Die „Times" gibt folgenden Brief eines Offiziers aus Allahabad: Als das treulose 6te Regiment in dieser Stadt sich empörte und seine Offiziere mordete, entrann ein 16jähri- ger Fähndrich, der für todt unter den übrigen Leichen liegen geblieben war, in der Dunkelheit der Nacht nach einer benachbarten Schlucht. Hier fand er eine Quelle, deren Wasser sein Leben 4 Tage und 4 Nächte erhielt. Wiewohl schrecklich verwundet, gelang es ihm, Nachts einen Baum zu erklimmen, um gegen die wilden Thicre geschützt zu sein. Armer Knabe! er hatte noch eine schwere Ausgabe zu erfüllen eh' ihn der Tod von seinen Leiden erlöste. Am fünften Tag ward er entdeckt, und von den brutalen Sipahis vor einen ihrer Anführer geschleppt, um den Funken Leben der noch in ihm war auszu- löschen. Hier fand er einen andern Gefangenen, einen frühem Mohammedaner und nun christlichen Katcchumnen, den die Sipahis durch Martern zum Wiederabsaü zu zwingen suchten, Die Festigkeit des Eingebornen, der ohne eine menschliche Sympathie unter seinen Peinigern kniete, schien zu weichen; da rief der junge englische Offizier: „Oh, mein Freund! was auch kommen mag, verläugne nicht unfern Herrn Jesum Christum!" In diesem Augenblick entstand der Allarm, daß Oberst Neille mit seinen Madras-Füstlireu angreife, und die mörderischen Fanatiker ergriffen die Flucht. Der Katechumne war gerettet. Er wendete sich, um dem Knaben z» danken, dessen Zuspruch seinen wankenden Glanbensmuth befestigt hatte. Aber der junge Märtyrer war dem Bereich menschlicher Grausamkeit entrückt, und zur ewigen Ruhe heimgegangen. (A. Z.)
Ein englischer Dampfer hat 157 Flüchtlinge ans Indien nach London gebracht. Unter ihnen ist eine junge Dame, Namens Stallard, die dem fürchterlichen Gemetzel in Mirat entkam und über einen reißenden Strom schwimmen mußte, und ein amerikanischer Missionär, Mr. Hay mit Frau und Kindern mit knapper Noth dem gräßlichsten Tode entkommen. Alle Passagiere aus Calcutta meinen, Delhi werde bald fallen; dagegen werde die Flucht von Tausenden von Rebellen den Brand der Empörung über andere Theile Indiens verbreiten.
Das verwünschte Haus.
(Fortsetzung.)
Die Apotheke war geschlossen, allein das Necept wurde durch einen kleinen Schalter, welcher in der Thüre angebracht war, in Empfang genommen und Franz setzte sich auf die steinerne Treppe nieder, um auf die Arznei zu warten. Es war eine schöne, sternenhelle Deccmbernacht, allein der gebeugte Vater saß auf dem kalten Steine, mit trübem Blick das gefrorene Pflaster anstarrcnd — er dachte nicht an die Sternen am Himmel. Der Nachtwächter ging vorbei und wünschte ihm einen guten Morgen.
„Wird einen schönen guten Morgen für mich werden", dachte der arme Franz — der Morgen eines verzweiflungsvol- len Tages!" In demselben Augenblick schlug die Glocke aus der benachbarten Kirche „Eins", und der Nachtwächter sang Mt einer kräftigen Baßstimme folgende Strophen:
»Ihr Nachbarn hört und laßt euch sagen.
Unsre Glock' hat Eins geschlagen;
Dem Leidenden der izt noch wacht.
Verkürze Gott die lange Nacht;
Die Hoffnung stärke sein Herz;
Sie lindert Kummer und Schmerz,
's hat Eins geschlagen!"
Franz hörte den frommen Gesang, und es schien eine Veränderung vorgegangeu zu sein; er erhob seinen Blick zu dem prachtvollen Himmel, betrachtete die funkelnden Sterne, welche das dunkelblaue Gewölbe zierten, faltete seine Hände und wiederholte des Nachtwächters Schlußvers:
„Die Hoffnung stärke sein Herz,
Sie lindert Kummer und Schmerz!"
Eben wurde ihm ein kleiner Kolben mit Arznei durch den Schalter gereicht; er gab sein letztes Geld dafür her, und in der Hoffnung, daß auch sein Kummer und Schmerz erleichtert werden möchte, eilte er seiner Wohnung zu.
„Hastd n gehört, was der Nachtwächter gesungen hat, Johanna?" fragte Franz, als er in daö kleine grüne Sprechzimmer eintrat, wo die junge Mutter bei ihrem Kinde wachte.
