnlichkeit seiner Figuren, die Richtigkeit und Schönheit der Gruppen, die ausgezeichnete Pracht der Garderobe; doch für mich hatten diese Dinge zu wenig Anziehendes, um meine Menschenscheu zu überwinden. — Der tieffühlende Leidende steht am liebsten allein!
Kurz vor seiner Abreise stellte der Maschinist eine neue Gruppe aus, die sowohl wegen des Gegenstandes, als wegen der Zeitereignisse, doppeltes Interesse erregte. Es war das Castrum Doloris des geoliebenen Prinzen, dessen Helbcnstirn eine erhabene weibliche Hand mit dem Lorbcerkranze schmückte. Ich hatte den früh Vollendeten, seit Jahren persönlich gekannt; meine Anhänglichkeit konnte es sich nicht versagen, wenigstens sein Bild noch ein Mal zu betrachten.
Ich wählte eine Stunde kurz vor Nachtzeit, weil ich dann den geringsten Zuspruch vermuthete. Wie zu einer Todtenseier, mit einem ans Stolz und Schmerz gemischten Gefühl, zog ich zum ersten Mal wieder Uniform an.
Mein Wunsch gicng in Erfüllung. Als ich eintrat, war der Saal schon still und verlassen; die Kronleuchter wollten verlöschen. Das ungewisse Helldunkel der Zimmer, die langen, sonderbaren Schatten der hohen Bilder, das feierliche, grab- ähnliche Schweigen an einem Orte, der am Tage immer so geräuschvoll und von einer auf« und abwogenden Menge belebt war, fiel mir beklemmend aufs Herz.
Der Aufseher wollte mir die Figuren nennen und erklären. Ich verbat das; die meisten waren mir persönlich bekannt, die übrigen gleichgültig.
Selbst einem schleichenden Schatten ähnlich, wandelte ich unter diesen Lebcndigtvdtcn herum. Stolz und schweigend standen sie hier friedlich neben einander, die Heroen, ausgezeichnet durch Genie, Heldenschönheit, glühendes Ehrgefühl und ungebeugten Muth, sie, die noch in diesem Augenblicke über die Herrschaft des Erdkreises blutig unter sich rechteten. Ich gieng langsam, mit ehrfurchtsvollem Schauer, durch ihre Reihen; auch Fricdcrich, mit dem Falkenblick, und der alte Ziethen, waren, gleich Schatten Samuels, in ihrem Kreise.
Zwei halb geöffnete Flügelthüren führten in ein kleineres, schwarz behangenes Zimmer, und ließen mich ein Traucrgerüst bemerken; mehrere weibliche Figuren in schwarzer Tracht umgaben es. Ich erkannte den erhabenen Todten. Mein Herz schlug in langem Pausen; mein Auge starrte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lagen düster vor mir. Mein schmerzlich erwachendes Gefühl, mein stärker wallendes Blut, vielleicht meine Kopfwunde, verursachten mir eine Art Schwindel; ich mußte mich auf einen Augenblick am Eingänge fest halten.
Ich hatte nicht Lust, dem Bilde näher zu treten; die Nähe stört gewöhnlich den Genuß, und ich wünschte doch, das Bild rein und edel in meiner Errinnerung aufzubewahren. Ich drückte meinen gelähmten rechten Arm mit dem linken ans Herz; tausend schreckliche Empfindungen kreuzten sich in meiner Brust; ich
wollte mich wieder entfernen, aber ich fühlte mich immer noch angezogen.
Das Zimmer ward immer dunkler, die Stille um mich für meine gereizte Stimmung immer feierlicher, mein Schmerz immer dumpfer. Fast kam es mir vor, als ständ ich in einer Versammlung lauter Abgeschiedener, und Todeskälte schien auch mich zu ergreifen. Da hörte ich in meiner Nähe einen tiefen, ängstlichen Seufzer. Ich sah mich um; ich lauschte; alles blieb still. — Nun glaubte ich gewiß, mich getäuscht zu haben; doch drang es mir schauerkalt ans Herz; ich wollte mich entfernen.
