160

Bertliel oder die drei Begegnungen.

(Fortsetzung.-

Eine kleine Weile belustigte es die Kinder sehr, aber nach Kinderarl mochten sie's bald nicht länger.Komm, wir wollen die schonen Menschen von Stein zusammen besehen." sagte der Knabe und zog das Kind an der Hand von einer Statue zur andern.Wenn ich groß bi», will ick auch solche schone, weiße Menschen von Stein machen," rief er, indem seine Augen leuchteten-Das macht mir gar keinen Spaß," sagte die kleine Jngebvrg,wir wollen lieber im Hause spielen. Christiane wird sonst böse, daß ich so lange wegbleibe, ohne sie zu fragen."Ich muß auch nach Hause!" sagte der Knabe auf einmal ängstlich, weil ihm nun plötzlich die Erinnerung an seine Eltern und an sein Haus wie eine Centnerlast auf's Her; siel.Wo wohnst Du denn?" fragte Jngebvrg.In der großen Stadt," entgegnetc der Knabe, dessen Angen sich mit Thränen füllten, da er sah, daß die Sonne lange unkergegangen war und nur noch die glühende Rothe des Abendhimmels über ihnen lag. Angst und Furcht vor Strafe überwältigten das Herz des Knaben und er fing bitterlich zu weinen an.Du sollst nicht weinen, Berthel," sagte die kleine Jngebvrg,sonst fange ich auch mit an."Aber ist- weiß nicht, wie ich nach Hause kommen soll!" schluchzte er. Komm mit, wir wollen Christiane fragen, die wird's Dir sagen ! Mit diesen Worten ergriff Jngebvrg Berthe! bei der Hand und zog ihn in's Haus hinein, wo die silberhelle Stimme des Kindes nach ihrer Wärterin rief. Eine alte Frau trat zu ihnen und als sie den fremden Knaben sah, machte sie ein böses Gesicht." Was willst Du hier, Junge? fragte sie strenge und musterte seine ärmliche Kleidung mit tadelnden Blicken. Aber die kleine Jnge­bvrg faßte ihre Hand und sagte bittend:Sei nickt böse, Christiane, wir haben so schön zusammengespielt, aber jetzt kann Berthel nickt nach Hause finden. Lag' Du eS ihm!" Die alte Frau fragte hin und her und als sie ans den unklaren Antworten des Kindes, die unter heftig strömenden Thränen gegeben wurde», daS Nöthigste entnommen, schellte sie einem Bedienten und befahl ihm bas Kind zu seinen Eltern zürückzubringeu, indem sie ihm die Straße nannte, in der Lieft wohnten und ihm bedeutete, daß in dieser angelangt, der Knabe das Hans wohl finden werde.Wann kommst Du wieder, Berthel?" fragte die kleine Jngebvrg und hielt ihn an der Hand fest,so schön habe ist) noch nie gespielt, wie heut."Morgen," rief der Knabe voll Zuversichtmorgen komme ich wieder und dann sehen wir die schönen, weißen Menschen von Stein wieder zusammen an, die find doch viel schöner als alle Engel im Theater!"

Daß nichts daraus wurde, versteht sich von selbst. Tie Mutter hatte in Todesangst auf die Heimkehr des Knaben ge­wartet und als der Vater kam und Berthel noch nickt da war, da wußten die betrübten Eltern sich nickt zu rachen in ihrer Angst. Als spät am Abend das Kind wieder kam und von all' der Herrlichkeit erzählte, die es gesehen und von den schönen, weißen Steinmcnschen und von der kleinen Jngebvrg, die es für einen Engel vom Theater gehalten, La wurde freilich aus der ihm zugebachten Strafe nichts, aber es war auch das letzte Mal, daß cs allein zum Vater geschickt wurde. Den Abend aber vergaß Berthel nie. Wenn er den rvthcn Abendhimmel durch die grünen Bäume schimmern sah, glaubte er stets die weißen Menschen von Stein zu sehen, die unaufhörlich vor sei­nen Micken schwebten, wie damals, wo die Gluth des Himmels sie mit rosigem Schimmer übergossen hatte. Und dann trat auch der Engel im weißen Kleide und dem rosafarbenen Band in den dunkeln Locken vor seine Seele und es war ihm, als winkte er ihm. Aber der Knabe wurde größer und größer und der Ernst des späteren Lebens verwischte die bunten Traum- gcstalten, aber freilich doch nie so ganz, daß nicht eine leise

Erinnerung daran geblieben wäre.

