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man am klarsten aus den Werte» Napoleons I. sehen. Er sagte auf St. Helena, sein großes Vorhaben sei gewesen, alle französischen Strcitkräste zu Cherbourg conccntriren zu könne»; er habe sein Terrain so angelegt gehabt, daß die beiden Na­tionen, so zu sagen, Mann gegen Man» hätten ringen können, und der Ansgang wurde nicht zweifelhaft gewesen sein. Die Engländer haben genau dieselbe Ansicht von der Bedcntnng Cherbourgs und glauben jetzt auch, daß der Ausgang eines etwaigen Kampfes nickt zweifelhaft sein würde.

Die Türkei hat sich erboten, einer jeden der Familien der gemordeten Consuln von Tsckcddah eine Entschädigung von 150,000 Francs ausznzahlen, ist aber auch bereit, diese Sum­men zu erhöhen, wenn England und Frankreich cs wünschen. Die Bestrafung der Schuldigen ist natürlich dadurch »ichr auf­gehoben. Frankreich hat bereits ein Kriegsschiff nach dem rothen Meere abgeschickt.

In Newyork war Ende Juni die Hitze so arg,^daß in 5 Tagen in den Straßen der Stabt 5060 Leute am Son­nenstich umgckommen sind.

Der verhänftnißvolle Ring.

Original-Novelle von Franz Otto Stichart. ^

Auf ihrem, eine Tagreise von der befestigten Stadt G. entfernten Schlosse, durch dessen hohe Fenster die ausgehende Sonne ihre freundlichen Strahlen sendete, war Hildegard, die Wittwe des vor einem Jahr verstorbenen Sebastian von Eichen­horst, mit Einpacken der Wäsche und Kleidungsstücke ihres ein­zigen vierjährigen SvhnleinS Alfred beschäftigt. Heiße Lhränen rollten über ihre bleichgehärmtcn Wangen und benetzten jedes Kleidungsstück des kleinen Lieblings, das von ihren sorgsamen Händen zusammcngclegt und den übrigen beigeordnel wurde. Denn heute sollte sie sich von dem Einzigen, was sic noch Lie­bes und Theures auf Erden hakte, von ihrem Alfred, trennen. Zwar war diese Trennung ein Erzengmß ihres freien Entschlusses und die Frucht ihres lebendigen Pflichtgefühls, aber darum war der Kampf zwischen Mutterliebe und Pstickgefühl nicht minder schmerzlich für Hildegard's edles und empfindsames Herz. ^

Gleich nach dem Tode ihres thenren Sebastian «äinlich hatte sie den Entschluß gefaßt, auS allen Kräften dafür Sorge zu tragen, daß, so viel und so lange als möglich, für ihren Alfred die Veranlassung und die Art und Wesse von dem Tode seines Vaters ein Geheimniß bliebe, damit nicht einst'das na­türliche Rachegcfüyl denJüngling zu Handlungen Hinreißen mochte, die weder vor dem weltlichen, noch vor dem ewigen Richtcrstnhle bestehen. Seit einem Jahre war ihr gelungen, jede Knude von dem Tode des Vaters von Alfred fern zu Hallen; allein je mehr der Geist des trefflichen Knaben wuchs, und seine Fas­sungskraft sich entfaltete, desto mehr wuchs ihre Besorgmß, daß ihni, da sie ihn doch nicht auf immer in klösterlicher Abge­schiedenheit erhalten konnte und wollte, früher oder später in seinen Umgebungen der Schleier gelüstet werben möchte. Nun hätte sie zwar ihre Besitzung verkaufen und mit ihrem Sohne ihren Wohnsitz in einer Entfernung aufschlagen könne», welche sie gegen das Gefürchtete schützte. Allein da sie in der ganzen Umgegend wie eine Geächtete dastand, so war vvranszisschen, daß sich kein Käufer finden würde. Daher zog sie^ es vor, ibren Sohn einer auf zwanzig Meilen entfernten Pension anzu­vertrauen; und heute sollte dieser Entschluß zur Ausführung kommen.

Als alle Anstalten zur Abreise getroffen waren, fuhr der Wagen vor, um Hildegard und Alfred aufzunehmcn. Mit schwe­rem Herzen gab Erstere den Wink zum Aufbruch, und ohne weitere Begegnisse gelangten sie nach einer dreitägigen Reise zu S. ^ dem künftigen Bestimmungsorte Alfred's an. Hildegard erössnete dem Vorsteher der Pension, einem eben so edlen und sanften, als kenntnißreichen Manne, ihre Wünsche in Betreff der Erziehung ihres Sohnes, und bcdung sich aus, daß Letzterer nie erfahren sollte, daß er außer Alfred noch einen Namen trüge; ferner, daß er nie wieder nach dem Schlosse Eichenhorst kommen dürfe, sondern daß sie von Zeit zu Zeit ihn besuchen würde; endlich, daß er später, nachdem er schreiben gelernt, die an sie gerichteten Briefe unter der Adresse:An meine Mutter Hilde­