In diesem Augenblicke schien eine der Nebenfiguren, die, von mir abgewandt, an der Seite des Sarges ruhte, die Augen starr gegen mich zu erheben; jetzt richtete sie sich empor, rief mit heftiger Stimme einige unverständliche Worte, that mit aus- gcbrcitctcn Armen einige Schritte ans mich zu, und sank zu Boden.
Länger konnte mir dicß alles nicht Sinncntrug, eben so wenig das Ganze eine künstliche Maschinerie dünken. Ich sprang hinzu und umfaßte eine ohnmächtig gewordene junge Dame in schwarzem Schleier.
Ich rief um Hilfe. Der Künstler, seine Frau und ein Kammermädchen eilten herzu. Die Letztere schien sehr erschrocken und bat mich sehr verlegen, aus Achtung gegen die Dame den Saal zu verlassen. Ich gehorchte augenblicklich, doch suchte ich bei dem Besitzer der Sammlung Erklärungen cinzuziehen. Er kannte die trauernde Schöne nicht, und erzählte nur, daß sie schon einige Abende, gerade um diese Zeit, in einem Wagen und bloß in Begleitung ihres Mädchens hieher gekommen sei.
Ich begab mich sehr unruhig in meine Wohnung. Der Schlaf, den ich sehnsuchtsvoll herbciricf, wollte mich diesmal nicht hören. Erst gegen Morgen verfiel ich in jenen ängstlichen Zustand zwischen Wachen und Schlaf, wo die Phantasie, durch den trägen Körper gehemmt, alle Vorstellungen um so wilder verwirrt.
(Fortsetzung folgt.)
Allerlei.
— Der Ausdruck: „A n f c inem gro ß c n Fuß leben," schreibt sich von einer Sitte des vierzehnten Jahrhunderts her, nach welcher die Länge des Schuhes de» Rang der Person anzeigte. Fürstliche Personen trugen Schuhe von 2^,s Fuß, Grafen von 2 Fuß, Freiherrn von 1*/4 Fuß und gemeine Edelleute von 1 fr Fuß Länge.
— lieber die eigentliche Bedeutung der Helena Medaille gibt uns Menzels deutsche Geschichte (Bd-H, S. 1160) einen überraschenden Aufschluß. Man darf annehmcn, sagt er, daß mehr als 200,000 Deutsche gegen Rußland zogen, während kaum so viel Nationalsranzosen bei der Armee waren. Den Rest bildeten 50,000 Polen, mehrere Tausend Italiener, Portugiesen und Spanier, die man gezwungen mitschleppte. Napoleon selbst sagte damals einem Russen: 8i vous xsrcksr: eing Russos, je no porcls gunn brnnenls st guntro coellows, zu deutsch: Wenn Ihr fünf Russen verliert, so verliere ich nnr einen Franzosen und vier Schweine. Sonach heißt Helenamedaille, im Sinne Napoleons I-, auf gut deutsch : Schweineorden.
— El» Herr von Oüen, der sich für einen großen Geist hielt, legte bei Tische einem Pastor verschiedene witzig sein sollende Fragen vor: unter anderem fragte er auch: wie Noah alle seine Thiere in seine Arche bekommen habe? — „Das ist leicht zu erklären," versetzte der Pastor: „Er rief sie nämlich von allen Enden der Erde zu sich, zum Beispiel: Komm du Löwe von Süden, du Bär von Norden, du Esel von Osten und alle gehorchten." Das war derb getrumpft!
— Ein berüchtigter Straßenräuber in Irland wurde endlich ergriffen. Der Anführer einer Bande war ebenfalls früher ergriffen worden. Der Richter konfrontirte Beide und fragte den Letztem: '„Gehört dieser Kerl auch zu Eurer Bande?" — „Ja", antwortete der Befragte kalt, „aber ich glaube, er war nnr Ehrenmitglied."
Auflösung dcS Palindrom und Logogryphs in Nro 63: Zeus. Suez. Suc.
Truck und Perlag der G. W. Z Liser'schcn Buchhandlung. Redaktion: Holzte.