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„Das geht leichter an. Aber was willst Du nun thun? Diese Frau ist bereits verhcirathet . . .
„Noch nicht."
„Ah, ich verstehe . . . Nnn; auf San Carlo schlägt e- eben zehn Uhr. In zwei Stunden wird sie verhcirathet sein."
„Ach, ja, Fluch über diesen albernen Grasen. Eh! was macht er denn?"
„Er — er spielt den Ehegatten: er folgt seiner Frau bei allen Quadrillen; er verschlingt sie mit den Augen; er zischelt ihr in das Ohr; er sieht alle Minuten ans seine Uhr; er hat die Pendeluhr im großen Ballsaale um eine halbe Stunde verrücken lassen; er ist selig, er ist verrückt."
„Und die Frau?"
„Die Frau tanzt mit Entzücken; sie tritt eben aus dem Kloster und würde die ganze Nacht und den folgenden Tag tanzen."
„Scheint sie die Liebe sü ihren Gatten zn fühlen?"
„Sie tanzt, sage ich Dir; wenn eine junge Frau tanzt, denkt sie nur an sich, ihre Toilette und ihren Tänzer."
„Wahnsinnige! . . . Und für solche Geschöpfe entflammt sich unsere Brust, verzehrt sich das Mark in unseren Gebeinen, für solche Wesen verlieren wir den Geist, brechen wir die Kraft unseres Körpers. Und dann sagen sie noch, sie lieben besser als wir! . . . Hohn der Hölle! . . . Ihre Gcliebtinliebe ist nur eine Selbstliebe, ihre Gattinliebe eine Toilettenverschwörung, ihre Mutterliebe ein gemeiner Naturtrieb. O! ich könnte toll werden; mein Kopf brennt; halte mich, oder ich zerschmettere mir meinen Schädel ans dem Pflaster."
„Armer Freund!"
„O! Ich habe einen unerträglichen Gedanken in meiner Stirne festgenagelt, einen Gedanken, der zu einem Fcuerbrande wird, den ich nie zu löschen vermag! ... In zwei Stunden!"
„Höre, sprechen wir von andern Dingen. Hast Du das Seestück von Arazzi gesehen, das man in der Villa Scoglietto aufgehängt hat?"
„Nein . . . Arazzi macht Scestücke? In zwei Stunden! Ein Mann . . ."
„Er zeichnet sich in den Scestücken nicht aus."
„Er zeichnet sich in nichts aus."
„Ah! Eine Künstlcrungcrcchtigkeit. Seine Schlacht vom Palaste Doria ist ein Meisterstück."
„Sein Colorit ist unrichtig. Horch! horch! Die Musik spielt nicht mehr. Der Ball ist zu Ende! Kehren wir zur Straße Balbi zurück."
„Man kann nicht immer tanzen! Das ist nur ein Ruhepunkt; man wird bis zum Tage tanzen."
„Ja, die Andern; aber sie!"
„Sie, sie auch vielleicht. Wie gefallen Dir die Fresken deS Perino di Vaga? Liebst Du dieses Talent."
„Nein, das ist gemeines Zeug, plump in der Ausfüh. rung. Nun die Musik beginnt nicht wieder ... Es ist aus, ganz aus . . ."
„ES wird wieder ansangen. Ich will Dir ein Geschenk machen; das letzte Gemälde, welches mir übrig geblieben ist, eine Jungfrau von Giordano . . ."
„Komm, laß uns nach dem Palaste Durazzo eilen."
„Was sagst Du zu Giordano?"
„Ein Schmierer ... Ein Galeerenmaler; behalte Dein Gemälde! Mein Gott, welch' schrecklicher Tag! . . . Die Kirche, der Weihrauch, die Blumen, das ^.ve umrls stell», die See, das Gebet, die Tollheiten, der Ball, die Liebe, die unerbittliche Liebe! Für mich ist dieser Tag mit den Flammen der Hölle geheizt, für die andern von den Balsamdüften aus Paradiesrosen durchzogen! Komm, eilen wir zu Durazzo!"
Die Freunde gingen durch die Straße, welche sich von San Ciro jäh hinabzieht, und setzten sich auf einen Marmorblock, den man für den Palast Terra bearbeitete. Abermals erscholl die Ballmusik, aber auf den Terassen ging es bereits minder geräuschvoll zu.
„Das ist der Todeskampf der Tanzlust," sprach Dan Dyk mit dumpfer Stimme, das ist auch mein Todeskampf."
Plötzlich sprang er auf.