gard," an ihn, den Vorsteher, abgebcu müsse, der sie'mit der vollständigen Aufschrift versehen werde, weßhalb sie auch, damit er eben so wenig als mit seinem Familiennamen, mit seinem Fauiilicnwappen bekannt werde, sowohl die an den Vorsteher, als die an den Sohn gerichteten Briefe nicht mit dem Familien­wappen stempeln werde. Zur unverbrüchlichen Beobachtung dieser Anordnungen, von der nach Hildegard's Versickerung ihr und ihres Sohnes Wohl abhange, wußte Hildegard den Vorste­her verbindlick zu machen, sowie sie ihn zugleich dringend er­suchte, daß ihr Familienname nie über seine Lippen käme. Nach kurzem Aufenthalte reiste die schmerzensreiche Mutter, unter der Versicherung, bald wieder zu kommen, und nach einem herz­zerreißenden Abschiede von S. nach ihrer Heimath ab und suchte ihre» Schmerz durch die Vorstellung zu mildern, daß sie ja diesen Sckritt zu ihrem und ihres Sohnctz Wohle etwas habe.

Der kleine Pensionär fand sich, nachdem die Schauer der Trennung verschmerzt waren, allmählig in seine neuen Verhält­nisse, und dies um so leichter, je mehr die treffliche Gattin seines Erziehers ihm die Mutter ersetzte, und er in diesem bald einen Vater schätzen und lieben lernte. Auch sprach von Zeit zu Zeit die wirtliche Mutter in S. ein, um aus einige Tage bei ihrem geliebten Alfred zu sein und so übte die Gewohnheit eine solche Macht ans ihn ein, daß er sich gar nicht in seine vorigen Verhältnisse znrückwünschte. Die Gesellschaft der übri­gen Pensionärs, in der er sich so wohl befand, die immer mehr wachsenden Kenntnisse, mit denen sein Geist bereichert wurde, die heiteren und belehrenden Spaziergänge, welche zur Tagesordnung gehörten -- Alles war geeignet, ihm die einsame Burg Eichenhorst, die nur noch wie eine leise Andeutung im Hintergründe seiner Seele lag, vergessen zu lassen. So schwan­den der Jahre viel dahin, in denen nichts besonders BcmcrkenS- werthes mit Alfred sich zntrng. Denn daß er einige Male auf'S Krankenlager gestreckt wurde und glücklich wieder erstand, daß er einst beim Schlittschuhlauf,: das gesteckte Ziel überschritt und beinahe in Lebensgefahr kam, sind Dinge, die fast in jeder Jugendgeschichte Vorkommen. Unter seine Lieblingsbeschäftigungen in den Nebcnstnnden gehörte vorzüglich die Hcraldig, und er hatte sich im Laufe der Zeit eine nicht unbedeutende Sicgclsamur- lung angelegt, die er, da in der Pension sich meistens Söhne ans adeligen Häusern befanden, fleißig zu vermehren Gelegen­heit fand. Nach dem Wunsche der Mnttcr hatte ihn sein wacke­rer Lehrer, da in Alfred's Geiste nicht ganz gewöhnliche Fä­higkeiten sich kund gethan hatten, mit dem klassischen Alterthumc vertraut gemacht und ihm überhaupt einen so tüchtigen Unter­richt ertheilt, daß er zum Besuche einer Universität befähigt wurde.

Kurz zuvor, che er zur Universität abgehen sollte, wo er sich dem Studium der Rechte zu widmen gedachte, machte er, mit Bewilligung seines Erziehers, eine Reise in die Vaterstadt eines seiner früheren Mitzöglinge, um diesen, der bereits vor längerer Zeit die Pension zu S. verlassen hatte, vor seiner Ab­reise zur Universität noch einmal anfznsuchen. Nachdem er eini­ge Tage daselbst in jugendlicher Heiterkeit verlebt hatte, ließ er sich von diesem bereden, mit ihm, da sich gerade eine Fahrge­legenheit darbot, in die entfernte Stadt G. zu fahren, um dort des Commandanten Sohn zu besuchen, welcher ebenfalls früher Zögling in der Pension zu S. gewesen, nach seinem Abgänge von dort aber in das Cadettenhaus getreten war, und sich eben jetzt, wie dem Freunde Alfred's bekannt war, auf Urlaub bei seinen Eltern in G. befand. Für Alfred hatte diese Einladung um so mehr Reiz; da er dann nur noch eine Tagreise zu seiner Mutter hatte, die er, obgleich er sie nächstens in S- zu er­warten halte, zu überraschen gedachte. Denn das Verbot des väterlichen Erziehers, sich je wieder nach dem Schlosse der Mutter zu begeben, war ihm von jeher als etwas Sonderbares erschienen, und jetzt, wo er sich bald unter der Zahl der Mu- scnsöhne zu sehen hoffte, glaubte er, über diese Sonderbarkeit sich hinwegsctzen zu dürfen. (Forts, folgt.)

Auflösung des Logogryphs in Nro. 59:

Thekla. Hekla.

Druck und Verlag drrG.W. Zais« r'schen Buchhandlung. Rrd-Ilin» : Holjlr.