er fort, „äußerst Tu nichts; nur büke Dich vor jeder Gcmüths- bewegung, weil diese die Reinheit des Experimentes trüben würde. Du brauchst deinen Zustand nicht zu beobachten, das konnte Dich ängstlich, bewegt machen; aber jede meiner Fragen mußt Du gewissenhaft beantworten."
Spechtmayer sah der Svlpbengestalt, als sie mit flüchtigem, elastischem Schritte hinausscbwebte, mit innerster Herzensfreude nach. „Gott gebe Dir," sagte er leise, „den schönsten Segen für das, was Tn jetzt für die Wissenschaft tdnfl."
Der schönste, reinste Sommertag goß seinen Sonnenschein über die Stadt. Stach Tisebe sagte Doklor Spechtmaver: Ich habe heute kein Geschäft mehr; was meinst Du, wenn wir ein wenig ins Freie fahren?
Vortrefflich, Vater, sagte Arabella! — cs ist heute Donnerstag , wir fahren in den Banmgarten.
Als der Doktor seine Tochter in den Wagen hob, fragte er: Wie fühlst Du Dich, Bella? Dein Auge kommt mir glänzender vor.
Mir ist sehr wohl; fast möchte ich sagen, ich fühle mich erhoben. Nur in der Gegend des Herzens empfinde ich ein leises Zusammcnzieben.
Das ist der Anfang der Wirkung. Werde nicht besorgt, wenn sie sich noch etwas steigern sollte. Die - Reaktion wird nickt anSbleibcn und diese namentlich interessirt mich.
Equipagen und Fiaker eilten von allen Seiten dem Thore zu. Als des Doktors Wagen in die Allee draußen einlcnktc, fuhr dickt voraus ein anderer eleganter Wagen, in welchem ein junges Paar, anscheinend im eifrigen Gespräche saß. Wir werden draußen zahlreiche und schöne Gesellschaft finden, sagte Spechtmaver. Wie geht cs Dir nun liebes Kind? Du scheinst unruhig.
„Ich fühle eine solche Beklemmung," sagte Arabella, — „ich weiß nicht, ist es die freie Lust —"
„Der Himmel ist mild, wie der neapolitanische; es ist, wie ich Dir voranssagte, gesteigerte Arznciwirkung."
Eben so richtig traf die andere Voraussagung des Doktors ein; cS war ein glänzender Baumgartentag. Nur durch besondere Gönnerschaft eines Kellners errang Spechtmayer 2 Plätze. In sorgsamer Voraussicht beobachtete er die Richtung des Luftzuges, ließ seine Bella leewärts sitzen, bestellte homöo- patische Chocolade — dünn genug sei sic, sagte er, um ganz harmlos z;l sein — und zündete eine Cigarre an, deren Ranch er künstlich und behutsam zu einem Mundwinkel heraus ans dem Windhauche hinschwimmcn ließ, so daß nicht ein Duftatom Bella berührte.
Diese musterte indcß mit sichtlicher Ruhe die sich drängende Gesellschaft.
„Du wirst blaß, mein Kind," sagte Spechtmayer besorgt.
„Es schwimmt mir vor den Augen!"
Nack kurzer Zeit stand Bella auf und sprach mit leiser, zitternder Stimme: „Ich muß nach Hause, Vater; ich habe unerträgliches Kopfweh."
Aengstlich besorgt warf Doktor Spechtmaver ein Geldstück auf den Tisch, und bot seiner Tochter den Arm; dock kaum harte Bella sich erhoben, als der Glanz ihres Auges erlosch und der letzte Anhauch von Roth ihre Wangen verließ. Bewußtlos wäre sie niedergesnnken, wenn nicht ein junger Mann, der eben lustwandelnd vorüberging, den Arm seiner Dame hätte fahren lassen, und ibr beigesprnngen wäre. Die beiden Männer brachten das bleiche, schöne Kind in den Wagen.
„Ich bin Ihnen unendlich verbunden," sagte Spcchtmayer ^ gerührt. „Nehmen Sie meinen innigsten Dank, Herr — Herr von —"
„Doktor Bittersüß junior." sagte der junge Mann mit einer Verbeugung.
Jetzt wurde auch Spechtmaver blaß; verwirrt erwiderte er die Verbeugung und ries dem Kutscher eilig zu, zu fahren. „Das muß mir passiren!" brummte er vor sich bin. „Der leibhafte Sohn des Todfeindes, — nicht meines Todfeindes," verbesserte er fick, „sondern der gereinigten Wissenschaft, des enragirtcn Vorkämpfers der alten Lehre!"