„Halt! Sieh; sieh diese vier Fenster, die man eben
schließt. Weißt Du, was das für ein Zimmer ist? Ich weiß es, bas ist das Gemach des Herrn! Graf Pallaviciui, seid Ihr mein Freund?"
„Deine Freundschaft ist Alles, was mir von meinem Vermögen geblieben ist, darum halte ich so fest daran."
„Wohl; höre. Die Nacht eilt; die Stunde entflieht; das Blut droht mein Herz zu zersprengen; ich bin des Todes, wenn Du mir nicht beistehst. Begib Dich in den Palast von Durazzo, verlange den Grafen insgeheim zu sprechen, mag er im Saale oder in seinem Gemache sein. Sage ihm, der Feind seines Vaters, der Marchese von Gippino erwarte ihn mit Degen und Dolch am Brunnen im Thale des Crebino; Gippino begebe sich eilig nach Florenz, und halte sich nur einen Augenblick unter den Wällen von Genna aus, um diesen Zweikampf auf Leben und Tod zu bestehen; Weigerung von seiner Seite wäre Ehrlosigkeit, jede Zögerung eine Feigheit. Eile, die Lichter erlöschen, die Frauen geleiten die Gräfin zum Ehebette; keine Antwort, gehe."
„Ich gehe," entgegnete Paüavicini ruhig.
Brignole empfing eben die Abschiedsgrüße einiger jungen Edelleute seiner Bekanntschaft, als er Paüavicini eintreten und ein Zeichen mit dem Finger machen sah. Sie zogen sich in einen der Pavillons zurück, von denen die Straße beherrscht wird. Pallaviciui nahm eine ernste Miene an und sprach zum Grafen:
„Kennt Ihr den Marchese Gippino."
„Ich kenne ihn nicht," entgegnete der Graf, „aber ich wciß, daß mein Vater und er sich tödtlich gehaßt haben.
„Sein Sohn erwartet Euch an dem Brunnen im Thale des Crebino; er hat mich znm Sekundanten gewählt, wählt Euch den Euern, ehe Eure Freunde sich alle entfernen."
Graf Brignole blieb stumm.
„Graf Brignole, sind meine Worte nicht deutlich genug?"
„Ich verweigere einem Gippino die Genugthunug nicht; morgen soll sie ihm werden."
„Morgen wird sich Euer Feind auf der Straße nach Florenz befinden und überall Eure Schande bekannt machen."
Ein sonderbarer Augenblick für eine Ausfordcrung. Gut! Es fey, ich verlange nur eine Stunde . . . ."
Damit wandte er sich gegen sein Gemach, die Kammerfrau der Gräfin trat eben lächelnd heraus.
„Eine Stunde, sprach Pallaviciui und hielt ihn zurück, „ich darf Euch keine minntciilange Frist vergönnen; wir haben jetzt schon viel Zeit verloren."
„Aber doch wenigstens, bis ich meine Gattin umarmt habe."
„Nichts; nur so viel Zeit, um die Waffen zu nehmen; jede ablaufende Minute gilt ein Gran Gold für Euer Wappen."
„Unfaßliche Tyrannei! Daran erkenne ich die Gippino, wie sie mir mein Vater geschildert hat. Hier ist mein Degen; vorwärts."
Er wandte sich nach der Gruppe der Freunde, die er eben verlassen hatte und sprach:
„San Gallo, ich bitte Euch, mich bis zur Kirche della Consolazione zn begleiten."
„Ihr wollt an einem sehr entfernten Orte beten, ehe Ihr Ench zur Ruhe begebt," entgegnete San Gallo lachend.
„So ist es," sprach der Graf'mit kaltem Tone; „wollt Ihr mich begleiten?"
San Gallo, der die Sache wohl halb begriff, ging schweigend der Treppe zu. _ (Fortsetzung folgt.)
S i n n s p r u ch.
Wie thöricht, dem Vergangenen nachzuklagen.
Statt mit der Gegenwart dich zu vertragen!
Wie thöricht, stets die Gegenwart zu tadeln.
Da es auf Dich nur ankommt, sie zu adeln!
Wie thöricht, vor der Zukunft stets zu bangen,
Sie ist kaum da, so ist sie schon vergangen!
Nichts steht hier fest, und Alles läuft und rennt nur,
Und Schmerz wie Lust sind beide ein Moment nur.
Auflösung der Charade in Nr. 76: _ Kriegskosten.
Druck und Verlag der G. W. Z a i s c r'sche» Buchhandlung. Redaktion: Höljle. «