* *

Es war zu Anfang dieses Jahrhunderts. In einem der prächtigen Säle des Vaticans, wo die tausend Jahre alten Meisterwerke der Bildhauerkunst noch heute die Bewunderung und das Entzücken des Knnsisrenndes sind, stand in einer späten Nachmittagsstunde ein junger Mann im Anschanen der schaurig- schönen Laokoon-Gruppe versunken. Es war still rings um ihn her, kein Fußtritt fremder, schaulustiger Menschen, die die

I Schätze deS Vatikans zu bewundern kommen, störte feine Ge­danken, welche sich ganz im Anschauen verloren zu haben schie- i nen. Es war ein hoher, schlanker Mann; auf den wcitzurück- ! fallenden, weißen Kragen fielen lange, goldblonde Locken, die ! eine edclgeformte Stirne frei ließen, unter der zwei Helle, blaue ! Augen in seltsamem Entzücken leuchteten. Hier im Süden, wo die heiße Gluth der Sonne die Haut bräunt und Haar und Augen näcktig-schwarz sind, war cS ein selten gesehener Anblick, dieses bleiche, blonde Gesicht mit dem ächt-iiorbischen Typus. Eine geraume Zeit stand der junge Mann so da, schweigend, mit verschränkten Armen und begeisterten Blicken, im Geiste sich anbelend beugend vor dem Genius, der dem tobten Stein Leben »nb mit ihm diesen herzzerreißenden Ausdruck der höch­sten Verzweiflung gegeben. Er war so versunken im An- schaucn, daß er nickt gleich gewahrte, wie aus dem Nebenzim­mer Stimmen und Tritte hörbar wurden, die Thür sich öffnete und zwei Fremde eintraten, von einem Führer gefolgt, der mit ää,t italienischer Lebhaftigkeit und Zungenfertigkeit den Eyce- lcnza'S die Knnstschätze des Vaticans zeigen wollte. Es waren ein Herr und eine Dame, beide noch jung und offenbar den höhern Ständen angehörend, die Dame von einer seltenen Schönheit. Sie war äußerst lieblich anzusehc», nach der rei­zenden Mode damaliger Zeit gekleidet, welche Madame Bvna- parte, dieses Prototyp der Anmntb, Eleganz und des raffinir- testen Geschmacks so sehr on vogno gebracht, und mit Madame Tallien und Madame Recamier fast immer trug; das weiße Kleid, für welches der weibliche Körper wie geschaffen scheint;

das selbst den minder hübschen Frauen besser kleidet, als all' die bunten Farben unserer heutigen Mode, den hüb­schen, aber einen eigenen Zauber verleiht. Auch ihr Beglei­ter war ein schöner stattlicher Mann, der mit vornehmer Ele­ganz die junge Frau sührtc. Die Blicke derselben ruhten einen Augenblick auf dem jungen Manne, der bei dem Geräusch der Stimmen, welche jetzt ganz in seiner Nähe erklangen, ans seinem begeisterten Sinnen anffnhr und ohne die Fremden mehr als flüchtig anzusehen, sich umwandte und den Saal verließ.

Die junge Dame strich ein paar Mal mit der Hand über die Stirne, wie um einen Gedanken festznhalten, der unklar ihrem Geiste vorschwebte, dann aber wandte sie sich diesen Gebilden aus Marmor zu, die mit ihrer Schönheit und Groß­artigkeit ihreir kunstverständigen Geist fast überwältigten. Den Laokoon, den vatikanischen Apoll, die Musen hatten sie bewundert, vor der Nilkruppe standen sie jetzt, staunten über die kolossalen Verhältnisse des Flußgottes, freuten sich über das neckische Sviel der kleinen Liebesgötter, die an den häß­lichen Krokodillen sich ergötzten und eben wollte der Herr die Begleiterin auf einen kleinen Amor aufmerksam machen, der in einem Füllhorn saß und gar reizend anssah mit seinen langen Locken und seinem schelmischen Lächeln, als diese plötzlich auS- ries:Aber das ist ja Berthel!" Der Herr blickte fra­gend, wie um Erklärung bittend zu ihr auf, als sie leise die Hand auf seine» Arm legend, sagte:Hab' ich Dir nicht die­ses Märchen meiner frühesten Kindheit erzählt, das dennoch kein Märchen ist? Sieh dieser kleine Marmorgvtt mit den langen Locken, ist das treueste Ebenbild jenes Knaben, mit dem ich einen Abend lang gespielt, dann nie wieder gesellen und doch nicht vergessen habe, wie D» siehst, obwohl mehr als zwanzig Jahre zwischen heut und damals liegen.Wer war denn dieser Knabe?" fragte der Herr, mit einem feinen, fast unmerklicheu Lächeln um seine Lippen.Weiß ich's?" eni- gegncte die junge Frau.Berthel hieß er. Er hat lange, goldgelbe Locken und Helle, blaue Augen, gerade wie der junge Man», der vor der Laokoons-Gruppe stand, als wir eintraten und gleich darauf den Saal verließ. Es ist seltsam,, wie ick heute zweimal an dieses Kinderabcuteuer erinnert werde >

Der Führer wollte jetzt die Eycelenza's auf den Perseus aufmerksam machen, aber die junge Dame war offenbar zer­streut. Nach einer Weile bat sie ihren Begleiter leise, das klebrige ein anderesmal zu sehen, weil das viele Herrliche, was sie heute schon bewundert, für einen Tag mehr als genug sei.

Schweigend in augenscheinlicher Zerstreuung verließ sie den

Vatican._(Forts, folgt.)

Truck und Verlag dcr G. W. Zaiscr'schenBuchhandlung. Redaktion: Holzte.