Bald aber löste sich der kleine Unwille in-der Besorgnis;
für sein theures Kind ans, das blaß, mit geschlossenen Augen und fliegendem Athen: in der Wagenecke lehnte. Das arme Kind, sagte er für sich, ihre Organisation ist zu zart, ich habe die DojiS zu stark genommen. Aber, fügte er mit einer gewissen Selbstzufriedenheit hinzu, cS ist die reinste, schönste Bella- donnawirknng— Brustbeklemmungen, krampfhafte Respiration, gestörte Sehkraft, Schwindel, Angst — Er rieb sich vergnügt die Hände und erschrack dann gleichsam über sich selbst.
Kein Liebender kann sich ängstlicher um die Geliebte bemühen, als Doktor Spechtmayer zu Hanse um seine Tochter, und als sie sich erholt hatte, rieth er ihr, sich auf ihrem Zimmer zur Ruhe zu legen. Mit der tiefsten Rührung küßte er sie ans die Stirn. Wüßtest Du, sagte er bewegt, welche Freude Tn aus die alten Tage Deinem Vater machst. O das reinste, ein unbegrenztes Vergnügen gewährt uns doch nur die Wissenschaft, und über alle Freuden der Welt geht die Freude über ein wohlgelnugencs Experiment."
Am nächsten Morgen dünkten dem Doktor Arabellas Augen etwas gerölhet. Die Reaction tritt in der somatischen Sphäre auf," dachte er. Bella war unendlich reizend; das zarte, durchsichtige Blaß ihrer Wangen, die tiefe Schwcrmnth ihres Blickes gaben, ihr den unendlich anziehenden Ausdruck durchgeistigter Verklärung. Erst heute sah man deutlich, wie Recht ihr Vater hatte, als er sagte, sie scheine ans Aether gewebt. Auf alle seine Fragen antwortete sie milde, sie fühle sich leichter, nur etwas traurig, und leide, wenn sic sitze und nachdcnke, an Herzklopfen. So blieb sie unverändert zwei Tage. Am dritten Morgen war eine seltsame Veränderung mit ihr vorgegangen. -Lie war hastig, aufgeregt, tief ergriffen; oft überflog eine flüchtige Rothe ihre Wangen. Solche plötzliche Sprünge in der Gemüihsstimmnng sind das Charakteristische der Belladonna, sagte Spechtmayer, als er Hut und Stock nahm. Mittags kam er von seinen Krankenbesuchen heim und ging sogleich auf das Zimmer seiner Tochter. Unbemerkt trat er ein, denn Arabella über ein Papier niedergcbeugt, war in Thräncn aufgelöst.
Leise trat Spcchtmayer zu ihr hin, legte den einen Arm saust um ihre Schultern und nahm mit der andern Hand daS Papier, einen entfalteten Brief.
Was ist Dir, liebste Bella, sagte erbesorgt, was betrübt Dich so heftig!
Betrüben? fragte Bella. Ich bin selig! Und sie versuchte es nicht, ihre Thränen zu hemmen.
Dem Vater schien ein Lickt aufzugchen. Sieh' da, ries er, ick will wetten, eine Herzensangelegenheit ist im Spiele. Habe ich Dir, Du gottloses Kind, nicht von jeder Gemüths- bewegung abgerathen? Jetzt siehst Du, was die Belladonna und eine Alteration zusammen zu wirken im Stande sind. Du erlaubst wohl, daß ich die mutcwiu pooouns, wie ein Arzt der alten Schule sagen würde, ein wenig näher besichtige?
Er hielt fragend den Brief empor.
Nur mit Widerstreben, erwiderte Arabella, hatte ick bisher ein Geheimniß vor Ihnen, und wie sich das Verhältnis; gcstalckt hat, war ick willens, es heute oder morgen Ihnen selbst mitzntbeilen.
Ter Vater las: „Geliebte Arabella, — Sie schreiben mir, daß Sie mich vergessen würden, daß ich mich niemals würde rechtfertigen können. Daß Sie mir schreiben, daß Sie mich zu einer Rechtfertigung indirekt auffordern, ist mir der erfreulichste Beweis, daß Ihr Herz noch für mich spricht. Meine Rechtfertigung ist leicht: jene junge Dame, welche Ihre Unruhe erregte, ist meine Cousine, die Verlobte meines besten Freundes, welche zur Anschaffung des Brautstaates in die Stadt gekommen ist. Dieser für mich so schmeichelhafte Zwischenfall (weil er mir einen neuen Beweis Ihrer Liebe gibt) bestimmt mich zu entscheidenden Schritten. Heute noch werde ich meines Vaters Einwilligung erbitten und ick zweifle nicht einen Augenblick, sie zu erlangen. Ihrem Vater werde ick mich aufführen, sobald Sie mich benachrichtigen , daß Sie ihn vorbereitet haben. Von dieser Seite fürchte iä>^ die. meisten Schwierigkeiten." (Schluß folgt.)
Truck und Verlag der G. W. 6 a isc r scheu Buchhandlung. Redaktion - Hö! zIc.