„St, St!" wisperte sie; „es ist in einen leichten und ruhigen Schlaf verfallen. Der Herr wird sich unser erbarmen — es wird nun besser gehn mit unserem Kinde."
„Du siehst ja so selig aus, Johanna, als ob ein Engel vom Himmel selbst dir Glück verheißen hätte."
Ja Glück und Trost wurde uns vom Himmel gespendet; erwiederte Johanna, auf eine alte Bibel zeigend, welche offen ans dem Tische lag. „Sieh! das ist meines guten Onkels Bibel, welche ich nicht mehr gesehen habe, seitdem er gestorben ist; Gott möge es mir verzeihen! Ich habe in der letzten Zeit zu wenig an die Bibel gedacht. Ich habe dieses Buch heute Nacht auf dem höchsten Sims im Alkov gefunden und die heiligen Worte haben mich gestärket und getröstet. Lese diese Stelle, Franz, welche uns sagt, daß wir auf Gott vertrauen sollen, was uns auch immer Böses begegnen möge."
Franz las die ihm angedeutete Stelle, und fing dann an, das abgenützte silberbeschlagene Buch zu durchblättern.
Hie und da lag ein Stückchen Papier zwischen den Blättern; als er dieselben aber auf den ersten Blick als Rechnungen oder Quittungen erkannte, so gab er sich nicht die Mühe, sie genauer zu untersuchen.
Plötzlich aber wurde seine Aufmerksamkeit durch ein Stückchen Papier in Anspruch genommen, welches ein Bruchstück eines Tagebuchs zu sein schien, das der alte Mann in der letzten Zeit seines Lebens geführt hatte. Er flog cs begierig durch, und Johanna bemerkte mit Ueberraschung, daß seine Miene sich verdüsterte. Endlich fuhr er auf und rief: „es ist schrecklich — schändlich, Johanna! Es muß Jemand deinem Onkel nach dem Leben getrachtet haben. Sich, hier ist seine eigene Handschrift — höre!" Und er las laut:
„Gott gebe, daß die nichtswürdigen Anschläge meines „Feindes nicht gelingen! Warum ließ ich mein Geld in solch „ungerechte Hände gelangen, und stellte mein Leben der Gnade „eines Menschen anheim, der blutgieriger ist, als ein wildes „Thier? Er hat mich auf heimtückische Weise um mein Vergnügen gebracht — hat meine Zunge mit einem Eid gebunden
und nun sucht er mich heimlich ums Leben zu bringen. „Aber mein Gelb wird nicht gedeihen in seinen unwürdigen „Händen; und verflucht sei das Haus, über dessen Schwelle „er seinen Fuß setzt. Es gibt menschliche Wesen, die andere „in allen irdischen Dingen zu Grunde richten können; allein „der Sterbliche hat keine Gewalt über den Geist, wenn der „Tod ihn befreit hat."
„Was kann dies bedeuten?" rief Franz außer sich. „Wer ist der sterbliche Feind, von welchem er spricht, den er aber nicht nennt? Wer hat Haus und Vermögen an sich gerissen? Diejenige Person, ohne Zweifel, welche ihm durch einen Eid die Zunge band, und sein Leben insgeheim bedrohte — welche in die Welt ausposaunte, daß er sich ersäuft habe und darauf hinwirktc, daß er als Selbstmörder begraben wurde. Warum hat mau keine anderen Bekannte dazu gezogen, um den Leichnam zu erkennen? Wir haben keine Gewißheit, daß er der Ersäufte war. Vielleicht liegen seine Gebeine uns näher, als wir vermuthen. Ha! alter Meister, in meinen Träumen hörte ich dich sagen: „Suche und du wirst finden! Warum hat man mich nicht in geweihte Erde gelegt?" Johanna, was hältst du von jener alten Gerümpclkammer? Geheimnißvolle Geschäfte sind in der Mitternachtsstnnde schon dort vcrichtet worden; und dies ist jetzt noch der Fall. Der Boden wird ausgewaschen, während wir schlafen. Ehe die Sonne aufgeht, werde ich diese M Mörderhöhle von einem Ende zum andern durchsucht haben."
„Ach lieber guter Franz, wie wild und aufgeregt du sprichst! du machst mich beben!"
Als Franz sich entschlossen hatte zu gehn, setzte sie sich neben die Wiege, das schlafende Kind zu bewachen, während er ein Licht nahm und der Werkstätte zuschritt. Dort nahm er Beil und Brechstange, und so mit Werkzeug versehen, näherte er sich der Thüre der verschlossenen Kammer.
„Diese Kammer ist mein Eigenthum", sagte er zu sich selbst; „wer hat wohl ein Recht, mir den Eingang zu wehren?"
(Schluß folgt.) _
Druck undBerlag der G.W. Zaiserffchen Buchhandlung. Redaktion: Höljle.
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